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Ein Atheist sagt sich: 'Da kommt nichts mehr'

20. November 2008 in Deutschland, keine Lesermeinung
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Wie ein Erfurter Christ mit der Ermordung seiner Frau umgeht


Erfurt (kath.net/idea)
Kein Ereignis hat Deutschland im Jahr 2002 so erschüttert wie das Schulmassaker am 26. April in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt. Damals hat der 19-jährige Ex-Schüler und Sportschütze Robert Steinhäuser im Gutenberg-Gymnasium zwölf Lehrer, zwei Schülerinnen, eine Sekretärin, einen Polizisten und schließlich sich selbst getötet. Drei Monate zuvor war er von der angesehenen Schule verwiesen worden, weil er ärztliche Atteste gefälscht hatte. Die Polizei fand in seiner Wohnung gewaltverherrlichende Computer- und Video-Spiele sowie Tonträger. Unter den Opfern ist die 38-jährige Französischlehrerin Yvonne-Sofia Fulsche-Baer. Sie hinterlässt ihre Tochter Frieda und ihren Mann, Detlef Baer (heute 44), der in Erfurt als Pressesprecher des Kultusministers arbeitet. idea-Reporter Karsten Huhn hat ihn besucht – aus Anlass des Ewigkeitssonntags.

Ganz oben auf dem Bücherregal von Detlef Baer steht ein seltsamer Ordner. Er ist hellgrün und trägt die Aufschrift „Krisenpläne/Checklisten“.

Im Inhaltsverzeichnis steht: „Todesfälle H Amoklauf I Eskalation von Gewalt J Bombendrohung K
Terroristische Anschläge L“
Im Kapitel Amoklauf befinden sich drei Seiten. Die erste enthält ein Organigramm, das die Zuständigkeiten regelt. Schuldirektor, Polizei, Notarzt.

Auf der zweiten und dritten Seite stehen Fragen, die im Ernstfall zu beantworten sind: „Ist der Täter maskiert? Wurden Geiseln genommen? Gibt es Verletzte/Tote, wenn ja, wie viele?“ Ganz unten steht der Hinweis: „Alle Handlungen, die das Leben und die Gesundheit gefährden, vermeiden!“
Was nicht zu regeln ist
Der Ordner wurde im Dezember des Jahres 2002 erstellt, nach dem Massaker am Erfurter Gutenberg-Gymnasium. Es ist der Versuch zu regeln, was nicht zu regeln ist.

Yvonne-Sofia Fulsche-Baer blieb keine Zeit, irgendeine Handlung zu vermeiden, die Leben und Gesundheit gefährdet. Als der ehemalige Gutenberg-Schüler Robert Steinhäuser kurz vor elf Uhr das Gymnasium betritt, maskiert, mit einer Pump-Gun und einer Pistole bewaffnet, geht die vierte Stunde zu Ende. Fulsche-Baer unterrichtete Französisch in der 8b und hatte gerade die Hausaufgaben an die Tafel geschrieben. Fünf Mal schießt Steinhäuser auf sie. Yvonne-Sofia Fulsche-Baer stirbt mit einem Stück Kreide in der Hand. Nicht einmal fünfzehn Minuten dauert es, so rekonstruiert es später die Polizei, bis Steinhäuser 58 Kugeln abgefeuert hat und dabei 16 Menschen tötet. Zum Schluss erschießt er sich selbst.


„Die Erinnerung an diesen Tag ist wellenförmig“, sagt Baer. „Der Alltag geht ja weiter. Es geht.
Es muss ja gehen. Aber der Schmerz ist da.“ Am Anfang habe er sich häufig an seine Frau erinnert, sagt Baer. Mit der Zeit würden die Abstände größer. „Manchmal genügt ein Beitrag im Fernsehen, und plötzlich könnte man losheulen.“

Und es gibt Fragen, auf die es keine Antwort gibt: Hat Gott das gewollt? Warum? „Man dreht sich dabei nur im Kreis“, sagt Baer. „Hätte meine Frau nicht so früh anfangen sollen, wieder zu arbeiten? An solchen Fragen wird man irre. Ich muss einfach zur Kenntnis nehmen: Es ist Schicksal.“ Die Spaziergänge, das Einkaufen, der erste Urlaub ohne Frau – eigentlich ist alles wie immer, und doch ganz eigenartig, fremd.

Dazu kommt die Unsicherheit von Nachbarn und Freunden. Leute, die einem im Supermarkt plötzlich aus dem Weg gehen. Es ist ja auch schwer, in so einer Situation das Richtige zu tun. Zu helfen, ohne aufdringlich zu sein. „Mein Glauben hat mir Kraft und Halt gegeben – und ich meine damit nicht nur die Hilfe des Pfarrers und von Freunden. Ich habe gespürt, ohne dass man es begreifen könnte, dass ich von Gott Kraft bekomme, um die Situation durchzustehen.“

„Mama ist jetzt im Himmel“

Die Baers sind damals seit drei Jahren verheiratet. Sie haben ein Kind bekommen, Frieda, die seit ein paar Monaten in den Kindergarten geht, so dass Yvonne-Sofia Fulsche-Baer in ihren Beruf zurückkehren kann. Sie hat eine 40-Prozent-Stelle am Gutenberg-Gymnasium übernommen und unterrichtet Französisch, Englisch und Russisch. Einen Tag in der Woche hat sie frei. Am Morgen des 26. Aprils sind die Baers gegen halb acht aus dem Haus gegangen. Detlef Baer fährt ins Sozialministerium, in dem er damals arbeitet. Seine Frau bringt Frieda in den Kindergarten und fährt danach zum Gymnasium.

In der Stunde, in der Robert Steinhäuser seine ehemalige Schule betritt, hat Baer im Landtag zu tun. Ein Kollege kommt auf ihn zu und berichtet, im Gutenberg-Gymnasium sei geschossen worden. Es habe zwei Tote gegeben. Baer ruft seine Frau auf dem Handy an, aber sie nimmt nicht ab. Baer fährt zur Schule, er sieht Polizisten mit Schutzwesten, Absperrungen und einen Panzerwagen. Plötzlich heißt es, es seien 16 Tote. Baer wartet auf dem Sportplatz. Er sieht, wie Schüler und Lehrer aus der Schule kommen und ihre Angehörigen umarmen. Dann kommt niemand mehr aus der Schule. Die übrig gebliebenen Angehörigen werden in die Aula einer benachbarten Schule geführt.

Dort steht der Erfurter Feuerwehrchef mit einer Liste in der Hand. 16 Namen stehen darauf, auch der von Yvonne-Sofia Fulsche-Baer. Baer weint. Dann ruft er seine Schwiegereltern und seine Eltern an. Baers Tochter übernachtet bei den Schwiegereltern. Als er sie wieder sieht, sagt er ihr: „Mama kommt nicht mehr wieder. Mama ist jetzt im Himmel. Und sie musste so schnell gehen, dass sie nicht mal mehr tschüss sagen konnte.

Aber sie sieht uns von dort oben. Ihr geht’s gut.“ Sechs Wochen ist Baer krankgeschrieben. Bevor er wieder zu arbeiten beginnt, besucht er den Tatort. „Es war schrecklich und es war erleichternd. Ich habe tagelang nicht gewusst, was eigentlich passiert ist“, sagt Baer. „Es war so viel zu erledigen, so viel zu entscheiden. Ich habe mich unbewusst von den Ereignissen ferngehalten. Der Schmerz, der Verlust, die Emotionen – alles ging in mir durcheinander.“

Stückweiser Abschied

Fünf Jahre später – 2007 –, bei einem Besuch des Grabes, erzählt Baer seiner Tochter, wie ihre Mutter gestorben ist. Heute ist Frieda neun Jahre alt. Wenn sie zur Schule geht, trägt sie den Rucksack ihrer Mutter. Lange Zeit konnte Baer den Nachlass seiner Frau nicht anrühren. „Am schlimmsten war der Kleiderschrank“, sagt Baer. „Die Erinnerungen übermannen einen.

Man hat ein schlechtes Gewissen, die Sachen wegzugeben, obwohl man weiß, dass es richtig ist. Gefühl und Verstand gehen durcheinander. Und jedes Mal muss man die Entscheidung treffen: aufheben oder weggeben?“ Nach anderthalb Jahren gibt Baer die Kleider seiner Frau an die Caritas weiter.

Später kommt das Arbeitszimmer dran. Zwei Wochen lang räumt Baer jeden Abend, wenn seine Tochter im Bett ist, Regale und Schubfächer leer, packt Bücher und Unterrichtsmaterialien in Kartons und gibt sie an eine Schule weiter. „Man muss sich stückweise verabschieden“, sagt Baer. „Es geht nicht alles auf einmal.“ Baer hat in Mathematik promoviert, seine Arbeit handelte von „Punktverteilungen mit speziellen Abständen“. Den richtigen Abstand zu finden, darum geht es auch beim Trauern: den Schmerz zulassen, ohne in ihm zu versinken. Sich erinnern, ohne nur noch in der Vergangenheit zu leben.

„Mal ist man näher dran an Gott, mal weiter weg – das geht ja jedem so“, sagt Baer. „Aber nach dem Tod meiner Frau war ich ganz nah bei Gott. Man stellt sich die existenziellen Fragen. Ein Atheist sagt sich: ‚Es ist zu Ende. Da kommt nichts mehr.’ Als Christ sage ich: Ich bin mir sicher, dass ich meiner Frau im Himmel begegnen werde.“


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