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Emanuela Orlandi – ein Kriminalfall im Schatten von St. Peter

15. Mai 2012 in Chronik, keine Lesermeinung
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Abenteuerliche Spekulationen um eine 1983 verschwundene vatikanische Staatsbürgerin haben sich in Luft aufgelöst. Das Rätsel um eine mysteriöse Entführung bleibt. Von Ulrich Nersinger


Rom (kath.net) Entführungen sind Anfang der Achtziger Jahre in Italien keine Seltenheit. Fast jeden Monat berichten die Zeitungen des Landes davon. Der Fall eines jungen Mädchens aber wird durch seine besonderen Umstände Berühmtheit erlangen und bis in die Gegenwart immer wieder aufs neue für Diskussionen sorgen. Er wird vielen der Beteiligten wie ein Roman vorkommen, der aus der Feder John le Carrè’s stammen könnte.

Am Mittwoch, dem 22. Juni 1983, beendet die fünfzehnjährige Emanuela Orlandi gegen 19.00 Uhr ihren Flötenunterricht im Musikkonservatorium „Ludovico da Victoria“ an der Piazza San’Apollinare. Aus dem Haus kommend plaudert sie lebhaft mit einer Freundin. Kurze Zeit später glaubt der Polizist Alfredo Sambuco, der vor dem Palast des Senats Dienst hat, Emanuela zu sehen, wie sie mit einem dunklen, eleganten, gut aussehenden, etwa 35 bis 40 Jahre alten Mann spricht. Dann verschwindet sie spurlos.

Als die italienischen Behörden mit der Vermisstenanzeige Orlandis beschäftigt werden, überkommt die damit beauftragten Beamten eine gewisse Nervosität. Der Vorfall enthält eine besondere Brisanz. Emanuela Orlandi ist eine der wenigen Personen, die von Geburt her die vatikanische Staatsbürgerschaft besitzen. Ihre Familie wohnt im Vatikan; der Vater ist ein Angestellter der Präfektur des Päpstlichen Hauses.

Mit dem Datum vom 25. Juni beginnt eine Reihe von seltsamen Anrufen, die nicht zur Beruhigung der Eltern beitragen. In den folgenden Tagen werden in Rom Plakate mit dem Bild Emanuelas aufgehängt (siehe Foto). Aber noch sind die meisten Leute, die vor den Plakaten stehen, nicht darüber informiert, dass es sich bei dem verschwundenen Mädchen um eine fünfzehnjährige Bürgerin des Vatikanstaates handelt.

Der Vatikan erhält dann aus einer bis heute ungenannten Quelle Informationen, die den Papst dazu veranlassen, sich persönlich einzuschalten; er tritt am 3. Juli an die Öffentlichkeit. Nach dem sonntäglichen Angelus-Gebet vor 40 000 Gläubigen auf dem Petersplatz spricht Johannes Paul II. davon, dass er die Angst der Eltern Orlandi um ihre Tochter teile, und fordert deren Familie auf, „Vertrauen in die Menschlichkeit derer zu haben, die für das Verschwinden der 15jährigen verantwortlich sind“. Insgesamt achtmal wird sich der Heilige Vater für Appelle zu Gunsten einer Freilassung Emanuela Orlandis entscheiden.

Am 5. Juli erhalten sowohl die Familie Orlandi als auch das Päpstliche Staatssekretariat Anrufe eines Unbekannten, der mit amerikanischen Akzent die Freilassung des Papstattentäters Ali Agas fordert; im Gegenzug, so verspricht er, werde die Vatikanbürgerin ihre Freiheit wiedererlangen. Die Ermittler sind sich bald sehr sicher, daß der Anrufer kein Amerikaner ist, dass er den Akzent nur vortäuscht. Dennoch wird man von ihm in dem weiteren Verlauf der Untersuchungen als dem „Amerikaner“ sprechen.


Die Ermittlungsrichterin Margherita Gerunda will Agca zu den Erpressungsversuchen des vermeintlichen Entführers vernehmen. Aus dem Rebbiana-Gefängnis wird er zum Verhör auf ein Polizeirevier gebracht. Die Beamtin konfrontiert ihn mit den Forderungen des „Amerikaners“. Der Attentäter zeigt sich überrascht; entschieden lehnt er eine Involvierung in die Vorfälle ab. Dann geschieht etwas Ungewöhnliches. Ali Aga erhält die Gelegenheit, sich gegenüber den Presse- und Fernsehleuten, die sich auf einen Tip hin vor dem Gebäude eingefunden haben, zu äußern. Später wird nicht mehr festzustellen sein, wer für diesen Auftritt die Erlaubnis erteilt hat.

Am 17. Juli verlangt der „Amerikaner“ vom Vatikan die Einrichtung einer Telephonleitung, die nur er durch einen Code frei schalten kann und die ihn direkt mit Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli verbindet. In den folgenden Tagen wird von dieser „sicheren“ Telephonverbindung mehrfach Gebrauch gemacht, Im Monat August meldet sich mehrmals eine ominöse Organisation, die sich „Turkesh“ („Türkische Antichristliche Befreiungsfront“) nennt, auch sie verlangt die Freilassung Alis – und darüber hinaus jene Serdar Celebis, des Anführers der rechtsextremen türkischen „Grauen Wölfe“. Die „Grauen Wölfe“, die schon 1981 jeden Verwicklung in das Attentat bestritten haben, weisen die Anschuldigungen empört zurück und beschuldigen die Geheimdienste, bewusst falsche Spuren zu legen.

Bis zur Verhandlung gegen Ali Aga im Jahre 1985 werden drei Untersuchungsrichter mit dem Fall beschäftigt sein; jedes Mal, wenn der ermittelnde Richter Zweifel an der „türkischen“ Spur äußert, wird er abgelöst. Laut der katholischen Monatszeitschrift „30Giorni/30Tage“ steht für Emanuela Orlandis Vater fest, dass es „im Vatikan einen Informanten geben muss, der Auskunft über die vatikanischen Staatsbürger erteilte und über die Töchter der Angestellten, als auch meiner Töchter ... Vielleicht sogar ein Freund, den wir täglich sahen.“ Der zuständige italienische Untersuchungsrichter Ilario Martella sieht „Elemente in den Akten, die einen sehr nachdenklich machen ... eine geheimnisvolle Spur, die ganz nach oben führt ... eine Spur, die über den Vatikan zur Lösung des Geheimnisses führen könnte.“

Die römische Untersuchungsrichterin Adele Rando, seit Anfang des Jahres 1990 mit dem Fall des verschwundenen Mädchen betraut, möchte den Fall nicht zu den Akten legen. Über die italienische Botschaft beim Heiligen Stuhl stellt sie 1993 ein Rechtshilfeansuchen an den Vatikan mit der Bitte, hochrangige vatikanischen Würdenträger als Zeugen vernehmen zu dürfen. Als man Giuseppe Baldocci, dem italienischen Botschafter beim Vatikan, die Unterlagen der Richterin auf den Schreibtisch legt, schüttelt er resignierend den Kopf, er weiß er um Zwecklosigkeit eines solchen Ansuchens, er könnte die Papiere ebenso gut in seinen Aktenvernichter geben. Der Diplomat wird in seinem Pessimismus nicht enttäuscht werden; dem Ansuchen wird nicht stattgegeben werden.

1994 tritt der damals 80jährige Kurienkardinal Silvio Oddi in das Szenario ein. Oddi erwähnt im Gespräch mit Journalisten Gerüchte, Ercole Orlandi habe vor der Entführung seiner Tochter im dritten und vierten Stock des Apostolischen Palastes jemanden gesehen, der dort nichts verloren gehabt habe. Als die italienischen Zeitungen mehr von Oddi erfahren möchten, macht der Kardinal, ansonsten für seine Unerschrockenheit bekannt, einen Rückzieher. Der Presse gibt der Kardinal zu verstehen, der Substitut des Päpstlichen Staatssekretariates, Erzbischof Giovanni Battista Re, habe ihn eindringlich darum gebeten, nicht mehr über den Fall Orlandi zu sprechen.

1998 gewährt das italienische Parlament den Justizbehörden keine Verlängerung der Ermittlungen mehr. „Die Untersuchungen zur Entführung Emanuela Orlandi sind beendet, heißt es von offizieller Seite. Man geht davon aus, dass die junge Frau nicht mehr am Leben ist. Bei der Justiz und Teilen der Politik bleibt ein Unbehagen. Das dritte Millennium bringt dann neue „Erklärungen“ und Hypothesen.

2009 behauptete Sabrina Minardi, die Ex-Freundin des römischen Unterwelt-Bosses Enrico De Pedis, sie habe Emanuela Orlandi im Auftrag ihres damaligen Lebensgefährten, der 1990 erschossen wurde, überredet, in ihr Auto einzusteigen. Der Chef der damals berüchtigten römischen Verbrecherbande „Banda della Magliana" habe im Namen „mächtiger Persönlichkeiten“ die Tochter des Vatikanangestellten entführt, um den Heiligen Stuhl wegen diverser Finanzgeschäfte der Vatikanbank zu erpressen. Minardi gab an, Emanuela Orlandi sei tot und die Leiche des Mädchens in eine Betonmischmaschine in Torvajanica südlich von Rom geworfen worden.

Später kam dann die Behauptung auf, der Leichnam der jungen vatikanischen Staatbürgerin sei in dem Grab Enrico De Pedis` in der römischen Kirche Sant’ Apollinare versteckt worden. Der damalige Vikar des Papstes für die Diözese Rom, Kardinal Ugo Poletti, hatte die heute seltsam anmutende Erlaubnis erteilt, den Leichnam des ermordeten Gangsterbosses in der Krypta der Basilika beizusetzen. Als Begründung wurde angeführt, De Pedis sei „ein reuiger Sünder und großzügiger Mäzen der Armenküchen der Ewigen Stadt“ gewesen.

In der Öffentlichkeit wurde dem Vatikan vorgeworfen, an einer Aufklärung der Causa Orlandi nicht interessiert zu sein und weiter Ermittlungen zu behindern. Für das Pontifikat des jetzigen Heiligen Vaters besitzt dieser Vorwurf jedoch keinerlei Berechtigung. Es bestehe die volle Bereitschaft zur Zusammenarbeit der vatikanischen Verantwortlichen mit den italienischen Behörden, heißt es in einer offiziellen Verlautbarung des Heiligen Stuhles. P. Federico Lombardi SJ, der Pressesprecher des Papstes, gab bekannt: „Falls die italienischen Ermittler – im Zuge der laufenden Untersuchungen – es für nützlich oder nötig erachten, vatikanische Verantwortliche nach der üblichen Praxis Befragungen zu unterziehen, können sie dies in jedem Moment tun“. Die Kirche habe auch nichts gegen eine Untersuchung des Sarkophags des Gangster-Bosses Enrico De Pedis in der römischen Basilika Sant'Apollinare.

Am 14. Mai 2012 wurde die Grabstätte De Pedis’ von italienischen Ermittlern geöffnet – mit ausdrücklicher Genehmigung und Gutheißung der Kirche. Das Ergebnis war eindeutig. Der Sarg barg einzig und allein die sterblichen Überreste des ermordeten Bandenchefs. Das Rätsel um Emanuela Orlandi bleibt weiterhin ungelöst und droht, wie es schon vor Jahren der Journalist Max Parisi prophezeite, zu einem der „maledetti misteri d’Italia – verfluchten Geheimnisse Italiens“ zu werden.


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