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Heckenschützenangriff auf den 'Inspector Columbo' des Vatikans

5. Juni 2012 in Aktuelles, 23 Lesermeinungen
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Nachdem Georg Gänswein den gesuchten „Corvo“ überführt hat, versuchen manche, den Spieß nun umzudrehen und neben Bertone ganz besonders den engsten Vertrauten des Papstes für Vatileaks verantwortlich zu machen - Von Paul Badde / Die Welt


Rom (kath.net/DieWelt)
Im Vatikan ist der Teufel los, natürlich. Davon sind die meisten Prälaten der Kurie seit eh überzeugt. Es ist doch das Zentrum der katholischen Weltkirche! Da „krempelt der Teufel immer wieder die Ärmel hoch“, wie ein Offizier der Schweizer Garde es ausdrückte. Hinter den Mauern des Vatikans war deshalb keiner überrascht, dass der Zeitung „La Repubblica“, am Sonntag schon wieder vertrauliche Dokumente aus dem päpstlichen Palast zugespielt wurden, obwohl Paolo Gabriele, der ehemalige Kammerdiener des Papstes, am Mittwoch vor Pfingsten schon als „Corvo“ (Rabe) enttarnt und verhaftet wurde und seitdem in einem behelfsmäßigen „Verlies“ des Vatikans einsitzt, wo vor der Außenwelt abgeschirmt wird. Augenbrauen werden im Vatikan höchstens über die Schutzbehauptung gehoben, damit sei erwiesen, dass es noch weitere „Corvi“ gebe und Gabriele also kein Einzeltäter war.

Es kann eine andere Person mit der Vertrauensposition Gabrieles im Vatikan aber nicht geben. Diese Nähe hatte kein zweiter, von morgens bis abends, wo sich der untreue Diener etwa jeden Abend – wenn der Papst mit seinem Sekretär ab Punkt 18.45 in den Vatikanischen Gärten gemeinsam den Rosenkranz betete – nach Herzenslust von deren Schreibtischen bedienen konnte, wie er wollte. Als Spion in dieser Position war er unersetzlich. Dass das erbeutete Material danach von seinem Hintermann oder seinen Hintermännern an mehrere „Verteiler“ gestreut wurde, steht auf einem anderen Blatt. Ein Ende der Enthüllungen ist darum noch nicht abzusehen.

Das jüngste Manöver lässt aber auch jetzt schon eine Absicht hinter dem Aktendiebstahl durchsichtiger werden als je zuvor. Nachdem nämlich letzte Woche bekannt wurde, dass Georg Gänswein, der Privatsekretär des Papstes, Gabriele als den gesuchten „Corvo“ überführt hat, versuchen die neu aufgetauchten Dokumente in der „Repubblica“ den Spieß nun umzudrehen und neben Kardinalstaatssekretär Bertone ganz besonders diesen engsten Vertrauten des Papstes für den Skandal der Vatileaks verantwortlich zu machen.


Damit scheint die Affäre nun aber auch ihren Kern zu offenbaren. Denn zu den Übertretungen der zehn Gebote vom Sinai ist in der römischen Kirche seit langem auch noch eine elfte Extra-Sünde wohl bekannt. Das ist die auf Lateinisch so genannte „invidia clericalis“; das ist der klerikale Neid, in dem ein Priester dem anderen dessen Erfolge „im Weinberg des Herrn“ nicht gönnt. Von diesem Neid aber ist in Rom keiner so sehr betroffen wie der Privatsekretär des Papstes, und auch die prominenten Namen seiner Neider sind weit über den Vatikan hinaus wohl bekannt, denen er ein Dorn im Auge ist.

Dass dieser Neid nach Bekanntwerden der Schlüsselrolle Gänsweins für die Enttarnung Gabrieles noch einmal empfindlich angewachsen ist, macht verständlich, dass dessen Hintermänner nun manche frühere Vorsicht fallen lassen, vielleicht auch aus Sorge vor der Vernehmung Gabrieles.

Ein Dokument in der „Repubblica“ kann jedenfalls kaum anders als offene Erpressung gedeutet werden. Es ist ein „blinder“ Brief Gänsweins, der die Unterschrift, das Datum (des 19. September 2009) und den Briefkopf zeigt und dessen Inhalt abgedeckt ist, um angeblich „die Person des Heiligen Vaters nicht zu verletzen und zu beleidigen, die durch seine unfähigen Mitarbeiter ohnehin schon sehr geprüft ist “. Der oder die Absender behalten sich allerdings die Möglichkeit vor, das Stück dennoch ganz zu veröffentlichen, sollte man sich im Vatikan weiter darauf versteifen, „die Wahrheit der Fakten zu verbergen“. Sprechender als das angebliche Bemühen um die Wahrheitsfindung der bislang noch anonymen Urheber ist allerdings ihre verräterische Spitze gegen „die unfähigen Mitarbeiter“ (collaboratori inetti).

Dazu fängt inzwischen aber auch das entwendete vertrauliche Material selbst schon in aufmerksamen Analysen zu „singen“ an, das der Journalist Gianluigi Nuzzi vor zwei Wochen in seinem Enthüllungsbuch über „Die geheimen Briefe Benedikt XVI.“ ausgebreitet hat, das zur Enttarnung Gabrieles führte. „Card. De Paolis hat zu wenig Zeit gehabt“, heißt es da zum Beispiel am Schluss einer raschen handschriftlichen Gedächtnisnotiz Georg Gänsweins vom 19. Oktober 2011 über eine halbstündige Begegnung, in der sich der päpstliche Privatsekretär von Rafaele Moreno, dem ehemaligen Privatsekretär Pater Marcial Maciels aus Mexiko, über die mühselige Aufklärungsarbeit zu den Missbräuchen des Gründers der Legionäre Christi aufklären ließ.

Dass es in dem spektakulären Fall über viele Jahre schwer wiegende Versäumnisse gegeben hatte - und dass nicht einmal der selige Papst Johannes Paul II. den unglaublichen Vorwürfen glauben konnte! – ist seit langem bekannt. Bekannt ist auch, dass sich seitdem keiner so konsequent wie Papst Benedikt XVI. für die rückhaltlose Aufklärung der Verbrechen Pater Maciels eingesetzt hat.

Die Notiz darüber hat deshalb auch keinen größeren Aufklärungswert mehr, wenn sie nun mit dem päpstlichen Wappen in Faksimile handschriftlich auf einer offiziellen Briefkarte des persönlichen Büros Georg Gänsweins (Segretaria Particolare di Sua Santità) auf Seite 295 in Nuzzis Buch abgedruckt wird. Das Spektakuläre an dieser Notiz ist vielmehr eine nebensächliche Kleinigkeit. Sie ist auf Deutsch verfasst – und also in einer Sprache, die Paolo Gabriele, der spionierende Kammerdiener an der Seite des Papstes, nicht einmal lesen konnte.

Das heißt aber, er hat auch genommen und fotografiert oder gescannert, was er gar nicht verstand. Er hat wahlos und unsystematisch alles genommen. Nichts anderes kann sein Auftrag gewesen sein. Hier war kein intelligenter Spion am Werk, der schon während der Arbeit gezielt selektierte. Das muss als die bisher letzte Enthüllung des Nuzzi-Buches gelten. Gabriele war tatsächlich nur ein „Postino“, ein Postbote, dessen einzige Aufgabe es war mitzuhelfen, die Position des Papstes zu schwächen und dessen Vertrauen in die Arbeit seines Sekretärs zu erschüttern.

Dennoch war Gabriele das „missing link“ zwischen den Schreibtischen des Papstes und seines Sekretärs zu dem Briefkasten seiner unbekannten Auftraggeber. Warum er aber zwischen seiner Enttarnung und Verhaftung nichts oder kaum etwas aus seiner Wohnung weggeräumt hat, gehört bislang zu den letzten Rätseln des Falles. Er hatte vier Schubladen voller Beweise und belastender Indizien frei in seiner Wohnung gelassen, die drastisch gegen ihn sprechen. Hatte er vergeblich einem Schutz vertraut, der in seinen Augen verlässlicher und stärker war als die Befugnisse Georg Gänsweins? Was sonst?



Foto Georg Gänswein: (c) Paul Badde


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