
„O Adonai“ – Der Gott im Feuer und der ausgestreckte Armvor 4 Stunden in Spirituelles, 1 Lesermeinung Druckansicht | Artikel versenden | Tippfehler melden
Gedanken zur O-Antiphon des 18. Dezember. Von Archimandrit Dr. Andreas Thiermeyer
Eichstätt (kath.net) O Adonai, et dux domus Israel, qui Moysi in igne flammae rubi apparuisti, et ei in Sina legem dedisti: veni ad redimendum nos in brachio extento.
„O Adonai, Herr und Führer des Hauses Israel,
du bist dem Mose im Feuer des Dornbusches erschienen
und hast ihm auf dem Sinai das Gesetz gegeben:
Komm, erlöse uns mit ausgestrecktem Arm.“
1. „Adonai“ – der unaussprechliche Name wird ansprechbar
Meine Lieben,
die zweite O-Antiphon beginnt mit einem Wort, das zugleich Ehrfurcht und Nähe in sich trägt:„O Adonai“.
Im jüdischen Glauben ist „Adonai“ der ehrfürchtige Ersatz für den unaussprechlichen Gottesnamen JHWH. Wo die Schrift den heiligen Namen nennt, verstummt die Stimme des Lesers – und spricht statt dessen „Adonai“, „Herr“. Die griechische Bibel übersetzt mit „Kyrios“, die lateinische Tradition mit „Dominus“.
Wenn nun die Kirche im Advent „O Adonai“ singt, dann wagt sie etwas Kühnes:
Sie ruft den Gott Israels selbst an – den Bundesgott des Exodus, der mit Namen nicht in unsere Verfügung fällt, sondern uns immer entzieht. Und sie tut dies christologisch, indem sie im „Kyrios“ Jesus Christus den gleichen Herrn bekennt, vor dessen Name Israel ehrfürchtig schweigt.
Die Antiphon spannt damit einen großen Bogen:
• vom brennenden Dornbusch (Ex 3),
• über den Sinai und das Gesetz,
• bis zum „ausgestreckten Arm“ Gottes, der sein Volk aus der Knechtschaft führt.
Dies ist der Gott, den wir im Advent herbeirufen: nicht ein abstraktes Prinzip, nicht „irgendeine“ höhere Macht, sondern der Adonai des Bundes, der sich an ein konkretes Volk, eine konkrete Geschichte, ein konkretes Schicksal bindet.
2. Der brennende Dornbusch – Gott, der uns brennen lässt, ohne uns zu zerstören
Die Väter der Kirche haben den brennenden Dornbusch mit staunender Liebe betrachtet. Was geschieht dort?
Mose sieht einen Busch, der brennt – aber nicht verbrennt. Ein Feuer, das nicht zerstört, sondern erfüllt. Ein Licht, das nicht auslöscht, sondern verwandelt. In dieser Flamme spricht Gott seinen Namen: „Ich bin der Ich-bin-da.“
Viele Väter, besonders im Osten, sahen darin eine Christus-Theophanie: Nicht der unsichtbare Vater, sondern der Logos, der Sohn, erscheint in der Gestalt des „Engels des Herrn“. Gott bleibt ungeschaut, aber seine Weisheit, sein Wort, sein Sohn tritt in die Sichtbarkeit. 
Der Dornbusch, der vom Feuer Gottes umfangen wird, ohne zu verbrennen, ist ein Gleichnis für die Jungfrau, die das Feuer der Gottheit in sich trägt, ohne zerstört zu werden. In ihr „brennt“ die Gegenwart Gottes im Fleisch, ohne dass ihre Integrität vergeht.
Andere Väter lesen den Dornbusch als Bild für das Volk Gottes – dornig, widerspenstig, verwundet – und doch vom Feuer Gottes umgeben, ohne vernichtet zu werden. Gott brennt an der Sünde, aber er zerstört nicht den Sünder. Sein Feuer ist reinigend, nicht vernichtend.
Für unsere Spiritualität heute bedeutet das:
In den „Dornbüschen“ unseres Lebens – in Situationen, die weh tun, die uns stechen, die wir am liebsten umgehen würden – kann sich genau dieser Gott zeigen: Feuer, das nicht zerstört; Licht, das uns nicht bloßstellt, sondern uns einen neuen Weg zeigt.
Wer „O Adonai“ betet, darf fragen:
Wo brennt etwas in meinem Leben, ohne zu verbrennen?
Wo ahne ich: Hier ist mehr als nur Zufall, mehr als nur Krise – hier ruft mich einer beim Namen?
3. Sinai und Gesetz – die Gestalt einer Freundschaft
Die Antiphon geht weiter:
„…und hast ihm auf dem Sinai das Gesetz gegeben.“
Der Sinai ist nicht nur der Ort der Gebote, er ist der Ort der Bundesmitte.
Die Väter und die große Tradition haben das Gesetz nie bloß als Kodex verstanden. Es ist die Form einer Freundschaft. Gott sagt seinem Volk:
So sieht ein Leben aus, das meiner Nähe standhält.
So lebt ein Herz, das mit meinem Herzen im Einklang ist.
„Ihr sollt heilig sein, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig.“
Irenäus sieht im Gesetz einen pädagogischen Weg – eine Erziehung, die auf Christus hinführt. Das Gesetz ist nicht der Gegensatz zum Evangelium, sondern seine Vorbereitung. In Christus, dem „neuen Mose“, wird das Gesetz nicht abgeschafft, sondern vollendet: Es wandert vom Stein ins Herz.
Wenn die Kirche „O Adonai“ singt, dann tut sie im Grunde zwei Dinge gleichzeitig:
1. Sie bekennt: Der Christus, den wir erwarten, ist der Gesetzgeber.
Der, der am Kreuz als Verbrecher verurteilt wird, ist derselbe, der auf Sinai das Gesetz gab.
2. Sie bittet: Schreibe dein Gesetz neu in unser Herz.
Lass es nicht von außen auf uns drücken, sondern von innen her leuchten. Erlöse uns, indem du uns fähig machst, in deiner Weisung frei zu leben.
Vielleicht ist das eine wichtige adventliche Korrektur für uns:
Wir bitten nicht darum, gesetzlos zu werden, sondern darum, die Gebote Gottes als Gestalt der Freiheit wiederzuentdecken – als Weg, der uns vor der Zerstreuung und der Selbstzerstörung bewahrt.
4. „Mit ausgestrecktem Arm“ – Exodus und Kreuz
Die Antiphon endet mit einem mächtigen Bild:
„Komm, erlöse uns mit ausgestrecktem Arm.“
Im Exodus ist dies die Sprache der Befreiung:
Gott führt Israel „mit starker Hand und ausgestrecktem Arm“ aus dem Haus der Knechtschaft. Er ist kein ferner Beobachter, er greift ein – auf der Seite der Versklavten, der Gedemütigten, der Unterdrückten.
Die Väter sehen darin früh ein Bild des Kreuzes:
• Der „ausgestreckte Arm“ wird zum ausgebreiteten Arm Christi,
• der am Kreuz Juden und Heiden umarmt,
• der die ganze zerrissene Menschheit in seine geöffnete Umarmung hineinzieht.
Im Gebet der Kirche verschmelzen Exodus und Pascha:
Der Weg aus Ägypten und der Weg durch den Tod sind ein und dieselbe Bewegung Gottes zu uns hin. Und der Beter, der seine Hände zum Kreuzzeichen erhebt oder im Gebet ausstreckt, nimmt bewusst die Gestalt des Gekreuzigten an: Er stellt sich hinein in dieses „ausgestreckte Arm-Sein“ Gottes für die Welt.
In einer Welt voller Unrecht, Gewalt, Krieg und Flucht bekommt dieser Ruf neue Schärfe:
„Komm, erlöse uns mit ausgestrecktem Arm“ heißt dann auch:
• Bleib nicht neutral, wenn Menschen versklavt, erniedrigt, entrechtet werden.
• Streck deinen Arm aus in unsere Geschichte, in unsere Politik, in unsere Kirche.
• Mach uns selbst zu Armen deiner Barmherzigkeit, zu Händen deiner Gerechtigkeit.
5. Israelgebet und solidarischer Advent
Wie schon bei „O Sapientia“ gilt auch hier:
Die O-Antiphonen sind Israelgebet der Kirche.
Wenn wir „O Adonai“ singen, rufen wir nicht irgendeinen Gott, sondern konkret den Gott Israels, den Gott des Dornbuschs, des Sinai, des Exodus. Wir beten in der Sprache Israels – und wir wissen: Gottes Bund mit Israel ist nicht gekündigt. Die Erwählung bleibt.
Darum ist „O Adonai“ ein geistlicher Schutz gegen jede Form von Antijudaismus. Wer diesen Ruf ernst nimmt, kann nicht gegen Israel beten. Er stellt sich vielmehr an die Seite Israels: in der Erwartung des endgültigen Heils, das Gott verheißen hat.
Christologisch bekennen wir:
Der Adonai des Exodus ist in Jesus von Nazareth auf unvergleichliche Weise nahe gekommen. Und doch warten wir gemeinsam weiter auf die Vollendung dessen, was Gott begonnen hat. Advent ist also auch Schule der Solidarität: Wir lernen, nicht allein zu hoffen.
6. „Komm, Adonai“ – Feuer, Gesetz, offene Arme
Schwestern und Brüder,
wenn wir zum Ende dieser Antiphon kommen, dürfen wir sie noch einmal meditativ hören:
• O Adonai – Du Gott, dessen Name größer ist als alle unsere Worte,
• Herr und Führer des Hauses Israel – treuer Gott der Geschichte,
• Feuer im Dornbusch – brenne in uns, ohne uns zu zerstören,
• Gesetzgeber auf Sinai – schreib deine Weisung in unser Herz,
• ausgestreckter Arm – spann deine Arme am Kreuz über unsere zerbrochene Welt.
Vielleicht kann unser persönliches Gebet heute so klingen:
Adonai, Gott Israels,
heiliger Name, vor dem wir verstummen,
du Feuer, das brennt und nicht verbrennt,
du Gesetzgeber, dessen Gebot Freiheit ist,
du ausgestreckter Arm, der aus der Knechtschaft führt:
Komm in mein Leben.
Zeig mir den Dornbusch, in dem du mich rufst.
Nimm mir die Schuhe meiner Gleichgültigkeit,
damit ich den heiligen Boden meiner Geschichte erkenne.
Schreib dein Gesetz in mein Herz,
damit ich lebe, wie du es träumst.
Und strecke deinen Arm aus
über alle, die versklavt, geängstigt, erniedrigt sind –
durch mich, wenn du willst.
So wird „O Adonai“ zu einem Adventsgebet, das uns aus der Rolle der Zuschauer herausholt: Wir stehen wie Mose vor dem Dornbusch, wir hören den Ruf, wir lassen uns senden.
Der Gott, den wir anrufen, ist derselbe:
der Gott im Feuer,
der Gott im Gesetz,
der Gott mit ausgestreckten Armen –
für Israel, für die Welt, für dich.
Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer ist der Gründungsrektor des Collegium Orientale in Eichstätt. Er ist Theologe mit Schwerpunkt auf ökumenischer Theologie, ostkirchlicher Ekklesiologie und ostkirchlicher Liturgiewissenschaft. Er studierte in Eichstätt, Jerusalem und Rom, war in verschiedenen Dialogkommissionen tätig. Er veröffentlicht zu Fragen der Ökumene, des Frühen Mönchtums, der Liturgie der Ostkirchen und der ostkirchlichen Spiritualität. Weitere kath.net-Beiträge von ihm: siehe Link.
Symbolbild (c) Pater Andreas Fritsch FSO
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Lesermeinungen| | Stefan Fleischer vor 19 Minuten | |  | Eine kleine Nebenbemerkung Mir persönlich gefällt die Übersetzung des Namens Gottes mit «Ich bin, der ich bin da.» nicht. Das Dasein ist das Wesen des Geschöpfes. Das Wesen des Schöpfers aber ist das Sein. Mit der Aussage: «Ich bin, der ich bin.» grenzt sich Gott ganz klar von den Götzen dieser Welt ab, welche zwar auch da, aber nicht wesenhaft Gott sind. Schon die Vulgata übersetzt «ego sum qui sum”. Und darauf basierte auch der Religionsunterricht meiner Jugend. Dabei werde ich bleiben. |  0
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