
„O Emmanuel“ – Gott mit uns, Gott für uns, Gott in unsvor 2 Stunden in Spirituelles, keine Lesermeinung Druckansicht | Artikel versenden | Tippfehler melden
Gedanken zur O-Antiphon des 23. Dezember. Von Archimandrit Dr. Andreas Thiermeyer
Eichstätt (kath.net) O Emmanuel, Rex et legifer noster,
expectatio gentium et Salvator earum:
veni ad salvandum nos, Domine Deus noster.
„O Emmanuel, unser König und Gesetzgeber,
Erwartung der Völker und ihr Retter:
komm und erlöse uns, Herr, unser Gott.“
1. Der Name, der alles wendet: „Gott mit uns“
Meine Lieben,
mit der siebten [und vor-/ letzten] O-Antiphon erreichen wir den Höhepunkt des adventlichen Rufens.
Alle vorherigen Titel – Weisheit, Adonai, Wurzel Jesse, Schlüssel Davids, Aufgang, König der Völker – münden in einen einzigen, tiefsten Namen:
Emmanuel – Gott mit uns.
Nicht: Gott über uns.
Nicht: Gott fern von uns.
Nicht: Gott gegen uns.
Sondern: Gott mit uns.
Dieser Name aus Jes 7,14 ist die große Verheißung an ein ängstliches, wankendes Volk:
Mitten in politischer Bedrängnis, mitten in einer bedrohten Welt, mitten in menschlicher Unsicherheit sagt Gott:
Ich bin bei euch – nicht mit Machtpolitik, sondern mit einer Geburt. Nicht mit einem Heer, sondern mit einem Kind.
Wenn die Kirche am 23. Dezember „O Emmanuel“ singt, ist das wie der Moment, in dem der Vorhang einen Spalt weit aufgeht und wir das Licht sehen, das uns erwartet – die Nähe Gottes, die Fleisch wird.
2. König und Gesetzgeber – aber nicht wie die Welt es kennt
Der Ruf spricht Christus an als:
• König (rex noster),
• Gesetzgeber (legifer noster),
• Erwartung der Völker,
• Retter.
Damit fasst die Antiphon alle Linien der Heiligen Schrift in eine majestätische Paradoxie:
Er ist König – aber ein König in Windeln.
Nicht auf einem Thron, sondern in einer Krippe beginnt seine Herrschaft.
Seine Krone ist eine Dornenkrone, sein Zepter ein Rohrstab, sein Thron ein Kreuz.
Er ist Gesetzgeber – aber sein Gesetz ist Liebe.
Nicht eine neue Kodifizierung, sondern die Vollendung des Gesetzes des Sinai in einem einzigen Gebot:
„Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“ 
Die Väter sagen:
Der neue Gesetzgeber schreibt seine Weisung nicht mehr auf Steintafeln,
sondern auf die Fleischtafel des Herzens (vgl. 2 Kor 3,3).
Er ist die Erwartung der Völker – und doch kommt er unerkannt.
Nicht mit Pomp und Prunk, sondern in der Stille von Bethlehem, im Schatten eines besetzten Landes.
Er ist Retter – aber er rettet durch Hingabe.
Nicht durch Gewalt, sondern durch Ohnmacht,
nicht durch Machtpolitik, sondern durch Selbsthingabe.
O Emmanuel bringt es auf den Punkt:
Der König der Welt offenbart seine Herrschaft dadurch, dass er mit den Menschen geht,
unter ihnen steht,
in ihnen wohnt.
3. Der Gott, der herabsteigt – und Wohnung nimmt
Im Herzen der Antiphon steht der Ruf:
„Veni“ – Komm.
Hier trifft unser Adventsrufen auf das, was Gott längst beschlossen hat:
Nicht wir ermöglichen seine Gegenwart – er schenkt sie.
Nicht wir bahnen Wege zu ihm – er bahnt den Weg zu uns.
Die Väter sehen im Namen „Emmanuel“ den Herabstieg Gottes:
• Der Unendliche wird endliches Fleisch.
• Der Unsichtbare wird sichtbar.
• Der Unbegreifliche wird berührbar.
• Der Unhörbare lernt sprechen mit menschlicher Stimme.
Gregor von Nyssa sagt:
„Gott steigt herab, damit der Mensch aufsteigen kann.“
In Christus geschieht eine doppelte Bewegung:
1. Gott tritt in die tiefste menschliche Realität ein – Hunger, Müdigkeit, Angst, Freude, Wachstum, Verwundbarkeit.
2. Der Mensch wird in die göttliche Gemeinschaft hineingerufen – Sohnschaft, Liebe, Licht, Auferstehung.
Deshalb ist Emmanuel nicht nur ein Titel.
Es ist das Programm der gesamten Inkarnation.
4. Die Erwartung der Völker – und die Erfüllung in einem Kind
Die Antiphon nennt Christus: „expectatio gentium“ – Erwartung der Völker.
Damit endet die O-Reihe so universal wie sie begonnen hat:
• O Sapientia: Weisheit, die die Welt ordnet;
• O Adonai: Gott Israels, der befreit;
• O Radix Jesse: Messias aus Israels Wurzel;
• O Clavis David: Schlüssel des Heils;
• O Oriens: Licht der Welt;
• O Rex Gentium: König der Völker.
Jetzt heißt es:
Dieser, den ihr angerufen habt, ist der, auf den alle Menschen letztlich warten – bewusst oder unbewusst, verzerrt oder klar, zitternd oder hoffnungsvoll.
In Christus erfüllt sich die Sehnsucht nach:
• Gerechtigkeit,
• Frieden,
• Wahrheit,
• Sinn,
• Versöhnung,
• Nähe Gottes.
Die Völker warten – und ein Kind kommt.
Die Welt sucht einen starken Mann – und ein verletzbares Leben erscheint.
Die Geschichte schreit nach Macht – und Gott schenkt eine Krippe.
So wirkt Gott.
Nicht anders.
Immer wieder so.
5. „Salva nos“ – Erlöse uns, Herr, unser Gott
Der Schlussruf der Antiphon ist eines der schlichtesten und zugleich tiefsten Gebete der Bibel:
„Veni ad salvandum nos, Domine Deus noster.“
Komm und erlöse uns, Herr, unser Gott.
Hier findet Advent sein Ziel:
• Wir warten nicht auf eine Idee,
• nicht auf eine Reform,
• nicht auf eine innere Stimmung,
• nicht auf ein Gefühl –
sondern auf eine Person.
Und wir sagen ihm offen:
Wir brauchen dich.
Wir brauchen dich als König – nicht um zu dominieren, sondern um zu ordnen.
Wir brauchen dich als Gesetzgeber – nicht um zu knechten, sondern um zu befreien.
Wir brauchen dich als Erwartung der Völker – damit unsere Sehnsucht Ziel und Form findet.
Wir brauchen dich als Retter – denn wir sind Staub, der dich braucht.
Die Antiphon wirkt wie ein Gebet am Rand der Geburt:
Die Welt hält den Atem an.
Die Kirche flüstert:
Emmanuel – Gott mit uns – komm.
Und Gott antwortet mit einem Herzschlag in Marias Leib.
6. Gebet: Emmanuel im eigenen Leben empfangen
Zum Schluss dürfen wir diese Antiphon in ein persönliches Gebet verwandeln:
O Emmanuel,
Gott mit uns,
Gott in unserer Zerbrechlichkeit,
Gott in unserer Sehnsucht,
Gott in unserer Nacht –
komm.
Komm in die Welt der Völker,
in die Kriege, die Mauern, die Grenzen,
in die Orte der Angst und der Verzweiflung.
Komm in deine Kirche,
wo wir oft ratlos, verletzt, zerrissen sind.
Komm in unser Inneres,
in den Ort, an dem wir still hoffen,
dass du wirklich mit uns bist.
Du bist unser König,
aber einer, der dient.
Du bist unser Gesetzgeber,
aber einer, der liebt.
Du bist die Erwartung der Völker,
aber einer, der unerkannt kommt.
Emmanuel – Gott mit uns –
komm und sei Gott für uns
und werde Gott in uns.
Amen.
Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer ist der Gründungsrektor des Collegium Orientale in Eichstätt. Er ist Theologe mit Schwerpunkt auf ökumenischer Theologie, ostkirchlicher Ekklesiologie und ostkirchlicher Liturgiewissenschaft. Er studierte in Eichstätt, Jerusalem und Rom, war in verschiedenen Dialogkommissionen tätig. Er veröffentlicht zu Fragen der Ökumene, des Frühen Mönchtums, der Liturgie der Ostkirchen und der ostkirchlichen Spiritualität. Weitere kath.net-Beiträge von ihm: siehe Link.
Symbolbild (c) Pater Andreas Fritsch FSO
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