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'Glaubensvertiefung - Schutzmechanismus gegen unkontrollierte Triebe'

28. Juni 2017 in Interview, 4 Lesermeinungen
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Die Religionspsychologin Martha von Jesensky hat viele „Priester, Nonnen und Mönche psychologisch betreut. Viele von ihnen versuchten, ihren Sexualtrieb zu sublimieren, das heisst, zu vergeistigen“. Interview von Renate Bruncke


Tobel (kath.net/Regi die Neue) Die in Matzingen lebende Philosophin und Religionspsychologin Dr. phil. Martha von Jesensky ist praktizierende Katholikin und beschäftigt sich seit Jahren mit den Missbrauchsfällen in der Katholischen Kirche. „Regi die Neue“, das amtliche Publikationsorgan für den Bezirk Münchwilen/Schweiz, hat mit Frau Dr. von Jesensky im Vorfeld eines Vortrags zum Thema «Nähe und Distanz» gesprochen.

Regi die Neue: Frau Dr. von Jesensky, warum ist dieses Thema für Sie von besonderer Bedeutung?

Martha von Jesensky: «Ich habe mich in meiner Zürcher Praxis intensiv damit befasst und mehr als 20 Jahre Priester, Nonnen und Mönche betreut. Viele von ihnen haben Probleme mit ihrem Sexualtrieb. Sie versuchen ihn zu sublimieren, das heisst, zu vergeistigen. In ihren Gemeinden sind sie aktiv tätig, tun viel Gutes, brauchen andere Menschen, haben aber Angst vor der Einsamkeit».

Regi die Neue: Worin liegt Ihrer Ansicht nach der Hauptgrund für das Verhalten bei den Geistlichen?

Jesensky: «Als analytisch orientierte Psychologin ist diese Frage für mich einfach zu beantworten. Im Grunde genommen geht es um die mangelhafte Verinnerlichung der christlichen Gebote. Je besser es uns gelingt, die Lehre der Kirche zu verinnerlichen, desto mehr Kontrolle haben wir über unsere sexuellen Erregungen. Den Betroffenen ist das (leider) nicht bewusst. Doch von den Heiligen könnten wir das lernen – sie haben es uns vorgelebt. Insbesondere zölibatär lebende Priester haben enorme sexuelle Fantasien. Manche verlieren im Umgang mit Kindern und Jugendlichen die Kontrolle und es kommt zu unangemessenen Berührungen. Die harmloseste Variante beginnt beim Streicheln. Die Kinder sind einerseits irritiert, anderseits wehrlos ausgeliefert und entwickeln Schamgefühle, trauen sich aber nicht, sich zu wehren. Bei einigen der Geistlichen liegt der Grund für ihr Verhalten in der eigenen Kindheit. Sie hatten entweder einen autoritären Vater oder eine unsichere, ängstliche und depressive Mutter».


Regi die Neue: Wie kann man Ihrer Meinung nach die kirchliche Lehre verinnerlichen?

Jesensky: «Man muss die Worte der Bibel aufmerksam lesen und sich damit auseinandersetzen».

Regi die Neue: Wie definieren Sie Distanz und Nähe?

Jesensky: «Im positiven Sinne, folgendermassen: Jeder von uns weiss aus eigener Erfahrung, wie angenehm der Umgang mit den Menschen ist, die das Spiel beherrschen, sich im richtigen Moment zu öffnen oder aus Respekt und Rücksicht zurück zu nehmen. Hier stimmt die Chemie. Distanz und Nähe sind ausbalanciert».

Regi die Neue: Was versprechen Sie sich von Ihrem Vortrag?

Jesensky: «Ich möchte alle Teilnehmer und Leser zur Glaubensvertiefung ermutigen, da sie einen Schutzmechanismus gegen unkontrollierte Triebe bildet».

Regi die Neue: Da Priester in der Regel Männer sind, könnte der Gedanke, Frauen als Priester zu weihen, naheliegend sein, da die Wahrscheinlichkeit des Missbrauchs eher als gering zu bezeichnen ist. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Jesensky: «Nein, keine Frauen. Sie sollten aus meiner Sicht nicht geweiht werden. Jesus hat das nicht vorgesehen, sonst hätte er es getan».

Regi die Neue: Ist der derzeit praktizierte Glaube noch zeitgemäss?

Jesensky: «Er ist nicht zeitgemäss, sollte aber zeitgemäss sein. In der heutigen Zeit ist bei vielen Menschen die Leidenschaft für Gott verloren gegangen. Sie beschäftigen sich zu wenig mit den Heiligen, von denen sie den Umgang mit Gott lernen könnten. Viele sind nicht mehr am ewigen Leben interessiert».

Regi die Neue: Wie beurteilen Sie die Haltung der römisch-katholischen Kirche?

Jesensky: Die Vertreter der Kirche gehen heute streng gegen fehlbare Priester vor. Die betroffenen Priester repräsentieren aber nicht die Lehre, die, wenn man versucht, sie von innen her liebend zu verstehen, nichts anders kann, als sie zu lieben. Auch das Zölibat. Weil man sich dann mit ungeteilter Hingabe dem Auftrag Gottes widmen kann. Die Lebensbiografie vieler Heiligen zeigt aber, dass das nicht immer auf Anhieb gelingt. Doch die Gnade, um die sie gebeten haben, kam ihnen zur Hilfe.

Dr. phil. Martha von Jesensky (Foto) ist Religionspsychologin und praktizierende Katholikin. Die Schweizerin führte lange eine eigene Praxis in Zürich, ihren (Un-)Ruhestand verbringt sie in Matzingen TG

Foto (c) Martha von Jesensky


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