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"Gewisse Gründe sind keine Gewissensgründe"

18. Mai 2021 in Kommentar, 9 Lesermeinungen
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"Schaut hin: Warum argumentieren deutsche Kirchensprecher so gern irreführend und lückenhaft?" - Ein kath.net-Kommentar von Franz Norbert Otterbeck


Köln (kath.net)

Die Veranstalter des "ökonomischen" Kirchentags, dezentral und digital, zogen "eine positive Bilanz". Der Pressetext ist vielleicht schon vor Beginn des heiteren Treibens verfasst worden. Denn wer hätte je eine negative Bilanz erwartet? Außerdem hat das kostspielige Projekt den Segen des Bundespräsidenten und vieler sonstiger Politiker, von weit links bis Mitte rechts. Was sollte da noch schiefgehen? Auch die Aussage stand von vornherein fest: "schaut hin", beachtet uns, den nationalen Block christlicher Intelligenz und Partizipation. Verschwiegen wurde die stark fallende Relevanz desselben Blocks im öffentlichen Leben. Bischof Genn beispielsweise hat neulich durchblicken lassen, dass der ganze Pomp im Bistum Münster schon 2019, vor Corona, für nur noch ca. 147.000 praktizierende Katholiken betrieben wurde (von 1,8 Mio.). Da diese fast alle über 60 sein werden, wahrscheinlich sogar mehrheitlich älter als ihr Bischof (71), ist in wenigen Jahren "Schicht im Schacht", wie man zum Arbeitsschluss unter Tage sagte. Der deutsche Bergbau hatte Freunde, der deutsche Katholizismus auch. Wenn man die Kirchensteuer - rechtlich unkorrekt - als Subvention auffasst: Was ist seit 50 Jahren wohl teurer gewesen? Kohle oder Kirche?

Prof. Dr. Dr. Sternberg (ZdK) ist seinem Gewissen gefolgt und hat an einem symbolischen Abendmahl teilgenommen. Ebenso gewissenhaft teilte Graf Eltz zu Frankfurt ein einstmals namentlich bekanntes "Sakrament" an alle Interessenten aus. In der Bildunterschrift bei katholisch.de fehlte zufällig das Wort "Kommunion". Weiß man dort noch, dass in der Luther so verhassten "römischen Messe" das Kreuzesopfer Christi vergegenwärtigt wird - und eben nicht bloß das Letzte Mahl Jesu? Kein Probem: Risse in der Einheitspartei deutscher Christen kittet das "Gewissen" ganz zuverlässig, in der neuen Funktion als "Mädchen für alles". Der immer vielseitiger verwendete Gewissensbegriff ist kein Produkt der nachkonziliaren Krise, aber auch kein Erbe der Reformation. Auch in christlicher Deutung hat die Gewissensfreiheit ihre Bedeutung. In Grenzfällen ist sogar dem irrenden Gewissen zu folgen. Aber nur selten ist so ein Ernstfall da. Im katholischen Alltag ist die Orientierung an Wort und Weisung der Kirche recht und billig. Was aber bleibt von dieser Leitungsbefugnis übrig, wenn Hirten und Lehrer der Kirche immer öfter "Gewissen" sagen, wo doch nur Ermessen gemeint sein kann?


Das kanonische Recht der Kirche stellt Maßstäbe auf ("canones"), was bereits bedeutet, dass es viele Spielräume für pflichtgemäßes Ermessen einräumt. Es verfolgt insgesamt einen geistlichen Zweck, der früher, theologisch verwurzelt, "Heil der Seelen" genannt wurde. Es ist notwendig weitmaschiger als bloßes Verwaltungsrecht, das diesseitige Daseinsvorsorge regelt. Da für die deutsch-diözesanen Apparate der höhere Zweck der eigentlich kirchlichen Rechtsordnung in den Hintergrund geraten ist, spricht man dort nur noch die Sprache eines eigenartigen Verwaltungsrechts. Mehr und mehr nimmt man sich heraus, sowohl  bei Tatbeständen als auch bei Rechtsfolgen, zu "unbegrenzter Auslegung" überzugehen, wenn nicht weltliche Rechtsquellen, etwa das Arbeitsrecht, ausnahmsweise eine strikte Handhabung erzwingen. Der katholische Glaubenssatz vom Jurisdiktionsprimat des Papstes ist den Beamten und Söldnerinnen der "deutschen Kirche" seit langem ein Ärgernis. Es spielt auch keine Rolle mehr, wer zufällig gerade in Rom im Amt ist: 'Hinfort mit ihm, wenn er uns nicht folgt'! Die zunächst noch bis etwa 1968 verborgene Glut antirömischer Wut hat die katholische Religion in Deutschland inzwischen fast bis auf die Grundmauern niederbrennen lassen. "Ohne Petrus, ohne Rom bauen wir den deutschen Dom." Der Brandstifter kann sich nicht auf "Subsidarität" berufen, wenn die römische Feuerwehr anrückt. Denn er will das Feuer mit deutscher Gründlichkeit löschen, gießt also erst noch reichlich Öl hinein.

Nicht nur Bischöfe und Priester, auch wir Laien sollten redlich unser Gewissen erforschen. Es stellt kein gewissenhaftes Christsein dar, wenn eine Person von zweifelhaftem Lebenswandel im vorgerückten Alter religiöse Gefühle entdeckt und damit gezielt höhere Kleriker umgarnt, um sich die Aura einer "Bekehrung" beizumessen. Ein Ex-Priester überzeugt nicht, wenn er den Journalismus dazu nutzt, um den Umbau der Kirche zu fordern, der er nicht mehr dient. Weder die "pastorale Linke" noch die "rechte Elite" sollte 'Gehorsam' oder 'Gewissen' nur als Waffe gegen den Feind ins Feld führen. Noch schlimmer wäre es, wenn die dreiste Lüge zum üblichen Mittel würde, um pastorale Ziele durchzusetzen oder Übelstände zu vertuschen. Auch eine ziemlich gewissenlose Sprachakrobatik tendiert bisweilen in diese Richtung. Wer sagt "Frauen können predigen" drückt entweder eine Selbstverständlichkeit aus: weibliche Intelligenz und Rhetorik stehen männlicher Begabung grundsätzlich gleich. Oder er unterdrückt die apostolische Tatsache, dass in der hl. Messe nur der Priester predigen soll oder ein Diakon. Wer sagt "ich möchte, dass wir 'ihnen' den Segen Gottes schenken", anscheinend mit Blick auf seine homosexuellen Mitmenschen, zielt wieder auf breite Zustimmung. Abgesehen davon, dass auch Geschenke der Annahme bedürfen: Wer wird solchen Selbstverständlichkeiten widersprechen? Verunklart wird jedoch wieder, was kirchenrechtlich und theologisch möglich und erlaubt ist. Eine bestimmte Weise zu segnen, nämlich in Analogie zur Trauung, ist nicht nur "verboten", sondern nicht möglich. Wer darüber nicht aufklärt, der sagt nicht die Wahrheit, auch nicht unter Berufung auf theologischen Fortschritt oder das bischöfliche Gewissen. Falls also S. Exz. Bätzing einige vom Segens-Aktivisten Dr. Rothe (z.Zt. München) neulich im Zeitungsinterview einmal mehr gestreuten "Argumente" billigt, dann soll er das klipp und klar sagen, gewissenhaft, mit allen Konsequenzen.

Wir sollten jedoch, trotz allen Ärgers, möglichst viel Verständnis aufbringen für Bischöfe, die sich von Jugend auf nur im feisten, deutschen Kirchenmilieu aufhielten, weit abseits von der Lebenswirklichkeit, die sie kaum kennen. Sie sind die letzten ihrer Art. Ein gewisser Enthusiasmus der Jugendzeit mag sie in den geistlichen Beruf gespült haben. Sie haben sich dort bewährt nach den Kriterien, die ihre Vorgänger aufgestellt hatten. Gewissensentscheidungen waren selten zu treffen. Denn es war ja für alles gesorgt. "Und alle aßen und wurden satt" (Mk 6,42). Warum aber schlägt das bischöfliche Gewissen nicht an, angesichts der verheerenden Zahlen? Warum argumentieren deutsche Kirchensprecher so gern irreführend und lückenhaft? Besonders irreführend und lückenhaft speziell in den einst so stolzen Laienverbänden? Warum heißt das KFD-Magazin "Frau und Mutter" jetzt JUNIA? Die "Apostelin" war vermutlich ein Apostel; und jedenfalls keine/r des Zwölferkreises. Man muss ja nicht gleich zu Marozia übergehen, die eine Ära der "Pornokratie" in Rom dominierte, um die kirchenpolitisch geforderte Sprengung der Hierarchie zu illustrieren. Aber auch "Lady Gaga" eignet sich nicht als Ersatz für die Madonna, die Patronin voller Güte, die Frau und Mutter im Glauben ist.

Da die Kirche in einer offenen und pluralistischen Gesellschaft immer in der Entscheidung steht, kommt dem entschlossenen Glaubenszeugnis der Laien eine steigende Bedeutung zu. Es wird mit immer größerer Eigenverantwortung wahrgenommen werden, mit einem breiten Spektrum des Engagements. Dieser Trend schließt allerdings ein, dass manche sich vom Klerus, einschließlich der Laienkleriker, nicht mehr so ohne Weiteres dazu drängen lassen, traditionelle katholische Positionen preiszugeben. Dieses Selbstbewusstsein ist unerwünscht. Der Deal sollte so laufen: DBK und EKD gewähren ihren nachgeordneten "Milizen" gewisse Freiheiten bei Glaube, Sitte und Ordnung. Im Gegenzug vermittelt die ökumenische Einheitsfront in Gesellschaft und Politik hinein das bunte Bild einiger Kirchen, die allgemein nützen, also weiterhin prächtig alimentiert sein wollen. Die Leute draußen fordern allerdings "Butter bei die Fische", wie Josef Bordat den ÖKT so schön niederrheinisch kommentierte. Anders gesagt: Seien wir Salz der Erde, Licht der Welt.

Die kuriosen Aussetzer*innen, schon in der Befolgung der Denkgesetze, die sich manche Verantwortungsträger der konfessionellen Sphäre herausnehmen, wenn sie den Glauben der Kirche demonstrieren sollen, lassen mehr und mehr betende und arbeitende Laien herkömmlicher Prägung ratlos zurück. Wir bekommen dann "Bescheid", im Zug in die falsche Richtung zu sitzen. Aber warum erreicht der progressive Transrapid seine Ziele nicht? Fehlplanung? Antrieb kaputt? Der Speisewagen ist da noch in Betrieb, solange Vorrat reicht. Die meisten Reisenden wurden bereits evakuiert, aus Gewissensgründen. Das Abstellgleis, wo man zecht, irgendwo zwischen Frankfurt und Limburg, trägt den schönen Namen "Synodaler Weg". Schaut hin: So schön ist es "Kirche" zu sein, wenn man kein Ziel mehr hat. Weder im Himmel noch auf Erden. Außer: Gesegnete Mahlzeit!

 


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