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Wer mit Gott wirklich zu tun hat, gerät in Unruhe

12. Jänner 2008 in Chronik, keine Lesermeinung
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Ein Beitrag von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz / Communio.


München (www.kath.net/Communio)
Kierkegaard notiert in seinen Tagebüchern: „Wie der Fischer, wenn er das Garn gelegt hat, im Wasser Lärm macht, um die Fische seinen Weg zu jagen und desto mehr zu fangen; wie der Jäger mit der Schar der Treiber das ganze Terrain umspannt und das Wild in der Menge aufscheucht zu der Stelle hin, wo es geschossen werden soll: so jagt Gott, der geliebt werden will, mit Hilfe von Unruhe nach dem Menschen.

Das Christentum ist die intensivststärkste, die größtmögliche Unruhe, es läßt sich keine größere denken, es will - so wirkte ja Christi Leben - das Menschendasein beunruhigen vom tiefsten Grund aus, alles sprengen, alles brechen. (.) Wo einer Christ werden soll, da muß Unruhe sein; und wo einer Christ geworden ist, da wird Unruhe.“

Der dänische Philosoph opponiert mit solchen Sätzen gegen ein Christentum, das ins Behagliche, allgemein Fromme und Tröstliche versackt ist - was eine Generation später von Nietzsche in anderer Weise verhöhnt wird. Mehr noch: Christentum wird staatstragend, wo es in seinen Ursprungszeiten, auch im Martyrium, gegen das „Große Tier“ des römischen Imperiums aufgestanden war.

Gegen den zeitgenössisch kompromißbereiten und moralisch gewordenen „Kulturprotestantismus“ rückt Kierkegaard - auf unheimliche Weise - die Gestalt Abrahams als eines Mörders ins Blickfeld: Die religiöse Existenz suspendiert in Furcht und Zittern das sonst geltende Ethos, das Tötungsverbot, ist sie doch Gott unmittelbar ausgeliefert. Das heißt unverblümt, daß Gott auch den Dekalog außer Kraft zu setzen vermag - im Einzelfall, um einer „Prüfung“ willen. Fußt das Christentum - wie das Judentum - auf dem Einzelnen, dem über alles Menschenmaß Geprüften, dem jeder Boden unter den Füßen weggezogen wird?

150 Jahre später scheint die Frage nach der Religion als geschickter Ruhigstellung der Kultur auf neue Weise virulent. Auf dem 11. Philosophicum in Lech, das im September 2007 stattfand, ging es um die Gretchenfrage: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Robert Menasse meinte mit der Behauptung verblüffen zu müssen, Religion sei keineswegs mit der Aufklärung langsam, aber stetig abgestorben.

Es habe sich zwar herumgesprochen: „Wir können bekanntlich nicht davon ausgehen, daß es einen Gott gibt.“ Dennoch gelte gegenläufig: Religion sei der wichtigste Bestandteil der Geldwirtschaft und habe ihre Güter in diese eingebracht: Transzendenzbezug und Erfahrung von Heil. Religion wird zum „Scharnier (.), mit dem der Kapitalismus das Sakrale in seine eigenen Strukturen aufnehmen kann, um so selbst zur Religion zu werden“.

Säkularisierung also wäre der größte Trick der Religionen: alter Wein in camuflierten Schläuchen. Am behaupteten Inhalt der Religion, genauer des Christentums, ist nach Menasse natürlich so nichts dran, doch entspricht es schlicht der seelischen Erwartung jenes Höheren, das zur eigenen Überhöhung beiträgt. Kurz, der Mensch will - wider besseres Wissen, aber mit besserem Gefühl - religiös sein, und als solches Grundbedürfnis ist Religion nicht nur nicht tot, sie ist lebendiger denn je.

Sie bleibt Wunscherfüllung, Opiat, wenige Generationen nach Marx und Nietzsche, deren Scharfsinn die menschliche Psyche in ihrem Willen zur Selbsttäuschung unterschätzte. So wenig die Kirchen dieses Gefühl - laut Menasse - einfangen, so sehr bedienen sich moderne Größen dieses wunderbaren Mittels: „Staat und Gesellschaft haben die Tendenz, in Selbstbild und Wirkung spirituell-religiöse Gebilde zu werden.“

Diese unterschwellige Sakralisierung der politischen und medialen „Sterne“ und die Anbetung des Konsums heißt freilich nichts über Gott. Es heißt nur viel über das quasi-religiöse Shoppen in den Markthallen, über die Liturgie des Autokaufs, über die Gier nach Selbstverkauf in den Medien. Und dies keineswegs nur im europäischen Karussell, sondern auch die religiösen Gurus Asiens vermarkten sich und ihre Produkte teuer.

Solche Beobachtungen zum leichten Konsum von Religion spießen damit auf, was seit langem als Funktionalisierung der Religion beschrieben wird. Gerade weil die in der Religion angesprochenen Kräfte machtvoll wirken und offenbar in die Tiefe des Menschlichen reichen, wird ihre Energie anderen Zwecken zugeführt: sei es der ethischen Zähmung einer unübersichtlichen (Welt-)Gesellschaft durch ein angebliches Weltethos der Religionen, sei es der psychischen Bedürfnisstillung, die auch Freud anerkannte, zum Beispiel der Sinnstiftung in den sinnleeren spätmodernen Lebenswelten, sei es des medialen Götzenkultes im „telekratischen Totalitarismus“ (Botho Strauß).

Daß Religion auch ein gesellschaftliches Instrument ist, eben sozial-ethisch, psychologisch, medial, ist im übrigen unbestreitbar und trifft für alle Religionen zu. Soziologie, Psychologie und die Kommunikationswissenschaft, drei theoretisch agnostische Berufsfelder, haben längst die Dienlichkeit der Religionen für funktionierende Gesellschaften und Individuen erkannt und - im Unterschied zu früher - ohne Häme beschrieben. Religion als Ruhekissen?

Was damit jedoch völlig ausgeblendet wird, ist die Unterscheidung der Religion vom Glauben, also dasjenige, was Judentum und Christentum als Offenbarung über das Wesen Gottes selbst empfangen zu haben behaupten. Diese Offenbarung sperrt sich in vielen Teilen der Vermarktung und geißelt sie sogar rundheraus - wie bei den Propheten, wie in der Tempelreinigung Jesu, der die Händler als Tempelschänder hinauswirft. Tatsächlich sind menschengemachte Überzeugungen in den Religionen immer wieder am Ende und können als Selbstprostitution „entlarvt“ werden.

Über den „lebendigen Gott“ sagen solche Entlarvungen nichts, oder, um den Spieß umzudrehen: Religionskritik der prophetischen Art ist selbst zentraler Inhalt der Bibel. Daß sich in der Folge auch aus solchem Glauben abgeleitete „Vorteile“ für die Gesellschaft ergeben (können), ist unbestritten: Juden und Christen können durchaus ethisch verläßlicher, verantwortungsvoller, achtsamer auf Schöpfung und Menschenrechte sein als agnostische Zeitgenossen.

Sie können sich allerdings auch einer bestimmten Staatsräson verweigern: beispielsweise in bioethischen Fragen, in der Abtreibung, in der Euthanasie, im Umgang mit Homosexualität, im Konsumismus, in der (neuerdings von Brüssel) verlangten Areligiosität von Schule. In Zukunft werden diese Fragefelder härter werden und möglicherweise zum Ausschluß von Christen aus bestimmten Positionen und Gremien führen.

Der Wechsel aus einer staatstragenden zu einer staatskritischen Gruppe ist für das Christentum der Nachmoderne wohl vorprogrammiert. Daher ist Glaube, der vom lebendigen Gott spricht, im Unterschied zu Religionen keineswegs am Ende, wenn die Religionen im Weltdienst untergehen. Vielmehr: Glaube bleibt Kritik an diesem Weltdienst, der das Getriebe staatlicher und sozialer Interessen liebedienerisch ölt.



Das vorliegende Heft widerspricht der Funktionalisierung des biblischen Glaubens von Grund auf: Wer mit Gott wirklich zu tun hat, gerät in Unruhe. KNUT BACKHAUS zeichnet den durchgängigen Charakter des Christus verpflichteten Lebens als «Weg», als Wanderung, als ein geradezu wundervoll paradoxes Zuhausesein im Unterwegs. Unruhe wird ausdrücklich Sendung - beispielhaft besonders bei Paulus. Allerdings meint dies nicht eine Art spirituelle Nervosität, sondern ein Ausgerichtetsein auf ein «mehr als ich selbst», auf die gewaltige Finalität eines Lebens, dessen Erfüllung oder «Ruhe» im Sinne des Angekommenseins nicht zirkulär in sich selbst münden kann. Ruhe ist, in Zusammenfassung der Sakramente, selbst ein Sakrament - nach der nomadischen Weltreise der gesamten Kirche.

Daß dies nicht allein eine Unruhe des Glaubenden ist, sondern bereits ein naturhaftes Verlangen, sich selbst zu transzendieren, zeigt MICHAEL FIGURA anhand von Henri de Lubacs Werk Das Geheimnis des Übernatürlichen. De Lubac legt in eingehender Weise das thomasische desiderium naturale visionis Dei aus, das in methodisch überzeugender Genauigkeit von einer anthropologischen Natur zu einer theologisch präzisierten Übernatur - als Ziel des naturhaften Verlangens - weiterfragt. Daß die Natur selbst auf ein solches Überschreiten angelegt ist, macht ihre eigentümliche Unruhe aus. «Wohinein sind wir geworfen?» - das ist keine Frage allein der Existenzphilosophie, sondern bereits eine Frage des Clemens von Alexandrien, was die Kontinuität und das exquisite Niveau einer biblisch grundierten Anthropologie zeigt.

Demgegenüber erscheinen atheistische Bestimmungen von Anthropologie auf einer scheinbar «naturwissenschaftlichen Grundlage» als rudimentär, um nicht zu sagen als fahrlässige Unterbestimmung von bereits längst philosophisch Erreichtem. MICHAEL NOVAK untersucht die drei derzeit gängigen angelsächsischen Religionskritiken von Dawkins, Harris und Dennett, um sie in ihrer materialen Dürftigkeit und ihren wissenschaftstheoretischen Platitüden bloßzustellen. Offenbar wird biblischer Glaube nach wie vor als Unruhe in der Kultur wahrgenommen - aus welchem Grund sollte sie ihn sonst so vehement und offensichtlich unter Niveau angreifen? Ein adäquates Feld der Auseinandersetzung zwischen Glaube und (atheistischer) Vernunft eröffnet die Untersuchung von LOTHAR HÄBERLE.

Anstelle einer blindwütigen Zerstörung des biblischen Glaubens wie bei den eben genannten Autoren zeigen die Gespräche von Joseph Ratzinger mit Jürgen Habermas, Marcello Pera und Paolo Flores d'Arcais eine gemeinsame Schnittmenge von Fragestellungen. Auch hier steht die «Natur des Menschen» zur Klärung an, insbesondere im Blick auf Menschenwürde und Lebensrecht. Allerdings sind «Verankerungen» gegen den Relativismus auch des Lebensrechtes rein vernunfthaft wohl schwer zu gewinnen; jedenfalls ist es ausdrücklich das Christentum, das dabei eine dezidierte Argumentation in das sich selbst relativierende Spiel der Vernunft einträgt. Auch hier kann man von einer Unruhe sprechen, die vom Glauben in die sich im Relativen «sicher» wähnende Vernunft eingetragen wird und die sie zu tieferen Begründungen zwingt.

Eine meist nicht bewußte kunstvoll aufgebaute Spannung in der Divina Commedia Dantes stellt GIUSEPPE REGGUZONI heraus: Im Paradiso wird Dominikus von dem Franziskaner Bonaventura, Franziskus aber von dem Dominikaner Thomas von Aquin gelobt. Dante läßt damit die gewohnten Kategorien der Zuordnung oszillieren, gewissermaßen neue irritierende Deutungen in den Blick geraten - eine «Technik» leichter Verstörung, die den Leser in ungewohnte Denkbahnen leitet. Daß gerade «kanonische» Literatur zu solchen Beunruhigungen führt, gehört zum großen Erbe europäischen Perspektivenwechsels. Zitieren wir, die Zielrichtung des Heftes zusammenfassend, nochmals Kierkegaard: «Man hat das Christentum viel zu sehr zu einem Trost umgearbeitet, vergessen, daß es eine Forderung ist.»

Der Beitrag erscheint als Editorial in der Ausgabe der Zeitschrift www.communio.de

Foto: © www.kath.net



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