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„Satt, aber nicht erfüllt – Kirche im Land der religiösen Indifferenz“

vor 7 Stunden in Kommentar, 3 Lesermeinungen
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Eine Einladung zur geistlichen Neubesinnung und zur Pastoral des Zuhörens. Ein kleiner Essay. Von Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer


Eichstätt (kath.net) 
Inhaltsübersicht
1. Einleitung: Satt und doch innerlich leer
2. Eine Gesellschaft ohne Sehnsucht? Religiöse Indifferenz als Signum der Zeit
3. Die stille Herausforderung: Formen der neuen Glaubenslosigkeit
4. Gesellschaftliche Symptome: Wellness-Spiritualität, Lifestyle-Religion und die Verdrängung des Todes
5. Warum viele kirchliche Antworten ins Leere greifen
6. Der theologische Tiefenbruch: Implosion des substanziellen Christentums und Krise der Liturgie
7. Die Vision einer hörenden Kirche: Theologische Grundlinien
8. Zulehners Perspektive: Die Kirche der Ehrenamtlichen
9. Gemeinden als „Dritte Orte“ der Zukunft
10. Habermas und die Frage der Transzendenz: Warum das Diesseits nicht genügt
11. Geistliche Erneuerung: Die Kirche als Resonanzraum Gottes
12. Schluss: Hoffnung im Hören – der stille Weg nach vorne
Anhang: Kurz-Leseliste zum Weiterdenken
-----------------------
1. Einleitung: Satt und doch innerlich leer
Die religiöse Landschaft Europas gleicht einer weitgespannten Ebene, in der oft nur noch vereinzelt die Umrisse kirchlicher Traditionen sichtbar werden. Unsere Gesellschaft ist in vieler Hinsicht „satt“ – materiell, kulturell, sozial. Gerade darin liegt ein paradoxes Phänomen: Sättigung ohne Erfüllung.

Die meisten Menschen kämpfen nicht mehr „gegen“ Gott; sie rechnen einfach nicht mehr mit ihm. Religion ist keine brennende Frage, oft nicht einmal ein Ärgernis, sondern schlicht irrelevant geworden. Spiritualität wandert ab in Coaching, Achtsamkeitsangebote, Lifestyle-Formate. Transzendenz wird zur Wohlfühl-Komponente im Portfolio eines gelingenden Lebens.

Religionssoziologisch wird diese Entwicklung als „diffus liquidierte Religiosität“ (Regina Polak) beschrieben: Der traditionelle Glaube verdunstet langsam, leise, flächig. Und doch ist eine Tiefen-Sehnsucht nicht verschwunden, sie ist lediglich verschüttet – unter Schichten von Konsum, Selbstoptimierung und permanentem Leistungsdruck.

Gleichzeitig betonen Theologen, dass Europa damit nicht automatisch in einen religiösen Nihilismus stürzt (Paul Zulehner). Religiöse Identität verschwindet nicht einfach, sie transformiert sich. Die Frage ist, ob die Kirche diesen Prozess nur beklagt oder ob sie ihn hörend, geistlich und kritisch begleiten kann.

2. Eine Gesellschaft ohne Sehnsucht? Religiöse Indifferenz als Signum der Zeit
Die religiöse Indifferenz der Gegenwart ist selten aggressiver Atheismus. Sie ist das Ergebnis eines langen kulturellen Sedimentationsprozesses: Das Christentum verliert seine Selbstverständlichkeit. Für viele Zeitgenossen ist die Gottesfrage nicht „falsch“, sondern schlicht „nicht nötig“.

Der Philosoph Charles Taylor beschreibt diese Lage als Kennzeichen eines „säkularen Zeitalters“: Wir leben in einem Feld von Optionen, in dem Glaube nur noch eine Möglichkeit unter vielen ist. Man kann heute „vernünftig“ leben, ohne Gott überhaupt in Betracht zu ziehen.

Für eine Pastoral bedeutet das: Die klassische Gegenüberstellung „gläubig – ungläubig“ greift zu kurz. Indifferenz ist weniger ein intellektueller Widerspruch als eine praktische Lebensform. Sie ist nicht bloß eine theologische, sondern vor allem eine anthropologische Herausforderung: Sie betrifft unser Verständnis von Sehnsucht, Verwundbarkeit, Sinn und Hoffnung.

3. Die stille Herausforderung: Formen der neuen Glaubenslosigkeit
Die heutige Glaubenslosigkeit trägt andere Konturen als die religionskritischen Debatten vergangener Jahrhunderte. Typische Merkmale sind: Praktische Indifferenz statt kämpferischen Atheismus: Man lebt, als gäbe es Gott nicht – ohne großen Diskurs. Spiritualität ohne Bindung statt klarer Ablehnung: Man „glaubt an etwas“, aber unpersönlich, ohne kirchliche Verbindlichkeit. Überangebot an Sinnprodukten statt geduldiger Suche: Impulse, Podcasts, Kurzformate ersetzen eine tragfähige Glaubensbiografie. Emotionalisierte Religiosität ohne kritische Reflexion: Glauben soll sich „gut anfühlen“, aber möglichst nicht zu sehr irritieren. Privatisierung von Religion statt gemeinschaftlichem Christsein: Glaube wird zum Hobby, nicht zur Lebensform.

In diesem Zusammenhang spricht man heute von einer „Implosion des substanziellen Christentums“: Nicht nur kirchliche Praxis bricht ein, auch die inneren Glaubensinhalte werden fragil (Regina Polak). Diese Situation wird zugleich als Zwischenzustand gedeutet (Tomáš Halík): Viele Menschen seien weder eindeutig „gläubig“ noch „ungläubig“, sondern „noch nicht glaubend“ – unterwegs, tastend, zögernd. Für eine Kirche des Hörens ist das kein Defizit, sondern eine Einladung zur geduldigen Begleitung.

4. Gesellschaftliche Symptome: Wellness-Spiritualität, Lifestyle-Religion und die Verdrängung des Todes
Ein besonders entlarvendes Symptom der religiösen Lage ist die Verwandlung von Religion in Wellness. Der Publizist Stephan Wehowsky (swiss.cath., 14.11.25) bringt es scharf auf den Punkt: „Aus der Transzendenz Gottes wurde Wellness.“ Religion soll „guttun“, aber möglichst nicht verstören. Sie darf trösten, aber nicht befragen; sie soll bestätigen, nicht bekehren. Spiritualität ersetzt Glauben, Achtsamkeit ersetzt Umkehr.


Parallel dazu wird der Tod aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt. Bestattungen werden minimalistischer, Rituale werden privatisiert, die Rede von Auferstehung wirkt fremd. Nur noch eine Minderheit glaubt an ein Leben nach dem Tod. Die Verdrängung des Todes ist so etwas wie die Rückseite der Verdrängung Gottes - und verstärkt sie zugleich.

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass der Philosoph Jürgen Habermas, selbst säkular, davor warnt, den christlichen Jenseitsglauben „weichzuspülen“ und auf innerweltliche Zufriedenheit zu reduzieren. Ein Christentum ohne Transzendenz ist anthropologisch arm und theologisch leer: Es verliert seine sprengende Hoffnung und verschmilzt mit dem Wellness-Markt.

5. Warum viele kirchliche Antworten ins Leere greifen
Die kirchliche Reaktion auf diese Entwicklungen richtet sich häufig zuerst auf Strukturen: Pfarreizusammenlegungen, pastorale Räume, Prozessmanagement, Leitungsmodelle. Das alles mag notwendig sein, aber es heilt die geistliche Krise nicht.

In der Pastoraltheologe wird bereits eine verbreitete „Strukturfixierung“ (Jan Loffeld) kritisiert: Man arbeite an Organigrammen, statt an geistlicher Kultur und gerate immer mehr in eine „pastoralen Erschöpfung“, die aus permanenter Aktivität ohne innere Quelle resultiert.

Das allseits bekannte Wort von Karl Rahner „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein – oder er wird nicht sein“ bekommt da neues Gewicht. Rahner denkt nicht an fromme Sonderwelten, sondern an eine innerlich gelebte Gottesbeziehung, die den Alltag durchdringt. Glaube darf nicht auf Verwaltung reduziert werden; er will erfahren werden, im Gebet, in der Liturgie, im Hören auf die Schrift, im Dienst an den Armen.

Und T. Halík ergänzt: Die Kirche scheitert dort, wo sie die Verunsicherung der Menschen überspringt und vorschnell Antworten liefert. Heute wächst Glaube vor allem als gemeinsamer Weg durch Zweifel, Brüche und Fragen. Eine Kirche, die wieder missionarisch sein kann, muss zuerst eine dialogische Kirche sein (Annemarie C. Mayer). Wer gehört werden will, muss lernen zu hören: auf Gott, auf die Menschen, auf die Zeit.

6. Der theologische Tiefenbruch: Krise des substanziellen Christentums ist auch eine Krise der Liturgie 
Die gegenwärtige Krise des Christentums zeigt sich besonders im liturgischen Leben. Entscheidend ist die Frage, ob Liturgie heute noch als objektive, befreiende Wirklichkeit erfahrbar wird, oder ob sie in subjektiven Vorlieben, psychologischen Bedürfnissen und identitätspolitischen Agenden aufgelöst wird.

6.1 Die Intention des Zweiten Vatikanischen Konzils
Sacrosanctum Concilium wollte keine Modernisierung um der Modernisierung willen, sondern eine Vertiefung: Rückkehr zum Paschamysterium, echte tätige Teilnahme, Stärkung des Sonntagsgottesdienstes, Öffnung zur Volkssprache, Erneuerung von Kirchenmusik und Verkündigung. Jungmann und andere betonten: Die Reform sollte die Mitte der Liturgie, den Tod und die Auferstehung Christi, klarer sichtbar machen. Das Anliegen war theologisch hoch und pastoral tief: Menschen sollten freier und bewusster an der einen Liturgie der Kirche teilhaben.

6.2 Subjektivierung nach der Reform
In den 1970er/80er Jahren entstanden gut gemeinte Sonderformen (Kinder-, Jugend-, Senioren-, Schulmessen). Sie wollten Nähe schaffen, führten aber oft zur Fragmentierung: Die Gemeinde zerfiel in Zielgruppen, der Pfarrsonntag verlor Bindungskraft, und Liturgie wurde zur Bühne gruppenspezifischer Bedürfnisse. Damit ging ein zentraler Gedanke der Tradition verloren: Liturgie ist Feier der Kirche als Ganzes, nicht einer Teilgruppe.

6.3 Die objektive Natur der Liturgie
Die Regel lex orandi – lex credendi – lex vivendi macht deutlich: Liturgie ist Gabe Gottes und Teilhabe an Christus, dem eigentlichen Liturgen. Sie ist universal, übersteigt Gruppenidentitäten und integriert. Sondergottesdienste können helfen, dürfen aber nie die Eucharistie zu einer „Feier der Gruppe X“ verkürzen. Jede Messe ist Feier der ganzen Kirche.

6.4 Identitätspolitik als Gefahr
Problematisch wird Liturgie dort, wo sie primär Ort der Sichtbarkeit bestimmter Gruppen wird. Die Liturgie verliert dort ihre Mitte, wo sie zur Plattform der Selbstbestätigung wird. Das Evangelium ruft aber nicht dazu auf, „so zu bleiben, wie man ist“, sondern zur Verwandlung in Christus.

6.5 Objektivität als Schutzraum für echte Spiritualität
Objektive Liturgie ist kein kalter Formalismus, sondern der Raum, in dem eine österliche, befreiende Spiritualität wachsen kann. Wo Christus mit seiner Frohbotschaft im Mittelpunkt steht, wird Hoffnung erfahrbar, entsteht eine bejahende, nicht moralistische, nicht psychologisierende Glaubensweise. Eine objektiv-kluge Liturgie schützt vor zwei Extremen: Ritualismus ohne Herz und Beliebigkeit ohne Mitte. Sie trägt eine Pastoral, die Menschen nicht nur abholt, sondern in die Tiefe führt.

7. Die Vision einer hörenden Kirche: Theologische Grundlinien
Vor diesem Hintergrund gewinnt das Bild der Kirche des Hörens Kontur:
1. Hören auf Gott: weniger Aktionismus, mehr Kontemplation; Liturgie als empfangene Form, nicht als Projekt. 2. Hören auf die Menschen: Pastoral der Präsenz (Loffeld), Geduld Gottes (Halík), Dialogbereitschaft (Mayer). 3. Hören auf die Zeit: Deutung der Säkularisierung nicht nur als Verlust, sondern als Einladung, das Evangelium neu und tiefer zu verkünden. Eine hörende Kirche wird nicht schwach, sondern geistlich unterscheidungsfähig. Sie lernt, zwischen kurzfristiger Resonanz und langfristiger Evangeliumstreue zu differenzieren, auch in der liturgischen Praxis.

8. Zulehners Perspektive: Die Kirche der Ehrenamtlichen – Thesen und Antworten
1.These: Die Kirche steht an einer Schwelle – weg von einer Priesterkirche hin zu einer Kirche der Getauften
Zulehner deutet die Gegenwart als tiefen Strukturwandel. In einer religiös ausgedünnten Gesellschaft wird kirchliches Leben verstärkt von Ehrenamtlichen getragen, die aus ihrer Taufe leben und Verantwortung übernehmen. Die Zukunft der Kirche wächst dort, wo Getaufte ihre Gaben einbringen und ihre Berufung ernst nehmen.

Antwort: Diese Diagnose trifft pastoral ins Schwarze. Doch theologisch bleibt entscheidend: Die Kirche ist immer schon Kirche der Getauften. Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen ist universal, missionarisch und auf das geistliche Opfer des Lebens ausgerichtet. Zugleich bleibt das dienstamtliche Priestertum sakramentale Grundstruktur, nicht als privilegierte Schicht, sondern als Dienst an der Entfaltung der Taufgnade. Die Kirche wird nicht „von der Priesterkirche zur Getauftenkirche“, sondern muss wieder neu entdecken, was sie ist.

2.These: Neue synodale Formen geistlicher Leitung sind notwendig
Zulehner fordert echte Mitverantwortung der Laien, partizipative Entscheidungsprozesse und eine kirchliche Kultur des Hörens und Unterscheidens. Leitung soll gemeinsam, geistlich und transparent geschehen.
Antwort: Synodalität ist keine Gegenüberstellung von Amt und Gemeinde, sondern die konkrete Gestalt der „Communio“. Sie überwindet Klerikalismus und fördert Charismen, jedoch ohne die sakramentale Leitungsaufgabe des geweihten Amtes auszuhöhlen. Das geweihte Amt bleibt der Ort, an dem Christus als Haupt und Hirte handelt, aber es führt nicht anstelle der Gemeinde, sondern für und mit ihr.

3.These: Die Kirche braucht Orte der Bildung – „Ehrenamtsakademien“
Zulehner schlägt vor, theologisch und spirituell fundierte Ausbildungsstätten zu schaffen, in denen Ehrenamtliche befähigt werden, zu leiten, zu dienen und Zeugnis zu geben.

Antwort: Solche Akademien sind pastoral dringend. Sie stärken das gemeinsame Priestertum und fördern eine erwachsene Glaubenskultur. Doch sie dürfen keine „Seminare light“ werden, die faktisch Ersatzpriestertum erzeugen wollen. Ihre Aufgabe ist die Vertiefung der Taufberufung, nicht die Nachbildung des Weiheamtes. Das Amt bleibt sakramental verankert; die Bildung der Laien ergänzt, aber ersetzt es nicht.

4.These: Die Zukunft der Kirche liegt vor allem bei den Ehrenamtlichen
Zulehner betont, dass Ehrenamtliche, nicht die zahlenmäßig schrumpfende Gruppe der Priester, die pastorale Realität der Zukunft prägen werden.

Antwort: Theologisch verantwortet ist eine Klarstellung nötig: Nicht statt der Priester, sondern mit den Priestern wird die Kirche eine Kirche der Ehrenamtlichen. Die Zukunft hängt davon ab, dass das gemeinsame Priestertum der Getauften erwacht, und dass das Weiheamt sich konsequent als dessen sakramentaler Dienst versteht. Die Kirche lebt aus beiden Weisen des Priestertums, die nicht konkurrieren, sondern sich gegenseitig erschließen.

Perspektive: Orthodoxe Erfahrungen als Korrektiv und Inspiration
Orthodoxe Kirchen, besonders Griechenland, zeigen, wie eine starke Laienkultur, vielfältige Ausbildungswege und sogar nebenberufliche Priester zusammengehen können, ohne die Sakramentalität der Weihe zu gefährden. Die Gemeinde trägt viel Verantwortung, das Amt bleibt aber dennoch klar profiliert und unverzichtbar.

Zusammenfassung: Kirche der Getauften – mit sakramentalem Amt
Zulehners Vision ist nur dann fruchtbar, wenn sie als Entfaltung der sakramentalen Grundordnung verstanden wird. Die Kirche ist wesenhaft Kirche der Getauften; das Weiheamt ist wesenhaft Dienst an dieser „Getauften-Kirche“. Synodalität, Ehrenamt und Charismen sind daher keine Alternativen zum Amt, sondern Ausdruck des einen Priestertums Christi, das sich in verschiedenen Formen entfaltet. So entsteht eine Kirche der Zukunft, die geistlich tief, synodal verantwortet und sakramental verwurzelt ist, eine Kirche aller Getauften.

9. Gemeinden als „Dritte Orte“ der Zukunft
In vielen Regionen verschwinden klassische Orte der Begegnung (Vereinslokale, Gaststätten etc.). Digitale Räume wachsen, reale Räume schrumpfen. Hier können und sollen Kirchengemeinden zu „Dritten Orten“ werden (Siegfried Grillmeyer): offen, gastfreundlich, mit niedrigen Schwellen; Orte der Stille ebenso wie des Gesprächs; Räume, in denen man sein darf, auch ohne sofort „mitmachen“ zu müssen. Aber, wenn Gottesdienst, dann soll eine lebendige Liturgie, objektiv, ohne Anbiederung, aber menschenfreundlich gefeiert werden. Dies kann solche Orte entscheidend prägen: Der Kirchenraum soll trotz aller „Öffnung“ ein geistlicher Resonanzraum sein, in dem Menschen spüren: Hier ist mehr als nur Aktion und Organisation, hier ist Gegenwart Gottes.

10. Habermas und die Frage der Transzendenz: Warum das Diesseits nicht genügt
Habermas erinnert die Kirche „von außen“ daran, dass ein Christentum ohne Hoffnung auf eine transzendente Vollendung seine Identität verliert. Wenn alles in innerweltliche Selbstoptimierung übersetzt wird, bleibt eine ethisch anständige, aber spirituell leere Religion. Wehowskys scharfe Feststellung, „Für Eintopf-Rezepte braucht es keine Kirche“, verweist auf denselben Punkt: Diakonie, Psychologie, Sozialarbeit – all das ist gut und notwendig, aber es ersetzt nicht die Verkündigung des Evangeliums.

Eine lebensbejahende Evangeliums-Spiritualität hält die Spannung aus zwischen Diesseitsnähe und Jenseitshoffnung. Sie nimmt die konkreten Wunden und Fragen ernst und vertraut gleichzeitig darauf, dass Gott mehr sein will und ist, als nur „ein bisschen Entlastung“ im Alltag.

11. Geistliche Erneuerung: Die Kirche als Resonanzraum Gottes
Am Ende stellt sich die Frage: Woraus lebt die Kirche tatsächlich? Eine Kirche des Hörens lebt aus dem Gebet, aus der Eucharistie, aus der Stille, aus der Schrift, aus konkreter Barmherzigkeit, aus der Treue zum Evangelium und aus der Hoffnung auf die Auferstehung. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht von „Resonanz“ als einer guten Weltbeziehung: Man fühlt sich angesprochen und antwortfähig. Übertragen auf die Kirche heißt das: Sie ist dann lebendig, wenn sie Resonanzraum Gottes ist, wenn Menschen dort berührt, verwandelt, gesendet werden.

Eine objektive, österlich-frohe Liturgie ist dafür kein Luxus, sondern eine unverzichtbare Quelle: In ihr schenkt Christus selbst die Resonanz, nach der Menschen in ihrer Indifferenz oft unbewusst hungern.

12. Schluss: Hoffnung im Hören – der stille Weg nach vorne
Die Zukunft des Christentums in Europa wird sich weniger an Schlagzeilen als in stillen Räumen entscheiden: in der betenden, hörenden Gemeinde; in einer Liturgie, die Christus in die Mitte stellt und österliche Freude ausstrahlt; in einer Pastoral, die begleitet statt belehrt; in einer Kirche, die nicht alles „lösen“ will, aber verlässlich da ist.

Eine solche Kirche wird verstanden, weil sie zuhört; wird bewohnt, weil sie betet; wird angenommen, weil sie begleitet; wird erneuert, weil sie sich vom Evangelium verändern lässt. Sie ist nicht perfekt, aber glaubwürdig. Nicht laut, aber tief. Nicht mächtig, aber dienend. Solange sie auf Christus hört und seine Freude teilt, bleibt sie, trotz aller Krisen, lebendig und gefragt.
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Anhang: Kurz-Leseliste zum Weiterdenken
1. Religionssoziologie, Indifferenz, Pastoral
1.    Paul M. Zulehner: Kirche hört auf die Menschen. Eine Pastoraltheologie von unten. Ostfildern: Grünewald/Patmos 2021; Leidenschaft für die Welt. Wider die Gottvergessenheit. Ostfildern: Patmos 2023.
2.    Regina Polak (Hg.): Was glaubt Österreich? – Kurzfassung der Studie, Universität Wien (online frei zugänglich).
3.    Jan Loffeld: Christentum in flüssigen Zeiten. Pastoraltheologische Perspektiven.
Ostfildern: Patmos 2018.
4.    Tomáš Halík: Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute.
Freiburg: Herder 2009.
5.    Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung.
Berlin: Suhrkamp 2016.
6.    Siegfried Grillmeyer, A Home away from Home Kirchliche Bildung als ein Dritter Ort, Stimmen der Zeit 146 (2021), Heft 10, S. 723-730
2. Säkularisierung, Transzendenz, Vernunft
7.    Charles Taylor: Ein säkulares Zeitalter.
Frankfurt: Suhrkamp 2009.
8.    Jürgen Habermas: Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze.
Berlin: Suhrkamp 2005.
3. Liturgie, objektive Gestalt und Evangeliums-Spiritualität
9.    Zweites Vatikanisches Konzil: Sacrosanctum Concilium. Konstitution über die heilige Liturgie.
10.    Josef A. Jungmann: Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe.
(Klassiker zur inneren Struktur der Liturgie.)
11.    Gregory Dix: The Shape of the Liturgy.
London (mehrfach aufgelegt) – zur theologischen Bedeutung liturgischer Form.
12.    Karl Rahner: Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums.
Freiburg: Herder 1976.
13.    Anselm Grün: Spiritualität des Hörens.
Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag.

Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer ist der Gründungsrektor des Collegium Orientale in Eichstätt. Er ist Theologe mit Schwerpunkt auf ökumenischer Theologie, ostkirchlicher Ekklesiologie und ostkirchlicher Liturgiewissenschaft. Er studierte in Eichstätt, Jerusalem und Rom, war in verschiedenen Dialogkommissionen tätig. Er veröffentlicht zu Fragen der Ökumene, des Frühen Mönchtums, der Liturgie der Ostkirchen und der ostkirchlichen Spiritualität. Weitere kath.net-Beiträge von ihm: siehe Link.
 


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Lesermeinungen

 barbaletta vor 2 Stunden 
 

zuhören oder demokratisch herrschen?

Dass die Menschen (Christen) keinen Herrscher wollen resultiert aus der demokratischen Gesinnung, die uns jahrelang schon eingetrichtert wird. Die Demokratie verspricht jedem Beteiligung an der Macht durch Wahlen – also wählen sie ihre/n Herrscher selbst, auch wenn sie später vom ihm demokratisch unterdrückt werden – Hauptsache, sie sind am Herrschen beteiligt!
Dabei wird die Demokratie in der Kirche nicht vom Vatikan angeordnet, sondern von unten – vom Kirchenvolk.
In meiner Jugend gab es solche Überlegungen nicht. Der Kirchgang (Religionsunterricht, hl. Messe, Beichte) gehörte einfach zum Leben und war so selbstverständlich wie der Schulunterricht, das Arbeiten, Essen, Schlaffen. Zur Pfarrkirche sind wir 6 km mit dem Fahrrad gefahren oder zu Fuß gelaufen. Am schönsten war es im frostigen Winter an Weihnachten – zu Fuß auf der verschneiten Straße und mit Gesang zur Mitternachtsmesse um 00:00 Uhr am 25 Dezember. Wir haben damals nur zugehört ohne die Kirche demokratisieren zu wollen.


0
 
 girsberg74 vor 3 Stunden 
 

„Satt, aber nicht erfüllt“

Besser kann man es in aller Kürze nicht sagen.


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 Stefan Fleischer vor 5 Stunden 

Ohne diesen Text gelesen zu haben

möchte ich hier anfügen, was mir heute im Gottesdienst durch den Kopf gegangen ist.

Wie will unsere Kirche, ja das ganze Christentum, bei den Menschen ankommen, wenn sie einen Herrn (und Gott) verkündet, der nur noch lieben und wirken darf, aber ja nicht mehr herrschen. Dabei ist doch unsere Kirche derart zerstritten, dass sie dringend einen Herrscher braucht, einen allwissenden und allmächtigen, gerechten und barmherzigen, kurz einen «lieben Gott» wie wir ihn in meiner Jugend noch nannten?


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