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Anno Domini 2016

31. Dezember 2016 in Kommentar, 3 Lesermeinungen
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„Viele Äußerungen von Bischöfen oder Kirchenfunktionären unterscheiden sich nicht wesentlich von politischen Stellungnahmen.“ kath.net-Kommentar von Prof. Hubert Windisch


Freiburg (kath.net) Das zurückliegende Jahr war in vielerlei Hinsicht ein erschreckendes Jahr. Um diese Aussage zu bekräftigen, braucht man nicht einmal das Weltgeschehen zu betrachten, wie es dieser Tage in allen Medien geschieht. Es reicht ein Blick in unser Land, um über 2016 zu erschrecken. Der Bogen spannt sich von der Silvesternacht in Köln über Ansbach, Würzburg, München, Hamburg, Freiburg usw. bis zum Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin. Diese Ereignisse zeigen einen Einbruch in unserem Miteinander an, wie es ihn seit Kriegsende nicht gab. Und die beiden ersten und letzten Ereignisse geschahen symbolträchtig im Schatten großer, gedächtnisgesättigter Kirchen: im Schatten des Kölner Doms und im Schatten der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

Es erschreckt der Einbruch barbarischen Verhaltens, das durch die unrealistische und im Kern noch nicht revidierte Flüchtlingspolitik der Kanzlerin im September 2015 gefördert wurde und dem man weithin nur durch eine Symptomkur zu begegnen sucht. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist kaum jemand in Politik, Kirche und Medien bereit, eine Ursachenanalyse für unseren Zivilisationszusammenbruch vorzunehmen und dementsprechende Wurzelbehandlungen einzuleiten. Man kann ja inzwischen nicht mehr übersehen, dass für die Erschütterungen bisheriger humaner Standards im Miteinander der Geschlechter einerseits und im Miteinander der Religionen andererseits zu einem großen Teil der unkontrollierte Zustrom vor allem junger islamischer Männer verantwortlich ist. Wie bereits gesagt, wird von wenigen Ausnahmen abgesehen allenthalben beschwichtigt, beschönigt und bisweilen sogar vertuscht. Die Wahrheit hatte es schwer 2016.


Zum Erschrecken über die Wahrnehmung der Fakten, die oft nur quantitativ und qualitativ gefiltert an die Öffentlichkeit gelangen, gesellt sich das Erschrecken darüber, dass politisch Verantwortliche es so wollen, dass die Fakten gefiltert ankommen, um die Leute nicht durch die Realität zu beunruhigen. Welch ein verächtliches Politikverständnis steckt hinter der Absicht, den Menschen, die sich Sorgen um ihren Alltag (in der U-Bahn z. B.) machen und diesen Sorgen auch Ausdruck verleihen, ein sog. postfaktisches Verhalten vorzuwerfen, als würden sie die Realität, die die Politik und ihre Medien vorgeben, nicht erkennen können oder erkennen wollen und nur mit einem tumben Gefühl darauf reagieren! Dabei ist der Vorwurf sogenannten postfaktischen Verhaltens doch nur eine Verschleierungstaktik dafür, dass unsere Politik weitgehend antifaktisch, weil in einer ideologischen Weltsicht gründend, gegen die wahrnehmbare und erkennbare Wirklichkeit betrieben wird. Wie anders soll man sich u. a. korrigierte Bewertungen in Bezug auf die Kriminalität von Migranten erklären? Dieser Zustand der Verschleierung liegt wie ein Mehltau ideologischer Bevormundung auf den Bürgern, die denken, reden und fühlen sollen, was Ministerien und Parteien für richtig erachten. Der Bürger – des Staates Untertan! Eine Sicht, die, sollte sie Wirklichkeit werden, auf der Basis der zurückliegenden Ereignisse zum humanen Miteinander notgedrungen auch das demokratische Miteinander zerstören würde. „Die Gedanken sind frei“ haben wir noch als Jugendliche gesungen. Man sollte dieses Lied wieder öfter vor Kabinettssitzungen anstimmen.

Leider haben die Menschen auch in den Kirchen kaum noch verlässliche Partner im Kampf um ihre christliche Freiheit und ihre demokratische Selbstbestimmung. Viele Äußerungen von Bischöfen oder Kirchenfunktionären unterscheiden sich nicht wesentlich von politischen Stellungnahmen. Im Gegenteil, manchmal erscheinen sie wie religiös verbrämte Verlautbarungen von Regierungssprechern, die eine unrealistische Fernstenliebe propagieren und dabei das konkrete Leben ihrer Schäflein vor Ort übersehen. Viele der letzten Weihnachtsansprachen atmen diesen Geist. Immer mehr Menschen wenden sich ungläubig kopfschüttelnd von den Kirchen ab, wenn der politischen Bevormundung draußen im Land im Kirchenraum, bei der Predigt zumal, die klerikal-moralisierende Bevormundung folgt. Die Verkündigung der Kirche ist erschütternd horizontal und flach geworden.

Eine tiefsitzende Korruption des kirchlichen Auftrags zeigt sich z. B. 2016 an den zwei folgenden Gesten: Was soll man davon halten, dass Kardinal Marx und Bischof Bedford-Strohm auf dem Tempelberg in Jerusalem ihr amtliches Brustkreuz ablegten, weil ein Muslim das wollte, anstatt endlich eine kritische Auseinandersetzung in Kirche und Gesellschaft mit dem Islam anzustoßen? Was soll man davon halten, dass Kardinal Woelki an Fronleichnam ein Schlepperboot als Altar benutzte und so das Allerheiligste politisch missbrauchte?

So mancher Christ ist 2016 heimatlos geworden, nicht ohne Schuld der Kirchenführung selbst. Vieles scheint in den Diözesen und Pfarreien beliebig, unklar und politisch korrekt geworden zu sein. Die kirchliche Lehre, so der nicht unberechtigte Eindruck, ist oft das eine. Sie steht im Bücherschrank der Pfarrbüros. Verkündigung und pastorale Praxis sind oft das andere. In der Kluft dazwischen verschwindet die kirchliche Glaubwürdigkeit. Dass diesbezüglich auch die in der pastoral sicher schwierige Frage des Umgangs mit Wiederverheirateten Geschiedenen, die im Päpstlichen Schreiben „Amoris Laetitia“ letztlich zweideutig beantwortet ist, eine nicht unwesentliche Rolle spielt, sei nur am Rande vermerkt.

Kann man angesichts so vieler Verwerfungen und Erschütterungen in Bezug auf 2016 von einem Jahr des Herrn sprechen, so die skeptische Frage vieler? Muss man nicht vielmehr verzweifeln? Nicht Resignation ist freilich angesagt, sondern gläubiger Widerstand gegen vieles – in Kirche und Welt. Die Kraft dazu gibt die gläubige Gewissheit: Jedes Jahr ist ein Jahr des Herrn. Trotz allem auch 2016. In diesen Glauben hinein als Kirche und als einzelner Christ umzukehren, ist das unverzichtbare Ferment für unser humanes Miteinander im Jahr 2017.

Prof. Dr. Hubert Windisch (Foto) ist emeritierter Professor für Pastoraltheologie der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg.



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