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‚Das vollkommene Geschenk‘

12. Juni 2011 in Spirituelles, keine Lesermeinung
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Was der heilige Augustinus über Pfingsten lehrt – Ein Gespräch mit Cornelius Petrus Mayer OSA. Von Regina Einig / Die Tagespost.


Würzburg (www.kath.net/ Die Tagespost)
Die Schriften der Kirchenväter sind reich an symbolkräftigen Bildern über das Pfingstfest. Professor Cornelius Petrus Mayer OSA, Leiter des Zentrums für Augustinusforschung in Würzburg und Herausgeber des Augustinus-Lexikons, erläutert Aussagen Augustins über das Pfingstgeheimnis.

„Wenn du also wissen willst, ob du den Heiligen Geist empfangen hast, so befrage dein Herz: damit du nicht etwa das Sakrament hast und die Kraft des Sakramentes nicht hast“ heißt es in der Predigt Augustins zu 1 Joh 6, 10. Wie verstehen Sie ihn?

Im Jahr 407 hielt der Bischof Augustinus einen Predigtzyklus zum Ersten Johannesbrief. In der sechsten dieser insgesamt 10 Predigten kam er auch auf das in der Apostelgeschichte geschilderte Pfingstereignis zu sprechen. Die Versammelten, auf die der Hl. Geist damals herabkam – so dieser Bericht aus nachösterlicher Zeit –, begannen in Sprachen, die sie nicht gelernt hatten, Gottes Großtaten zu verkünden. Des Predigers Auslegung zufolge zielt jenes Pfingstereignis heute nicht mehr auf das Reden gläubiger Christen in fremden Sprachen ab, wohl aber auf deren Verpflichtung, das Evangelium weltweit in allen Sprachen zu verkünden, da sie nunmehr dank des empfangenen Taufsakramentes an der gleichen Geistausstattung Anteil hätten.

Worauf kommt es dem Kirchenvater in diesem Zusammenhang an?

Kern des Evangeliums – darauf kommt es dem predigenden Kirchenvater an – ist nämlich das christliche Liebesgebot. Dieses besteht aber nicht einfach in einem Nettsein zueinander, sondern im gelebten Evangelium. Daher die präzise Antwort Augustins auf die von ihm gestellte Frage, woran denn Christen erkennen sollen, dass sie den Heiligen Geist empfangen haben: „Will jemand also wissen, ob er den Heiligen Geist empfangen hat, so sehe er zu und prüfe sich selbst vor den Augen Gottes, ob die Liebe zu Frieden und Eintracht sich in ihm findet“, und er fährt fort: „die Liebe zur Kirche, die über den ganzen Erdkreis hin ausgebreitet ist“.

Daher die im Kommentar zum Johannesevangelium (32, 8) geäußerte Maxime. „Im Maße einer die Kirche Christi liebt, hat er den Heiligen Geist“. Am Ende des gleichen Abschnitts dieser seiner Predigt beruft er sich bezüglich der geforderten und zu leistenden Liebe auf den in seinen Schriften auch sonst weit über hundertmal zitierten Satz aus dem Römerbrief des Apostels Paulus (5, 5): „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“. In Kürze: Die „caritas“, die christliche Liebe, ist ihrem Wesen nach Gnade. Christen haben sie nicht aus sich selbst.

Worin sieht Augustinus das Spezifische des Heiligen Geistes innerhalb der Dreifaltigkeit?

Der Glaube an einen Gott in drei Personen war in der frühen Kirche nach langen und heftigen Auseinandersetzungen durch zwei Konzilien bereits geklärt. Vorzüglich ging es dabei zunächst um die Abwehr einer Unterordnung des Sohnes unter den Vater (Nizäa 325), sodann um die Abwehr einer Unterordnung des Heiligen Geistes unter Vater und Sohn (Konstantinopel 381). Es bleibe nicht unerwähnt, dass Augustinus sein theologisch und spekulativ bedeutsamstes Werk, die 15 Bücher über den dreieinigen Gott, bereits zwei Jahrzehnte lang unter der Feder hatte, als Gebildete, die deren Abschluss nicht mehr erwarten konnten, ihm die ersten zwölf entwendeten, ehe er das Gesamtwerk fertigstellen konnte.

Gleich zum Beginn dieses Werkes bekennt er den Glauben der Kirche: Die Trinität ist der eine und einzig wahre Gott in drei Personen, Vater, Sohn und Heilige Geist. Die drei unterscheiden sich nicht in Bezug auf ihr Gottsein, sondern lediglich in Bezug auf ihr Verhältnis (Relation) zueinander. Die erste Hälfte des Werkes untersucht die einschlägigen Bibelstellen, die zweite versucht dann, das Mysterium soweit möglich auch begrifflich zu durchdringen. Dabei geht Augustinus von der biblischen Anthropologie aus, der zufolge der Mensch als „Abbild Gottes“ erschaffen wurde.


Was ergibt sich daraus?

Da dieses Abbildsein sich nicht auf den Leib, sondern auf den Geist bezieht, sucht der Kirchenvater in Strukturen des Geistes, um in Hinblick auf vorhandene Analogien über die offenbarte Trinität theologisch nicht vollständig schweigen zu müssen. Eine solche Struktur findet er – um nur diese eine zu erwähnen – in der Ausstattung des menschlichen Geistes mit Gedächtnis, Erkenntnis und Willen. In Bezug auf die Trinität entspräche das Gedächtnis dem Vater, die Erkenntnis dem Sohn und der Wille dem Heiligen Geist.

Wenn das Neue Testament sagt, „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4, 8), so scheint es die Liebe innerhalb der Trinität in spezieller Weise vielfach auch noch dem Heiligen Geist zuzuordnen. Deshalb erblickt Augustinus die Liebe als das Spezifische des Heiligen Geistes, was allerdings nicht heißt, Vater und Sohn käme die Liebe nicht zu. Denn wie auch Erinnern, Erkennen und Wollen allen dreien zu eigen ist, so können diese Eigentümlichkeiten in passender Weise doch auch noch den einzelnen Personen, diese gleichsam charakterisierend, zugeschrieben werden, dem Vater das Gedächtnis, dem Sohn das Erkennen, das Wollen dem Heiligen Geist.

„Wird aber der Wille Gottes als Eigenname für eine Person in der Dreieinigkeit genannt, so passt dieser Name wie die Liebe vorzüglich zum Heiligen Geist. Denn was anderes ist die Liebe als Wille“. (Über den dreieinen Gott 15, 38). Von dieser spezifischen Zuweisung des Willens an den Heiligen Geist her wird auch verständlich, dass der Vollzug der christlichen „caritas“ seitens des Menschen ebenfalls Sache des am Wahren und Guten sich orientierenden Willens ist.

Spielt die antike Geist–Metaphysik im Pfingstverständnis Augustins eine Rolle?

Eindeutig, denn Augustin blieb zeit seines Lebens Anhänger der neuplatonischen Philosophie, wenngleich er deren Ontologie, Erkenntnislehre und Ethik, wo sie ihm mit der Offenbarung unvereinbar zu sein schien, erheblich modifizierte.

Wie beschreibt Augustinus die Gaben des Heiligen Geistes?

Augustinus kommt etwa ein Dutzend Mal auf die vom Propheten Jesaja (11, 2) verheißenen Gaben der Weisheit, des Verstandes, des Rates, der Stärke, der Wissenschaft, der Frömmigkeit sowie der Furcht des Herrn zu sprechen, die bei ihm häufig im Dienst des Aufstiegs der Seele zu Gott stehen. Im Prinzip sind jedoch sämtliche Tugenden und Fähigkeiten, die zum Erlangen des Heils notwendig sind, Gaben des Heiligen Geistes.

Ja, nach Augustin bezeichnet das Wort „Gabe“ (donum) – darin der Liebe nicht ungleich – mit aufs Treffendste die dritte Person des dreieinigen Gottes. Konsequent werden auch sämtliche Gaben der Kirche auf den Heiligen Geist zurückgeführt, weshalb auch das Paradigma aller Gabenausstattung Pfingsten ist, sandte doch Christus mit dem Heiligen Geist „die vollendete Liebe, das vollkommene Geschenk“ (Predigt 71, 19). Alle Gaben der Kirche wurzeln darin.

Joseph Ratzinger zufolge sieht die Vätertheologie „in der Kirche den Mond, der kein eigenes Licht aus sich selber hat, aber das Licht der Sonne Christus weitergibt“. Inwieweit spiegelt sich dieser Gedanke im Denken Augustins?

In der Tat, die frühen Schriftsteller der Kirche waren geradezu fasziniert von dem ab- und zunehmenden Licht des von der Sonne beleuchteten Mondes, wobei sie im Mond ein Symbol der Kirche, in der Sonne aber ein Symbol des verherrlichten Christus erblickten. Pfingsten, „die Geburtsstunde der Kirche“ hatte mit Ostern kalendarisch den ersten Frühjahrsvollmond zur Voraussetzung. Schon vor Augustin gab es Kundige, die lehrten, der Mond empfange sein Licht von der Sonne und die Ab- und Zunahme seines Lichtes hänge mit seiner Bewegung als Himmelskörper zusammen.

Augustin erklärt, gerade weil der Mond über kein eigenes Licht verfüge, könne unter ihm allegorisch die Kirche verstanden werden, die ihrerseits von dem an vielen Stellen der Heiligen Schrift treffend „Sonne“ genannten Christus erleuchtet werde. Zudem zeichne eine gewisse Ambivalenz auch die an Licht ab- und zunehmende Kirche aus. Gleich dem Mond ist sie zwar jetzt, in ihrem pilgernden Zustand dunkel, beschattet von den Sünden ihrer Glieder, doch auch schon leuchtend in den Phasen ihrer Hinwendung zu ihrem Erlöser, der strahlenden Sonne Christus.

Der Sprachgebrauch kennt viele Bilder für die Kirche: die Braut, das Haus Gottes, der Tempel, die heilige Stadt, unsere Mutter, das pilgernde Gottesvolk. Gibt es typisch augustinische Bilder für die Kirche?

Ja, alle diese Bildbegriffe gehören zum Sprachschatz des Kirchenvaters. Über sie gibt es zahlreiche Publikationen wie zum Beispiel die 1954 in München erschienene Doktorarbeit von Joseph Ratzinger: „Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche“. Das für Augustinus typischste und zugleich bedeutsamste, in Ihrer Frage jedoch nicht erwähnte, ist der Bildbegriff „Leib Christi“, der bereits beim Apostel Paulus zu den bevorzugtesten ekklesiologischen Termini zählte. Unzählige Male kommt der Bischof von Hippo darauf zu sprechen.

Der Verfasser des Artikels „Kirche“ im Augustinus-Lexikon bemerkt treffend, wie kein anderer Bildbegriff habe es dieser dem Prediger und Schriftsteller Augustin ermöglicht, den Gemeinschaftscharakter der Kirche, zugleich aber auch deren Verbindung mit Christus aufs Anschaulichste zu beschreiben. Im Anschluss an 1 Kor 11, der Perikope von den vielen Gliedern und dem einen Leib, spricht Augustinus gern „vom ganzen Christus“ oder „von dem einen ...“ oder „von dem vollständigen ...“.

Dabei vergisst er nicht, auf den Unterschied zwischen Haupt und Gliedern hinzuweisen und zu betonen, dass das Haupt der Erlöser, die Glieder aber die Erlösten sind, und dass die Erlösten, weil immer noch der Sünde unterworfen, an der Verbindung mit dem Haupt ein vitales Interesse haben müssen. Dennoch ist das Gemeinsame zwischen Haupt und Gliedern so eng zu denken, dass Augustin sich nicht scheut, von beiden wie von einem einzigen Subjekt zu reden: Hörte Saulus, als er die Christen verfolgte, nicht von Christus: „Warum verfolgst du mich?“ So ist es auch eigentlich Christus, der lehrt, der betet, der verzeiht, wo und wann immer Christen das Evangelium zu leben versuchen.

Worin sieht Augustinus das Lebenselement Christi?

Der ehemalige Rhetoriklehrer Augustin wird nicht müde, die „caritas“ als das Lebenselement dieses „ganzen Christus“ zu rühmen. „Wo sie ist, was könnte da überhaupt noch fehlen? Und wo sie fehlt, was könnte da überhaupt noch nützen?“, fragt er in seinem Kommentar zum Johannesevangelium (83, 3). Sie ist übrigens auch der Garant der Kircheneinheit, deren Wahrung ihm allein schon vom Evangelium her stets ein Anliegen ersten Ranges war.

Die vom Heiligen Geist den Christen „in die Herzen gegossene Liebe“ hat zu bewirken, dass Augustin über die Kirche den inhaltlich wie rhetorisch vollendeten Satz wagen konnte, sie solle der sich selbst liebende Christus werden – der „unus Christus amans seipsum“ (Auslegung des Ersten Johannesbriefes 10, 3). Die im Jahr 412 datierte Pfingstpredigt beschloss er mit der Mahnung: „Wollt ihr also vom Heiligen Geist leben, bewahrt die Liebe, liebt die Wahrheit, sehnt euch nach der Einheit, damit ihr der Ewigkeit teilhaftig werdet“ (Predigt 267, 4).

Ist ein Wirken des Heiligen Geistes außerhalb der Kirche für Augustinus denkbar gewesen?

Bezüglich dieser Frage ist bei Augustin zu unterscheiden, aber nicht zu scheiden, zwischen der Kirche, deren Geburtsfest Pfingsten ist, und jener, deren Anfänge von Abel, dem Gerechten, an bis zum Ende der Zeiten reicht, und alle zum Heil Berufenen umfasst. Wieder ist es die schon im Neuen Testament wiederholt bezeugte Stellung Christi im Heilsplan Gottes, wonach dem „Erniedrigten“ und „Erhöhten“ das „Herrsein“ in exklusivem Sinne zukommt (siehe dazu Phil 2, 5–11).

Die Beantwortung der Frage, warum das im Erlösungswerk Christi gipfelnde Heilshandeln Gottes historisch sich erst zum bekannten Datum vollzogen habe, beantwortet das Neue Testament nicht, es begnügt sich mit dem Hinweis auf „die Fülle der Zeit“ (Gal 4, 4). Ihr ging der Alte Bund als Zeit der Ankündigung eines Neuen voraus. Augustinus lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass es bereits im Alten Bund Gerechte gab, die wie Abraham, Isaak und Jakob nicht nur in ihrem Reden, sondern auch in ihrem Handeln auf den kommenden Messias verwiesen. Sie und viele andere Gerechte im Judentum, aber auch außerhalb des Judentums wie Hiob und Melchisedek bezeugten die zu erwartende messianische Heilszeit. „Von Anfang des Menschengeschlechtes an hat er (Gott) nicht aufgehört, sich bald dunkler, bald klarer, wie es ihm den Zeiten nach angemessen schien, prophetisch anzukündigen“, heißt es in einem Brief an den Priester Deogratias (102, 15).

Und Augustin fährt fort: „ebenso wenig hat es an Menschen ... in anderen Völkern gefehlt, die an ihn glaubten, ehe er im Fleische gekommen ist“. Wie die zitierte Stelle zeigt, vertrat Augustin einen eingeschränkten Heilsuniversalismus, denn nur auf dem Wege gläubiger Bindung an Christi Heilstat werden die Nachkommen Adams in die Kirche integriert. Dies gilt in gewisser Hinsicht auch von Häretikern und Schismatikern. Gegen sie argumentiert der Bischof ebenfalls mit der die Einheit stiftenden und diese unter allen Umständen zu bewahrenden ,caritas‘ als Gabe des Heiligen Geistes. Denn „der Heilige Geist“, so sagt er in der schon erwähnten Predigt 267, 4, „ist die Seele der Kirche“, und „einem abgetrennten Glied folgt nicht der Geist“ (Auslegung zum Johannesevangelium 27, 6).

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