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Sorgen über den Islam wurden als 'political non correct' eingestuft

30. September 2010 in Österreich, 5 Lesermeinungen
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Grazer Bischof Kapellari bei Ansprache im Europahaus Klagenfurt: Herausforderung durch den Islam stellt den Christen hier aber besonders die Frage, wie stark ihr eigener Glaube ist und warum so viele Getaufte dieses Glaubens offenbar müde geworden si


Graz (kath.net)
Die Ansprache im Wortlaut auf kath.net:

Der Herr Abgeordnete und Bürgermeister em. Nikolaus Lanner hat mich schon vor längerer Zeit dringlich eingeladen für das Europahaus Klagenfurt einen Vortrag über ein Europa-Thema zu halten. Dies, weil ich neben anderen Aufgaben in der Österreichischen Bischofskonferenz dort auch für Europafragen besonders beauftragt bin. Dementsprechend war ich durch mehrere Funktionsperioden Mitglied des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen und bin nun seit 1997 Vertreter Österreichs in der COMECE, der Kommission der Bischofskonferenzen der EU-Länder in Brüssel. Ich danke für diese Einladung und das darauf bezogene Interesse.

Dem Europahaus hatte ich zunächst das Thema „Europa und seine Werte“ vorgeschlagen. Man wünschte dort aber als neuen Titel die Frage „Hat Europa noch christliche Werte?“ Ich war damit einverstanden, da ich unter beiden Titeln jedenfalls auch christliche und kirchliche Perspektiven bei einem Blick auf das komplexe Thema Europa einzubringen habe und ich gliedere diesen Vortrag in vier Kapitel:

I. Anmerkungen zum Begriff „Wert“

II. Anmerkungen zum Begriff „Europa“

III. Die Kirchen und die Europäische Union

IV. Christliches Engagement in Europa


I. Anmerkungen zum Begriff „Wert“

Das Thema dieses Vortrags steht im Rahmen der umfassenderen Frage, welche Werte für unsere europäische Gesellschaft im Ganzen verbindend und normativ sein können. In einer Ausgabe des Internetmagazins „modern politics“ „zeit-schritt“ hat Robert Spaemann, engagierter Katholik und Professor emeritus für philosophische Ethik in München, kritisch angemerkt: „Von gut und böse redet niemand mehr, der intellektuell etwas auf sich hält. Von Werten reden heute alle.“ „Wert“ ist ein vieldeutiger Begriff, der in verschiedensten Bereichen des Lebens in Gebrauch ist. So wird vom ökonomischen Wert (der Wert eines Möbelstücks…) vom sozialen und politischen Wert (Sicherheit und Friede...u.a.) gesprochen. Allgemein wird mit dem Hauptwort „Wert“ etwas benannt, das mit dem Eigenschaftswort „gut“ oder „begehrenswert“ verbunden werden kann.

Der Salzburger Moraltheologe Werner Wolbert stellt daher fest: „Der Wert eines Gegenstandes ist für den Menschen ein Grund, danach zu streben oder ihn zu bewahren. In dem jeweiligen Wert ist die Forderung nach bestimmten Handlungen oder Haltungen begründet, die an den Menschen von einem sittlichen (rechtlichen oder ästhetischen) Standpunkt aus ergehen.“ In diesem Sinne sind auch die Ergebnisse von Werte-Studien zu verstehen, die auf eine Gesellschaft im Ganzen bezogen sind. So hat die jüngste Shell-Jugendwertestudie des Jahres 2010 ergeben, dass Familie, Bildung und soziales Engagement für junge Menschen eine dominante Rolle spielen und dass diese jungen Leute zunehmend optimistisch und (wieder) politisch interessiert sind.

Im Zusammenhang mit der Frage nach Werten in unserer Gesellschaft sprechen heute manche von einem „Werte-Sampling“ oder „Wertecocktail“ auf der Basis eines sogenannten „Soft-Individualismus“(ein Ausdruck, den der Trendforscher Matthias Horx geprägt hat). Gemeint ist damit, dass ein Individuum sich seine Werte selbst zusammenmixt und dabei weniger von einem Pflichtgedanken als von einem Selbstverwirklichungsstreben geleitet wird. Bei aller Wertepluralität ist aus umfassenden neueren Wertestudien deutlich ersichtlich, dass Werte die ein hohes Ethos erfordern, nicht aus dem Kurs sind, und dass daher wohl nicht general-pessimistisch von einem Werteverfall gesprochen werden kann. Eine wertplurale Gesellschaft erfordert ein hohes Maß an Toleranz, das heißt, die Fähigkeit gesellschaftliche Wertkonflikte auszuhalten, ohne auf eigene als wahr erkannte Überzeugungen zu verzichten. Toleranz ist daher ein wichtiger und hoher Wert. Der schon genannte Professor Robert Spaemann hat aber darauf hingewiesen, dass Toleranz dann „grundlos“ wird und sich selbst aufhebt, „wenn sie selbst an die Stelle der Überzeugungen tritt, die zu respektieren sind“. „Die Forderung, andere Überzeugungen zu achten, wird heute oft zur Forderung, keine Überzeugungen zu haben, aufgrund deren man gegenteilige für falsch hält und die man nicht als Hypothese zur Disposition zu stellen bereit ist.“ Toleranz degeneriert dann zu einer intoleranten Dogmatisierung und Verabsolutierung eines Relativismus.

Gegenwärtig mehren sich Stimmen, die über rechtlich und ökonomisch Gemeinsames hinaus verstärkt nach gemeinsamen Werten innerhalb Europas und der EU fragen. Im Rahmen des Besuchs von Papst Benedikt XVI. in Großbritannien wurde von der säkularen Gesellschaft und ihren Medien besonders seine Rede in der Westminster Hall am 18. September beachtet und positiv aufgenommen.

Der Papst stellte die Frage nach dem ethischen Fundament unserer pluralen Gesellschaft und sagte: „Jede Generation muss sich auf der Suche nach dem Fortschritt im Gemeinwohl neu fragen: Welche Verpflichtungen können Regierungen den Bürgern rechtmäßig auferlegen und wie weit erstrecken sich diese? An welche Autorität muss man sich wenden, um moralische Konflikte zu lösen? Diese Fragen bringen uns direkt zu den ethischen Grundlagen des gesellschaftlichen Diskurses. Wenn die den demokratischen Abläufen zugrunde liegenden moralischen Prinzipien ihrerseits auf nichts Soliderem als dem gesellschaftlichen Konsens beruhen, dann wird die Schwäche dieser Abläufe allzu offensichtlich; darin liegt die wahre Herausforderung der Demokratie.“ Soweit das Zitat.

Die Westminster Hall war und ist ein für die europäische Geschichte im Guten und im Bösen besonders bedeutsamer Ort. Dort wurde der Lordkanzler Thomas Morus zum Tod verurteilt, weil er nicht bereit war, die Trennung der englischen Kirche von Rom mitzutragen. Dort veranstaltete König Heinrich VIII. das Dinner seiner Hochzeit mit Anne Boleyn, die später auf Veranlassung des Königs ebenfalls zum Tod verurteilt wurde. Der Papst erinnerte inmitten einer großartigen Architektur daran, dass der Mensch nach Überzeugung der biblischen Religion ein Bild und Abbild Gottes und daher mit einer besonderen Würde ausgestattet ist, die ihn über die anderen Geschöpfe erhebt. Dies bedeutet aber nicht, dass Tiere oder Pflanzen bloßes Material für den Zugriff des Menschen sein dürfen. Aus einer so begründeten Menschenwürde leiten sich Menschenrechte ab, die nicht in der Gewährung durch Gesellschaft und Staat, sondern einfach darin begründet sind, dass der Mensch Mensch ist. Diese Menschenwürde kann nicht auf bestimmte Gruppen beschränkt werden. Sie kommt jedem Menschen zu.

Schon in einem viel beachteten Dialog mit Jürgen Habermas in der Katholischen Akademie in Bayern im Jahr 2004 hat der damalige Kardinal Joseph Ratzinger darauf hingewiesen und gesagt: „So lässt das Mehrheitsprinzip immer noch die Frage nach den ethischen Grundlagen des Rechts übrig, die Frage, ob es nicht das gibt, was nie Recht werden kann, also das, was immer in sich Unrecht bleibt, oder ungekehrt auch das, was seinem Wesen nach unverrückbar recht ist, das jeder Mehrheitsentscheidung vorausgeht und von ihr respektiert werden muss. …Es gibt also in sich stehende Werte, die aus dem Wesen des Menschseins folgen und daher für alle Inhaber dieses Wesens unantastbar sind.“ Soweit Joseph Ratzinger

Die europäische Kultur ist – wenn dies auch vielen nicht explizit bewusst ist – noch immer substantiell von dem hier skizzierten Ur-Impuls zur Relativierung von sozialer, politischer, geistiger und auch religiöser Dominanz geprägt. Menschenrechte, demokratische Verfassungen, Gewaltenteilung, wirtschaftliche und soziale Regelwerke, Chancengleichheit, differenzierte Instrumentarien der Kontrolle und der Kritik – sie alle haben Wurzeln in einem religiösen Glauben, der die Geschichte der Menschheit nicht als sozialdarwinistischen Prozess sieht, sondern als humanes Drama, das sich zwischen Personen mit prinzipiell gleicher Würde ereignet. Der Konsens darüber konnte historisch zwar erst gegen Widerstände auch religiöser und zumal kirchlicher Institutionen erreicht werden. Dabei konnte man sich aber stets auf den ursprünglichen Sinn der biblisch begründeten christlichen Botschaft und zumal der Bergpredigt berufen.

In diesem Zusammenhang mag man sich auch an ein geflügeltes Wort des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck erinnern, der gesagt hat: „Mit der Bergpredigt kann man keinen Staat regieren.“ Diesem realistischen Wort kann man als Christ dann zustimmen, wenn es durch die komplementäre Wahrheit ergänzt wird, dass ein Staat, eine Gesellschaft ohne eine Fülle von Fermenten gelebter, praktizierter Bergpredigt nicht gut gedeihen können. Als „Civitas terrena“ sind sie dann nämlich entsprechend einer Wortprägung des heiligen Augustinus in Gefahr, sich in Richtung auf „latrocinia magna“ zu entwickeln, also eine große Räuberbande zu werden. Der gegenwärtige Zerfall vieler Gesellschaften in Lateinamerika und Afrika scheint dieses Logion zu bestätigen. Hier kann auch an ein Wort Dostojewskijs erinnert werden, der seine Romanfigur Iwan Karamasoff sagen lässt: „Wenn es Gott nicht gibt, ist alles erlaubt.“


II. Anmerkungen zum Begriff „Europa“

Christen sind zumal in der Sicht der katholischen Kirche nicht erst heute Weltbürger. Ein Präsident des „Club of Rome“ hat vor Jahren gesagt, diese Kirche sei das älteste Globalinstitut und habe mit Papst Johannes Paul II. einen Propheten an seiner Spitze. Wache europäische Christen wenden sich heute im globalen Horizont, ohne einem Eurozentrismus anzuhängen, natürlich besonders auch dem Thema „Europa“ und dem spezielleren Thema „Europäische Union“ zu. Europa ist dabei nicht nur die Europäische Union in ihrer jetzigen oder zukünftigen Ausdehnung, sondern das ganze Gebiet vom Atlantik bis zum Ural, vom Nordkap bis Sizilien. So hat es Papst Johannes Paul II. immer wieder umschrieben. Die komplexe Identität dieses Kontinents war und bleibt Ergebnis eines historischen Prozesses, der nicht abgeschlossen und nicht abschließbar ist.

Die Europa-Bischofssynode vom Dezember 1991, an der ich als Delegierter der österreichischen Bischöfe beteiligt war, hat über die europäische Kultur gesagt: „(Sie) ist aus vielen Wurzeln zusammengewachsen: Der Geist Griechenlands und die Romanitas, die Errungenschaften der lateinischen, keltischen, germanischen, slawischen und ugro-finnischen Völker, die hebräische Kultur und die islamischen Einflüsse gehören zu diesem komplexen Ganzen. Niemand kann aber leugnen, dass der christliche Glaube entscheidend zum Fundament Europas gehört, ohne dass damit behauptet wird, Europa und das Christentum gehörten schlechthin zusammen.“

Europa wird hier als die Heimat alter Kulturen angesprochen. Es ist aber auch die Wiege der heute weltweiten technischen Zivilisation und es ist der Kontinent der großen Kriege, der Revolutionen und des erobernden Ausgreifens auf alle anderen Kontinente. Und obwohl nicht Europa, sondern Westasien die Wiege des Christentums ist, hat das Christentum in seiner bisherigen Geschichte Europa am längsten und insgesamt am stärksten geprägt. Es war bald und ist wohl immer noch eine der stärksten Stimmen in der Seele Europas. Eine oft übertönte und verratene Stimme und doch stark genug, um zwischen Sizilien und Skandinavien, zwischen Portugal und dem Ural in fast jeder Generation Menschen zu prägen wie Gregor den Großen, Franz von Assisi und in jüngster Zeit Mutter Teresa oder Papst Johannes Paul II.

Die Europäische Union umfasst nun rund 500 Millionen Menschen, die in einem Gebiet leben, das vom Atlantik bis zum östlichen Mittelmeer und vom Polarkreis bis zur afrikanischen Küste reicht. Niemals vorher ist in der europäischen Geschichte ein solches Werk auf der Grundlage von Freiheit, Menschenwürde und Demokratie gelungen. Die nun so groß gewordene EU braucht in den nächsten Jahren freilich trotz und wegen ihres mühsam errungenen Reformvertrages von Lissabon große Anstrengungen, um der Fülle notwendiger politischer und administrativer Abläufe gewachsen zu sein, die sich aus ihrer räumlichen Größe ergeben. Ob das gelingen wird, ist besonders in Brüssel und nicht nur hier eine wohl täglich bedrängende Frage angesichts einer weit verbreiteten Europaskepsis, die z. B. dazu geführt hat, dass im jüngsten Eurobarometer nur noch 49 % der Bürger die Union für eine gute Sache hielten. Das ist der tiefste Wert seit sieben Jahren.

Europa ist heute mindestens in demographischer Sicht ein alter und müder Kontinent. Das lässt starke soziale und kulturelle Gleichgewichtsstörungen befürchten und stellt die Frage, wie die EU ohne Destabilisierung ihrer Zivilgesellschaften mit der Frage der Immigration umgehen soll.

Neben der sich bereits deutlich abzeichnenden demographischen Veränderung stellt auch der zunehmende Klimawandel Europa vor Herausforderungen, die einer gemeinsamen Strategie der Europäischen Union und darüber hinaus bedürfen. Im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung und dem daraus zum Teil resultierenden Rückgang wirtschaftlicher Entfaltungsmöglichkeiten für viele Menschen weltweit wurde in den letzten Jahrzehnten immer stärker der Begriff Nachhaltigkeit etabliert. Das Prinzip nachhaltigen Wirtschaftens wird dabei in erster Linie als eine vorausschauende Nutzung von natürlichen Ressourcen angesehen, die auch künftigen Generationen Leben und Arbeit in Würde ermöglichen soll.

Der Begriff Nachhaltigkeit muss aber noch weiter gefasst, weil vor allem auf den Menschen und die ihn tragenden Werte ausgedehnt werden. Besonders in einer Zeit zunehmender wirtschaftlicher Probleme infolge einer globalen Finanzkrise ist eine solche Nachhaltigkeit wichtig. Der Mensch darf ja in der Wirtschaft nicht nur als eine zu optimierende Ressource gesehen werden. Er ist eine Person, die eine unveräußerliche Würde besitzt, und diese Würde darf nicht ausgehöhlt werden.

III. Die Kirchen und die Europäische Union

Die Frage nach dem friedlichen Miteinander verschiedener europäischer Kulturen und nach gemeinsamen, tragenden Werten ist für die Zukunft Europas besonders wichtig. Dabei geht es auch um die Beziehung von Religion und Gesellschaft und zumal um die öffentliche Ausprägung von Religion. Durch lange Zeit waren im globalen Horizont generell Religion und Gesellschaft eng miteinander verbunden, besonders in Bezug auf eine aus religiösen Quellen schöpfende Sinn- und Wertebegründung und auf daraus resultierende gesellschaftliche Normen. Die europäische Aufklärung und die aus ihr resultierenden Erklärungen der Menschen- und Bürgerrechte in Europa und Nordamerika haben maßgeblich dazu beigetragen, einen freiheitlich-demokratischen und säkularen Rechtsstaat auszuprägen, in dem auch wir heute gerne leben. Damit verbunden ist ein gesellschaftlicher Pluralismus, dessen Verfassungsbogen einer Vielzahl von Überzeugungen und Weltanschauungen Raum gibt.

Dazu gehören auch die Religionsfreiheit und eine prinzipielle Nichtidentität von Religion und Staat. Eine solche Trennung sollte aber nicht zu einer Beziehungslosigkeit führen. Auch Jürgen Habermas teilt in seiner Analyse der für unsere heutige demokratische Gesellschaft grundlegenden Bill of Rights diese Sicht auf die Beziehung von Staat und Religion. Glaubende und Nichtglaubende – so Habermas – sind gleichermaßen Bürger und können, ja sollen vernünftig miteinander reden und kooperieren. Religionsfreiheit soll für ihn daher nicht zu einer Nischenbildung für Religion als einer „geschützten Art“ führen, die vielleicht irgendwann aussterben wird, sondern zu Respekt vor der Überzeugung Andersdenkender und zur Verpflichtung, einander friedlich und vernünftig darüber Rechenschaft zu geben. Soviel zu Habermas.

Zu einem solchen Diskurs gehört in einer sich zunehmend dynamisierenden und pluralisierenden Gesellschaft auch ein offen und kompetent geführter Dialog der Kulturen und Religionen, der sich an der Würde des Menschen orientiert und ohne eine falsche Rücksicht auf political correctness Probleme benennt. Dabei stellt besonders der rasch anwachsende Islam Europa vor große Herausforderungen. Es sind sowohl Herausforderungen an die Zivilgesellschaft wie an die christlichen Kirchen in Europa. Dazu im Folgenden einige Anmerkungen:

III. a. Europa und der Islam

Der vielgestaltige Islam erweckt als eine in vielen Ländern Europas wieder oder ganz neu angekommene und zahlenmäßig rasch anwachsende Religion inmitten einer schrumpfenden und überalterten angestammten Bevölkerung rational begründete Sorgen aber auch irrationale Ängste. Diese Sorgen oder Ängste wurden durch lange Zeit von manchen europäischen Eliten in Politik und Medien ignoriert und als political non correct eingestuft. Eine solche Verdrängung löst aber keine Probleme, sondern vermehrt sie und liefert Wasser auf die Mühlen von Populisten, die sich schrecklicher Vereinfachungen bedienen. Abseits eines solchen Populismus einerseits und eines naiven Optimismus andererseits ist ein Weg zu suchen, um Muslime so zu integrieren, dass muslimische Parallelgesellschaften nicht weiter anwachsen können.

Dies bezüglich ist in Jahrzehnten viel versäumt worden und ungelöste Probleme kehren auch in diesem Bereich der Gesellschaft verstärkt zurück.

Ohne falsche Tabus müsste man z. B. mit islamischen Verbänden in Europa auch darüber reden dürfen, ob sie nicht gegen grobe Menschenrechtsverletzungen und –beschränkungen z. B. der Religionsfreiheit in ihren Herkunftsländern öfter und deutlich ihre Stimme erheben sollten, um Misstrauen bei der hiesigen angestammten Bevölkerung abzubauen.

Die Frage einer solchen Reziprozität wurde bisher von den genannten Eliten immer wieder tabuisiert. Ein solches Tabu ist aber m. E. rational nicht überzeugend begründbar.

Die christlichen Kirchen und zumal auch die katholische Kirche tun in Europa auf vielen Ebenen viel, um ein friedliches Zusammenleben mit anderen Religionen und besonders auch mit dem Islam zu fördern. Sie können daher auch glaubwürdig Reziprozität einmahnen.

Ich selbst darf in diesem Zusammenhang erwähnen, dass ich während der 17 Jahre meines Wirkens als Grazer Hochschulseelsorger auch Leiter des dortigen Afro- Asiatischen- Institus gewesen bin und dass ich an jedem Tag durchschnittlich eine Stunde lang mit Studierenden aus dem Iran, aus arabischen Ländern und aus der Türkei gesprochen habe, viele Anregungen empfangen habe und auch manche Hilfe geben konnte. Daraus haben sich Freundschaften mit Muslimen ergeben, die bis heute andauern.

Mein kritischer Blick auf den Islam ist daher differenziert und sollte einer oberflächlichen Kritik standhalten können.

Die Herausforderung durch den Islam stellt den Christen hier aber besonders die Frage, wie stark ihr eigener Glaube ist und warum so viele Getaufte dieses Glaubens offenbar müde geworden sind. Die Provokation durch diese Frage könnte sehr fruchtbar werden.

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass es für uns in Europa keine Alternative zu einem Zusammenleben mit Muslimen gibt und dass wir das Unsere tun sollten, um daraus nicht bloß ein Nebeneinander oder gar ein Gegeneinander, sondern ein Miteinander werden zu lassen. Wieviel davon bald schon gelingt bleibt offen.

III. b Laizistische Verdrängungen von Religion in Europa

In manchen Ländern Europas sind Versuche, Religion in die Privatsphäre zu verbannen, in den letzten Jahren, offensichtlich verstärkt worden. Dies gilt auch für den Raum der Europäischen Union ungeachtet religionsfreundlicher Rahmenbedingungen im Vertrag von Lissabon. Eine Gesellschaft, die versucht, alte und neue Religion generell ins Private abzuschieben, um sich vermeintlich Probleme zu ersparen, begibt sich aber vieler humaner Ressourcen und trägt nicht zum Frieden durch eine Aufklärung bei, die sowohl der Religion, und zwar nicht nur der christlichen Religion, wie auch der Zivilgesellschaft unabweisbare Aufgaben stellt.

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, der am 3. November 2009 in erster Instanz festgehalten hat, dass das Anbringen von Kreuzen in öffentlichen Schulen gegen das in der Europäischen Menschenrechtserklärung (EMRK) garantierte Recht auf Religionsfreiheit verstoße, hat in einigen Ländern zu heftigen zu Irritationen geführt. Die darauf bezogene Entscheidung der Großen Kammer des EGMR als zweite Instanz steht noch aus. Sollte das erstinstanzliche Urteil bestätigt werden, dann erwartet Rudolf Streinz, Professor für Öffentliches Recht und Europarecht in München, auch Auswirkungen über den Einzelfall hinaus und hat dies vor einigen Monaten in der Zeitschrift der Katholischen Akademie in Bayern „zur debatte“ wie folgt ausgedrückt: „Abzuwarten bleibt auch, wie in eventuellen Folgefällen andere Mitgliedsstaaten reagieren. Denn solche Fälle können durch das Urteil provoziert werden. … Angesichts des unterschiedlichen Verständnisses des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche … und der unterschiedlichen Regelungen der Bekenntnisfreiheit bzw. der Religionsfreiheit in den 47 Vertragsstaaten der EMRK … dürfte sich hier Konfliktpotenzial ergeben.“ Professor Streinz sagt wörtlich, dass der EGMR den Vertragsstaaten dabei keinen Beurteilungsspielraum eingeräumt hat: „Es fällt auf, dass der Straßburger EGMR, der diese Argumentationsfigur gerade für solche `Identitätsfragen´ aufgrund unterschiedlicher Traditionen und Bewertungen entwickelt hat, in letzter Zeit insoweit restriktiver zu sein scheint als der Luxemburger EuGH hinsichtlich der Europäischen Union“.

Solche Versuche, Religion in die Privatsphäre zu verbannen, waren auch beim Werden des Lissabonner Vertrages stark spürbar. Frankreich mit seiner fast mit sakraler Würde ausgestatteten „Laicité“ war dabei besonders engagiert. Bischof Joseph Homeyer von Hildesheim, der damalige Präsident der COMECE, der Kommission der Bischofskonferenzen der EU-Länder, hat schon vor vielen Jahren die Sorge ausgesprochen, dass die Europäische Union das Staatskirchenrecht ihrer Mitgliedsstaaten in Richtung der am meisten laizistischen Staaten nivellieren könnte.

Dem steht als eine Barriere nun der Artikel 17 des Reformvertrages entgegen, in welchem wörtlich gesagt wird: „Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedsstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht... (und in Absatz 3 desselben Artikels) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog.“ Diese so genannte Dialogklausel, um deren Zustandekommen besonders die Rechtskommission der COMECE bemüht war, lässt aber nicht vergessen, dass in der Präambel des Vertragswerkes von 2007 ein Gottesbezug und eine anerkennende Nennung des christlichen Erbes Europas trotz vieler Bemühungen einiger Regierungen und der Kirchen unterblieben ist, dies vor allem wegen des Einspruchs Frankreichs. Der Text der jetzigen Präambel beginnt mit dem Satz: “Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit entwickelt haben ....“. Die Ablehnung einer ausdrücklichen Nennung der christlichen Religion erscheint deshalb als besonders problematisch, weil ca. 80 % der EU-Bürger christlich getauft sind und weil der Islam in ein Europa mit so wenig christlichem Selbstbewusstsein gewiss nicht leichter integrierbar sein wird.

In diesem Zusammenhang sei auch die Ablehnung einer Nennung des Namens Gottes in der Präambel des EU-Verfassungsvertrages erinnert und auch daran, dass es im deutschen Grundgesetz und auch in der erst vor einigen Jahren erneuerten Schweizer Bundesverfassung sehr wohl eine Nennung des Gottesnamens gibt. Und in der neuen polnischen Verfassung gibt es eine Formulierung, die sowohl religiös Glaubende wie auch Nichtglaubende respektiert. Sie lautet: „Das Grundgesetz achtet sowohl das Recht derer, die an Gott als Quelle des Wahren, der Gerechtigkeit und des Schönen glauben, als auch derer, die diese Werte aus anderen Quellen schöpfen.“

Die schon genannte Bischofskommission COMECE hat zum neuen EU-Vertrag in einer Pressemitteilung vom 19. Oktober 2007 Folgendes gesagt:
„Die COMECE begrüßt die Einigung auf ein neues Vertragswerk für die Europäische Union. Die Einigung, die in dieser Nacht von den 27 Staats- und Regierungschefs der EU anlässlich des Europäischen Rates von Lissabon erzielt wurde, beendet die vierjährige Phase fruchtloser Versuche und institutioneller Krise, die auf die Ablehnung des Verfassungsvertrags durch Referenden in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005 folgte. Angesichts der nationalen Forderungen, welche die Verhandlungen bis zur letzten Minute zu gefährden schienen, begrüßt die COMECE die Tatsache, dass die Sorge um das Gemeinwohl und die Interessen von 500 Millionen Bürgern letztlich überwogen.
Die COMECE nimmt mit Interesse zur Kenntnis, dass der Reformvertrag eine Präambel in das Vertragswerk der Europäischen Union einführt, die das kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas anerkennt. Allerdings erinnerte der Generalsekretär der COMECE Prälat Treanor: [Er ist im Frühjahr 2008 zum Bischof von Belfast ernannt worden] ‚Die Debatte über die christlichen Wurzeln Europas ist untrennbar von der Reflexion über die europäische Identität; sie muss also fortgeführt werden.’
Das Sekretariat der COMECE ermutigt die Christen, sich in den nächsten Monaten mit den Fragen und Herausforderungen der europäischen Debatte vertraut zu machen. Der Reformvertrag bedeutet für die erweiterte EU trotz seiner Mängel und Komplexität eine befriedigende institutionelle Lösung; er leitet notwendige Reformen des Entscheidungsprozesses ein, die es erlauben sollten, die europäische Konstruktion auf effiziente und gerechte Weise voranzubringen.“

Im Zusammenhang mit dem Ergebnis des Gipfeltreffens in Lissabon ist an Worte von Papst Benedikt XVI. zu erinnern, der am 7. September 2007 in seiner Ansprache in der Wiener Hofburg gesagt hat: „Auch wenn (...) es unter einigen Aspekten berechtigte Kritik an europäischen Institutionen geben kann, ist der Prozess der Europäischen Einigung doch ein Werk von großer Tragweite, das diesem früher von fortgesetzten Konflikten und unseligen Bruderkriegen zerfressenen Kontinent eine lange nicht gekannte Friedenszeit gebracht hat.“

Verantwortungsbewusste Europäer setzen sich dafür ein, dass Europa, auch wenn es in mancher Hinsicht müde geworden ist, sich im Welthorizont kulturell und politisch nicht aufgibt. Und auch die Kirche kann Europa nicht aufgeben: diesen Kontinent, der im Lauf der bisherigen Kirchengeschichte am längsten und fundamentalsten vom Christentum geprägt worden ist und dessen christliche Wurzeln auch heute trotz aller Säkularisierung millionenfach tragen und nähren. Die Europäische Union erweist sich trotz viel Kritikwürdigem als sehr wichtiges Instrument für die Stabilität Europas inmitten globaler Veränderungen. Deshalb haben der Papst und die Bischofskonferenzen das Projekt der Europäischen Integration mit – wenngleich kritischer – Solidarität begleitet und werden dies auch in Zukunft tun.


IV. Christliches Engagement in Europa

Erst vor kurzem hat der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission Jacques Delors in der renommierten Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ einmal mehr auf die Bedeutung der Religion für unsere europäische Gesellschaft hingewiesen und gesagt: „Europa ist ein Raum, der durch die griechische Demokratie, das jüdisch-christliche Erbe, die Reformation, die Aufklärung und den Einfluss der arabisch-islamischen Welt kulturell geformt wurde. Das ist das Europa, das sich von Amerika, Japan und den anderen Räumen der Welt unterscheidet. Es wird geeint durch eine Art offenen Universalismus, ein bestimmtes Verhältnis zu den großen Fragen von Leben und Tod – ob man nun gläubig ist oder nicht. All das und die Fähigkeit zur Toleranz, das sind die europäischen Werte.“ Soweit Delors. Das Ensemble solcher Werte kann man nach meiner Überzeugung sehr wohl mit dem umstrittenen aber im Kern unangreifbaren Begriff einer „Europäischen Leitkultur“ bezeichnen.

Der Einsatz für die Entfaltung solcher Werte ist ein Dauerauftrag für alle Verantwortungsträger in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Aber auch die Kirchen und alle ernsthaften Christen können dazu Unverwechselbares beitragen. Abschließend nenne ich einige Werte und Prinzipien, die dabei aus christlicher und wohl durchaus nicht nur katholischer Sicht dabei besonders wichtig sind:


1. Das Prinzip Verantwortung – Einsatz für das Ganze
Die Christen in Europa werden nur bestehen, wenn sie gestaltend am „Bauplatz Europa“ mitarbeiten. Dazu bedarf es auch einer Bereitschaft zu einer Aus- und Weiterbildung in Human- und Naturwissenschaften. Politisch wache Christen werden versuchen, Allianzen mit allen Gruppen zu schließen, die sich für eine humanitäre Zukunft unseres Kontinents einsetzen. Bei seinem Besuch in Frankreich im September 2008 hat Papst Benedikt XVI. in diesem Zusammenhang auf den vom französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy geprägten Begriff einer „positiven Laizität“ Bezug genommen.

Die Entwicklung Europas lässt sich trotz mancher christlich- pathologischen Erscheinungen ohne den humanisierenden Beitrag des Christentums nicht angemessen beschreiben. Dies muss besonders im Blick auf die Dialektik der Aufklärung in Folge einer sich absolut setzenden und säkularistisch verstehenden technisch-wirtschaftlichen Vernunft gesagt werden. Diese Dialektik wurde schon von den Philosophen Adorno und Horkheimer kritisch zur Sprache gebracht.

2. Einsatz für Personwürde und für soziale Gerechtigkeit
Die Absolutheit der Person- und Menschenwürde, wie sie im Artikel 1 der Menschenrechtecharta als deren Grundlage benannt wird, wurzelt theologisch formuliert in Gott, der den Menschen als sein Abbild geschaffen hat. Wolfgang Huber, der frühere evangelische Bischof von Berlin und Ratsvorsitzende der EKD, hat betont, dass eine europäische „Kultur der Anerkennung“ ohne die Unbedingtheit der Menschen- und Personwürde nicht auskomme, weshalb die Personrechte nicht von Voraussetzungen abhängig gemacht werden dürften, „deren Definition dem Staat, den Eltern oder wem auch sonst überlassen“ würde. „Die Stärke des Personbegriffes würde damit gerade verspielt.“ Soweit Bischof Huber.

Die Katholische Soziallehre weist mit ihrem Personprinzip darauf hin, dass der Mensch nicht funktionalisiert werden darf. Der amerikanische Sozialphilosoph Richard Sennett hat in seiner großen Studie „Der flexible Mensch“ (dt. Berlin 1998) anhand einzelner Biografien und persönlicher Erfahrungen dargestellt, welche fatalen Folgen es haben kann, wenn Menschen „verzweckt“ werden, wenn ihnen etwa ein Zuviel an beruflicher und familiärer Mobilität abverlangt wird. Der englische Titel seines Werks ist noch sprechender: „The Corrosion of Charakter“ (New York 1998). Sennett zeigt, wie rasch sich in einer kurzfristig ausgerichteten, nicht mehr an Orte und Zeiten gebundenen Ökonomie Vertrauen, Verantwortung und menschliche Beziehungen auflösen. Dies betrifft Arbeitende aller Bildungsgrade und Berufe, zerstört ihren Selbstwert und erhöht ihre personale Verletzlichkeit. Eine längerfristige Lebensplanung lässt sich nach Sennett in einer unreflektiert durchmodernisierten Welt nicht mehr vornehmen.

3. Einsatz für die Achtung und Förderung des Lebens
Die Würde des menschlichen Lebens ist unteilbar. Christen sind Freunde dieses Lebens in allen seinen Dimensionen, sei es geboren oder noch ungeboren, sei es entfaltet oder behindert, sei es zeitlich oder ewig. Die Unteilbarkeit der Würde des Lebens von der Zeugung bis zum Tod wird aber heute von verschiedenen Seiten her und aus unterschiedlichen Gründen in Frage gestellt. Die in manchen EU-Ländern forcierte Debatte oder auch schon Praxis betreffend aktive Sterbehilfe lässt befürchten, dass ein sublimer oder auch starker Druck auf schwerkranke und alte Menschen ausgeübt wird, sich den Tod geben zu lassen oder selbst zu geben, wenn einmal eine ansehnliche gesellschaftliche Gruppe den organisierten Freitod gesellschaftsfähig gemacht hat. Auch der Schutz beginnenden Lebens steht heute im Horizont von Genforschung und Präimplantationsdiagnostik verstärkt in Frage. Was bedeuten Menschenwürde und Schutz der Person besonders im Blick auf die noch nicht entfaltete Personalität des Embryos? Der ehemalige Präsident der deutschen Forschungsgemeinschaft und nachher Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Prof. Wolfgang Frühwald, hat darauf hingewiesen, dass in Fragen des Menschenbilds ein „Kulturkampf“ zwischen einem christlichen, zumindest kantianischen Menschenbild auf der einen Seite und einem szientistisch - sozialdarwinistischen Menschenbild auf der anderen Seite im Gange sei.

Die Frage des Menschenbildes hängt auch zusammen mit einer der Hauptsorgen für unsere Gesellschaft, die sich aus der geringen Zahl von Kindern und jungen Menschen überhaupt ergibt. Hier wird eine Rechnung präsentiert, an deren Zustandekommen gewiss viele Ursachen beteiligt waren und sind. Man sollte sich eine diesbezügliche Analyse nicht zu leicht machen und die Erwartungen einer Wende zum Besseren nicht nur der Politik, zumal der Finanzpolitik zuschieben. Man braucht Allianzen, um Menschen Mut zu einer auf Dauer hin angelegten Ehe zu machen. Man braucht Allianzen, um bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Familien ohne eine auch finanzielle Gefährdung ihrer Existenz mehr Zeit für ihre Kinder zur Verfügung steht. Man braucht Allianzen, um eine gemeinsame Beteiligung von Männern und Frauen in der Gesellschaft zu ermöglichen und zu fördern. Dazu gehört auch eine die Familien und dabei besonders eine die Frauen fördernde Steuer- und Arbeitsmarktpolitik.

4. Den eigenen Glauben nicht verstecken
„Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“, liest man im 1. Petrusbrief des Neuen Testaments. Dies ist ein Wort auch für heute. Inmitten einer Bildungsgesellschaft sollten intellektuell wache Christen die Gesamtgestalt des christlichen Glaubens gut kennen, damit sie in der Begegnung mit anderen Religionen und Lebensmodellen ernst genommen werden und bestehen können. Wer heute den Mund auftun will für Gott und für das Christentum, für Werte, die den Menschen von der Geburt bis zum Tod schützen, der muss, um ernst genommen zu werden, vor allem glaubwürdig leben, muss aber auch fachlich kompetent sein. Solche Christen müssen starke Argumente haben, um in unserer pluralen Gesellschaft bestehen zu können. Sie müssen ihre eigene Identität kennen, aber auch die religiösen und philosophischen Traditionen, die Europa mitgeprägt haben, und sie müssen aufmerksam sein für die positiven Auswirkungen, aber auch für die Gefahren, die mit technischen und naturwissenschaftlichen Innovationen verbunden sind. Und sie dürfen komplexe Sachverhalte nicht verkürzen oder verengen, um bequem gewordene Räume vor unbequemen Anfragen zu schützen. Unter solchen Voraussetzungen ist ein ausgeprägtes christliches Selbstbewusstsein auch und gerade heute möglich und belebend für die pluralistische Gesellschaft Europas.

5. Das Prinzip Entscheidung
Unsere globalisierte Welt ist nicht nur in ökonomischer Hinsicht, sondern auch in ihrer religiösen und weltanschaulichen Dimension vergleichbar mit einem riesigen Markt. Man kann und muss dort auch wählen, wenn man nicht auf dem Niveau eines Naschmarktes verbleiben will. Was unsere Zivilgesellschaft und auch die Kirchen heute besonders dringend brauchen, sind entschiedene Frauen, Männer und junge Leute, deren Entscheidungen auf gründlichem Nachdenken und auf dem Verbundensein mit Menschen gleicher Werte und Ideale beruhen. Allianzen sind geboten.

V. Ein Wort am Schluss

Am Schluss möchte ich eine auf Europa bezogene Wortprägung des österreichischen Kulturhistorikers Friedrich Heer in Erinnerung rufen. Er hat in einer Paraphrase auf das christliche Grundgebet „Vater unser“ von einem „Europa unser“ gesprochen. Dass Europa für jeden von uns immer mehr mein Europa, unser Europa werde, ist eine Einladung zu einer ebenso gefährdeten wie chancenreichen Allianz zu der auch dieser Vortrag ein wenig beitragen sollte.


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Lesermeinungen

 Dismas 1. Oktober 2010 

@Mykrokosh

naja, Korruption und Misswirtschaft und vor allem oft Unterdrückung der mit Rom verbundenen Gemeinschaften. Das ganze national belastet.
Ich danke....


0
 
 Mykrokosh 30. September 2010 
 

Ex Oriente lux

Das christliche Europa kann nur durch eine weitere Osterweiterung gerettet werden, da die orthodoxen Völker Mittel- und Osteuropas einen vom übermäßigen Modernismus unberührten reinen christlichen Glauben bewahrt haben.
Das Verhältnis zum Glauben in den meisten Ländern Osteuropas ist grundlegend positiv, und Westeuropa kann von den Osteuropäern lernen, auf seine christlichen Wurzeln stolz zu sein.


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 m sr a 30. September 2010 

Die Idee des \"zunehmenden Klimawandels\"

basiert auf der \"Hockey-Stick\" Theorie die sehr stark angegriffen wurde.

www.youtube.com/watch?v=O6q-USjvHns&feature=related


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 dominique 30. September 2010 
 

Die göttlichen Setzungen des Menschseins

\"Es gibt also in sich stehende Werte, die aus dem Wesen des Menschseins folgen und daher für alle Inhaber dieses Wesens unantastbar sind.\"

Dieser Satz ist nicht nur wahr (die Schöpfungsgeschichte beinhaltet eine ganze Serie derartiger göttlicher Setzungen - angefangen mit der Scheidung des Lichtes von der Finsternis), sondern die darin geborgenen Wahrheiten werden auch tatsächlich immer offenkundiger und brennender zur Forderung und Sehnsucht, je stärker Menschen versuchen, sich - mithilfe von Ideologien - davon zu entfernen.


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  30. September 2010 
 

hellwache Bischöfe

sollten die Bischöfe tatsächlich und endlich wach werden? Es wäre zu wünschen!!!


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