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Was Luthers 'Kinder' über die katholische Kirche wirklich denken

13. Oktober 2009 in Aktuelles, keine Lesermeinung
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Das umstrittene EKD-Papier im Wortlaut auf kath.net


Bonn (kath.net)
kath.net veröffentlicht zur Dokumentation den Wortlaut des umstrittenen Dokuments der EKD, das als Vorlage für die 251. Sitzung der EKD-Kirchenkonferenz am 2. Juli 2009 gedacht war. Das Schreiben sorgt seit Tagen für Diskussion.

Der Text im Wortlaut als Dokument:

Schon während des 32. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Bremen richteten sich die Blicke auf den 2. Ökumenischen Kirchentag 2010 in München. Dieser Blick ist einerseits durch Vorfreude und hohes Engagement vieler ökumenischer Initiativen und Foren geprägt, er ist aber auch getrübt durch einige Unsicherheiten, die entstanden sind. Um diese einschätzen zu können und in ihrer Bedeutung für den evangelisch-katholischen Dialog auszuloten, sollen im Folgenden drei Klärungsschritte erfolgen: Nach einer ersten Orientierung im Blick auf die Frage (1.), Wo steht der ökumenische Dialog? folgt sodann (2.) ein Wahrnehmen der Irritationen, die von Rom ausgehen.

Zuletzt soll der Frage nachgegangen werden, welche (3.) Auswirkungen auf das ökumenische Verhältnis der beiden Kirchen vor dem 2. Ökumenischen Kirchentag dies zeitigen könnte.

1. Wo steht der ökumenische Dialog?

Alle Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der evangelisch-katholischen Ökumene können von einer breiten, stabilen und zuversichtlich stimmenden Grundlage ausgehen. Es ist nicht nur die zu Recht vielgelobte stabile Basis Ökumene in Deutschland, die nach wie vor an sehr vielen Orten eng zusammenarbeitet, gemeinsame Herausforderungen wahrnimmt und kaum Entmutigungszeichen kennt.

Es sind auch die faktisch breite Grundübereinstimmung zwischen den beiden Kirchen und die vielen verlässlichen Kontakte und stabilen Gesprächsebenen, die ein weitgehend sachlich orientiertes und partnerschaftlich ausgerichtetes Verhältnis prägen.
Der Kontaktgesprächskreis, aber auch viele geregelte Kontaktformen in den Landeskirchen lassen kaum die Sorge zu, es könnten sich wirkliche tiefgreifende, substanzielle Infragestellungen der ökumenischen Beziehungen ankündigen.

Auch wird man festhalten können, dass die große ökumenische Aufbruchswelle nach dem 2. Weltkrieg in der Verabschiedung der „Gemeinsamen offiziellen Feststellung“ bzw. der „Gemeinsamen Rechtfertigungserklärung“ 1999 in Augsburg zweifellos ihren symbolischen Höhepunkt und vorläufigen Schlussstein fand.

Trotz der zum Teil sehr heftigen evangelischen Kritik an diesen Dokumenten sind diese Texte zu Recht als Ergebnis einer „höheren Choreographie“ angesehen worden, denn die Rechtfertigungslehre war in der Reformationszeit der entscheidende Streitpunkt, der viele gegenseitige Verurteilungen und theologische Verwerfungen mit sich gebracht hatte. Es ist gut, wenn die Rechtfertigungslehre auch der Ort ist, an dem dieses gegenseitige Verurteilen zu einem gewissen Ende gekommen ist.

Allerdings ist es bedauerlich, dass es bisher noch keine offizielle Rezeption der Texte in der römisch-katholischen Kirche gegeben hat es ist daher gut und richtig, wenn besonders die VELKD für dieses Jahr 2009 eine Erinnerungsfeier zum 10jährigen Jahrestag der Unterzeichnung in Augsburg plant, auch als Erinnerung an das noch Unabgeschlossene dieses ökumenischen Schlüsselereignisses.

Seit 1999 aber sind die Signale der Verschiedenheit und der Andersartigkeit stärker geworden. Den Auftakt machte das Dokument Dominus Jesus aus dem Jahr 2000, das mit der berühmt-berüchtigten Formulierung von den Reformationskirchen, die nicht Kirchen „im eigentlichen Sinne seien“, einen Klang in die ökumenischen Beziehungen eintrug, der in dieser Deutlichkeit für große Verwunderung und Enttäuschung gerade bei denen sorgte, die mit Herz und Engagement jene gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre vorangetrieben hatten.

Man wird zwar nicht sagen können, dass die evangelische Seite mit ihrem Text „Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis. Ein Votum zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen“ (EKD Texte 69 aus dem Jahre 2001) eine unmittelbare Reaktion auf Dominus Jesus veröffentlicht hat (dazu haben solche Texte eine viel zu lange Vorbereitungszeit), gleichwohl wurde in der ökumenischen Landschaft dieser Text als Antwort auf Dominus Jesus verstanden und zum Teil gutgeheißen, zum Teil als eine überzogene Reaktion eingeschätzt.

Seither aber tauchte immer häufiger das Stichwort von der „ökumenischen Eiszeit“ bzw. dem „ökumenischen Stillstand“ auf, und dies trotz der 2001 auf der KEK-Ebene beschlossene „Charta oecumenica“ und ihrer feierlichen Unterzeichnung durch die Partner in Deutschland auf dem Ökumenischen Kirchentag 2003. Wie wenig allerdings diese Texte Wirkung zeigen können, zeigt die Tatsache, dass im Jahre 2007 die Glaubenskongregation mit dem Text „Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche“ faktisch eine Wiederholung der „Dominus Iesus“-Positionen vorlegte, die einen gewissen Stillstand in der ökumenischen Entwicklung zu belegen vermochte. Man wird daher sagen können, dass der evangelisch-katholische Dialog seit 2000 nicht schlechter geworden ist, allerdings auch nicht besser.


2. Wahrnehmungen römischer Irritationen
Seit dem Amtsantritt Benedikt XVI. am 19. April 2005 sind insgesamt Irritationen zu spüren, die keineswegs nur auf interne Dimensionen der römisch-katholischen Weltkirche bezogen bleiben, sondern die Grundfrage auslösen, ob die römisch-katholische Kirche mit diesem Papst ihr Verhältnis zum 2. Vaticanum neu justieren will:

Nach dem zweitlängsten Pontifikat in der Geschichte des Papstamtes von Johannes Paul II. (16. 10. 1978 2. 4.2005 = fast 26, 5 Jahre) ist mit Joseph Kardinal Ratzinger nicht nur ein hochgebildeter Theologe in das Papstamt gewählt worden, sondern auch nach 482 Jahren (Hadrian VI.) erstmals wieder ein „deutscher Papst“. Die Begeisterung für diese Entwicklung fand anfangs keineswegs nur Unterstützung in den Reihen der Mitglieder der römisch-katholischen Kirche; die öffentlich rechtlichen Medien waren ebenso „verzaubert“ wie die Boulevardpresse (BILD: „Wir sind Papst“), was sich nicht zuletzt bei den beiden Deutschlandbesuchen des neuen Papstes (XX. Weltjugendtag in Köln August 2005 und Besuch seiner bayerischen Heimat im September 2006) durch ausführliche Medienberichte zeigte. Die Begeisterung aber wich bald einem irritierten Grundgefühl, das sich an den verschiedenen „diplomatischen Faux pas“ festmachen lässt; erinnert man nur die weltweit beobachtbaren Irritationen, ergibt sich ein doch bedrückendes Bild:

Bei seinem zweiten Besuch im Sommer 2006 hielt Benedikt XVI. vor Wissenschaftlern an der Universität Regensburg eine Vorlesung und zitierte darin eine Aussage des spätmittelalterlichen byzantinischen Kaisers Manuel II. zur Rolle der Gewalt im Islam. Das als „Papstzitat von Regensburg“ bekanntgewordene Diktum wurde als Hasspredigt bezeichnet und heftig kritisiert. Eine korrigierende Interpretation Benedikts XVI., wie dieses Zitat gemeint sei, folgte wenig später.

Bei der Eröffnung der lateinamerikanischen Bischofskonferenz im brasilianischen Aparecida am 13. Mai 2007 äußerte sich Benedikt zur Christianisierung Lateinamerikas, die keine Oktroyierung einer fremden Kultur, sondern von den Ureinwohnern unbewusst herbeigesehnt worden sei. Die Empörung war groß.

Am 26. Juni 2007 hat Papst Benedikt XVI, das Motu proprio „De aliquibus mutationibus in nonnis de electione Romani Pontificis“ erlassen, durch das die Apostolische Konstitution „Universi Dominici Gregis“ teilweise rückgängig gemacht wird. Auf die nach Benedikts Motu proprio „Summorum Pontificum“ laut gewordene Kritik an der Verwendung der früheren Karfreitagsfürbitte für die Juden reagierte der Papst mit der Abfassung und Verordnung einer Neuformulierung dieser Bitte allein für die forma extraordinaria. Die Verstimmung über diese Neuformulierung hält bis heute an.

Im Juli 2007 erteilte Benedikt XVI. die Erlaubnis zur begrenzten neuerlichen Benutzung der letzten, vor dem Konzil erschienenen liturgischen Bücher, darunter des Messbuchs. Im Apostolischen Schreiben „Summorum Pontificum“ erklärte er, dass neben der Normalform (forma ordinaria) des Römischen Ritus nach dem Messbuch Pauls Vl. die Heilige Messe nach dem unter Johannes XXIII. 1962 gedruckten Messbuch (sog. Tridentinische Messe) unter bestimmten Bedingungen als außerordentliche Form (forma extraordinaria) des Römischen Ritus gefeiert werden dürfe, Auch diese Freigabe zu einer liturgischen Vielfalt setzte nicht unerhebliche Irritationen frei.

Den größten „Schaden“ aber löste wohl die im Januar 2009 erfolgte Aufhebung der 1988 ausgesprochene Exkommunikation von vier durch Marcel Lefebvre ohne Einwilligung des damaligen Papstes geweihten Bischöfen aus, die der Priesterbruderschaft St. Pius X. angehören. Zu diesen Bischöfen gehörte auch der kurz zuvor durch Holocaustleugnung aufgefallene Richard Williamson. Die Aufregung und Empörung war gerade in Deutschland besonders groß; die Deutsche Bischofskonferenz hat sich in ihrer Frühjahrstagung 2009 in einer selten zu lesenden Klarheit von dieser Rehabilitierung distanziert.

Die Empörung führte dazu, dass Papst Benedikt XVI. in einem Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche am 10. März 2009 bedauerte, dass „die Aufhebung der Exkommunikation überlagert wurde von dem Fall Williamson. Der leise Gestus der Barmherzigkeit gegenüber vier gültig, aber nicht rechtmäßig geweihten Bischöfen erschien plötzlich als etwas ganz anderes: als Absage an die christlich-jüdische Versöhnung“. Weiter erkannte der Papst, dass „aufmerksames Verfolgen der im Internet zugänglichen Nachrichten es ermöglicht hätte, rechtzeitig von dem Problem Kenntnis zu erhalten. Ich lerne daraus, dass wir beim Heiligen Stuhl auf diese Nachrichtenquelle in Zukunft aufmerksamer achten müssen.“

Dieses „Entschuldigungsschreiben“ wurde wiederum zum Anlass genommen, auf die Unverträglichkeit solcher Schreiben mit dem Papstamt zu verweisen.

Natürlich ließen sich nun neben diese Irritationen noch all jene beschämenden Dimensionen stellen, die unabhängig von Benedikts Pontifikat auf der „Seele der römisch-katholischen Kirche“ lasten, also zum Beispiel ihre unerwiderte Sehnsucht nach engerer Verständigung mit der orthodoxen Kirche, ihre weltweit einzuräumenden Abgründe im Blick auf den Missbrauch von Kindern durch Priester (Kalifornien und Irland), ihre Defensive gegenüber der pentekostalen Frömmigkeit in Lateinamerika, ihre europaweiten Nachwuchssorgen und Mitgliederverluste usw., aber diese weltkirchlichen Probleme sind grundsätzlich und betreffen zum Teil auch andere Kirchen.

Nimmt man daher nur jene gleichsam „hausgemachten, Irritationen“ seit Amtsantritt Benedikts XVI. in den Blick, dann bieten sich zwei grundverschiedene Deutungen an: Entweder man vermutet eine gewisse Inkompetenz der Vatikanführung, die sich zwar theologisch außerordentlich präzise und kenntnisreich zu äußern versteht, die aber die diplomatischen Empfindlichkeiten und potenziellen politischen Störungen nicht angemessen einzuschätzen vermag, oder aber man nimmt Absicht und Strategie an und vermutet, dass der Vatikan eine Distanzierungspolitik von den wesentlichen Errungenschaften des 2. Vaticanum anstrebt. Während erstere Deutung auf die entschuldigenden und relativierenden Äußerungen aus dem Vatikan selbst verweisen können, haben letztere immer wieder Fundstellen aus früheren Werken von Joseph Kardinal Ratzinger aufzubieten, die diese Kurskorrektur im Blick auf das 2.
Vaticanum belegen könnten.

Besonders imposant sind diese Belege im Blick auf die Liturgie: Das „erzwungene Angebot“ einer „forma extraordinaria“ lässt sich gerade nicht als Eröffnung einer Wahlmöglichkeit für das betende Volk Gottes verstehen, weil die Zuwendung des Priesters zum Volk ansonsten bei Benedikt XVI. durchweg als Wurzel der (liturgischen) Krise betrachtet wird. Insofern bleibt es unklar, welchen theologischen Kurs gegenüber dem 2. Vaticanum das Pontifikat Benedikts XVI. eingeschlagen hat. Und eben dies sorgt für eine Verunsicherung, die sich auch in der Situation der deutschen Katholiken widerspiegelt.

3. Auswirkungen auf die innerdeutsche Ökumene

Die Verunsicherungen in der Weltkirche spiegeln sich auch in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland wider; auch hier lassen sich einige irritierende Phänomene in Erinnerung rufen:

Der Wechsel im Vorsitz der Deutschen Bischofskonferenz war ein Überraschungsakt, der den Erzbischof von Freiburg an die Spitze der Bischofskonferenz als einen umstrittenen und daher geschwächten Kandidaten kennzeichnete. Seine ersten Aussagen in den Interviews musste er bald zurücknehmen, er ist insgesamt sehr viel vorsichtiger geworden, eine orientierende und prägende Kraft geht nicht von ihm aus.

Bei der Einführung von Bischof Marx als Erzbischof in München und Freising sind erstmals in der Geschichte der Deutschen Bischofskonferenz keineswegs alle bayerischen Bischöfe zugegen gewesen; ein Hinweis auf ernste Differenzen im deutschen Episkopat.

Der Wechsel an der Spitze des Zentralkomitees der deutschen Katholiken vom Präsidenten Hans Joachim Meyer zum designierten Nachfolger Heinz Wilhelm Brockmann scheiterte erstmals in der Geschichte der deutschen Bischofskonferenz an einer fehlenden 2/3 Mehrheit.

Die katholische Universität Eichstätt bemüht sich seit mehr als einem Jahr, einen Präsidenten zu finden; der erste Kandidat wurde von dem zuständigen Bischof Hanke nicht akzeptiert, der zweite Kandidat (aus den USA) nahm die auf ihn gefallene Wahl nicht an.

Die Aufhebung der Exkommunikation der Bischöfe der Bruderschaft Pius X. – besonders von Bischof Williamson hat zu tiefen Irritationen im deutschen Katholizismus geführt, Selten hat dieser sich so frühzeitig, einhellig und eindeutig von einer Entscheidung des Vatikans distanziert.

Neben diesen vielleicht noch als „handwerkliche Fehler“ und „vorübergehende Irritationen“ deutbaren Ereignissen finden sich einige Indizien, die auf grundlegendere Unsicherheiten hinweisen:

So ist die römisch-katholische Kirche in Deutschland gegenüber dem von der evangelische Kirche ausgerufenen und in Ansätzen transparent geplanten Reformationsjubiläum 2017 und der auf dieses Datum hinführenden Lutherdekade (einschließlich ihrer Jahresthemen) doch insoweit irritiert, als sie keinen Ort für sich selbst in diesem Reformationsgedenken erkennen kann.

Sie fürchtet zu Unrecht eine antikatholische Profilierung. Soweit diese Irritation an der sich erst allmählich klärenden Konzeption der Lutherdekade und der Jubiläumsgestaltung liegt, kann man eine gewisse Verunsicherung verstehen. Soweit diese aber auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die Kirchen der Reformation ihre Entstehung überhaupt zu würdigen und zu feiern gedenken, zeigt es einen etwas angstvollen ökumenischen Partner.

Die intellektuelle und positionelle Präsenz in gesellschaftlich relevanten und politisch heiklen Fragen wird in den letzten Jahren deutlich von der evangelischen Kirche dominiert und geprägt. Die inhaltliche Profilierung der christlich-kirchlichen Positionen im Diskurs der Gesellschaft verantwortet nicht selten die evangelische Kirche, die zum Teil aufgrund ihrer Flexibilität auch gemeinsame Positionen mit der römisch-katholischen Kirche modifiziert hat, um nicht in eine prinzipielle Verweigerung gegenüber neueren Entwicklungen und Einsichten zu geraten (Stichwort Stichtagsverschiebung). In den Augen der römisch katholischen Geschwister sieht dies mitunter aus wie ein „unsicherer Kantonist“, im Selbstverständnis der evangelischen Kirche ist die Lernbereitschaft und Kompromissfähigkeit im Blick auf das relativ Beste stärker ausgeprägt.

Die pastoralen Herausforderungen einer schrumpfenden Kirche sind in der römischkatholischen Kirche mindestens so groß wie in der evangelischen Kirche. Doch ist der Umgang damit sehr verschieden: Während die evangelische Kirche einerseits in einer großangelegten und offenen Diskussion über den notwendigen Reformprozess ein transparentes und strategisch unter den Landeskirchen abgestimmtes Vorgehen anstrebt, handelt im römisch-katholischen Bereich jede Diözese für sich und bestärkt damit ein eher diffuses Bild in der Öffentlichkeit. Während manche Diözese radikale Schnitte vornimmt und die Schaffung von pastoralen Räumen mit der Schließung von vielen kleinen Gemeinden verbindet, suchen andere Diözesen das Gespräch mit allen Engagierten. Die Verunsicherung durch diese sehr unterschiedlichen Modernisierungsbemühungen kann kaum überschätzt werden.

4. Resümee

Versucht man nun diese verschiedenen Phänomene als Ausdruck einer zugrundeliegenden Situation zu interpretieren, kann man sich dem Gedanken kaum entziehen, dass der deutsche (ebenso wie der weltweite) Katholizismus erhebliche Mühe hat, die notwendigen und unabwendbaren Pluralisierungen intern aufzufangen und zu rekonstruieren. Die nicht bewältigte, aber wachsende interne Pluralisierung führt in der römisch-katholischen Kirche zu mindestens zwei grundverschiedenen, sich gegenseitig ausschließenden und daher auch massiv bekämpfenden Richtungen auf allen Ebenen:

Auf die wachsende Pluralisierung kann man entweder durch Profilierung der Grenzen oder durch Weitung der Zugänge reagieren. Beide Strategien sind keine Garantie für die Integration der Pluralität, insofern sie beide echte Risiken in sich bergen:

Während die Profilierung immer auch eine Ab- und Ausgrenzungsstrategie ist, bietet die Öffnung für die Pluralität die Gefahr einer Diffusität. Die innere Konfliktlinie auch des deutschen Katholizismus dürfte an dieser Linie entlang laufen: Die vorläufig noch in der Minderheit seiende Richtung, die eine Rückkehr „hinter das Vaticanum II“ für eine angemessene Profilierungsstrategie hält, und die gegenwärtig wohl noch die Mehrheit habende Richtung, die geprägt von Kardinal Lehmann die Errungenschaften des 2. Vaticanums für eine unaufgebbare Öffnung der katholischen Kirche für die Gegenwart hält.

Entsprechend zu diesen Einschätzungen kann die eine Seite davon sprechen, dass das 2. Vaticanum keine Neuerung gegenüber der Tradition sei (Bischof Müller), während die andere Seite eben dieses 2. Vaticanum als eine wesentliche Neuausrichtung der römisch-katholischen Kirche verteidigt (Kardinal Lehmann).

Das Ringen dieser beiden Positionen bzw. Strategien wird das Verhältnis der römischkatholischen Kirche zur evangelischen Kirche in Deutschland auch in naher Zukunft prägen. Wie ein angeschlagener Boxer wird die katholische Kirche schwanken zwischen öffnenden Gesten und ruppiger Abgrenzung, zwischen ökumenischen Einladungen und profilierender Abgrenzung. Da die evangelische Kirche dieses interne Ringen zwischen Profil und Öffnung ebenfalls sehr gut kennt, wird sie Verständnis und Geduld für die römisch katholischen Geschwister aufbringen und mit Dankbarkeit die Gesprächsfäden aufgreifen, die sich anbieten (zum Beispiel nicht nur die Vorbereitung des 2. Ökumenischen Kirchentags, sondern auch die bilateralen Lehrgespräche zwischen der VELKD und der DBK).

Zugleich aber wird die evangelische Kirche sich daran erinnern, dass sie etwas erfahrener ist in der Anerkennung der Verschiedenheit und in der gegenseitigen Achtung des Unterschiedenen, so dass sie gelassener im Umgang mit Vielfalt und Pluralität ist. Sie wird aber auch nicht vergessen, dass sie grundsätzlich in dem gleichen Dilemma zwischen Profilierung und Öffnung steckt und durchaus Jahre hinter sich hat, in der sie ähnlich wie die römisch-katholischen Geschwister gegenwärtig schwere innere Zerreißproben zu bestehen hatte. Einen Grund zur Überhebung hat sie daher auf keinen Fall, denn eine verunsicherte römisch-katholische Kirche schwächt das gemeinsam Christliche in einer Gesellschaft, die sich nach Geborgenheit und Zuversicht sehnt in Zeiten der Sorgen.

i.v. gez. Thies Gundlach

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