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Patriarch spricht vor DBK über Situation der Kopten in Ägypten

17. März 2011 in Weltkirche, 1 Lesermeinung
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Kardinal Naguib über die Sorgen der Ägypter: Die ägyptische Revolution könnte von Islamisten für ihre Zwecke beansprucht werden und die Scharia könnte zur Diskriminierung von Kopten und Frauen benutzt werden.


Paderborn (kath.net/dbk) Während der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Paderborn hatte gestern das Oberhaupt der koptisch-katholischen Christen von Ägypten, Antonios Kardinal Naguib, über die Lage in seinem Heimatland informiert. Kardinal Naguib ist Patriarch von Alexandrien und leitet die mit Rom unierte Ostkirche. Während der Revolution in Ägypten war er im Land und erlebte den Umsturz und die neue Situation für die christliche Minderheit.

Kath.net dokumentiert die Rede von Kardinal Patriarch Antonios Naguib, Patriarch von Alexandrien der koptisch-katholischen Kirche, am 16.3.2011 vor der Deutschen Bischofskonferenz in voller Länge:

„Ägypten heute, gestern und morgen“

Was ist geschehen? Lassen Sie uns zuerst über das heutige Ägypten reden. Ägypten, Erbe einer 7000 Jahre alten Zivilisation, hört nicht auf, seine Geschichte zu schreiben, indem eine neue Seite geöffnet wird, die hoffentlich hell und strahlend sein wird. Ein großes Ereignis, das zuerst Ägypten überraschte und erstaunte und danach die ganze Welt. Alles begann mit der Facebookseite „We are all Khaled Said“, gegründet vom 30jährigen Cyberaktivisten Wael Ghoneim, Marketing Direktor für Google im Mittleren Osten. Der Name dieser Seite bezieht sich auf einen jungen Mann, der von zwei Polizisten in Zivil vor einem Internetcafé in Alexandria festgenommen und im Juni 2010 erschlagen wurde. Die schrecklichen Bilder seines verletzten Gesichtes, die im Leichenschauhaus aufgenommen worden waren und durch zahlreiche Blogs, Aktivisten und durch die oppositionelle Presse in Umlauf gebracht worden waren, hatten eine enorme Welle der Entrüstung im Land ausgelöst, die weit über die üblichen Protestwellen hinausging.

In diesem Zusammenhang müssen wir ein Ereignis erwähnen, das diesem vorausging: die Revolution in Tunesien, auch als Jasmin-Revolution bekannt, die nach der Selbstverbrennung von Bouazizi, einem Obst- und Gemüseverkäufer, ausbrach. Zum x-ten Mal hatte man seinen Karren am 17. Dezember 2010 konfisziert. Bouazizi versuchte, seinen Fall vor der Gemeindeverwaltung und dem Gouverneursamt vorzubringen, doch er wurde beleidigt und verjagt, und ein Beamter schlug ihn und spuckte ihn an. Erniedrigt und tief verletzt zündete er sich an und rief: „Genug!“ Er wurde ins Krankenhaus gebracht und starb am 4. Januar 2011. Diese Verzweiflungstat von Bouazizi, der „lieber sterben als im Elend leben wollte“, verursachte große Wut bei den Bewohnern von Sidi Bouzid. Dutzende demonstrierten vor dem Hauptsitz des Gouverneurs. Die Protestbewegung dehnte sich spontan auf andere Gemeinden des Landes aus, trotz der Unterdrückung durch die Behörden. Den Rest kennen wir. Der ,Christian Science Monitor‘, beschreibt die Ereignisse am 6. März mit diesen Worten: „Der Schlag, den Mohamed Bouazizi von einem tunesischen Offizier erhielt, hallte in der ganzen Welt nach und entzündete die Revolutionen in der arabischen Welt“.

Zurück zu Ägypten. Auf seiner Seite rief Wael zu einer Demonstration am Dienstag, den 25. Januar, auf dem Tahrir-Platz (Platz der Befreiung) auf. Er rechnete mit 500 oder 1.000 Teilnehmern, höchstens mit einigen tausend. Aber hunderttausende Demonstranten versammelten sich auf dem Platz. Ihre Schlagworte waren zuerst ziemlich allgemein gehalten: „Brot. Freiheit. Würde“. Dann wurden in einem zweiten Schritt weitere Forderungen genannt: Aufhebung des Notstandsgesetzes, Freilassung politischer Gefangener, Ende der allgemeinen Korruption und Reduzierung der Richter in den Gerichten, Änderung der Verfassung, Rücktritt der Regierung, Auflösung des Parlamentes und des Senats, und vor allem der Rücktritt von Präsident Mubarak. Unaufhörlich riefen sie: „friedlich, friedlich“ (die Revolution). „Weder Polizei- noch Religionsstaat“. Für viele von ihnen war dies die erste Demonstration, an der sie teilnahmen.

Nachdem man sich der Bedeutung des Internet während der Proteste bewusst geworden war, sperrte das Mubarak-Regime den Zugang zum Web vom 28. Januar bis zum 2. Februar. Verdeckte Ermittler verhafteten Wael am 28. Januar, während er wie viele seiner Landsleute auf den Straßen von Kairo demonstrierte. Nach 12 Tagen wurde er freigelassen. Da man die Demonstrationen nicht für außergewöhnlich hielt, gingen politische Strukturen und die Polizei mit den üblichen Methoden gegen die Demonstranten vor: Festnahmen, Prügeln mit Schlagstöcken, Tränengas, Plastikmunition und zum Schluss Feuerwaffen. Aber nichts hielt die Demonstranten am Tahrir-Platz auf.

Der Präsident musste nachgeben. Er kündigte an, dass er im September, am Ende seiner Amtszeit, das Amt aufgeben werde. Außerdem machte er jetzt Zugeständnisse: Einsetzung einer Kommission zur Änderung der Verfassung hinsichtlich der Präsidentschaftswahlen, Überwachung der Wahlen durch die Richterschaft, teilweise Neuwahlen wegen Betrugs bei früheren Wahlen, Freilassung politischer Gefangener, Liberalisierung der Medien, Aufhebung des Notstandsgesetzes, und schließlich die Einsetzung einer Prüfungskommission zur Untersuchung der Gewaltakte vom 2. Februar, bei denen sich Demonstranten und Mubarak-freundliche Gruppen gegenüberstanden. Diese Entscheidungen und Mubaraks Rede berührten die Herzen vieler Ägypter.

Aber alles änderte sich am Montag, dem 7. Februar, dem Tag, an dem Wael Ghoneim freigelassen wurde. Noch am gleichen Abend wurde er vom Privatsender ,Dream TV‘ eingeladen. Vor Millionen von Zuschauern berichtete er mit einfachen, zu Herzen gehenden Worten von seiner Trauer, als man ihn des Verrates beschuldigt hatte, und dass er für ausländische Interessen handele, nur weil er mit einer Amerikanerin verheiratet sei. Er bekräftigte die Liebe zu seinem Land und betonte: „Wenn ich ein Verräter wäre, dann läge ich jetzt sicher eher am Pool in meinem Haus in den Emiraten“.

Auf dem Bildschirm zeigte man ihm die Bilder von Dutzenden junger Leute, die am 2. Februar durch die Kugeln oder die Schläge von Polizei und Miliz, die das Mubarak-Regime unterstützte, getötet worden waren. Er brach in Tränen aus und erklärte: „Das ist nicht unsere Schuld, sondern die Schuld derjenigen, die stur sind, und an der Macht festhalten.“ Er konnte nicht weiterreden und verließ das Studio. Die Zuschauer waren aufgeregt, in Tränen aufgelöst. Die bis dahin noch Zögerlichen beschlossen, sich der Bewegung anzuschließen. Zehntausende strömten zum Tahrir-Platz. Alle schwenkten ägyptische Fahnen und sangen und jubelten. Die Revolution erhielt einen wichtigen zweiten Impuls. Am nächsten Tag wurde Wael Ghonim auf dem Tahrir-Platz als Held begrüßt.


Wie lässt sich diese plötzliche Explosion erklären? Von nichts kommt nichts. Das heutige Ägypten entstand aus dem Ägypten von gestern. Diese Revolution ist der Zusammenbruch eines korrupten Regimes, wie ein von innen von einem Wurm zerfressener Baum, dessen äußere intakte Fassade noch nichts von seinem unmittelbar bevorstehenden Sturz ahnen lässt. Dies ist nicht neu in der Geschichte, aber niemand lernt aus den Lektionen der Vergangenheit. Das abgelaufene Regime begann 1952 mit der Revolution gegen König Farouq. Damals handelte es sich nicht um eine Volksrevolution, sondern um einen Militärputsch. 1956 begründete Gamal Abd El-Nasser eine Präsidentialdiktatur, die vom Polizeiapparat unterstützt wurde. Fortgesetzt wurde diese mit Anwar El-Sadat von 1970 bis 1981, und während der 30jährigen Regierungszeit von Mubarak bis zu seinem Rücktritt am 11. Februar 2011.

Welche Faktoren haben zu diesem Ende geführt? Zuerst müssen wir die Korruption nennen, eine massive Korruption, die Geld aus dem Wirtschaftszyklus abzieht, und die durch Heirat zwischen Geld und Macht noch verstärkt und ausgeweitet wird. Minister wurden Geschäftsleute und Geschäftsleute wurden Minister. Beide häuften Autorität und Reichtümer an und erließen Gesetze, die auf ihre persönlichen Interessen und Privilegien zugeschnitten waren, und die Familienmitgliedern und Freunden zu mehr Vermögen verhalfen. Dies führte dazu, dass nur eine kleine Hand voll Leute ein Monopol auf Industrie und Land hatten. Die Politik der Privatisierung war ein Fluch für das Land und im Interesse der Mittelsmänner, Minister und Unternehmer. Offiziell besitzen 20 % der Bevölkerung 40 % des Staatsvermögens. In Wirklichkeit besitzen nicht mehr als 10 % der Bevölkerung 70 %. Das veraltete System nutzte der politischen und wirtschaftlichen Elite.

Die Mehrheit der Menschen leidet unter Armut und lebt zum Teil im Elend. Über 40 % der Bevölkerung, das sind 85 Millionen Menschen, leben unterhalb der Armutsgrenze ($ 2 pro Tag). Unkontrolliert und stetig stiegen die Preise, selbst für Grundnahrungsmittel, in den letzten 10 Jahren um 4 % pro Jahr. Die Lage der Armen, d. h. der Mehrheit der Bevölkerung, hat sich verschlechtert, zumal Ägypten von Importen abhängig ist und z. B. 55 % seines Weizens importieren muss.

Die Gründe für soziale Probleme sind sehr klar. Ein Bevölkerungswachstum von 2 % pro Jahr, oder eineinhalb Millionen Menschen. Arbeitslosigkeit ist weit verbreitet, besonders bei jungen Leuten, die deshalb nicht in der Lage sind, ein bezahlbares Zuhause zu finden und eine Familie zu gründen. Sie haben kaum Hoffnung für die Zukunft. Gesundheits- und Bildungssektor sowie die Infrastruktur befinden sich in einem schlechten Zustand. Der Staat gibt nur 3 % seines BIP für die Bildung aus, was extrem wenig ist. Staatliche Bildung und Erziehung sind ein bildungspolitisches und finanzielles Desaster. Schulen und private Universitäten haben sich zu einem profitablen Geschäftszweig entwickelt, wobei auf das Bildungsniveau nicht allzu großer Wert gelegt wird. Offiziell sind Schulen und staatliche Universitäten gebührenfrei, aber tatsächlich kosten sie ein Vermögen, da die Menschen Privatunterricht bezahlen müssen.

Die staatlichen Krankenhäuser befinden sich ebenfalls in einem katastrophalen Zustand, und die privaten Kliniken und Krankenhäuser sind sehr teuer. Für das öffentliche Transportwesen war viel investiert worden, aber alles wurde vernachlässigt. Die Leistungen der öffentlichen Versorgungsbetriebe sind teuer und schlecht. Steuern steigen ständig, ohne dass ein Nutzen erkennbar ist. Die Korruption hat alle Bereiche durchdrungen. Ich habe mich schon einmal dazu geäußert, als ich sagte, dass ich selbst das kleinste Recht, wie eine Unterschrift unter ein Dokument, kaufen muss.

Zu all dem kommt noch ein frustrierendes und erstickendes politisches Klima. Die Freiheit der Bevölkerung wurde eingeschränkt und Gesetze wurden eingeführt, die den Schutz und den Bestand der Macht und des Regimes garantierten. Enorme Machtbefugnisse der Staatssicherheit und der Polizeikräfte, die ihre Macht häufig missbrauchten, und die von der Ernennung eines Beamten bis zur Renovierung einer Kirche alles entschieden. Abschaffung von politischer Bildung in Schulen und Universitäten. Verbot sämtlicher politischer Aktivitäten in diesen Institutionen. Fälschung von Parlamentswahlen, besonders bei der vergangenen von November-Dezember 2010, bei der die Muslimbrüderschaft von 88 Sitzen nur noch einen erhielt. Pressefreiheit, die aber beim Präsidenten und seiner Familie endete. Schändliche Syndikate.

All dies konnte nur eine unvermeidbare Explosion herbeiführen, aber man hat sie nicht so schnell erwartet, vor allem nicht bei der jungen Generation, die auf der sozialen und politischen Bühne nicht vertreten war. Das war es, was die ganze Welt erstaunte und verwunderte, angefangen bei der ägyptischen Macht und dem Regime, das auf seine Polizeimaschinerie vertraute.

Soviel zu gestern und heute.
Was ist mit morgen?

Was wir am dringendsten benötigen ist eine Regierungsreform, die jedem Einzelnen Verantwortung überträgt und jeden Staatsbeamten, einschließlich Regierungschef und Minister, verpflichtet, vor dem Parlament Rechenschaft gegenüber dem Volk abzulegen. Als nächstes sollten die Armut bekämpft und das Lohnsystem geändert werden. Ein Beamter verdient im Durchschnitt 400 Ägyptische Pfund (50 Euro) pro Monat, während die Lebenshaltungskosten bei 1.200–1.500 LE (250–300 Euro) liegen.

Junge Leute, Arbeiter, Angestellte und Angehörige des Militärs fordern Lohnerhöhungen. Die zu ergreifenden Maßnahmen müssen zeigen, dass sich die Dinge ändern und die Zeiten der vertikalen Struktur vorbei sind. Die kommenden Monate werden entscheidend sein. Wenn der Übergang gut vorbereitet wird, kann ein moderner, demokratischer Staat mit größerer wirtschaftlicher Gerechtigkeit entstehen. Die Verfassungsreform war nicht sehr weitreichend und betraf nur die Artikel über die Präsidentschaftskandidatur, die Dauer der Amtszeit und die Überwachung der Wahlen durch die Gerichte. Viele fordern eine komplette Verfassungsänderung, die wahrscheinlich nach der Übergangsphase erfolgen wird.

Ernsthafte Reformen müssen eingeführt werden. So bald wie möglich muss ein echtes und wirksames Gewerkschaftssystem aufgebaut werden. Das Stadium der freien Meinungsäußerung wurde bereits erreicht. Die Mauer des Schweigens, der Angst und der Resignation wurde zerstört. Gegenwärtig befinden wir uns in der Aufbauphase, die noch schwieriger ist und Zeit und Arbeit erfordert. Dem Glanz des alten Ägypten muss von der jungen Generation des 25. Januar neuer Glanz für die Gegenwart und Zukunft gegeben werden.

Wie ist die Revolution der Jugend zu bewerten? Wie bei allem gibt es auch hier positive und negative Seiten.

Die positive Seite ist das Wiedererwachen der Seele Ägyptens, die stumm und erstarrt schien. Wenige Wochen vor dem Ausbruch der Revolution am 25. Januar sagte mir ein Geschäftsmann: Ich kann praktisch alles über den Innenminister bekommen, solange er da ist, kann niemand etwas ändern. Davon war jeder überzeugt. Aber die Revolution hat gezeigt, dass die Worte des tunesischen Dichters AboulKasem ElShabi (1909–1943) wahr sind. Diese Worte wurden zum Schlagwort der Revolutionen in den Ländern unserer Region: „Wenn die Menschen eines Tages leben wollen, muss das Schicksal reagieren, die Nacht muss weichen und die Ketten müssen gesprengt werden.“ Die Revolution hat ein neues nationales Reformbewusstsein geweckt. Sie hat über den Film der militärischen Präsidentialdiktatur den Vorhang fallen lassen, bei dem das nächste Kapitel mit der Nachfolge von Gamal Mubarak schon vorbereitet war. Wir hatten es schon definitiv vor Augen.

Eine Revolution war nötig, um das Edle und Schöne der ägyptischen Seele wieder zu entdecken. Wir erlebten, dass die Ägypter für eine gemeinsame Sache und ein gemeinsames Ziel zusammenfanden: für Freiheit, Würde, Gleichheit und Gerechtigkeit. Die religiösen Unterschiede trennten und entzweiten uns nicht mehr. Junge Muslime und Christen kamen auf dem Tahrir-Platz (Platz der Befreiung), zusammen, stellten die gleichen Forderungen und riefen die gleichen Schlagworte wie zum Beispiel ,Nationale Einheit für Muslime und Christen‘. Nach dem schmählichen Rückzug der Polizei am Freitag, dem 28. Januar, haben sich die Männer der ,Volkskomitees‘, Jugendliche und Erwachsene, Christen und Muslime, in allen Straßen zusammengeschlossen, um die Menschen und das Eigentum zu schützen und zu verteidigen, und das mehr als zwei Wochen lang. Sie hielten gemeinsam Wache, tranken aus der gleichen Flasche und aßen die gleichen Sandwiches.

Auf dem Tahrir-Platz wurden muslimische und christliche Gebete gesprochen. Weder Kirchen noch Moscheen wurden zerstört. Scheichs und Priester trafen sich auf dem Tahrir-Platz. Dieser Platz wurde ein Symbol für die wieder entdeckte Seele, die hoffentlich unvergänglich ist. Hier und an anderen Orten hat das Blut vieler junger Männer und Frauen, unschuldige Opfer, den Baum der Freiheit gewässert. Es ist leicht, einen Revolutionär zu töten, aber sehr schwierig, eine Revolution aufzuhalten. Die weiß-schwarze ägyptische Fahne hat ihre wahre Bedeutung erlangt: eine weiße Revolution gegen die schwarze Ungerechtigkeit. Revolutionen sind die Lokomotiven, die den Zug der Geschichte ziehen. Kurzum, seit der nationalen Befreiungsrevolution von 1919 ein nie dagewesenes Ereignis.

Auf der negativen Seite sind zuerst die Profitmacher zu nennen, die aus den besonderen Umständen einen Vorteil ziehen wollen. Nachdem der Erfolg der Bewegung feststand, sind Personen und Kräfte aufgetaucht, die vorher gar nicht in Erscheinung getreten waren, und jetzt das Geschehen sogar bestimmen. Am auffälligsten ist die Muslimbruderschaft, die anscheinend die Revolution für sich beanspruchen will. Ein beunruhigender Aspekt ist, dass Menschen kategorisiert und ausgeschlossen werden: wer nicht für uns ist, ist gegen uns, vor allem, was die aktuellen Forderungen betrifft. So wurden zum Beispiel Forderungen laut, einige bedeutende Personen ihres Amtes zu erheben, nur weil sie dem Vorgängerregime angehört hatten, auch wenn sie hochqualifiziert und hoch angesehen sind, wie etwa der frühere Premierminister Ahmed Shafiq.

Ein wesentlicher Schwachpunkt beim Aufstand der Jugend ist die fehlende Struktur. Es gibt keine Führer, die die ungestümen Kräfte lenken können, keine klaren und genauen Ziele, kein wirkliches Programm, das prioritäre Aufgaben und Maßnahmen aufzeigt. Deshalb forderten die Demonstranten die unmittelbare Erfüllung all ihrer Forderungen, was den Obersten Rat der Streitkräfte, der derzeit das Land regiert, unter großen Druck setzte. Ebenso die Regierung, die angegangen und umgestaltet wurde und schließlich zurücktrat. Eine neue Regierung wurde gebildet. Sehr beunruhigend ist, dass diejenigen, die am Tahrir-Platz saßen und deren Identität und Absichten unbekannt sind, jetzt wichtige Entscheidungen treffen.

Der Einsatz der Polizei mit dem Ziel, die Revolution im Keim zu ersticken, und dann ihr völliger Rückzug hat die Ablehnung und den Hass gegen sie nur geschürt. Sie verlor so viel Ansehen, Achtung und Autorität, dass sie es jetzt nicht mehr wagt, bei Straftaten einzuschreiten und gegen die Täter vorzugehen. Kriminelle, die aus den Gefängnissen ausgebrochen sind, und Herumtreiber in den Städten, vor allem in den armen und dicht besiedelten Stadtvierteln, greifen Menschen an und plündern Geschäfte am helllichten Tag und auf offener Straße. Wir leiden unter einem beängstigenden Mangel an Sicherheit. Die Polizei muss unbedingt wieder aktiv werden, aber auf eine andere Art und Weise als früher.

Durch Vandalismus wurden viele öffentliche und private Einrichtungen zerstört. Viel Kapital und Investitionen gingen verloren. Besonders betroffen waren die Symbole des unterdrückenden und provokativen Regimes: Gefängnisse, Polizeiwachen, der Hauptsitz der Nationalpartei, Banken, Einkaufszentren und Geschäfte. Leider hemmt all dies die Entwicklung der Wirtschaft, die schon am Boden liegt. Arbeitslosigkeit zählte schon zu den Hauptproblemen des Landes. Sie wird noch steigen, wenn Millionen von meist ungelernten Arbeitern aus Tunesien, Libyen und Jemen zurückkehren. Das heißt, das viele Familien keinen Ernährer haben werden.

Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen, etwa mit der Forderung nach höheren Löhnen und nach der Lösung aller Probleme, die sich in den letzten Jahrzehnten angesammelt haben. Produktions- und Dienstleistungssektor liegen brach, obwohl eine wirtschaftliche Gesundung dringend notwendig ist. Das Land hat lange unter der eingeschränkten Freiheit und Demokratie sowie unter dem nicht erfolgten Machtwechsel gelitten. Dies könnte dazu führen, dass gute Maßnahmen und Personen abgelehnt werden, ohne logischen Grund oder Nutzen für das Land, auf die Gefahr hin, dass man in einen Strudel ständiger Ablehnung gerät, die eine Rückkehr zu Stabilität, Ordnung und Produktivität verhindert. Davon profitieren könnten Kräfte, die schon auf der Lauer liegen, besonders die Muslimbruderschaft und die Repräsentanten des alten Systems.

Angesichts der Unruhen in den Ländern unserer Region fragen wir uns wie die Zukunft des Mittleren Ostens aussehen wird. Viele antworten: entweder demokratisch, und das hoffen wir, oder islamisch. Wir sind überrascht und enttäuscht über die Haltung der Vereinigten Staaten und über die wiederholten Erklärungen des Präsidenten und des Weißen Hauses, dass Amerika zu den Siegern stehen wird und bereit dazu ist, mit islamischen Regierungen in Nordafrika und im Mittleren Osten zu verhandeln. Wie ist das mit der Aussage zu vereinbaren, dass Demokratie, Gleichheit und Gerechtigkeit erreicht werden sollen?

Befürchtungen: Hier möchte ich gerne Bezug nehmen auf einen Artikel in der koptisch-orthodoxen Wochenzeitung ,Watani‘ vom Sonntag, dem 6. März: „Jetzt nach dem Ende der reinen, weißen Revolution haben Verwirrung und Unruhe Einzug gehalten. Ich glaube, dass kein Grund zu übergroßer Freude besteht. Es ist an der Zeit, hart zu arbeiten und unser Möglichstes dafür zu tun, den Wiederaufbau und die Produktion voranzutreiben, Demokratie und Verantwortlichkeit zu fördern. Ansonsten wird die Revolution bittere Früchte tragen.

Die ursprünglichen Ziele der Revolution waren der Aufbau einer modernen Zivilgesellschaft, Ausrottung der Korruption und Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit. Dies sind edle, lang ersehnte Ziele, aber wenn wir nicht hart daran arbeiten, sie in die Praxis umzusetzen, dann werden sie nur leere Worthülsen bleiben. In der ägyptischen Geschichte wurden solche Schlagworte auch schon früher ausgerufen, aber da man sich nicht ernsthaft um deren Umsetzung bemüht hatte, wurden sie zu Kräften, die den islamistischen Bewegungen zu einer immer breiteren Basis verhalfen. Frühere Rufe nach Wohlstand führten zu Reichtum und Luxus für eine Minderheit und zu Armut für die Mehrheit.

Die aktuelle Lage in Ägypten beunruhigt uns. Erstens könnten die übertriebenen Forderungen verschiedener Kreise der Gemeinschaft das Ergebnis der Revolution zunichte machen und das Vertrauen zwischen der revolutionären Jugend und dem Militär untergraben.

Zweitens könnte die Revolution von bestimmten politischen oder islamistischen Bewegungen für ihre Zwecke beansprucht werden. Viele von ihnen stehen schon in den Startlöchern, um sich ein Stück vom Kuchen zu sichern.

Drittens könnte der zweite Artikel der Verfassung, in dem es heißt, dass Ägypten ein islamischer Staat und die Scharia maßgebend für die Gesetzgebung ist, zur Diskriminierung von Kopten und Frauen benutzt werden.

Unsere größte Sorge liegt darin, dass die Errungenschaften der Revolution verlorengehen könnten, da es kein System gibt, um Abweichungen vom Pfad der Revolution aufzuspüren.

Wir hoffen, dass alle Ägypter — unabhängig von Religion, Geschlecht oder Rasse — durch wahre Demokratie ihre politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ambitionen verwirklichen können. Erst dann können wir uns wirklich freuen.“

Wie kann man dazu beitragen, dass Ägypten einen positiven und wirkungsvollen Prozess zum Aufbau eines zivilen und demokratischen Staates einleiten kann?

Dazu einige Anregungen: Unterstützung der Bewegung und der Bemühungen, die Bürger am politischen Leben teilhaben zu lassen. Unterstützung bei der staatsbürgerlichen und politischen Bildung der Menschen, die lange von allem ausgeschlossen waren, damit ein Klima von echter Demokratie, Freiheit, Akzeptanz und Respekt für Unterschiede geschaffen werden kann. Hilfe zur Verbesserung der Infrastruktur und des Bildungswesens, beim Aufbau des Gesundheitswesens, des Transportwesens, beim Wohnungsbau und im Dienstleistungssektor. Stärkung der Landwirtschaft, damit die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten reduziert wird. In diesem Zusammenhang sollten auch Projekte unterstützt werden, die landwirtschaftliche Nutzflächen verbessern und vergrößern. Unterstützung verdient auch das vom Nobelpreisträger Dr. Ahmad Zoueil initiierte Projekt „Corridor of Development“. Gefördert werden sollte auch wieder der Tourismus, einer der Eckpfeiler unserer Wirtschaft. Das sind die Bereiche, die neue Wege der Hoffnung auf eine bessere Zukunft erschließen, und tausende von Arbeitsplätzen schaffen.

VIELEN DANK für Ihre Unterstützung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. VIELEN DANK für Ihre Aufmerksamkeit



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Lesermeinungen

 Juditha 17. März 2011 
 

Zusammenhalt

Stehen wir als Christen fest zusammen, egal welche Unterschiede bestehen. Schauen wir auf das, was uns im Glauben an Jesus Christus verbindet. Das stärkt uns im Geist der Kraft, der Liebe und Besonnenheit. Ich freue mich sehr, dass die koptischen Christen in S.E. Kardinal Naguib, von der kopt.-kath. Kirche einen Fürsprecher vor unseren Bischöfen hat!


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