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Angela Merkels politisches Christentum

20. Juli 2017 in Kommentar, 3 Lesermeinungen
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„Wie seit geraumer Zeit mit christlichen Traditionsbeständen aufgeräumt wird, hätten sich die Gründer der CDU nicht vorstellen können. Was etwa macht die CDU ‚christlicher‘ als die anderen Parteien?“ Gastbeitrag von Wolfgang Ockenfels


Berlin (kath.net) Frau Angela Merkel ist nicht identisch mit der CDU, aber sie hat sich die Partei weithin untertan gemacht. Als die „Volkspartei der Mitte“, wie sie sich in ihrem Grundsatzprogramm nennt, war die CDU nie mit der alten, katholisch dominierten Zentrumspartei identisch, sondern wollte die christlichen Konfessionen übergreifen und damit politisch stärken. Aber wie seit geraumer Zeit mit christlichen, nicht „nur“ katholischen Traditionsbeständen aufgeräumt wird, hätten sich die Gründer der CDU nicht vorstellen können. Was etwa macht die CDU „christlicher“ als die anderen Parteien?

Modernisierte CDU

Manche CDU-Mitglieder haben das bange Gefühl, ihrer Partei könnte dasselbe Schicksal widerfahren wie dem Kölner Stadtarchiv am 3. März 2009. Es brach zusammen aus Unachtsamkeit, nicht bösem Willen. Man wollte nur etwas untertunneln und modernisieren, um den Verkehr zu beschleunigen. Aber man tat nichts zur Absicherung der Fundamente. So sanken die Zeugnisse der Geschichte in Trümmer und lassen sich nur mühsam retten. Einige Dokumente hatte man vorher in ein kirchliches Museum ausgelagert, dort sind sie sicher aufgehoben. Wenigstens wurde der Nachlaß Adenauers geborgen. An sein Erbe und seine Erfolge wieder anzuknüpfen, dürfte für die CDU weit schwieriger sein als die Rekonstruktion historischer Dokumente.

Es sollte die CDU/CSU in tiefe Nachdenklichkeit stürzen, daß sie ihre treuesten Wähler, die praktizierenden Christen, seit längerem und zunehmend vergrault hat. Viele kirchlich gebundene Christen gehen gar nicht erst zur Wahl. Oder sie suchen oder wählen schon aus Trotz und Protest gerade jene Alternative, vor der einige Bischöfe ohne hinreichende Argumente gewarnt haben. Aber parteipolitische Meinungsäußerungen und Verdammungsurteile vonseiten kirchlicher Amtsträger werden von den „mündigen Laien“ nicht mehr gläubig hingenommen – wie noch in den fünfziger Jahren, vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

Die Auszehrung christlicher Substanz in der CDU-Programmatik ist ein schleichender Prozeß, der nicht erst mit der Vorsitzenden begonnen hat. Die Partei entfremdet sich seit Jahrzehnten von ihrer eigenen Tradition und verliert damit ihre C-Identität. Was vom „C“ übrig bleibt, ist der schwache Aufguß dessen, was man „christliches Menschenbild“ nennt. Das sind rhetorische Beschwörungen hehrer „Werte“ wie Menschenwürde, Ehe und Familie. Deren (natur)rechtlich-institutionelle Bedeutung wird aber weithin verkannt. So folgte im Regierungsprogramm der Union aus der „ungeteilten Menschenwürde“, die auch den Ungeborenen zukommt, nicht etwa die rechtliche Konsequenz eines verstärkten Lebensschutzes.

Unter dem strengen Regiment der Vorsitzenden ist die Freiheit der innerparteilichen Diskussion schon nach dem schlechten Wahlergebnis von 2005 stark eingeengt worden. Zeitgeistbeflissenheit beherrscht das Feld und verdrängt die nüchterne Ursachenanalyse wie auch die Erfahrungen der Wertkonservativen. Diese finden aber immer noch Anklang bei der Jungen Union, in der wachsenden Senioren-Union sowie beim Mittelstand. Und die „Christdemokraten für das Leben“ sorgen sich um das Lebensrecht von Jungen und Alten; sie wehren sich gegen ein „Recht“ auf Abtreibung und Euthanasie. Hingegen sind die einstmals von der Katholischen Soziallehre geprägten Sozialausschüsse, also der früher von Hans Katzer und Norbert Blüm repräsentierte „linke Flügel“ der Partei, völlig abgetaucht, so als gäbe es keine „sozialen Fragen“ mehr, die im Zusammenhang mit den vielfältig angestauten Krisen in Europa und der Welt zu lösen wären. Und zwar nach der Logik der Subsidiarität.

Wohin Angela Merkel die CDU künftig noch steuern will, bleibt ein Rätsel. Ihr Kurs hat bisher stark geschlingert, eine klare wertkonservative und ordnungspolitische Linie war kaum zu erkennen. Der merkliche Rückgang der CDU ist freilich nicht allein der Vorsitzenden in die Schuhe zu schieben, sondern einem großen Teil der etablierten Partei-Elite. Die hat sich als sehr wackelig erwiesen, nachdem man einige aufrechte Stützen und stabile Träger entfernt hatte.

„Modernisierung“ ist, seitdem Frau Merkel die Richtlinien von Partei und Regierung bestimmt oder wenigstens zu verantworten hat, das programmatisch universale Schlagwort, mit dem sich jede Kritik niedermachen läßt. Zur „Modernisierung“ gibt es angeblich „keine Alternative“ – und im „Kontext der Globalisierung“ und des „Wertewandels“ läßt sich alles bequem relativieren, wird jeder „Fortschritt“ als „Anschluߓ an einen formalen Universalismus und Kosmopolitismus gepriesen, der sich mit beliebigen Inhalten füllen läßt. Normative, religiös oder kulturell tradierte Ordnungsbilder geraten dabei leicht unter die Räder (oder an die „rechten Ränder“) eines politisch gesteuerten Diskurses, der willkürlich die Grenzen des Erlaubten festlegt. Christlich vorgegebene, national oder europäisch vermittelte Identitäten und Traditionen haben unter dieser Ägide nur eine geringe Chance, sich bemerkbar zu machen. Sogar innerhalb der Kirchen, die sich dem Modernisierungstrend anpassen, um den eigenen öffentlichen Bedeutungsschwund zu kompensieren.

Merkel bekennt sich

„Neugierig, offen, tolerant und spannend“ möge ihr Land in 25 Jahren sein, beteuerte die Parteiführerin auf dem Karlsruher Parteitag im Dezember 2015, also kurz nach der Grenzöffnung für die massenhafte Einwanderung, die sie inzwischen ein wenig bedauert, aber leider nicht wieder rückgängig machen kann. Eher ist zu befürchten, daß die unkontrollierte Völkerwanderung so weitergeht. „Neugierig“ wie wir sind, wüßten wir gerne etwas mehr über die Zukunft. Ob etwa die Deutschen, „diejenigen, die schon länger hier leben“, auf Dauer noch „offen“ genug sind, jeden, der sich als Flüchtling ausgibt, willkommen zu heißen, und „tolerant“ genug, jeden islamischen Scharia-Anhänger gewähren zu lassen, denn das wäre dann gewiß „spannend“.


„Neugierig, offen, tolerant und spannend“ sind Wörter aus einer pädagogisch-psychologisierenden Merkel-Rhetorik, die ihren Sinn oder Unsinn erst im konkreten Kontext offenbaren. Sie haben aber nichts mit den klassischen christlichen Tugenden zu tun, also mit Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß, die auch für christliche Politiker zu gelten hätten – und nicht nur für sie. Diese „Kardinaltugenden“, die seit Aristoteles und Thomas von Aquin Geltung für alle vernunftbegabten Wesen, sogar für Kardinäle aus Köln und München, beanspruchen, lassen sich nicht mit dem Hinweis auf die Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe außer Kraft setzen. Denn diese „theologischen“ Tugenden setzen nicht die allgemeine Vernunft, sondern den christlichen Glauben, die christliche Hoffnung und die christliche Liebe voraus, also genau das, was sie postulieren. In einer säkularen Gesellschaft mit Gewaltenteilung zwischen Glaube und Politik, zwischen Kirche und Staat, beruft man sich in der politischen Sphäre besser nicht auf diese Art von Tugenden. Denn sonst riskiert man den Vorwurf des Fundamentalismus, der unvermittelt von persönlich-religiösen Einstellungen zu politisch-rechtlichen Forderungen führt.

Was besagt die persönliche Glaubenshaltung von Frau Merkel hinsichtlich ihrer Politik? Läßt sie sich von einer gläubigen Gefühlspolitik und Gesinnungsethik leiten oder entscheidet schließlich ihre Rationalität? Wobei ihre Rationalität immer noch zu unterscheiden wäre zwischen einer bloß naturwissenschaftlich-technischen Zweckrationalität und einer Rationalität, die allgemeine Sinn- und Wertstrukturen zu erkennen vermag, wie es das abendländisch-christliche Naturrechtsdenken beansprucht.

„Sie betet fast täglich“, weiß Prälat Karl Jüsten, der das Katholische Büro in Berlin leitet. „Aber sie betet nicht für konkrete politische Inhalte. Das fände sie blasphemisch“, teilte Volker Resing der F.A.Z. am 12. 3. 2009 mit. Resing hat ein Buch geschrieben über „Angela Merkel – Die Protestantin“. Ohne freilich „zu diesem Thema“ mit Frau Merkel gesprochen zu haben. Denn für sie sei der Glaube eine „zutiefst persönliche und individuelle“ Angelegenheit. Demnach scheint der Glaube nichts mit politischen Inhalten zu tun zu haben. In der Tat legitimiert der christliche Glauben keine konkrete demokratische Politik, die nicht auch der Vernunft von Agnostikern und Atheisten zugänglich ist.

Eine CDU-Bundeskanzlerin muß sich nicht als tägliche Beterin „outen“, um akzeptiert zu werden. Auch muß sie nicht den Nachweis führen, aus einem christlichen Elternhaus und Milieu hervorgegangen zu sein. Andererseits ist der regelmäßige Besuch von Kirchen- und Katholikentagen, bei welchen Gelegenheit sie gerne die Choräle mitsingt, für Angela Merkel kein Ausweis ihrer inhaltlichen C-Politik. Ebenso wenig, daß sie im Kanzleramt gelegentlich den Besuch von Sternsingern und Bischöfen erhält. Das „C“ scheint für sie eine höchstpersönlich individuelle Frage zu sein, die aber dann doch politisch durchschimmert. Auf die letzten Fragen ihrer Politik klare Antworten zu geben, ist ihr bisher nicht eingefallen. Vielleicht liegt es daran, daß sie mehr an Physik als an Metaphysik interessiert ist.

Merkel im Clinch

Der Fehler, den Frau Merkel mit ihrer „Papst-Schelte“ begangen hat, ist nicht unverzeihlich, sondern resultierte aus der Schwäche des Opportunismus. Man wird sich noch lange an jenen denkwürdigen 24. Januar 2009 erinnern. Das war der Tag, an dem Benedikt XVI. das Dekret zur Aufhebung der Exkommunikation jener vier Bischöfe veröffentlichen ließ, die von dem französischen Erzbischof Lefèbvre unerlaubt geweiht worden waren. Dieser wichtige Schritt zur Versöhnung und Heimholung der „Bruderschaft St. Pius X.“ wurde dadurch diskreditiert, daß sich unter den Bischöfen ein Holocaust-Relativierer befand. Der britische Bischof Richard Williamson hatte – schon Monate zuvor – in einem Interview mit dem Schwedischen Fernsehen AB-SVT 1 seine verrückten Äußerungen getan. Sie wurden dem „Spiegel“, nicht etwa dem Vatikan zugespielt.
Was nun einsetzte, war eine weltweite, medial angeheizte Anti-Papst-Kampagne, an der sich besonders einige deutsche Medien beteiligten. Wie auf Kommando skandierten sie „Papst rehabilitiert Holocaust-Leugner“. So sehr steigerten sich viele Journalisten in eine moralisierende Empörung hinein, daß sie es unterließen, sich einmal bei Google über den Unterschied zwischen „Rehabilitation“ und „Aufhebung der Exkommunikation“ zu erkundigen. Sie hätten dabei leicht herausfinden können, daß Williamson jetzt zwar nicht mehr „exkommuniziert“, aber immer noch „suspendiert“ ist, d.h. kein kirchliches Amt hat.

Der „Fall Williams“ mit seinen medialen und politischen Begleiterscheinungen scheint einen psychopathologischen Musterfall darzustellen, gegen den jede theologische Aufklärung zu spät kommt. Aber Journalisten wie Politiker hätten es „eigentlich besser wissen“ müssen. Einige von ihnen haben neben ihrer Ignoranz in Fragen des katholischen Kirchenrechts auch noch böswillige Verleumdungsabsicht zu erkennen gegeben. Indem sie nämlich den Papst als rechtsradikalen Komplizen von Williamson erscheinen ließen und die ganze Pius-Bruderschaft in einen antisemitischen Kollektivschuldverdacht hineinzogen.

An dieser Insinuation hatte sich leider gerade auch Angela Merkel beteiligt. Mit beleidigter Betroffenheitsmiene meldete sie sich am 3. Februar während einer Pressekonferenz zu Wort, die sie gemeinsam mit dem Präsidenten von Kasachstan Nursultan Nasarbajew abhielt. Statt den als korrupt geltenden Diktator um eine Klarstellung zu bitten, was er von seinen Öl und Antisemitismus fördernden, den Holocaust leugnenden Kollegen in der islamistischen Welt halte, sprach sie in freier Rede Richtung Rom folgende Worte:

„Ich glaube, es ist schon eine Grundsatzfrage, wenn durch eine Entscheidung des Vatikan der Eindruck entsteht, dass es die Leugnung des Holocaust geben könnte, dass es um grundsätzliche Fragen auch des Umgangs mit dem Judentum insgesamt geht, und deshalb darf das nicht ohne Folgen im Raum stehen bleiben. Das ist auch nicht nur eine Angelegenheit – nach meiner Auffassung – der christlichen Gemeinden, der katholischen Gemeinden in Deutschland und der jüdischen Gemeinden, sondern es geht hier darum, dass von Seiten des Papstes und des Vatikans sehr eindeutig klargestellt wird, dass es hier keine Leugnung geben kann und dass es einen positiven Umgang natürlich mit dem Judentum insgesamt geben muß. Diese Klarstellungen sind aus meiner Sicht noch nicht ausreichend erfolgt.“

Diese in der Geschichte der CDU und der deutschen Bundeskanzler einmaligen Worte verdienen es, in eine Sammlung scheinheiliger Unterstellungen aufgenommen zu werden. Nicht nur, weil sie einen Papst treffen sollten, der als Völkerrechtssubjekt diplomatische Umgangsformen erwarten darf. Sondern weil sie einen Papst namens Benedikt und einen Theologen namens Ratzinger beleidigten, dessen Freundschaft zum Judentum und dessen Abscheu vor dem Holocaust über allen Zweifel erhaben ist. In der Tat haben die wichtigsten Repräsentanten des Judentums den Papst vor den gehässigen Angriffen in Schutz genommen.

Merkel in der Flüchtlingskrise

Mit der Ende 2015 emotional propagierten und überschwenglich demonstrierten „Willkommenskultur“ begann Angela Merkel ein „Spiel ohne Grenzen“, das ihr inzwischen über den Kopf gewachsen ist und ihr das Amt kosten kann. Zunächst tat sie so, als könnte diese Kultur bei 800.000 und mehr Flüchtlingen jährlich für die nächsten Jahre beibehalten und zur neuen „Leitkultur“ werden. Aber Zahl und Beschaffenheit der Flüchtlinge erreichen einen ökonomischen wie kulturellen und damit auch politischen Grenzwert. Die Beschwörung der Bundeskanzlerin „Wir schaffen das“ ist hier „wenig hilfreich“, denn ihre Anstrengung, ein „freundliches Gesicht“ zu zeigen, könnte nach der nächsten Wahl zur Grimasse erstarren.
Mit der anhaltenden Völkerwanderung schwinden leider die Chancen für berechtigte Asylbewerber, die vor politischer und religiöser Verfolgung fliehen. Eine christlich inspirierte Sozialethik hat überdies jene Gewaltprobleme und Gerechtigkeitsfragen in den Blick zu nehmen, die bei massenhaften Migrationsbewegungen gewöhnlich auftauchen. Soziale Unruhen drohen, wie uns die Geschichte vieler Einwanderungsländer mit ihren „multikulturellen“ Gesellschaften lehrt.

Auf die Unterscheidung von Max Weber zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik werden wir nun streng verwiesen. Die aber hat ihr Fundament bereits in der Theologie des Thomas von Aquin, wonach es mit gläubiger Gesinnungstüchtigkeit und interpersonalen Betroffenheit nicht getan ist. Ohne die spezifisch christliche Nächstenliebe und Barmherzigkeit gegenüber den einzelnen Hilfsbedürftigen zu schmälern: Sie setzt einen starken, tatkräftigen und enttäuschungsresistenten Glauben voraus, den der säkulare Sozialstaat nicht ersetzen kann. Pastorentöchter und ehemalige Pfarrer, die an der Spitze des Staates stehen, neigen zu einer Rhetorik der Bergpredigt, die sich für die Lösung politischer Probleme nicht eignet, sondern zur Flüchtlingskrise beiträgt.

Christlich ist es nicht, Forderungen zu erheben, die andere begleichen müssen. Der Staat etwa? Der ist an eine rechtlich-rationale Verantwortungs- und Institutionenethik gebunden, hat Ursachen und Folgen abzuwägen und rechtlich erzwingbare Entscheidungen demokratisch zu fällen. Er möge sich dabei an das klassische Völkerrecht erinnern, das noch ein Recht auf Heimat vorsah. Den Millionen Armutsflüchtlingen sollte man das Verbleiben in ihrer Heimat schmackhaft machen. Durch bessere Entwicklungshilfe etwa.

Spätestens mit dem Kölner Silvesterereignis 2015/16 ist eine Wende in der Flüchtlingspolitik der CDU-geführten Bundesregierung eingetreten. Von einer tiefgreifenden Zäsur kann aber noch keine Rede sein. Das makabre Ereignis massenhafter sexueller Übergriffe auf der Kölner Domplatte hat sich auch dank der hellen Beleuchtung, die das Kölner Domkapitel den arabisch-nordafrikanischen Straftätern gewährte, tief in das Problembewußtsein der Deutschen eingegraben. Seit dem Kölner Ereignis werden immer mehr Rechtsbrüche bekannt. Nicht nur vonseiten der Migranten, der auf sie gewalttätig reagierenden Rechtsextremen sowie der linksextremen, regierungsamtlich geförderten „Antifa“-Schläger.

Wenn schon das positive Recht gründlich mißachtet wird, so muß auch seine sozialethische Legitimation theologisch untergraben werden. Dazu scheinen moderne Theologen, einschließlich einiger Bischöfe, besonders geeignet zu sein. Das klassische vernunftbezogene Natur- und Völkerrecht weicht einer fundamentalistischen Geschichtstheologie, die in der gegenwärtigen Völkerwanderung einen göttlichen geschichtsnotwendigen Prozeß erblickt. Frau Merkel erscheint als Prophetin der göttlichen Vorsehung. Dabei spielen die Hofprediger gerne auf die eschatologische Ethik der Bergpredigt an, also auf jene radikalen Forderungen der Nächstenliebe, die sich an einzelne nachfolgebereite Christen wendet, deren Handeln durch Gnade ermöglicht wird. Hierbei wird naturrechtliche Sozialethik durch gläubige Caritas-Theologie ersetzt.

In einer säkular-pluralen Gesellschaft mit Demokratie ist diese Form politischer Theologie nicht mehr möglich. Eine erzwingbare Gnadenpolitik verstößt gegen die Freiheit der Gläubigen wie der Ungläubigen. Daß allen Menschen eine Menschenwürde zukommt, ist nicht nur für Christen selbstverständlich. Daraus ein Einwanderungsrecht für alle Notleidenden abzuleiten, ist Unsinn. Nicht der Staat ist der barmherzige Samariter, sondern die kirchliche Caritas, die auch die Kosten übernehmen sollte. Und die biblische Flucht der Heiligen Familie betraf nicht Millionen, sondern drei verfolgte Personen.

Zur Flüchtlingspolitik von Angela Merkel gibt es durchaus Alternativen, was die übrigen europäischen Staaten beweisen. Ohne die Verantwortung auf eine Türkei abzuwälzen, die ihre eigenen imperial-islamischen Interessen vertritt. Aber „der“ Islam gehört ja angeblich „zu Deutschland“ und hat nichts zu tun mit Islamismus und Terrorismus, der sich in Europa und der übrigen Welt immer grausamer austobt.

„Der Glaube kann Berge versetzen“ verkündete Angela Merkel in einem Fernsehgespräch mit Anne Will, in der sie ihre Flüchtlingspolitik verteidigte. Jedoch mir fehlt der Glaube, mit dem ich die Botschaft des Evangeliums sonst gerne höre. Sobald sie aber politische Machtansprüche betrifft, werde ich mißtrauisch. Denn die Problemberge, die sich die Bundeskanzlerin aufgehalst hat, lassen sich nimmermehr quasireligiös abtragen beziehungsweise europäisch oder sonstwie „versetzen“. Vielmehr wirft ihre „christliche“ Politik Fragen auf, die politisch wie theologisch von Belang sind.

Den Geschichtswillen Gottes kennt natürlich keiner, außer vielleicht Frau Merkel. Auf die C-Parteipolitik übertragen, läßt sich indes fragen: Wie verhält sich ihre Flüchtlings-Gnadenpolitik zum Gerechtigkeitswillen eines Gottes, dem schöpfungs- wie auch trinitätstheologisch die Ordnung näher liegt als das Chaos? Und wie läßt sich die gegenwärtig chaotische Einwanderungspolitik irgend „christlich“ rechtfertigen? Und was hat die CDU überhaupt noch mit dem Christentum zu tun, wenn sie es nicht einmal mehr mit dem christlich tradierten, d.h. vernunftbetonten Naturrecht der Gerechtigkeit zu tun haben will? Gefühlte Barmherzigkeit ohne rationale Gerechtigkeit ist nicht christlich legitimierbar, wußte schon Thomas von Aquin.

Nun gut, hier hilft nur noch beten. Aber Wunder in der Politik sind äußerst selten. Im Unterschied zu Jürgen Habermas ist Angela Merkel „religiös musikalisch“. Dabei bedient sie sich nicht einer komplexen Klaviatur, sondern der einfachen Blockflöte. Als „Mutti“ der Nation verbreitet sie gläubige Zuversicht, aber auch ständige Besorgnis. Um den „Sorgen vor dem Islam“ durch die „Pflege christlicher Traditionen zu begegnen“, lieferte Frau Merkel auf dem Sonderparteitag der CDU in Mecklenburg-Vorpommern am 22.10.2016 eine politisch-theologische Selbstoffenbarung, die an unfreiwilliger Komik kaum zu überbieten ist:

„Aber wir sind die Partei mit dem C im Namen. Haben wir eigentlich noch Selbstbewußtsein? Man muß ja nun wirklich nicht irgendwo hingehen von AfD bis Pegida, um Weihnachtslieder, christliche, singen zu dürfen. Aber wieviele von uns tun denn das noch auf ihren Weihnachtsfeiern in den Kreisverbänden? Und wo läuft da irgendwo so’n Tamtamtam und ‚Schneeglöckchen weiß Röckchen‘ oder was weiß ich, na ja, es ist auch, nein, aber ich meine, wieviel christliche Weihnachtslieder kennen wir denn noch? Und wieviel bringen wir denn noch unseren Kindern und Enkeln bei? Und dann muß man eben mal n’paar Liederzettel kopieren und einen, der noch Blockflöte spielen kann oder so, mal bitten – ja ich meine das ganz ehrlich, sonst geht uns ein Stück Heimat verloren.“

Kommentar überflüssig. Das Stärkste, was man gegen sie kritisch ins Feld führen kann, sind ihre eigenen Worte. Keine Angst vor Angie also, liebe CDU. Die gläubige Verehrung für Angela Merkel, die in großen Teilen der CDU immer noch frenetisch beklatscht wird, ist völlig unangemessen. Etwas mehr Zivilcourage könnte auch Christen in der CDU auszeichnen.

Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Kapitel von Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels: "Das hohle C. Über Angela Merkels politisches Christentum" aus dem von Philip Plickert herausgegebenen Buch: "Merkel. Eine kritische Bilanz", FinanzBuch Verlag, München 2017.

Der Dominikanerpater Wolfgang Ockenfels (Foto) ist Professor em. für Christliche Sozialwissenschaft an der Theologischen Fakultät Trier.

Bonifatius-TV - Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels: ´Gefährdete Freiheit: Freiheit zwischen Recht und Pflicht´


Foto oben: Prof. Ockenfels (c) Wolfgang Ockenfels


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Lesermeinungen

 Jan Weber 22. Juli 2017 

Bravo? Bravissime!

Ich kann Herrn Ockenfels nur für seine scharfsinnige Analyse der Situation danken. Angela Merkel vertritt einen politisierten Protestantismus, der nichts mehr mit dem Kern des Glaubens zu tun hat. Deshalb kann sie auch über Nacht ihre Meinung ändern und erst A, dann Nicht-A vertreten, wie dies schon in einigen Fällen geschehen ist (Atomkraft, Adoption für Homosexuelle, Flüchtlingskrise, etc.)
Ich vermisse ein Rückgrat, ein Einstehen für die eigenen Überzeugungen.
In meiner Kindheit gab es ein Spielzeug, eine Dose mit Schleim. Dieser glitt beim Anfassen zwischen den Fingern durch. Frau Merkels Standpunkte fühlen sich wie dieser Glibberschleim an: da ist nichts festes, da glitscht jede Diskussion durch. Das ist auch eine sehr anti-demokratische Einstellung, denn wo kein Standpunkt besteht, kann man sich auch nicht reiben, kann man nicht diskutieren.


2
 
 Chris2 21. Juli 2017 
 

@giovanni1

Die Leute wollen es doch so! 40%+x für die alternativ- und grenzenlose Kanzlerin, die Köln, div. Anschläge und Übergriffe sowie den staatlichen Kontrollverlust ganz allgemein überhaupt erst ermöglicht hat. Das ist entweder Wahnsinn oder die Lust am Untergang der Lemminge. Wenn ich nicht meinen Glauben und meine Familie hätte, wäre ich schon längst an der Menschheit verzweifelt. Schon mein Gemeinschaftskundelehrer hatte gesagt, "Es gibt keinem gesunden Menschenverstand". Niemand konnte damals ahnen, wie recht er behalten würde. Symptomatisch, dass es ausgerechnet roter (Ude) und Grüner (Palmer) Politiker bedarf (den Exoten Ismail Tipi einmal ausgenommen, der in einer eigenen Welt lebt, in der Merkel nicht vorkommt), um überhaupt Kritik an ihrem Kollisionskurs zu vernehmen...


4
 
 giovanni1 20. Juli 2017 
 

Ockenfels

Bravo,Herr Pater! Das war höchste Zeit, dass von Seiten meiner katholischen Kirche eine kritische Stimme gegen diese unsägliche Kanzlerin geäußert wird. Unsere Bischöfe (Hirten) haben längst die Herde verlassen und marschieren mit der Herrschenden. Das Land ist kaputt, die Presse ist kaputt, die Gerichte sind kaputt, die Schulen sind kaputt. Wer übernimmt Verantwortung?


13
 

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