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Die Fülle der Wahrheit und die kasuistischen Reduzierungen

20. Mai 2016 in Aktuelles, 23 Lesermeinungen
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Franziskus in Santa Marta: ‚Darf ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen?’. Man darf die Wahrheit nicht verhandeln und muss gleichzeitig Verständnis für die Sünder aufbringen. Christus verkündet die Wahrheit der Ehe. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Die Fallen im Evangelium. Jene Fallen, in die die Pharisäer und Schriftgelehrten versuchen, Jesus tappen zu lassen, um dessen Autorität und Ansehen bei den Leuten zu schädigen. Auf eine dieser Fallen konzentrierte sich Papst Franziskus in seiner Predigt bei der heiligen Messe in der Kapelle des vatikanischen Gästehauses „Domus Sanctae Marthae“ am Freitag der siebten Woche im Jahreskreis, während er das Tagesevangelium kommentierte (Mk 10,1-12). Die Pharisäer fragen Jesus: „Darf ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen?“ (V. 2).

Die Falle, so der Papst, sei die Falle der Kasuistik, die von einer „kleinen Gruppe von erleuchteten Theologen“ gestellt worden sei, in der Überzeugung, alles zu wissen und die Weisheit des Volkes Gottes zu besitzen. Eine Falle, der Jesus entkomme, indem er darüber hinausgehe, zur „Fülle der Ehe“. Dies habe er bereits in der Vergangenheit mit den Sadduzäern getan. Franziskus erinnerte an die Frau, die sieben Ehemänner gehabt habe, die jedoch im Augenblick der Auferstehung die Frau von keinem sein werde, da man im Himmel weder Mann noch Frau habe.


In jenem Fall habe sich Christus auf die „eschatologische Fülle der Ehe“ bezogen. Bei den Pharisäern dagegen gehe er zur „Fülle der Harmonie der Schöpfung“ über: „Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen ... Die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins“ (V. 6.8.).

Nicht mehr zwei, sondern eins. Daher: „Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“. Sowohl im Fall des Levirats (der Schwagerehe) als auch in diesem „antwortet Jesus mit einer klaren, erdrückenden Wahrheit, mit einer Wahrheit – das ist die Wahrheit! –, die immer Fülle ist. Und nie verhandelt Jesus die Wahrheit. Und diese da, diese kleine Gruppe erleuchteter Theologen, verhandelten die Wahrheit immer und reduzierten sie auf die Kasuistik. Jesus verhandelt die Wahrheit nicht! Und das ist die Wahrheit über die Ehe, es gibt keine andere“.

„Jesus aber“, so Franziskus weiter, „ist so barmherzig, er ist so groß, dass er nie, nie, nie die Türe vor dem Sünder verschließt“. Daher beschränke er sich nicht darauf, die Wahrheit Gottes zu verkünden, sondern frage die Pharisäer auch, was Moses im Gesetz festgelegt habe: „Sie sagten: Mose hat erlaubt, eine Scheidungsurkunde auszustellen und die Frau aus der Ehe zu entlassen“ (V. 4). Christus entgegne: „Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot gegeben“ (V. 5). Das bedeute, das Jesus immer zwischen der Wahrheit und der menschlichen Schwäche unterscheide, ohne darum herum zu reden:

„In dieser Welt, in der wir leben, mit dieser Kultur des Vorläufigen, ist diese Wirklichkeit der Sünde sehr stark. Doch Jesus erinnert an Moses und sagt: ‚Da ist die Härte des Herzens, da ist die Sünde. Etwas kann man tun: die Vergebung, das Verständnis, die Begleitung, die Integration, die Unterscheidung dieser Fälle... Doch immer... die Wahrheit aber verkauft man nie’. Und Jesus ist fähig, diese so große Wahrheit zu sagen und gleichzeitig sehr verständnisvoll mit den Sündern, mit den Schwachen zu sein“.

Dies also seien die zwei Dinge, die Jesus uns lehre: die Wahrheit und das Verständnis, das, was die „erleuchteten Theologen“ nicht könnten, wie sie in der Falle der mathematischen Gleichung des „Darf man? Darf man nicht?“ verfangen seien. So seien sie aufgrund menschlicher Schwäche sowohl für die großen Horizonte als auch für die Liebe unfähig. „Es genügt“, so der Papst abschließend, „auf die Sanftmut zu blicken, mit der Jesus die Ehebrecherin behandelt, die gesteinigt werden sollte: ‚Auch ich verurteile dich nicht. Geh hin und sündige nicht mehr“:

„Jesus lehre uns, aus dem Herzen heraus eine große Liebe zur Wahrheit zu haben, und auch aus dem Herzen heraus ein großes Verständnis zu haben und all unsere Brüder und Schwestern, die sich in Schwierigkeiten befinden, zu begleiten. Und das ist ein Geschenk, das lehrt der Heilige Geist, nicht diese erleuchteten Theologen, die es – um uns etwas zu lehren – notwendig haben, die Fülle Gottes auf eine kasuistische Gleichung zu reduzieren. Der Herr schenke uns diese Gnade“.

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