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Wer irrt?

14. November 2011 in Kommentar, keine Lesermeinung
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Durch die Rede von Papst Benedikt XVI. im Deutschen Bundestag wird wieder verstärkt über das Naturrecht diskutiert. Ein Gastkommentar von Richard Estarriol


Berlin (kath.net) In seiner ungewöhnlichen Rede zu den deutschen Abgeordneten im Bundestag hat der Heilige Vater am 22. September bedauert, daß der Gedanke des Naturrechts heute bloß wie eine katholische Sonderlehre sei, über die außerhalb des katholischen Raums zu diskutieren nicht lohnen würde.

Den deutschen Gesetzesgebern erklärte Benedikt XVI., daß dort, „wo die alleinige Herrschaft der positivistischen Vernunft gilt – und das ist in unserem öffentlichen Bewußtsein weithin der Fall –, da sind die klassischen Erkenntnisquellen für Ethos und Recht außer Kraft gesetzt. Dies ist eine dramatische Situation, die alle angeht und über die eine öffentliche Diskussion notwendig ist, zu der dringend einzuladen eine wesentliche Absicht dieser Rede bildet“.

Unter positivistische Vernunft oder Positivismus versteht man jene Lehre, die behauptet, daß die einzigen Normen, die die menschlichen Handlungen regulieren können, jene sind, welche die Menschen selbst gesetzt (positum auf Lateinisch) oder erlassen haben. Die sogenannte Naturrechtslehre dagegen geht davon aus, daß alle Geschöpfe (und auch der Mensch), gleichzeitig mit dem Sein auch mit den Regeln dieses Seins versehen sind.

In diesem Zusammenhang hatte Benedikt XVI. erwähnt, dass der große österreichische Theoretiker des Rechtspositivismus, Hans Kelsen, im Alter von 84 Jahren (1965) den Dualismus von Sein und Sollen aufgegeben habe. Mit seinen trockenen Humor hatte Benedikt der XVI. hinzugefügt: „Es tröstet mich, daß man mit 84 Jahren offenbar noch etwas Vernünftiges denken kann“. Kelsen hatte früher gesagt, daß Normen nur aus dem Willen kommen können. Die Natur könnte folglich Normen nur enthalten - so fügt er hinzu -, wenn ein Wille diese Normen in sie hineingelegt hätte. Dies wiederum - sagt er - würde einen Schöpfergott voraussetzen, dessen Wille in die Natur miteingegangen ist.


Wenn der hl. Vater sich eine weiterführende Reaktion auf seine Aussagen erwartet hatte, dann ist er enttäuscht worden, denn es ist kaum ein Echo darauf gekommen. Erst Anfang November meldete sich ein bekannter deutscher Rechtsphilosoph, Professor Horst Dreier (Würzburg), mit einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Wort (3.11.2011). „Hier irrte der Papst - Kelsen blieb bei seiner Lehre“, lautete der Titel seines Beitrages. Laut des deutschen Professors hat Kelsen den Dualismus von Sein und Sollen nie aufgegeben, sondern „er hat diesen Dualismus mit zwar akzentuierten Begründungen, aber stets mit denkbarer großen Nachdruck vertreten“. Dreier erkennt an, daß Kelsen seine Lehre in den 1960er Jahren revidiert hatte, aber die Revision bezog sich auf Variationen seines Theoriedesigns und Delikatessen eher für rechtstheoretische Feinschmecker. Allerdings gibt Dreier zu, daß Kelsen den früheren Schlußstein (das, was er Grundnorm nannte) im Gewölbe der reinen Rechtslehre später als Fiktion bezeichnete und daß „die Modifikation seiner (Kelsen‘s) Rechtstheorie in der Tat auch den Dualismus von Sein und Sollen betrifft“.

Benedikt XVI. bezieht sich auf eine Publikation aus dem Jahr 1965, aber im Grunde genommen hatte Kelsen seine Lehre bereits früher geändert und dies in einem unvergeßlichen „Forschungsgespräch“ in Sommer 1962 in Salzburg anerkannt. Im Buch von Professor Wolfgang Waldstein (Ins Herz geschrieben. Das Naturrecht als Fundament einer menschlichen Gesellschaft, Augsburg 2010, Sankt Ulrich Verlag, ISBN 978-3867441377) finden sich die Kelsen-Zitate, welche Benedikt XVI. in Berlin verwendet hatte.

In seinem langen Referat im kleinen Kreis mit sieben anderen Professoren (37 gedruckte Seiten) hatte er damals an mehreren Stellen die Revision seiner Lehre erklärt, jener Revision, die Dreier jetzt als „Variationen“ und „Delikatessen“ bezeichnet hat. In Erwiderung auf einen Einwand von Dozent Marcic hatte damals Kelsen gesagt:

"Ich habe in meinen früheren Schriften von Normen gesprochen, die nicht der Sinn von Willensakten sind. Meine ganze Lehre von der Grundnorm habe ich dargestellt als eine Norm, die nicht der Sinn eines Willensaktes ist, sondern die im Denken vorausgesetzt wird. Nun muss ich Ihnen leider gestehen, meine Herren, daß ich diese Lehre nicht mehr aufrechterhalten kann, daß ich diese Lehre aufgeben musste. Sie können mir glauben, daß es mir durchaus nicht leicht war, eine Lehre aufzugeben, die ich durch Jahrzehnte vertreten habe. Ich habe sie aufgegeben in der Erkenntnis, daß ein Sollen das Korrelat eines Wollens sein muss. Meine Grundnorm ist eine fiktive Norm, die einen fiktiven Willensakt voraussetzt, der diese Norm setzt. Es ist die Fiktion, dass irgendeine Autorität will, dass dies sein soll. Sie werfen mir mit Recht vor, dass ich gegen eine eigene, von mir selbst vertretene Lehre spreche. Das ist vollkommen richtig: Ich musste meine Lehre von der Grundnorm in ihrer Darstellung modifizieren. Es kann nicht bloß gedachte Normen geben, d. h. Normen, die der Sinn eines Denkaktes, nicht der Sinn eines Willensaktes sind. Was man sich bei der Grundnorm denkt, ist die Fiktion eines Willensaktes, der realiter nicht besteht".

"Ich hatte bereits in den 1960er Jahren für eine spanische Zeitung über jenes denkwürdige Gespräch geschrieben, so daß ich jetzt - mit Hilfe von Professor Waldsein - die gedruckte Unterlagen in der Nationalbibliothek leicht suchen und finden konnte" (Das Naturrecht in der politischen Theorie, Hrsg. Franz-Martin Schmölz, Springer Verlag Wien 1963).

Professor Horst Dreier kann zu den führenden deutschen Staatsrechtslehrern gerechnet werden (er gibt einen wichtigen Grundgesetz-Kommentar heraus). Vor drei Jahren wurde er von der SPD als Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts vorgeschlagen, konnte aber die notwendige Mehrheit im Bundesrat nicht erreichen. Die Union hatte sich dagegen gestemmt, nicht unbedingt wegen der „liberalen“ Haltung des Staatsrechtslehrers zum Schutz ungeborenen Lebens, zu Stammzellgesetz und Embryonenforschung, sondern wegen seiner Haltung zur Menschenwürde im Allgemeinen, also etwa zur Folter. Er hatte einmal hingewiesen, daß es eine Würdekollision im Falle der Folter geben könne. Im Falle einer Entführung, bei der der Täter gefaßt ist, sich aber weigert preiszugeben, wo er das Opfer gefangen hält, könnte es laut Dreier eine rechtfertigenden Pflichtenkollision nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Von den Kirchen bis zu Amnesty International wurden damals Bedenken gegen die Ernennung Dreiers erhoben.

Das Interessante ist, dass gerade die Radikalität seines Positivismus die Ursache war, die ihn hinderte Bundesverfassungsrichter zu werden, also genau die Problematik solcher „Normen-Konflikte“, die 1962 Kelsen ausführlich erwähnte, als er von der Revision seiner Lehre sprach.


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