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Die Reliquie der Kreuzesinschrift Jesu

19. April 2019 in Chronik, 5 Lesermeinungen
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Handelt es sich bei einer Holztafel in Rom um das einzige erhaltene zeitgenössische Dokument, das am Kreuz von Golgota hing? Gastbeitrag von Michael Hesemann


Rom (kath.net) Die Evangelien sind sich darin einig: Als Pontius Pilatus, der römische praefectus iudaeae (so sein offizieller Titel), Jesus von Nazareth zum Tod am Kreuz verurteilte, ließ er eine Tafel anfertigen. Ein solcher titulus damnationis, die Schuldtafel, war in der römischen Rechtspraxis nicht ungewöhnlich. Er gab normalerweise den Namen des Verurteilten und den Grund für seine Hinrichtung an. Jesus hatte sich als Messias zu erkennen gegeben, was politisch interpretiert und als „König“ übersetzt wurde. Das war Hochverrat! Nur Rom, nur der Kaiser konnte Könige ernennen. Darauf stand der Tod am Kreuz! Die Schuldtafel sollte potentielle Aufrührer und zukünftige Rebellen abschrecken. Jeder sollte sehen, wie einer endet, der ohne die Bestätigung Roms Anspruch auf den jüdischen Königsthron erhob.

Diese Schuldtafel Jesu ist möglicherweise erhalten geblieben. Das klingt unglaublich, ist aber die Überzeugung einer ganzen Reihe von Wissenschaftlern, die sich intensiv mit einer der faszinierendsten Reliquien der Christenheit befasst haben.

Der „Titulus Crucis“, so ihre offizielle Bezeichnung, wird ständig in der „Basilika vom Heiligen Kreuz in Jerusalem“, einer der Hauptkirchen Roms, ausgestellt. Doch erst in den letzten Jahren kamen Aufsehen erregende Fakten ans Licht, die Echtheit immer wahrscheinlicher machen.

Der Überlieferung nach wurde der „Titulus“ im Jahre 325 während einer Ausgrabung in Jerusalem entdeckt. Kaiser Konstantin der Große, der erste christliche Kaiser der römischen Geschichte – obwohl er erst auf dem Sterbebett getauft wurde – hatte den Auftrag erteilt, das leere Grab Christi zu suchen. Sein Plan war, über der Stätte der Auferstehung eine prächtige Basilika errichten zu lassen. Dass zu diesem Zeitpunkt seine Mutter und Mitregentin („Augusta“) Helena ins Heilige Land aufbrach, erfüllte einen doppelten Zweck. Natürlich wollte die fromme Christin an den heiligen Stätten beten, ihnen weitere Kirchenbauten schenken. Doch sie sollte auch die Verwendung der Gelder, die der Kaiser für den Monumentalbau zur Verfügung stellte, kontrollieren.

Nun hatte der römische Kaiser Hadrian (117-138 n.Chr.) in einem Anflug von Synkretismus über dem Gelände von Golgatha ein Forum, über dem Heiligen Grab einen Tempel erbaut. Er war der Göttin Astarte geweiht, die ihren Sohn Tammuz aus der Unterwelt befreite. Für die Christengemeinde von Jerusalem – das Hadrian nach dem Namen seiner Sippe „Aelia“ nennen ließ – war das ein Skandal: Die Entweihung des Heiligen Grabes durch den Tempel einer Götzin! So zögerte Helena nicht lange, den Tempel und das Forum niederreißen zu lassen. Das geschah so gründlich, dass heute davon nur noch Mauerreste, der Teil eines Triumphbogens, sein Aufgang sowie ein Opferschacht erhalten sind. Und tatsächlich fanden sie, in unmittelbarer Nähe des Golgota-Hügels, das „neue Grab“. Es bestand nur aus einer Grabkammer mit ihrer Vorkammer, war nicht, wie andere jüdische Gräber, durch Stollen erweitert worden. Hier wurde nur einer beigesetzt – nach drei Tagen aber war es für immer leer.

Doch jenseits von Golgota machten die Ausgräber noch einen anderen Fund. In einer Höhle, einer alten Zisterne, entdeckten sie die Querbalken dreier Kreuze. Außerdem fanden sie, wie uns die Kirchengeschichtler seit dem späten 4. Jahrhundert berichten, drei Nägel – und eine Tafel aus Holz, mit der dreisprachigen Aufschrift „Jesus von Nazareth, König der Juden“.

Als Kaiserin Helena über den Fund informiert wurde, muss sie gewusst haben, was er zu bedeuten hatte. Man hatte das „wahre Kreuz“ Christi entdeckt! Jemand musste es in der Eile der Kreuzabnahme, in der letzten Stunde vor dem Anbruch des Sabbats, hier entsorgt haben. Kein Toter durfte über Nacht am Kreuze hängen, forderte das Gesetz des Moses (Dtn 21.22f), das auch die Römer respektierten. Das bestätigte der jüdische Historiker und Zeitzeuge Flavius Josephus (Bell. Iud. V 11,1). Keine Spur einer Hinrichtung sollte das Passahfest kultisch verunreinigen. Vielleicht sollten das Kreuz und die Nägel später dem Grab beigelegt werden. Nach jüdischer Begräbnissitte muss alles, was mit dem Blut eines Verstorbenen in Berührung kam, mit bestattet werden. Vielleicht war die Höhle auch ein frühchristliches Heiligtum.

Der Fund war eine Sensation. In einem Brief an den Jerusalemer Bischof Makarios pries Kaiser Konstantin die „wundersamen Umstände“, unter denen „das Zeugnis Seiner allerheiligsten Passion, das so lange unter der Erde begraben lag“, entdeckt wurde. Der Brief ist erhalten, weil ihn Konstantins Biograph Eusebius von Caesarea in voller Länge zitiert. Mehrfach erwähnte Bischof Cyril von Jerusalem um 350 den Fund, Bischof Ambrosius von Mailand stellte ihn 395 ebenso wenig in Frage wie die frühen Kirchengeschichtler. Eine Verehrung der Jerusalemer „Kreuzreliquie“ und des „Titulus“ –oder von Fragmenten- ist seit Mitte des 4. Jahrhunderts bezeugt. So berichtete die Pilgerin Egeria im Jahre 383: „Dann wird ein vergoldetes Silberkästchen gebracht, in dem sich das heilige Holz des Kreuzes befindet; es wird geöffnet, das Kreuzesholz wird herausgehoben und zusammen mit der Inschrift auf den Tisch gelegt“. Erst im 5. Jahrhundert entstand auf der Grundlage der frühen, äußerst nüchternen Berichte die eher bizarre „Legende vom Wahren Kreuz“, die im Mittelalter durch Jakob von Voragine populär wurde.


Und auch die Architektur der konstantinischen Grabeskirche zeugt von der Bedeutung des Fundes. Sie bestand aus zwei Teilen: Dem Kuppelbau der Rotunde – dem Pantheon in Rom nachempfunden – über dem leeren Grab und einer großen, dreischiffigen Basilika über der „Kreuzauffindungs-Grotte“. Der Stumpf des Golgota-Felsens, die eigentliche Stätte des Leidens Christi, erhob sich ziemlich verloren in einem Innenhof zwischen den beiden Bauten.

Doch der spektakuläre Fund blieb nicht zur Gänze in Jerusalem. Wie die Kirchengeschichtler bezeugen, ließ Helena ihn aufteilen. Mindestens die Hälfte der Reliquien nahm sie mit nach Rom, einen Teil behielt sie, einen anderen übersandte sie ihrem Sohn, der damals, vor der Gründung Konstantinopels, in Nikomedia in der heutigen Nordwest-Türkei residierte. Das ein Teil des Fundes nach Rom, „in ihren Palast“ (Theodoret, um 440) gelangte, berichtete bereits Gelasius von Caesarea, Neffe des Patriarchen Cyrillus von Jerusalem (um 350), im Jahre 388, also nur 63 Jahre nach dem Fund: „Vom heilbringenden Holz selbst nahm sie einen Teil mit sich, einen ließ sie zu ihrem Sohn bringen, einen anderen legte sie in eine silberne Kiste“.

Was den „Titulus“, die Jesus-Tafel betrifft, so stammen alle Beschreibungen der Jerusalemer Reliquie von Pilgern des 4.-6. Jahrhunderts. Ihren Angaben nach handelte es sich um eine Tafel aus Nussholz – so explizit der Pilger Antoninus aus Piacenza, der sie in den Händen halten durfte –, mit Kalk bestrichen, auf der die Worte „König der Juden“ in Hebräischer, Griechischer und Lateinischer Sprache zu lesen waren. Sollte der Evangelist Johannes, von dem die ausführlichste Beschreibung der „Schuldtafel“ stammt, recht haben, so lautete ihre Aufschrift aber „Jesus von Nazareth, König der Juden“ (Joh 19,19). Die Jerusalemer Reliquie war also unvollständig. Hatte Helena den Teil mit dem Namen Christi, „Jesus von Nazareth“, mit nach Rom genommen?

Im Jahre 1492 stieß man in Rom bei Renovierungsarbeiten in der „Basilika vom Heiligen Kreuz in Jerusalem“ auf eine versiegelte Bleikassette. Ein beschrifteter Ziegel bezeichnete ihren Inhalt: „Titulus Crucis“ – der Kreuzestitel. Das Siegel stammte aus dem Jahre 1143, als schon einmal die Kirche umgebaut wurde. In der Kassette befand sich das Fragment einer Nussholztafel, die wohl einst mit Kalk bemalt war. Auf ihr waren, in Hebräisch, Griechisch und Latein, die Worte „Jesus von Nazareth“ (I. NAZARINUS) zu lesen. Nur vier Jahre später legte Papst Alexander VI. fest, dass es sich um eine authentische Reliquie der Kreuzesinschrift Jesu aus dem Helena-Fund handeln musste.

Für diese Annahme gab es gute Gründe. Denn die „Basilika vom Heiligen Kreuz“ ist – das ist unbestreitbar – aus einem Teil des Palastes der Kaiserin Helena hervorgegangen. Konstantin hatte ihn nach ihrem Tod –um 328- dem Bischof von Rom geschenkt. Ihren Namen verdankt sie der Kreuzreliquie, die hier – nachweisbar – seit dem 4. Jahrhundert verehrt wird. Noch heute ist ein Teil des römischen Gemäuers in der Seitenwand der Kirche erhalten. Ihr ältester Teil – die heutige „Helena-Kapelle“ – war einst die Privatkapelle der Kaiserin. Hier wurden ihre wertvollsten Reliquien verwahrt, darunter einer der Nägel und Erde vom Kalvarienberg. Über ihrem Altar hatte man 1492 den Fund gemacht.

Dass die Tafel eingemauert wurde, war nichts Ungewöhnliches. Während des „dunklen Zeitalters“, zwischen dem 5. und dem 11. Jahrhundert, wurde Rom gleich viermal geplündert – von Goten und Vandalen, Sarazenen und Normannen. Zudem galt es, die Tafel vor der Zerteilung in winzige Partikel zu schützen, der so viele Reliquien zum Opfer fielen. Die Einmauerung von Reliquien in Altären schließlich ist seit dem 4. Jahrhundert bezeugt. Nur so überstanden viele von ihnen die Wirren der Zeit.

Der Titulus wurde ausdrücklich in allen zeitgenössischen Berichten als Teil des Helena-Fundes erwähnt. Die römische Tafel entspricht den Beschreibungen, die wir von der Jerusalemer Reliquie der Kreuzestafel haben. Sie ist 687 Gramm schwer, 25 Zentimeter lang, 14 Zentimeter breit und 2,6 Zentimeter dick und von Würmern, Insekten und Pilzen zerfressen. Ihr oberer, rechter und unterer Rand sind stark verwittert, ihr linker Rand dagegen ist nahezu unversehrt. Das deutet darauf hin, dass sie den Elementen ausgesetzt war, bevor sie offenbar geteilt wurde – und seitdem relativ sicher und trocken verwahrt wurde. Sie besteht aus Nussholz (Juglans Regia), wie auch der Pilger aus Piacenza um 570 bezeugt. Sie weist Reste einer weißen Grundbemalung auf, von der bei Sozomenos die Rede ist: „ein Stück Holz, auf dem auf Weiß, in hebräischer, griechischer und lateinischer Schrift, geschrieben stand...“). Diese ursprüngliche Bemalung mit weißem Kalk – von der heute nur noch gräuliche Reste erhalten sind – war typisch für römische Holztafeln, wie mir der Althistoriker Prof. Dr. Werner Eck von der Universität Köln versicherte: Zuerst wurde das Holz mit weißem Kalk bemalt, dann schrieb der Exaktor den Grund für die Strafe mit schwarzen und roten Buchstaben auf das Holz. Doch die Tafel trägt den Teil der Inschrift, der in Jerusalem fehlte. Zudem sah die krakelige, zudem noch spiegelverkehrte, Inschrift so gar nicht nach einer Fälschung aus. Wollte man den „König der Juden“ auch noch dadurch verhöhnen, dass man die jüdische Schreibweise (von rechts nach links) persiflierte? Vom Hebräischen „Yeshu H’Nazari Melek H’Yehudim“ sind nur das HN’Z erhalten. Interessanterweise heißt es in der griechischen Zeile NICHT, wie im griechischen Originaltext des Johannesevangeliums, „Ihsous Nazoraios Basileus ton Ioudaion“, sondern mit IS NAZARENOUS B nur die griechische Transkription des lateinischen I. NAZARINUS. Noch auffälliger ist, dass die lateinische Zeile eben nicht das seit dem 4. Jahrhundert und der Vulgata übliche „Nazarenus“ beinhaltet, sondern mit „Nazarinus“ offenbar eine sehr frühe Form der Latinisierung des Hebräischen „Nazari“.

Trotzdem war ich skeptisch, als ich 1997 das erste Mal mit der „Jesus-Tafel“ in Berührung kam. Könnte es sich nicht doch um eine Fälschung aus dem Mittelalter in Anklang an die Helena-Legende handeln? Oder hat man vielleicht der Kaiserin eine fromme Fälschung präsentiert? Ich wollte es genauer wissen. Und da ich studierter Historiker bin, wusste ich, dass sich Inschriften heute ziemlich genau datieren lassen. Die Methode dazu, die allgemein anerkannt ist, ist die „vergleichende Paläographie“. Sie untersucht die stets wechselnden Formen und Stilelemente der Schrift und ordnet sie im Vergleich mit datierten Inschriften (oder Handschriften) zeitlich ein.

Mit Genehmigung des Heiligen Stuhls war die Jesus-Tafel kurz zuvor aus ihrem Reliquiar entnommen und wissenschaftlich fotografiert worden. Die Aufnahmen, die mir der Abt von S. Croce mit Einverständnis des vatikanischen Staatssekretariats zur Verfügung stellte, legte ich sieben israelischen Experten für vergleichende Paläographie im Heiligen Land vor und bat sie um ihre Expertise. Tatsächlich sprachen ihre Kommentare für die Echtheit der Reliquie.

Die Experten für jüdische/hebräische Paläographie, die ich konsultierte, Dr. Gabriel Barkay, Prof. Dr. Hanan Eshel sowie seine Frau Dr. Ester Eshel, datierten die Zeichen der schlecht erhaltenen ersten Zeile in den Zeitraum zwischen dem 1. und 2. Jahrhundert (Barkay) bzw. 1. und 3. Jahrhundert (Eshel). Israels führende Expertin für griechische Paläographie im Heiligen Land, Frau Dr. Leah di Segni von der Hebräischen Universität Jerusalem, plädierte dafür, dass es sich bei der griechischen Zeile um "eine Inschrift aus der frühen römischen Periode", d.h. dem 1. Jahrhundert, handelt, eine Einschätzung die auch von ihren Kollegen Prof. Dr. Israel Roll und Prof. Ben Isaac aus Tel Aviv und Prof. Carsten Peter Thiede von der Universität Beer-Sheva geteilt wurde.

Prof. Roll, der sich mit römischen Inschriften in Israel befasst, wies zudem auf Parallelen der lateinischen Zeile zu Inschriften aus der Provinzhauptstadt Caesarea Maritima hin. Diese sind besonders auffällig bei einer äußerst bemerkenswerten Inschrift aus dem 1. Jahrhundert, die ausgerechnet von Pontius Pilatus (25-36 n.Chr.) stammt. Sie ist das einzige archäologische Zeugnis, das wir vom Richter Jesu haben. Es handelt sich dabei um die Weihe-Inschrift eines dem Kaiser Tiberius gewidmeten Monuments (Tiberieum), die 1961 bei Grabungen von italienischen Archäologen entdeckt wurde.

Könnte tatsächlich eine Holztafel 300 Jahre überdauert haben? Einhellig erwähnen die Überlieferungen, dass die Kreuzreliquie und die Tafel in einer alten Zisterne gefunden wurden. Wie mir Dr. Orna Cohen von der Universität Jerusalem, Restauratorin eines Holzbootes aus der Zeit Jesu, das am Ufer des Sees Genesareth gefunden wurde, versicherte, ist das durchaus möglich.

Während der paläografische Befund den Titulus also ins 1. Jahrhundert datiert, während unsere historischen Quellen seine Existenz seit dem 4. Jahrhundert bezeugen, hat unsere Reliquie einen „Schönheitsfehler“: Im Jahre 2002 ließ die römische Titulus-Forscherin Dr. Maria-Luise Rigato mit Genehmigung des Heiligen Stuhls eine Radiokarbondatierung der Kreuzesinschrift durch die Professoren Francesco Bella und Carlo Azzi von der Physikalischen Fakultät der Universität „Roma Tre“ durchführen. Das Ergebnis, das 2002 publiziert wurde, lautete, der Titulus stamme aus der Zeit um 1040 n.Chr., mit einem Unsicherheitsfaktor von +/- 260 Jahren, also zwischen 780 und 1300.

Damit haben wir, ähnlich wie beim Turiner Grabtuch, dem Sudario von Oviedo und der Tunika von Argenteuil, einen eklatanten Widerspruch zwischen dem historischen Befund (seit 383 spezifisch erwähnt!), der Datierung mit Hilfe der vergleichenden Paläographie (1. Jahrhundert!) und der C14-Datierung (1040).

Ich bin kein Physiker, ich weiß nicht, ob die Lagerung in einer Bleikassette, die kultische Verehrung (Kerzenwachs, Weihrauch) oder ein Pilzbefall Ursache der Fehldatierung ist. Doch als Historiker kann ich Ihnen versichern: niemand in der im Mittelalter verfügte über ausreichende Kenntnisse in der Paläographie, um eine so eindeutig datierbare Inschrift zu fälschen. Daher spricht für mich nach wie vor alles für die Echtheit der Reliquie.

Das aber bedeutet: Wir besitzen ein zeitgenössisches Dokument vom wohl folgenreichsten Prozess der Weltgeschichte, ein Stück vom Kreuz des Jesus von Nazareth. Ist es ein Zufall, dass ausgerechnet Johannes die Inschrift wörtlich zitiert? Oder stimmt vielleicht doch die christliche Tradition, dass der Verfasser des vierten Evangeliums selbst unter dem Kreuz stand? Vielleicht sollten wir uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass die Evangelien uns doch mehr über den historischen Jesus enthüllen, als uns viele Exegeten glauben lassen wollen...

Michael Hesemann ist Historiker und Autor diverser Bücher zu Themen der Kirchengeschichte. Im März erschien die aktualisierte Neuauflage seines Bestsellers „Die Jesus-Tafel“ (Herder-Verlag).

kath.net-Buchtipp
Die Jesus-Tafel
Die Entdeckung der Kreuzinschrift
Von Michael Hesemann
Sonstiger Urheber: Carsten Peter Thiede
Taschenbuch, 384 Seiten; 15 Abb.
2019 Herder, Freiburg
ISBN 978-3-451-03154-0
Preis Österreich: 14.40 EUR

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Die Reliquie der Kreuzesinschrift Jesu in Rom


Foto (c) Michael Hesemann


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Lesermeinungen

 OStR Peter Rösch 19. April 2019 
 

Replik auf Fried

Hesemann wäre der richtige, der eine zündende Replik auf die Golgatha-These von Johannes Fried schreiben könnte. Von den eigentlich zuständigen katholischen Theologen habe ich dazu höchstens Halbheziges - verdächtig Halbherziges? - gehört. Die Fried-Thesr steht einstweilen im Raume.


2
 
 Rolando 19. April 2019 
 

Die unzuverlässige Radiokarbondatierung

Wenn schon bei ca. 1000 Jahren ca. 25 Prozent Unsicherheit liegen, wie unzuverlässig ist sie dann wenn’s in die 10-und 100tausende Jahre oder noch mehr geht? Die Wissenschaftler stützen sich auf Annahmen die sie selbst nicht prüfen können, die somit nicht überprüft werden können. Sie werden halt richtig vermarktet und absolut gesetzt. Herr Dr. Hesemann hat Fakten, er leistet hervorragende Arbeit.


11
 
 horologius 19. April 2019 
 

Es lohnt sich,

sich immer wieder neu mit den Passionsreliquien zu beschäftigen. Die Details sind einfach nur umwerfend. Die Tunika von Argenteuil, das Grabtuch, das Bluttuch von Oviedo etc. Das Blut von einem uralten Geschlecht, aus dem die Hohepriester ausgewählt wurden, die Möglichkeit der kompletten Rekonstruktion der Passion und so vieles mehr. Herzlichen Dank an Dr. Hesemann für seine Forschung.


10
 
 Diadochus 19. April 2019 
 

Spannend

Der Beitrag ist sehr spannend und informativ geschrieben. Das wusste ich alles noch nicht. Ich hatte mich bislang nur mit dem Turiner Grabtuch beschäftigt. Da haben wir wieder einen Beweis mehr, der die Echtheit der Evangelien bezeugt. Für den Unglauben gibt es absolut keine Entschuldigung.


11
 
 Mystery 19. April 2019 

Ich bin immer wieder

von der Arbeit des Herrn Hesemanns fasziniert. Sehr guter und interessanter Beitrag, Bravo!!


12
 

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