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Dokumente des Vatikanarchivs beweisen den Völkermord an den Armeniern!

6. Juni 2016 in Chronik, 1 Lesermeinung
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Historiker Michael Hesemann zur Bundestagsresolution - Es war nur der Beharrlichkeit des Grünen Cem Özdemir zu verdanken, dass es die Resolution doch noch auf die Tagesordnung des Parlamentes schaffte


Berlin (kath.net) Am letzten Donnerstag haben die Abgeordneten des deutschen Bundestages mit nur einer Gegenstimme eine Resolution angenommen, in der die Massaker und Vertreibungen der Armenier im Ersten Weltkrieg als „Völkermord“ anerkannt wurden. Zudem stellte sie die historische Verantwortung des deutschen Volkes fest, dessen Regierung durch die Berichte deutscher Diplomaten und Militärs bestens über die schrecklichen Ereignisse vor 101 Jahren informiert waren; schließlich war das Osmanische Reich Deutschlands Waffenbruder und wichtigster Verbündeter.

Auf die Verabschiedung der Resolution folgte erwartungsgemäß eine heftige Gegenreaktion aus Ankara. Türkische Zeitungen sprachen von einer „Schande“ und zeigten ausgerechnet Bundeskanzlerin Angela Merkel, die der Abstimmung demonstrativ ferngeblieben war, in Nazi-Uniform. Demonstranten versammelten sich vor der Deutschen Botschaft, warfen Eier. Türkische Politiker übertrafen sich an Beschimpfungen, während Staatspräsident Erdogan lamentierte, Merkel habe ihm doch versprochen, diese Resolution zu stoppen. Tatsächlich war es nur der Beharrlichkeit des Grünen Cem Özdemir zu verdanken, dass sie es doch noch auf die Tagesordnung des deutschen Parlamentes schaffte. Erst im Februar gab ihm der CDU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder nach eingehender Auseinandersetzung mit dem Thema dazu seinen Handschlag.

Nach wie vor bestreitet die Türkei vehement, dass es sich um einen Völkermord gehandelt habe, spricht lediglich von einer „kriegsnotwendigen Umsiedelung“ der Armenier und fordert eine „unabhängige Historikerkommission“ zur Klärung der Vorwürfe. Dabei besteht unter neutralen Historikern wenig Zweifel, dass 1,5 Millionen Armenier tatsächlich einem geplanten Völkermord zum Opfer fielen. Das stellte auch der deutsche Historiker Michael Hesemann fest, der drei Jahre lang in vatikanischen Archiven Dokumente zu den Ereignissen im Osmanischen Reich auswertete und sie vor einem Jahr in seinem Buch „Völkermord an den Armeniern“ (Herbig-Verlag) veröffentlichte.

Wenn vom 24.-26. Juni Papst Franziskus Armenien besucht, wird er auch das Völkermorddenkmal von Yerevan besuchen und dort eine Ansprache halten. Wahrscheinlich wird auch dann wieder der Begriff „Völkermord“ fallen. Doch war es ein solcher? Hesemann ist davon überzeugt und kann seine Einschätzung durch beeindruckende Dokumente untermauern.

Warum es ein Völkermord war. Von Michael Hesemann

In den letzten drei Jahren habe ich über 2000 Seiten bis dahin unveröffentlichter Dokumente zu den Ereignissen von 1915/16, die dort unter dem Titel „Verfolgung der Armenier“ geführt werden, im Geheimarchiv des Vatikans lokalisiert und ausgewertet. Diesem bislang unbeachteten Quellenschatz verdanken wir nicht nur zusätzliche Informationen, sondern zudem eine völlig neue Perspektive, die vielleicht Aufschluss über die wahre Natur dieses schrecklichen Geschehens geben kann.

Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass eine gewaltsame „Lösung der Armenierfrage“ schon Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs geplant wurde. Der Krieg bot offensichtlich nur den willkommenen und vielleicht lange gesuchten Vorwand für die Durchführung der geplanten Maßnahme.

Eine Untersuchung der Ideologie, die hinter dem radikaleren Flügel der ursprünglich eher heterogenen jungtürkischen Bewegung stand, gibt erste Hinweise. Ihre Wurzeln hat die Partei „Einheit und Fortschritt“ (Ittihat ve Terakki, kurz: Ittihat) im Paris des 19. Jahrhunderts, wo eine Reihe junger Türken aus wohlhabenden Familien studierten und mit den damaligen Strömungen der europäischen Philosophie in Kontakt kamen. Der „Integrale Nationalismus“, wie ihn Charles Maurras lehrte, überhöhte die Nation zur semi-mythischen Einheit und propagierte einen starken Staat durch eine homogene Volksgemeinschaft mit einer einheitlichen Staatsreligion. Aus ihm ging in Europa der Faschismus hervor. Die Schwäche des Osmanischen Reiches, das als „kranker Mann am Bosporus“ verspottet wurde, führten die türkischen Anhänger Maurras auf die Heterogenität des Vielvölkerstaates zurück. Der Abfall der Balkan-Provinzen in den nächsten Jahren, deren christliche Minderheiten, vom Ausland unterstützt, sich in Aufständen befreit hatten, bestätigte sie in ihrer Weltsicht: Die Türkei der Zukunft müsse allein den Türken gehören, die der sunnitische Islam als Staatsreligion zusammenschweißt. Für ethnische und religiöse Minderheiten war in dieser Vision kein Platz.

Tatsächlich schreibt der türkische Historiker Taner Agcam, dass schon im Juli 1910 auf der Versammlung der Ittihat-Spitze in Thessaloniki als „Alternative die Deportation christlicher Bewohner … oder ein gewaltsames Vorgehen“ diskutiert wurde. Glauben wir Johannes Lepsius, so wurde ein Jahr später, im Oktober 1911, ebenfalls in Thessaloniki, beim Jungtürkischen Kongress postuliert: „Die Türkei muss ein wesentlich muhammedanisches Land sein.“ Im Januar 1914 berichtete bereits die russische Zeitung „Golos Moskvy“ über einen „Plan, Anatolien zu homogenisieren“ und die Armenier in das Zweistromland zu deportieren, was freilich damals noch von den Jungtürken dementiert wurde. Erst Anfang März 1915 wurde die sofortige Umsetzung dieses Planes beschlossen. Dabei wollte man den Krieg als Vorwand für eine „allgemeine und endgültige Säuberung“ nutzen, um „das armenische Volk vollständig auszurotten“, wie Dr. Nazim Bey, Generalsekretär der Ittihat, auf einer Sitzung der Parteispitze erklärte. Tatsächlich wurde dieser Parteibeschluss nur Tage später, nämlich am 16.3.1915, dem deutschen Konsul Dr. Paul Schwarz durch den Provinzgouverneur Sabit Bey bestätigt. Das ZK-Mitglied Nefis Bey hatte bereits im Dezember 1914 mit dem Schweizer Missionar Jakob Künzler über einen solchen Plan gesprochen.


So meldete auch US-Botschafter Henry Morgenthau am 16.7.1915 nach Washington, dass „es scheint, dass hier eine Programm zur Vernichtung einer Rasse unter dem Vorwand, es seien Maßnahmen gegen eine Rebellion, im Gange ist.“ Und der türkische Innenminister Talaat Bey äußerte sich dem deutschen Botschaftsmitarbeiter Johann Mordtmann gegenüber, wie dieser nach Berlin meldete, „ohne Rückhalt über die Absichten der Regierung, die den Weltkrieg dazu benutze, um mit ihren inneren Feinden – den einheimischen Christen aller Konfessionen – gründlich aufzuräumen, ohne durch diplomatische Interventionen des Auslandes gestört zu werden.“

Diese Einschätzung zieht sich auch wie ein roter Faden durch die vatikanischen Dokumente. „‘Armenien ohne Armenier‘ – das ist der Plan der osmanischen Regierung“, berichtete der Generalabt des Mechitaristenordens, Msgr. Ghiurekian, Papst Benedikt XV. am 30. Juli 1915. Vom „Werk der Jungtürken, ermutigt durch die Unterstützung der Deutschen“ spricht der armenisch-katholische Erzbischof von Chalcedon, Msgr. Peter Kojunian, in seinem Schreiben an Papst Benedikt XV. vom 3.9.1915: „Zu den Schrecken des derzeitigen Krieges, die das väterliche Herz Eurer Heiligkeit erschüttern, gehört nicht zuletzt das Massaker an den Armeniern der Türkei, das von der türkischen Regierung angeordnet und zum größten Teil bereits ausgeführt wurde. (…) (Es ist) eine systematische Vernichtung der Armenier in der Türkei.“ Eine schweizer Initiative mehrerer prominenter Akademiker, die sich für die Armenier einsetzten und im September 1915 auch an den Vatikan wandten, hatte durch „durchaus vertrauenswürdige Augenzeugen“ in Erfahrung gebracht: „Es handelt sich um nichts weniger als die systematische und offiziell beschlossene Ausrottung eines ganzen christlichen Volkes, der Armenier, welche jetzt ins Werk gesetzt wird, weil die vollständige Herrschaft des Islam im türkischen Reich durchgeführt werden soll.“ Der Superior des Kapuzinerordens in Erzurum, der österreichische Pater Norbert Hofer, schrieb im Oktober 1915 an den Vatikan: „Die Bestrafung der armenischen Nation (für angebliche Aufstände, d.Verf.) ist bloß ein Vorwand der freimaurerischen türkischen Regierung, um alle christlichen Elemente im Land ungestraft vernichten zu können.“ Und sein Landsmann und Ordensbruder, der österreichische Kapuzinermissionar Michael Liebl, brachte in Samsun in Erfahrung: „Nicht die Armenier, die Christen wurden (zum Tode) verurteilt auf einer geheimen Konferenz der Jungtürken vor 5 oder 6 Jahren in Thessaloniki.“ Schließlich stellt auch ein Bericht des Armenisch-Katholischen Patriarchats an den Vatikan vom Februar 1916 fest, „dass die Regierung nur das kriminelle Vermächtnis (des ehemaligen Großwesirs) Midhat Paschas umsetzt, der bereits das christliche Element in der Türkei vernichten wollte.“ Und: „Es ist sicher, dass all diese Ereignisse auf ausdrücklichen Befehl der türkischen Regierung und in Zusammenarbeit mit allen Behörden des osmanischen Reiches stattgefunden haben.“ Und am 18. Juni 1916 sprach der armenisch-katholische Patriarch von einem „Projekt zur Vernichtung des armenischen Volkes in der Türkei (…) Es ist sicher, dass die osmanische Regierung beschlossen hat, das Christentum aus der Türkei zu beseitigen, bevor der Weltkrieg zu Ende geht. Und das alles geschieht im Angesicht der christlichen Welt.“

Trotz dieser klaren Hinweise auf eine lange geplante Aktion, zu deren Durchführung der Erste Weltkrieg lediglich den herbeigesehnten Vorwand bot, sprechen die Türken noch heute lediglich von einer „kriegsbedingten Umsiedelung“ der Armenier. Das steht in völligem Widerspruch zu den historischen Fakten, wie sie auch durch die Dokumente aus dem Vatikanarchiv ersichtlich werden. So meldete etwa der Apostolische Delegat in Konstantinopel, Msgr. Angelo Dolci, am 20. August 1915 nach Rom: „Es ist unmöglich, sich eine Vorstellung davon zu machen, was im Landesinnern geschieht. Die gesamte armenische Bevölkerung wird systematisch auf brutalste Weise aus ihren Städten und Dörfern vertrieben und an unbekannte Orte verschleppt. Manchmal erlauben sie diesen Unglücklichen, Alte, Kranke, Kinder und ihre dringendsten Gegenstände mit Karren zu transportieren. Meistens aber müssen alle diese armen Menschen in größeren Gruppen den Weg zu Fuß zurücklegen durch die trockene Landschaft, wo viele von ihnen durch völlige Erschöpfung, Leiden und Entbehrungen aller Art nach ein paar Tagen den Tod finden. Anderen werden unter dem Vorwand, sie zu schützen, bewaffnete Eskorten mitgegeben, doch leider wird diese Begleitung oft zu der größten Gefahr für die Deportierten. Tatsächlich wurden nämlich viele Karawanen, sobald sie in verlassenere Gegenden kamen, von ihren Führern (den Gendarmen) massakriert.“

Die detaillierten Augenzeugenberichte, die im Vatikanarchiv liegen, lassen tatsächlich keinen Zweifel daran, dass es den Türken nicht um die möglichst reibungslose Umsiedelung eines Teiles der Bevölkerung aus der Kampfzone, sondern um deren Vernichtung ging. Nur so ist der türkische modus operandi zu verstehen, der immer gleich ablief:

I. Suche nach angeblichen Waffen, um einen Vorwand für die Abschiebung zu haben.

II. Verhaftung und anschließende Ermordung der armenischen Notablen.

III. Verhaftung der armenischen Männer von 16-70 unter dem Vorwand, sie zum Militärdienst einzuziehen. Nur wenige wurden tatsächlich zu Straßenarbeiten und Trägerdiensten verpflichtet. Der größte Teil wurde vor die Städte geführt und in einiger Entfernung von diesen massakriert.

IV. Deportationsaufruf an die Frauen, Kinder und Alte. Wer freiwillig zum Islam konvertierte, wurde in türkische Familien verschleppt, alle anderen auf einen wochenlangen Fußmarsch durch das Bergland geschickt. Ihr Eigentum mussten die Meisten zurücklassen; wer es mitnehmen durfte, wurde auf dem Weg ausgeraubt.

V. Diverse Überfälle, bei denen die Züge entschieden dezimiert, die Frauen vergewaltigt und ausgeraubt oder gefangen und in die Sklaverei verkauft wurden. Dabei bot die „Polizeieskorte“ der Züge keinen Schutz, sondern beteiligte sich an den Ausschreitungen. So stellte der Ordensgeneral der Mechitaristen, Msgr. Ghiurekian, in seinem Brief an Papst Benedikt XV. fest: „Nicht nur Kurden und Briganten, sondern Gendarme und Regierungsbeamte kommen zusammen, um sie auszuplündern und die Frauen und Mädchen zu schänden.“ Das armenisch-katholische Patriarchat ergänzte: „Jeder weiß, dass die Regierung zu Beginn des Krieges Kriminelle aus den Gefängnissen entließ, um die ‚Cetes‘ genannten Horden („Sondereinheiten“, d.Verf.) zu bilden, die in den östlichen, überwiegend von Armeniern bewohnten Provinzen zum Einsatz kamen. Diese ‚Cetes‘ begannen, die Dörfer der Armenier zu brandschatzen, ihre Frauen und jungen Mädchen zu schänden und ihre Notablen zu ermorden.“ Zudem wurde den Deportierten Wasser, Brot und Unterkunft verweigert. Wer nicht auf dem Weg an den grassierenden Seuchen erkrankte oder an Hunger und Erschöpfung starb, erreichte sein Ziel, die syrische Wüste, oft genug nackt, ausgezehrt und von der Sonne verbrannt.
VI. Nur ca. 20 % der Deportierten erreichte ihr Ziel, ein Konzentrationslager in der syrischen Wüste. Dort wurde zunächst auf die natürliche Dezimierung durch Hunger und Seuchen gehofft, dann fanden weitere Massaker oder Todesmärsche in die Wüste statt. Maximal 3 % der Deportierten überlebten das folgende Jahr (1916).

Angesichts dieser Tatsachen ist es geradezu perfide, von einer „erfolgreichen, sicheren Überführung“ zu sprechen, obwohl die Sterbequote bei 97 % lag.

Die Resolution 180 der UN-Vollversammlung vom 21. November 1947 definiert Völkermord in Artikel II als „eine der folgenden Handlungen, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören:

a) das Töten von Angehörigen der Gruppe
b) das Zufügen von schweren körperlichen oder seelischen Schäden bei Angehörigen der Gruppe
c) die absichtliche Unterwerfung unter Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen
d) die Anordnung von Maßnahmen zur Geburtenverhinderung
e) die zwangsweise Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe“

In Dutzenden Dokumenten aus dem Vatikanarchiv werden die Massaker an den Armenier-Konvois durch Soldaten, Milizen und Regierungsangehörige geschildert. Die ganze Umsiedelung selbst scheint nur dem Ziel gedient zu haben, die Armenier so stark zu dezimieren, dass nur noch ein Bruchteil die überfüllten Konzentrationslager in der syrischen Wüste erreichte, wo das Töten fortgesetzt wurde. Die Verweigerung von Lebensmitteln und Wasser – die Armenier wurden sogar daran gehindert, aus Flüssen zu trinken! – und die Gewaltmärsche durch das Bergland führte zum Tod von Hunderttausenden, die fortdauernden Schikanen und Vergewaltigungen, der Diebstahl aller Kleider, die Folter und die Brutalität der Gendarmen bei Zigtausenden zu seelischen Schäden, vom Wahnsinn bis zum Selbstmord. Der Kapuzinersuperior P. Norbert Hofer zitiert in seinem Bericht den deutschen Superior der Lazaristenmission in Jerusalem, Pater D. Dunkl, der in Aleppo erlebte, in welchem Zustand die Armenierinnen waren, die es immerhin bis an den Rand der syrischen Wüste geschafft hatten: „Normalerweise kommen nur die Frauen bis Aleppo; denn die Männer sterben schon vorher entweder an ihren Leiden oder werden massakriert.

Im Hof eines ‚Khans‘ (Karawanserei) in der Nähe von Aleppo sah er (P. Dunkl, d. Verf.) auf der nackten Erde sitzend, inmitten ihrer eigenen Ausscheidungen, mehrere hunderte Frauen, darunter viele Mütter mit ihren bereits toten oder noch lebenden Kinder an der Brust. Sie alle waren in einem apathischen Zustand oder kurz davor zu sterben. Eine protestantische Diakonisse – die übrigens versuchte, mit allen Mitteln die Leiden der unglücklichen Frauen zu lindern – erzählte, dass sie täglich etwa zwanzig Leichen von dem oben genannten Hof wegschaffen musste.

Eine katholische Nonne, die kurz zuvor in Aleppo eingetroffen war, erzählte, dass sie mit sechs weiteren Schwestern aus Tokat ausgewiesen wurde. Sie alle wurden entkleidet und mussten so, ganz nackt, die Reise von mehr als einer Woche bis Aleppo unternehmen. Fünf der Begleiterinnen sind auf dem Weg verstorben, waren ihrer Erschöpfung und der Torturen, die sie ertragen mussten, zum Opfer gefallen. Eine wurde in der Nähe der Stadt (Aleppo) verrückt und ertränkte sich in einem Fluss. Der Erzählerin gelang es, sich der Kleidung einer auf der Straße liegenden Leiche zu bemächtigen, sich anzukleiden und in die Stadt zu fliehen, wo sie von anderen Nonnen, die vorher angekommen waren, aufgenommen wurde.“

Die Zahl der Opfer wird in den vatikanischen Dokumenten auf über eine Million geschätzt. Ein Bericht des armenisch-katholischen Patriarchats, der im Februar 1916 verfasst wurde, erwähnt bereits „beinahe 1.000.000“ Opfer, wohlbemerkt noch vor den Massakern in der syrischen Wüste. Msgr. Dolci dagegen ging bereits am 20.12.1915 von 1,1 Millionen Toten aus , während der Kapuzinerpater Michael Liebl am 30. September 1917, also nach den Massakern, konstatierte: „Von den 2,3 Millionen in der Türkei wohnenden Armeniern sind ein und eine halbe Million von den Türken ausgerottet worden.“ Von 1,5 Millionen Toten geht heute auch die seriöse Armenozid-Forschung aus.

Auch die „Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe“ gehört zu den traurigen Kapiteln des Armenozids. „Eine große Zahl armenischer Kinder (der Zeuge glaubte, dass es 1000 waren), wurden am Geburtstag des Sultans beschnitten und zu Türken gemacht. Viele Frauen und Kinder wurden in türkische Häuser gezwungen“, berichtete der Rottenburger Priester Johannes Straubinger, deutscher Militärgeistlicher in der Türkei, dem Apostolischen Delegaten. Ein Bericht des armenisch-katholischen Patriarchats präzisiert: „Die schutzlos zurückgebliebenen Frauen und Mädchen wurden oft genug noch in ihrer Heimat oder auf dem Weg entführt und in türkische Harems verschleppt. Überall haben die örtlichen Behörden Kinder beiderlei Geschlechts den Armen ihrer Mütter entrissen und an die Türken ausgeliefert. (…) Die erzwungenen Konversionen der Frauen und jungen Mädchen gehen in die Tausende. (…) Die Propaganda der Zwangsbekehrung läuft bis heute, sie wird von den höchsten Repräsentanten der türkischen Regierung befürwortet“, ein Umstand, den auch der Kapuzinerpater Michael Liebl aus Samsun bestätigte: „Die Mädchen und jungen Frauen wurden meist gewaltsam in die Harems gesteckt und mit Türken verheiratet.“

War es also ein Völkermord, was sich 1915-16 im Osmanischen Reich abspielte? Die Dokumente aus den Vatikanarchiv lassen keinen Zweifel daran, dass der Armenozid nahezu alle Kriterien erfüllt, die von den Vereinten Nationen definiert worden sind.

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Völkermord an den Armeniern
Mit unveröffentlichten Dokumenten aus dem Geheimarchiv des Vatikans über das größte Verbrechen des Ersten Weltkriegs
Von Michael Hesemann
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Lesermeinungen

 queenie 7. Juni 2016 
 

Türken und Deutsche

kämpften in vielen kriegerischen Auseinandersetzungen Seite an Seite. Jetzt klinkt man sich aus. Die dt.-türk. Freundschaft hat eine lange Geschichte. Die Uni Köln ha lange Zeit
mit der Uni in Istanbul sehr eng zusammen gearbeitet.


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