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Einstellungen zu Behinderung sind Zeichen einer Kulturkatastrophe

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Bischof Franz Kamphaus: "Der Mensch hat nicht Wert, der Mensch hat Würde"


Berlin (kath.net/ids)
Wenn behinderte Menschen als "menschliche Naturkatastrophen"angesehen werden, ist das nach Auffassung des Limburger Bischofs FranzKamphaus "Zeichen einer Kulturkatastrophe". Wie die Gesellschaft mitKrankheit und Behinderung umgehe, bilde die Nagelprobe auf dieMenschlichkeit einer Gesellschaft. Mit dem rasanten wissenschaftlichenFortschritt wachse das Verfügungswissen explosionsartig, "aber unserOrientierungswissen hinkt hoffnungslos den potenziertenHandlungsmöglichkeiten hinterher", sagte der Bischof am Freitag in Berlin. Kamphaus sprach zur Eröffnung des Institutes "Mensch, Ethikund Wissenschaft" (IMEW), das von neun Verbänden getragen wird, die imBereich der Behindertenarbeit tätig sind. Zu den Aufgaben des in Berlinangesiedelten Institutes gehört es unter anderem, die Auswirkungen derBiomedizin auf behinderte und chronisch kranke Menschen zu untersuchen sowieBürgerinnen und Bürger, Medien, Verbände, Forschungsinstitute und Politik zuberaten.

In seinem Referat stellte der Limburger Bischof Franz Kamphaus fest,Behinderte seien der Ernstfall, in dem sich die Unantastbarkeit der Würdedes Menschen zu bewähren habe. Zur ideologischen Sprechblase verkomme dieBerufung auf die menschliche Würde durch die Vernünftelei derer, diestraffreie Sterbehilfe für Todkranke fordern statt bessere Palliativmedizinund mehr Hospize, die Abtreibung menschlicher finden als die Sorge fürkranke und behinderte Kinder und ihre Eltern. Hier werde die Würde einesMenschen verwechselt mit dem, was oft unbedacht als Wert oder Unwert einesLebens bezeichnet werde. "Der Mensch hat nicht Wert, der Mensch hat Würde",stellte Kamphaus fest. Während der Wert abhängig sei von denBewertungsgrundlagen, sei die Würde der Verfügbarkeit des Menschen entzogenund vorgegeben. Indem niemand über seine eigene und schon gar nicht über dieWürde eines anderen verfügen könne, werde die Selbstbestimmung relativiert.Angesichts der Entwicklungen im Bereich der Biomedizin und Gentechnik drohediese Überzeugung zu verschwinden. "Dann werden wir keine Ethik der Würdemehr haben, sondern am Ende nur noch eine Ethik der Erfolgsinteressen, inwelcher sich das von Gesundheitskonzernen stimulierte Bedürfnis nach Fitnesszu einer neuen Religion verselbständigt. Im Handumdrehen trägt dann dieSelektion die Maske der Selbstbestimmung, die Vernichtung von Menschen dieMaske des Mitleids", warnte Kamphaus.

Im Blick auf die breite Einführung vorgeburtlicher Diagnostik wachse dieGefahr, dass Eltern die "Schuld" dafür zugeschrieben werde, wenn einbehindertes Kind zur Welt komme. Faktisch werde so die Solidargemeinschaftmit den betroffenen Eltern und Kindern aufgekündigt. Welche Abweichungen voneinem Idealbild als noch erträglich empfunden würden, werde zunehmend vonTrend-Vorstellungen bestimmt. Nachdrücklich sprach sich der LimburgerBischof dagegen aus, dass umfassende vorgeburtliche Diagnostik zur Pflichtoder Routine werde. Es komme darauf an, dass betroffene Frauen und Elterneine eigenständige und verantwortungsbewusste Entscheidung ermöglicht werde."Sie haben ein Recht darauf, ihr Kind ohne Untersuchung so anzunehmen, wiees zur Welt kommt", sagte der Bischof. Erforderlich sei eine deutlicheVerbesserung der psychosozialen Beratung.

"Der Mensch hat nicht Wert, der Mensch hat Würde."

Vortrag von Bischof Franz Kamphaus zur Eröffnung des Institutes "Mensch,Ethik und Wissenschaft" in Berlin am 01. März 2002 im Wortlaut:

Die wohl bekannteste Gestalt mit einer Behinderung entstammt einem Roman vonVictor Hugo. Sie heißt Quasimodo. Deren Geschichte als Glöckner von NotreDame ist inzwischen zweimal verfilmt worden. Es gibt sie als Hörspiel und -hier in Berlin - zur Zeit als Musical. Hören Sie, wie Victor Hugo (1833) dieReaktion auf das Findelkind beschreibt: "Es war ein eckiger, sehrbeweglicher Klumpen, der in einem Sack steckte. Nur der Kopf schaute heraus.. ein missgestaltetes Ding. Man sah nur einen Wald fuchsroter Haare, einAuge, einen Mund und Zähne. Das Auge weinte, der Mund schrie und die Zähneschienen Lust zum Beißen zu haben ... Die Menge, die sich beständigvergrößerte, staunte und entsetzte sich darüber ... Eine der Schaulustigenmeinte: "Es ist ein wahres Ungeheuer von Scheußlichkeit, dieses sogenannteFindelkind"; eine andere ergänzte: "Ich glaube, es ist ein Tier, der Bastardeines Juden und einer Sau; irgendetwas Unchristliches ist es ganz gewiss".. "Man müsste es ins Wasser oder ins Feuer werfen."

I.

Eines zeigt schon dieser erste Teil der Geschichte des Quasimodo: DasÜberleben behinderter Menschen hängt entscheidend davon ab, wie dieGesellschaft sie wahrnimmt. Von je her gab es ihnen gegenüber Formen derAbgrenzung, die oft zur Ausgrenzung führten. [Als "Krüppel" und"Schwachsinnige" abgestempelt, hatten sie noch nie viel zu lachen. In derAntike waren griechische und römische Schönheitsideale maßgebend: perfekteMenschen mit perfekten Körpern. Sie wurden in der Kunst vor Augen geführt.Wer diesem Ideal nicht entsprach, war der Darstellung nicht würdig. Dergroße Plato forderte, verkrüppelte Kinder auszusetzen.] Es war ein langerWeg vom Tollhaus bis zur Werkstatt für Behinderte. Heute gibt esArbeitsplätze in der freien Wirtschaft und Verwaltung - wenn auch zuwenige -, es gibt Förderprogramme und finanzielle Vergünstigungen.

Dennoch, allzu oft sind archaische und barbarische Vorstellungen nichtwirklich überwunden. Sie kommen ans Licht, wenn etwa - wie vor zwei Jahren -eine Fernseh-Moderatorin Behinderte als "hoffnungslos hässliche Menschen"und "menschliche Naturkatastrophen" bezeichnet. Das sind Zeichen einerKulturkatastrophe, die ein Institut wie dieses herausfordern.

Wir machen uns nichts vor: Wenn wir Menschen mit schweren Behinderungensehen, weichen wir fast instinktiv aus. Die Irritation angesichts körperlichoder geistig behinderter Menschen ist tief in die Evolution des Lebendigeneingeschrieben, sie sitzt uns in den Knochen, und wird heute durch den Kultvon Vitalität und Stärke gefördert. Niemandem ist ein Vorwurf daraus zumachen, dass er verunsichert ist und abwehrend reagiert, wenn er behindertenMenschen begegnet. Aber das ist keine Rechtfertigung, sondern eineHerausforderung: Wir haben lebenslang daran zu arbeiten, Behinderte inFreiheit und Liebe zu würdigen wie jeden anderen Menschen. Das gerade istAusdruck von Kultur.

Viele sehen in körperlichen und geistigen Behinderungen im wesentlichen einebiologisch-medizinische Störung normaler Körperfunktionen. Das Normale istder Maßstab des vollgültigen menschlichen Lebens. Normal gleich rundumfunktionstüchtig! Wer das nicht bringt, ist behindert. So gesehen wird eineBehinderung fast automatisch zur "Minus-Variante des normalen" (A.Lob-Hüdepohl). Das Minus als Vorzeichen vor dem ganzen Leben - das kann dochnicht wahr sein. Statt behinderte Menschen immer nur in der Perspektiveihres Unvermögens zu sehen, gilt es die Augen zu öffnen für ihreFähigkeiten. Wer Behinderung mit Leiden gleichsetzt, der übersieht vielLebensfreude, viel Charakterstärke in der Art, wie BetroffeneEinschränkungen ins eigene Leben integrieren. Im Atelier der LebenshilfeFrankfurt arbeiten derzeit 18 geistig behinderte Maler und Bildhauer. Nichtihre Behinderung weckt ihre Kreativität, sondern ihre Begabung.Selbstwertgefühl und Selbstverständnis beruhen doch nicht auf unserenDefiziten, sondern auf unseren Fähigkeiten und Möglichkeiten.

Hier soll nicht das Leben von und mit behinderten Menschen schön geredetwerden. Es gibt unter ihnen Verzweifelte, die lieber tot sein möchten alsdass sie leben. Sie können ihr Leben nicht annehmen, weil sie selbst vonihrer Umwelt nicht angenommen sind. Genau das macht ihre eigentlicheBehinderung aus; genau das können wir ändern, wenn wir es ändern wollen.Nicht körperliche oder geistige Beeinträchtigungen als solche, sondern derensoziale Folgen, die Reaktion der Anderen lassen behinderte Menschen inerster Linie an ihrem Leben verzweifeln. Im Klartext: Behindert wird mannicht allein durch eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung, sonderndurch eine behinderte Gesellschaft, die Fremdheitserfahrungen nichtverarbeitet oder sie als Bedrohung ihres Selbstwertes versteht.

Ein betroffener Vater hat das vor kurzem in einem Leserbrief in "Die Zeit"so beschrieben: ["Vorweg: Ich kann gut verstehen, warum für viele ElternFrüherkennung in der Schwangerschaft so wichtig ist. Wer möchte schon, dasssein Kind mit einer Behinderung geboren wird? Vor drei Jahren kam meineTochter Karolina auf die Welt - Karolina hat das Down-Syndrom. SchwererHerzfehler, OP mit vier Monaten, Krankenhausaufenthalte, Infekte,Muskel-Hypotonie, geistige Behinderung - mit diesen Problemen mussten wirzunächst lernen umzugehen. Konfrontiert wurden wir auch mit den Reaktionender Umwelt. Häufige Frage von Bekannten und Freunden: Konntet ihr das nichtverhindern? Ehrlich, ich weiß nicht, wie wir entschieden hätten, wäre unsder Befund vor der Geburt bekannt gewesen. Mit meinem heutigen Wissen würdeich mich klar gegen eine Abtreibung eines Kindes mit Trisomie 21aussprechen.] Karolina, ein dreijähriges, glückliches Mädchen mitDown-Syndrom, meine Tochter: lieb, laut, lustig. Ihr kleines Leben ist nichtdie Hölle - auch wenn es unwissende Zeitgenossen nicht glauben mögen. DieHölle ist, wenn Ärzte in den Kliniken nicht in der Lage sind, geschockteEltern eines neugeborenen behinderten Babys einfühlsam aufzuklären. DieHölle ist, wenn die Menschen auf der Straße nur glotzen, sich nicht trauenzu fragen. Unwissenheit, Ignoranz und Intoleranz sind es, die ein Leben mitBehinderung zur Hölle machen können" (Ulf Rasch).

Die Fähigkeit Behinderte anzunehmen, hängt wesentlich davon ab, wie wir mitunseren eigenen Behinderungen und Einschränkungen fertig werden. Wir sindeine Gesellschaft von Menschen, von denen keiner ganz schwach und keinerganz stark ist, keiner nur behindert und keiner ganz unbehindert. Es kommtdarauf an, dass wir uns mit unseren Stärken und Schwächen ergänzen, einerdie Last des anderen trägt, mit der Schulter, die er gerade frei hat. "Waswir können und was wir nicht können, das alles gehört uns gemeinsam. Und füruns miteinander wirds schon reichen", sagt der evangelische Pfarrer UlrichBach, der seit dem 23. Lebensjahr an den Rollstuhl gebunden ist.

II.

Noch vor dreißig Jahren gab es kaum eine Möglichkeit, Behinderungen vor derGeburt festzustellen. Das hat sich heute durch neue Methoden derFrüherkennung grundlegend geändert. Die Medizin verfügt über Möglichkeiten,Behinderungen im Mutterleib zu erkennen: Pränataldiagnostik. Zugleicherleben sich die Menschen heute immer mehr als autonome Subjekte: Was früherals Schicksal erlebt wurde, meint man heute selbst in die Hand nehmen zukönnen. Dem entspricht ein immer stärkerer Wille, die Natur, dieGesellschaft, nicht zuletzt sich selbst, den eigenen Körper und das eigeneLeben zu gestalten. Aus dieser Sicht vollenden Genforschung und Gentechnikeine Entwicklung, die sich dadurch zuspitzt, dass der Gestaltungswille aufden Menschen selbst zielt. Darin liegt das Neue der gegenwärtigenHerausforderungen: Der Bereich elterlicher Verantwortung weitet sich inbislang unbekannter Weise. Zwischen Zeugung und Geburt eines Menschenschiebt sich mit den neuen Möglichkeiten eine Entscheidung mitzweischneidigen Folgen. Auf der einen Seite erhöhen sich die therapeutischenChancen, zugleich aber wächst die Tendenz, auszuwählen zwischen solchenMenschen, die geboren werden und solchen, die vor der Geburt abgetriebenwerden. Damit werden unter der Hand bestimmte Menschen per se zu einemunerwünschten Risiko. Die Entscheidung, dieses Risiko zu tragen, fällt nichtnur in den Verantwortungsbereich der Eltern; sie gerät im Ernstfallunversehens zu ihrer "Schuld". Wer in Zeiten vorgeburtlicher Diagnostik nochein erbkrankes Kind zur Welt bringt, ist "selbst schuld"; er hat darum auchsämtliche Lasten und Kosten zu tragen und nicht andere zu behelligen. ZurDebatte stehen weniger analytische oder diagnostische Verfahren als solche,sondern mehr eine durch sie geförderte Einstellung des Menschen gegenüberdem Menschen.

Es ist in diesem Zusammenhang sehr aufschlussreich, wie sich die pränataleDiagnostik entwickelt hat (bei der bevorstehenden Diskussion um PID wirddaran zu erinnern sein). Ursprünglich sollte sich die genetische PD nur aufPersonen mit dem begründeten Verdacht beziehen, erblich vorbelastet zu sein.Aber sie hat sehr schnell Sogwirkungen ausgelöst und bestimmteErwartungshaltungen begünstigt. Je mehr vorgeburtliche Diagnosemöglichkeitenzur Verfügung standen, desto schneller wurde die PD zum regulärenBestandteil der Schwangerschaftsvorsorge. 1996 wurde eine zusätzlicheUltraschalluntersuchung in die Richtlinien der Mutterschaftsvorsorgeaufgenommen, die ausschließlich auf den Nachweis von Fehlbildungen abzielt.Diese stürmische Entwicklung hat vor allem zwei Gründe: Zum einen hat dieRechtsprechung bei Ärzten und Ärztinnen die Angst vorSchadenersatzansprüchen verstärkt, zum anderen fühlen sich immer mehr Frauendurch die Gefahr eines Erbleidens bei ihrem Kind beunruhigt und erwarten vonPD psychische Entlastung. Infolge des Ausbaus der PD stieg die Zahl jenerFälle, die sehr bezeichnend als "Risiko-Schwangerschaften" gelten.Deutschland erreicht dabei im internationalen Vergleich den höchsten Wertvon 60 bis 70 Prozent aller Schwangerschaften. Gemäß dem Motto "gesund sein"heißt nur "schlecht untersucht sein", verwandelt sich schließlich jedeSchwangerschaft in eine "Risiko-Schwangerschaft". Diese Einstufung hängt jaschon lange nicht mehr nur davon ab, wie intensiv und mit welchen Methodennach einem Gen-Schaden gesucht wird; entscheidend ist, nach welchenKriterien (von wem?) festgelegt wird, welche Eigenschaften unerwünscht sind.Über kurz oder lang werden weit über streng medizinische Maßstäbe hinausimmer öfter Trend-Vorstellungen bestimmen, wie ein "Wunschkind" auszusehenhat und welche Abweichungen von diesem Idealbild als noch erträglichempfunden werden. Schon jetzt ist die Auswahl des Geschlechts in einigenLändern weit verbreitet. Berichte geistern durch die Illustrierten, nachdenen man per Internet Samen oder Eizellen von besonders schönen oderbesonders intelligenten Menschen kaufen kann.

Niemand sollte sich darüber hinwegtäuschen, dass im Ergebnis eben dasgeschieht, was den Nationalsozialisten bei ihrer eugenischen Politikvorschwebte, selbst wenn ihre rassistische Ideologie und ihre ästhetischenVorbilder heute keine maßgebliche Rolle mehr spielen, geschweige dennstaatlich verordnet sind. Im Grunde handelt es sich um eine zunehmendverfeinerte Qualitätskontrolle für Embryonen, die positiv ein möglichstperfektes "Designer-Baby" zu garantieren sucht, die negativ nachAusschuss-Ware fahndet, die der Mühe und Kosten ihrer "Aufzucht" nicht wertist. Ist es nicht verräterisch, dass von den Anfängen der Eugenik an dasvolkswirtschaftliche bzw. ökonomische Argument eine große Rolle spielte undnoch immer spielt? Noch einmal: Wer kraft seiner eigenen und freienEntscheidung "Ausschuss produziert", hat auch alleine dafür gerade zustehen. Er kann nicht auf die Solidarität anderer hoffen oder sie gareinfordern. PD verschärft somit die Gefahr, nicht nur nach den Schwächen zufahnden, sondern nach den Schwachen, "unwertes" Leben zu "entsorgen".Faktisch wird die Solidargemeinschaft mit den betroffenen Eltern und Kinderaufgekündigt. Hier gilt es, auf der Hut zu sein. Der Umgang mit behindertenMenschen vor der Geburt ist ein Menetekel für den Umgang mit behinderten,schwachen und alten Menschen überhaupt. Wem eigentlich soll es einleuchten,dass die Gründe, die nach der Geburt für eine Benachteiligung vollmundigabgelehnt werden, vor der Geburt für eine Tötung sprechen? Dieser Mangel anPlausibilität spricht dafür, dass hinter dem Drängen auf vorgeburtlicheDiagnostik als treibendes Motiv nicht nur eine "Ethik des Heilens" zu suchenist; es steckt zumeist auch der Wunsch dahinter, selbst entscheiden zukönnen, ein krankes oder behindertes Kind zur Welt zu bringen oder nicht. Ineiner pluralen Gesellschaft sind nicht nur die gängigen Argumentationslinienzu analysieren, sondern auch die ihnen zugrunde liegende jeweilige Ethik.Hier sehe ich eine wichtige Aufgabe des Instituts.

Wissenschaftler sprechen inzwischen von einem breit vertretenen"Selektionskonsens", der in den meisten Fällen mit schwerwiegendem Befund ineinem Abbruch der Schwangerschaft endet. Im Zeitalter der pränatalenDiagnostik sind die meisten Frauen nicht mehr "guter Hoffnung", sondernvoller Ängste. Vielfach gehen sie - so Psychologen - eine "Schwangerschaftauf Probe" ein, sie akzeptieren ihre Schwangerschaft erst nach einemgesunden Befund. Wünsche und Ängste entspringen nicht allein dem Innernbetroffener Mütter und Väter, nicht nur persönlichen Konstellationen undfamiliären Verhältnissen. Sie werden gesellschaftlich konstruiert. Manspricht vom Zeitgeist. Er bestimmt wesentlich das Bild vom Wunschkind mit.Hier nicht zuletzt entsteht der Entscheidungsdruck, der auf einer"Risiko-Schwangerschaft" lastet. Die gegenwärtige Gesellschaft bietet kaumnoch verbindliche Orientierungshilfen und bürdet vor allem den Frauen jeneEntscheidungslast auf, die sie nach dem lautstark proklamierten "Tod Gottes"im Zeichen der Selbstbestimmung selbst zu schultern vorgibt.

Noch ist Pränatale Diagnostik keine Pflicht. Sie darf nicht zur Routinewerden. Es kommt darauf an, dass die betroffenen Frauen und Eltern zu einereigenständigen, verantwortungsbewussten Entscheidung kommen: Wollen sie dasWissen über ihr Kind erweitern oder nicht? Sie haben ein Recht aufNichtwissen, ein Recht darauf, ihr Kind ohne Untersuchung so anzunehmen, wiees zur Welt kommt. Das Schwangerschaftskonfliktgesetz garantiert in § 2einen Anspruch auf umfassende Beratung. Deshalb sollten im Mütterpass nichtnur die möglichen und verpflichtenden Untersuchungen eines Arztes notiertwerden, es sollte dort auch eine Eintragung erfolgen, die auf dieMöglichkeiten der Beratung durch unabhängige Beratungsstellen hinweist.

[Was passiert jedoch, wenn die Untersuchung eine schwere Behinderungerkennen lässt? Für diesen Fall ist die Gesetzeslage völlig ungenügend.Früher bestand neben der medizinischen Aufklärung die Pflicht zurpsychosozialen Beratung. Als die embryopatische Indikation 1995 alsselbständiger Gesetzestatbestand aufgehoben wurde, entfiel diese Pflicht. Esblieb allein die medizinische Beratung. Die besondere Zuständigkeit derÄrztinnen und Ärzte steht außer Frage. Aber allein können sie den äußerstschwierigen Situationen nicht gerecht werden. Sie klären auf. Durch dieAufklärung geraten die Betroffenen in einen schweren Konflikt. Hier setztdie Aufgabe der psychosozialen Beratung ein. Sie dient dazu, Menschenemotional aufzufangen, eine konfliktive Situation zu klären, möglicheKonsequenzen zu erfassen und abzuwägen, um zu einer verantwortetenEntscheidung zu kommen. Eine gute Beratung wächst in Kooperation mitHilfsangeboten vor Ort, mit Selbsthilfegruppen oder entsprechendenVerbänden, mit anderen sozialen Einrichtungen. Es kommt darauf an, dieEntscheidungs- und die Beratungslast auf mehrere Schultern zu verteilen. DieErfahrungen des New-England-Medical-Centers, einer unabhängigen Stiftung inBoston, belegen eindrucksvoll, was eine umfassende, auf die besondereKonfliktsituation zugeschnittene Beratung bewirkt. Dort entschlossen sichviermal mehr Eltern als im internationalen Durchschnitt, eine"Risiko-Schwangerschaft" durchzutragen.]

Gesellschaft und Staat können sehr viel tun, um das Zusammenleben mitBehinderten von Anfang an zu erleichtern. An der Bereitschaft, denBetroffenen auch finanziell beizustehen, zeigt sich, wie ernst der Schutzdes Lebens wirklich genommen wird, wie weit das Mitgefühl reicht. Ob sichhinter dem Mitleid nicht allzu oft ein bloßes Selbstmitleid unsererGesellschaft verbirgt, die sich vor zusätzlichen Belastungen schützen will?Wie also wäre es, wenn sich die Fürsorge der Gesellschaft zuerst einmaldarauf konzentriert, die Lebensbedingungen betroffener Kinder und Elternnachhaltig zu verbessern, anstatt solches Leben auszulöschen?

III.

Behinderte sind der Ernstfall, in dem sich die Unantastbarkeit der Würde desMenschen zu bewähren hat. Nicht wenige halten das Wort Menschenwürde füreine Leerformel, eine Art Joker, von den Kirchen mit Vorliebe eingesetzt,wenn ihnen keine sachlich überzeugenden Argumente mehr einfallen. InWahrheit verhält es sich eher umgekehrt: Zur ideologischen Sprechblaseverkommt die Berufung auf die menschliche Würde durch die Vernünfteleiderer, die straffreie Sterbehilfe für Todkranke fordern statt besserePalliativmedizin und mehr Hospize, die Abtreibung menschlicher finden alsdie Sorge für kranke und behinderte Kinder und ihre Eltern. Die Argumenteklingen stets wohlmeinend, meist sprechen sie von unerträglichem Leid undMitleid, von Freiheit und Fortschritt, manchmal offen von zu hohen Kostenund zu geringem wissenschaftlichem Nutzen. Immer aber wird die Würde einesMenschen verwechselt mit dem, was oft unbedacht als Wert oder Unwert einesLebens bezeichnet wird. Der Mensch hat nicht Wert, der Mensch hat Würde.

Das Wort "Wert" stammt vom Markt, aus der Ökonomie. Damit ist es nichtdisqualifiziert, aber seine Aussagekraft ist eingeschränkt, wenn es umUnbezahlbares geht. "Was ist das wert?", fragen wir. Wir kennen Messwerte,Grenzwerte oder Wertpapiere. Sie unterliegen der Definition des Menschen,sie sind verhandelbar: Grenzwerte werden von Kommissionen festgelegt,Messwerte sind statistische Ergebnisse von Experimenten, Geldwerteunterliegen den Schwankungen von Wechselkursen. All das zeigt: Der Werthängt von der Bewertungsgrundlage ab, ändert sich mit ihr und kann gegenNull gehen. Würde dagegen eignet einem Menschen als Menschen. Kant hat dasklar formuliert: "Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwasanderes ... gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist ... dashat eine Würde" (Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 2, AA,S. 434). Die darf man nicht zu Markte tragen und darüber verhandeln. Die istnicht austauschbar oder verfügbar. Sie ist nicht an Bedingungen geknüpft,sondern gilt unbedingt. Sie schützt davor, dass der Mensch Mittel zum Zweckwird. Das ist unter seiner Würde.

Ich verfüge nicht über meine Würde, schon gar nicht über die Würde einesAnderen. Das ist eine Relativierung der Selbstbestimmung. Absolute Autonomieim Zeichen des Machens und Unantastbarkeit - das ist eine unheimlicheSpannung, ein ungelöster Konflikt im Projekt Moderne. Wenn die Haltung desnicht antastenden Annehmens eines uns vorgegebenen und nicht zu machendenMenschenlebens verschwindet, werden wir keine Ethik der Würde mehr haben,sondern am Ende nur noch eine Ethik der Erfolgsinteressen, in welcher sichdas von Gesundheitskonzernen stimulierte Bedürfnis nach Fitness zu einerneuen Religion verselbständigt. Im Handumdrehen trägt dann die Selektion dieMaske der Selbstbestimmung, die Vernichtung von Menschen die Maske desMitleids.

Die Wissenschaften im neuzeitlichen Sinn schauen auf Teilbereiche derWirklichkeit. Sie entwickeln Verfahren, um gewisse Gesetzmäßigkeiten inNatur und Gesellschaft zu entdecken. Sie können dadurch unserVerfügungswissen erweitern, aber keine Sinnaussagen machen. Sie sagen uns,was wir tun können; sie sagen uns nicht, was wir tun sollen. Der bewusstgesteuerte Wandel der "Gentechnik" zu "Lebenswissenschaften" soll genau daskaschieren. Dann tritt durch die neuen Biotechniken eine Welt der totalenMachbarkeit in den Blick. Unser Verfügungswissen vergrößert sichexplosionsartig, aber unser Orientierungswissen hinkt hoffnungslos denpotenzierten Handlungsmöglichkeiten hinterher. Der Versuch, vomevolutionären Denken her ein humanes Ethos zu begründen, bietet wenigTröstliches. Kategorien wie Liebe und Erbarmen sind hier von vornhereinausgeschlossen. Schlüsselbegriffe des evolutionären Denkens sind Selektion,Kampf ums Überleben, Belohnung der Stärkeren. Was mit denen geschieht, diedabei zu kurz kommen oder auf der Strecke bleiben, findet letztlich keineAntwort. Der Mensch wird sich auf Dauer nicht damit begnügen, nur Faktenfestzustellen oder herzustellen. Person ist etwas anderes als einnaturwissenschaftliches Objekt. "Der szientistische Glaube an eineWissenschaft, die eines Tages das personale Selbstverständnis durch eineobjektivierende Selbstbeschreibung nicht nur ergänzt, sondern ablöst, istnicht Wissenschaft, sondern schlechte Philosophie" (Jürgen Habermas,Frankfurter Rede). "Mensch - Ethik - Wissenschaft", der Titel ist Programm,spannungsreich, einfach spannend. Ein Kontrapunkt zu der gängigen TriasWissenschaft - Technik - Markt.

Jürgen Habermas hat in seiner Frankfurter Rede den Begriff derGottebenbildlichkeit in Erinnerung gebracht. Die "Geschöpflichkeit desEbenbildes drückt eine Intuition aus, die in unserem Zusammenhang auch demreligiös Unmusikalischen ... etwas sagen kann."

"Gott ist tot", ruft der "tolle Mensch" in Nietzsches "FröhlicherWissenschaft". Was aber ist, wenn Gott tot ist? Der Schrei "Wohin ist Gott?"findet bei Nietzsche ein Echo, das nachdenken lässt. Es lautet: "Wohin dennder Mensch?" Diese Frage stellt sich heute in aller Schärfe: Wohin geht derMensch, wenn er sich von Gott verabschiedet hat. Geht er zum Teufel? Odervor die Hunde? Er wird heute immer mehr sein eigenes Experiment. Alles wirdtechnisch produzierbar, am Ende auch der produzierende Mensch. Er produziertsich selbst. Wer dem widerstehen will, wird wohl schließlich und endlich dieAufklärung in den Horizont des Gottesglaubens rücken und den Umkehrschlusszu Nietzsche riskieren müssen: Wer die Würde des Menschen wahren will, kanndas, wenn es zum Schwure kommt, kaum anders, als wenn er in Erinnerung hält,was mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen ausgesagt ist.

*

Den Ausgang der Eingangsgeschichte will ich Ihnen zum Schluss nichtvorenthalten. Dem Glöckner von Notre Dame - von den Menschen wie ein Monsterbegafft - geschah nichts, obwohl das Feuer schon angezündet war. Ein jungerPfarrer, der abseits gestanden und alles mit angehörte hatte, trat vor undlegte die Hand auf ihn. "Ich nehme dieses Kind an", sagte er gerade nochrechtzeitig. Er nahm es auf den Arm und trug es fort, taufte es dann und gabihm den Namen zum Gedächtnis des Tages, an dem er es gefunden hatte:Quasimodo. ("Quasi modo geniti infantes"). Mit anderen Worten: Er ist einGotteskind. Der Pfarrer unterrichtete seinen Adoptivsohn selbst und machteihn, zum Erzdechanten aufgestiegen, schließlich zum Glöckner von Notre Dame.Dort lebt der Verwachsene in einem Heiligtum von unendlicher Harmonie undhängt die Würde seines behinderten Lebens an die große Glocke.



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