Erzbischof em. Aguer: „Immer mehr konservative Priester werden kaltgestellt“

8. November 2023 in Aktuelles


Argentinischer Bischof: Auch „eine Diözese mit einem guten Klerus, in der die katholische Wahrheit gepredigt wird, in der die Liturgie gut gepflegt wird … läuft, sobald sie auffällt, in Gefahr, in irgendeiner Form kaltgestellt zu werden.“


La Plata (kath.net) kath.net dokumentiert den Beitrag von Erzbischof em. Hector Aguer (La Plata, Argentinien) auf „Infovaticana“ in voller Länge in eigener Übersetzung – Für die Arbeitsübersetzung © kath.net - Erzbischof em. Aguer (siehe Link) ist der unmittelbare Amtsvorgänger als Erzbischof von La Plata von Erzbischof Víctor Manuel Fernández (siehe Link), jetzt (umstrittener) Präfekt des vatikanischen Glaubensdikasteriums und Kardinal.

Standpunkte zu einer Röntgenaufnahme der Kirche

1.    Kaltgestellte Priester. Ich beschäftige mich jetzt nicht mit dem, was international geschieht, sondern mit einem immer häufiger auftretenden Phänomen in verschiedenen argentinischen Diözesen. „Kaltgestellt“ bedeutet, dass diese Priester aus der offiziellen Zahl der Priester, aus denen sich der Klerus einer bestimmten [Orts-]Kirche zusammensetzt, so weit verdrängt werden, dass sie nicht mehr auftauchen. Ihnen werden die Mittel zur Ausübung des Amtes entzogen und ihnen wird ihre Autorität vor den Gläubigen genommen.

Ihnen wird vorgeworfen, „Traditionalisten“ zu sein, auch wenn sie sich nicht einer Ideologie anschließen. Ideologisch ist vielmehr das Prinzip der Aufhebung, nämlich ein elementarer und schamloser Progressivismus. Leider sind die Urheber [davon] Bischöfe. Ich denke, dass sie nicht wissen, was sie tun, welchen ungerechtfertigten Schaden sie anrichten, was sie aber nicht als unschuldig rechtfertigt. Für einen solchen Angriff auf die Nächstenliebe sind die Absender auf dramatische Weise verantwortlich, die [Absender], sich den Mund vollnehmen und von Liebe reden. Die Zahl der kaltgestellten Priester ist in letzter Zeit gestiegen, und diese Realität weist eine mysteriöse Seite auf, denn es ist das Mysterium der Kirche, das betroffen ist, die Substanz der Nächstenliebe, die einen Verfall erleidet.

Der Heilung beginnt damit, dass dieses Fakt anerkannt wird, aber sogar die Presse nimmt keine Notiz davon, nicht einmal dazu, um die Kirche zu diskreditieren. Damit, dass ich dieses Problem kurz aufgreife, möchte ich noch einmal zu einer möglichen und notwendigen Lösung anregen.

Andererseits haben die kaltgestellten Priester – es ist unvermeidlich, dass sie selbst ihre Situation erkennen – die schicksalhafte Gelegenheit, sich der Passion des Herrn anzuschließen und keine Gefühle des Hasses zu hegen, sondern in sich die Hoffnung zu stärken und sich diskret um die Gläubigen zu kümmern, die auf sie zugehen. „Es gibt nichts Böses, das nicht mit dem Guten einhergeht“, heißt es im Volksmund. Ein anderes Sprichwort: „Es gibt kein Übel, das hundert Jahre währt.“ Indem ich das Phänomen anprangere, trage ich dazu bei, es öffentlich bekannt zu machen; und eine Situation, die durch diesen sich wegschmelzenden Progressivismus verursacht wird, der sich zum Schaden der Kirche und zum Nachteil der Ordnung der Priester ausbreitet, kann behoben werden.

2.    In diesem zweiten Ansatz möchte ich eine Tatsache hervorheben, die die kirchliche Röntgenaufnahme aufzeigt, wenn sie die Realität der Kirche durchleuchtet. Die Tatsache ist ein Gegensatz, oder besser gesagt das Ergebnis eines Gegensatzes: Es geht um den „Erfolg“ einer Pfarrgemeinde (analog könnte man wohl auch von einer Diözese sagen), in der Tradition gelebt wird. Ich schreibe „Erfolg“ in Anführungszeichen, weil das Wort einen Hauch weltlicher Vorherrschaft hat.

Wir leben dort einfach die Realität des christlichen Lebens, die heute so oft in die Banalität verfällt.
- Der Gemeindepfarrer und andere Priester, die dort dienen, predigen offen die Wahrheit. Sie ideologisieren diese nicht, aber die Wahrheit wird normal ausgedrückt, wie es bei jeder Predigt der Fall sein sollte.
- Den Gläubigen wird umfassend die Möglichkeit zur Beichte geboten, und bei der Beichte werden die Kriterien der katholischen Moral angewandt, ohne sich an die allgegenwärtigen relativistischen Linien zu binden.
- Die Liturgie hebt sich aus der allgemeinen Mittelmäßigkeit hervor, welche das liturgische Mysterium beschädigt.
- Sie zeichnet sich durch Genauigkeit, Feierlichkeit und Schönheit aus. Die Lieder stammen aus der über die Jahre gewachsenen überlieferten Sammlung, es sind aber auch neu komponierte Stücke enthalten. Es handelt sich um echte Musik, nicht nur um einfaches „Gitarrenspiel“
- Die Jugendgruppen mit ihren vielen Mitgliedern teilen authentisches spirituelles Leben und missionarischen Geist mit den neuen Mitgliedern, die aufgenommen werden.
- Die Praktiken der Frömmigkeit zeichnen sich durch Ernsthaftigkeit aus – ohne Affektiertheiten, die dem persönlichen und gemeinschaftlichen Wachstum im Glauben abträglich sind.

Kurz gesagt, es sind die Pfarreien von heute, wie sie immer sein sollten, sagen wir mal – auch wenn das Adjektiv seltsam klingen mag – ‚normal‘, also ebenso katholisch wie ‚sehr aktuell‘. Tradition ist eine gelebte Realität, nicht rezitiert, sie ist das Gleiche wie immer insofern, als das, was immer aktuell ist, aktuell ist und kein Museumsstück. Es geht also nicht um ‚Traditionalismus‘ – sofern ‚Ismus‘ eine Übertreibung in Missbrauch und Umgang bedeutet.

3.    Silenti opere (In stiller Arbeit). Der Ausdruck stammt aus dem Nachkommunionsgebet der 8. Messe des Marienmessbuchs. Man könnte meinen, dass diese stille Arbeit die Beschäftigung der Heiligen Jungfrau und des Heiligen Josef war, die immer im Schweigen Gottes wirkten. Weil Gott tiefe Stille ist.

Um den Ausdruck ‚In stiller Arbeit‘ auf das kirchliche Leben und auf die aktuelle Röntgenaufnahme der Kirche zu beziehen, könnte man ihn mit „es ist besser, dass sie sich dessen nicht bewusst sind“ übersetzen. Diese Vorsicht befreit uns von der Zurschaustellung – oder dem Exhibitionismus –, in dem sich Stolz verbirgt, der Gedanke, dass „wir besser sind“. Darüber hinaus rettet es den Leib im Voraus vor einer möglichen Form des Entzugs. Dieser Gedanke ist typisch für Realismus und Wissen über das Leben der Kirche auf universeller und nationaler Ebene. Die Gestalten Maria und Josef sind sehr passend Sie blieben von der Welt und dem Judentum ihrer Zeit unbemerkt. Zurschaustellung ist immer gefährlich, sie kann in das „Vorwärts – Vorwärts – Vorwärts“ des Journalismus geraten. So wie wir sind, sind wir für Gott – und nur für Ihn.

Ich habe weiter oben gesagt, dass die Beschreibung einer „erfolgreichen“ Gemeinde analog auch für eine Diözese gelten kann. In diesem Fall gehen die Silenti opere und ihre Übersetzung „es ist besser, man bemerkt sie nicht“ von der Mitgliedschaft des Bischofs in der Bischofskonferenz aus. In meinem Artikel „Die Kirche und das Episkopat“ habe ich auf diese Organisation Bezug genommen, die jeden Bischof unterdrückt und ihn Projekten und Programmen unterwirft, die allen gemeinsam sein sollen. Eine Diözese mit einem guten Klerus, in der die katholische Wahrheit gepredigt wird, in der die Liturgie gut gepflegt wird und die Aufmerksamkeit der Gläubigen mit ihren apostolischen Laienorganisationen angemessen ist, läuft, sobald sie auffällt, in Gefahr, in irgendeiner Form kaltgestellt zu werden. Dies beginnt dann, wenn die anderen Bischöfe sie betrachten und an ihr den Duft der Tradition wahrnehmen. Die Bischofskonferenzen sind in der Regel Organisationen der fortschreitenden Vereinigung, und sie dulden es nicht ohne weiteres, dass ein Bischof von seiner Freiheit als Nachfolger der Apostel und Verwahrer einer ursprünglichen Autorität Gebrauch macht.

4. Der Rosenkranz für Männer. Am 7. Oktober fand in Buenos Aires zum vierten Mal dieses Rosenkranzgebet statt, das von Männern auf der Plaza de Mayo vor der Kathedralkirche gebetet wurde. Bei einer Großveranstaltung ist es schwierig, die richtige Teilnehmerzahl zu ermitteln, es besteht die spontane Tendenz, sie zu erhöhen. Diesmal waren es etwa 300 Teilnehmer (ich würde lieber „zu gering schätzen“). Gleichzeitig wurde in mehreren Ländern ein ähnliches Gebet verrichtet. Das Datum hatte eine tiefe symbolische Bedeutung: An diesem Tag jährten sich 452 Jahre seit der Schlacht von Lepanto, dem Sieg der christlichen Armee über die osmanische Armee, die den Glauben und die Freiheit Europas bedrohte. Die Streitkräfte, die unter dem Kreuz kämpften, wurden von Don Juan von Österreich, dem Bruder von Kaiser Karl V., befehligt. Der heilige Papst Pius V. hatte die Angelegenheit der Heiligen Jungfrau anvertraut und die Menschen aufgefordert, sie durch das Beten des Rosenkranzes anzurufen; Sie wäre Unsere Liebe Frau vom Sieg, Schutzpatronin des Kreuzzugs. Denn es war ein Kreuzzug, eine weitere Episode christlichen Widerstands gegen den überwältigenden Vormarsch des Halbmondes.

Auf der Plaza de Mayo konnte man die aufrichtige und leidenschaftliche Hingabe der Teilnehmer sehen: Ich war Zeuge. Obwohl es merkwürdig ist, die Episode in kulturellen und soziologischen Begriffen zu interpretieren, muss man sagen, dass es sich um eine einzigartige Verwirklichung des Phänomens handelte, das durch die Anwendung der „Gender-Perspektive“ erkannt wird und diesmal die männliche Identität zurückgewinnt. Die vom extremen Feminismus geprägte zeitgenössische Kultur lehnt Männlichkeit ab und verwirft die Vaterfigur; sie erkennt darin nicht die Projektion der Vaterschaft Gottes gemäß der Logik der Menschwerdung. Darüber hinaus verleumdet die zeitgenössische Kultur die religiöse Einstellung, indem sie sie als Beschäftigung von Frauen darstellt. Die Wahrheit ist, dass der Mensch seine männliche Natur im Gebet als Geschenk und Berufung der ursprünglichen Schöpfung zum Ausdruck bringt, so wie Gott die Dinge geschaffen hat - ER schaute sich seine Arbeit an und sie war sehr gut geworden. So steht es im Buch Genesis (Gen 1, 12, 18, 25, 31).

Am 7. Oktober beteten wir vor allem für das argentinische Volk und für die Bekehrung seiner politischen Leiter gebetet. Am Ende des Rosenkranzes umrundeten wir die Plaza und gingen an der Casa Rosada vorbei, dem Sitz der nationalen Regierung. Die Symbolik dieser Geste muss nicht betont werden.Wir vertrauen der Barmherzigkeit Gottes die schmerzhafte Situation an, in der sich Argentinien befindet, mit 41 Prozent Armut und Bedürftigkeit in einem noch nie dagewesenen Ausmaß.

5. Liturgische Streitigkeiten. Meinungsverschiedenheiten in liturgischen Fragen deuteten sich bereits während der Sitzungen des Zweiten Vatikanischen Konzils an, erlangten jedoch in der nachkonziliaren Zeit die Dimension einer Konfrontation. Das erste von der großen Konzilsversammlung genehmigte Dokument war die Konstitution Sacrosanctum Concilium über die Heilige Liturgie. Dieser Text brachte ein angemessenes Maß an Erneuerung zum Ausdruck, wurde jedoch später als konservativ beschrieben - ein solches Urteil ist zweifellos übertrieben, aber es legt nahe, darauf hinzuweisen, dass die Konzilskonstitution eine strenge Warnung enthält, die ich ad sensum zitiere: „Deshalb darf durchaus niemand sonst, auch wenn er Priester wäre, nach eigenem Gutdünken in der Liturgie etwas hinzufügen, wegnehmen oder ändern.“ Das eigentliche Problem und die daraus resultierenden Streitigkeiten traten 1969 mit der Promulgation der „neuen Messe“ durch Paul VI. auf, d. h. der Reform des Römischen Ritus des Heiligen Opfers, der Arbeit des Consilium ad exequendam Constitutionem de Sacra Liturgia unter dem Vorsitz von Bischof Annibale Bugnini. Dieser Prälat, der allgemein als Freimaurer galt, war dafür verantwortlich, das 1962 von Johannes XXIII. veröffentlichte Messbuch durch die neue Messe von Paul VI. zu ersetzen. Das Adjektiv „neu“ hat völlig seine Berechtigung: Es handelt sich um die Schaffung eines Ritus, der sich in fast allem von dem unterscheidet, der durch eine jahrhundertealte Tradition geweiht wurde und der seit dem heiligen Pius V. im 16. Jahrhundert unverändert erhalten blieb. Die Kritik verwies auf das Wesentliche: die Mehrdeutigkeit eines Textes, in dem der Begriff des Opfers „verschwand“.

Die Beschwerde gegen diese Schöpfung wurde als Hauptprotagonist von Erzbischof Marcel Lefebvre, einem vorbildlichen geistlichen und geweihten Missionar, erhoben. Auslöser des Streits waren der obligatorische Charakter des neuen Ritus und die Verfolgung derjenigen, die anderer Meinung waren. Lefebvre gründete die Bruderschaft St. Pius X, um Priester auszubilden – darauf fiel die römische Sanktion, was zu einem unfreiwilligen Bruch führte. Erstaunlich ist die Beharrlichkeit Pauls VI., der die Verpflichtung zur Adaption des neuen Messbuchs von 1969 unbedingt auferlegte. Nach und nach wurde klar, dass ein anderer Weg hätte eingeschlagen werden müssen.

Die Haltung von Bischof Lefebvre gewann in den nächsten über zwanzig Jahren an Popularität. Es entstand eine ungewöhnliche Spaltung, die die Einheit der Disziplin beschädigte, die in der Kirche Ausdruck der Nächstenliebe ist. Es war Johannes Paul II., der begann, in vielen Fällen ein Verhalten des Verständnisses und der anschließenden Toleranz in die Praxis umzusetzen. Sein Nachfolger, Benedikt XVI., schaffte Abhilfe für die unerträgliche Situation, indem er die Verwendung des von Johannes XXIII. 1962 veröffentlichten Missale für weiten Gebrauch erlaubte. Diese Position wurde festgeschrieben mit dem Motu proprio Summorum Pontificum (12. September 2007), welches von den Gläubigen mit Erleichterung und Freude aufgenommen wurde (außer natürlich in den progressiven Bereichen).

Leider wurde diese friedliche Situation durch den derzeitigen Papst verändert, der im Motu proprio Traditiones custodes, veröffentlicht am 16. Juli 2021, die zuvor weit verbreitete Möglichkeit der Verwendung des Messbuchs von 1962 enorm erschwerte. Es lag nun im Ermessen der Diözesanbischöfe, die Erlaubnis zu erteilen, nach dem zeitlosen Ritus zu feiern, den Benedikt XVI. genehmigt hatte. Benedikt XVI. hatte bestätigt, dass die alte Messe nie abgeschafft wurde. Der große Papst Ratzinger stellte den durch liturgische Streitigkeiten gestörten Frieden in der Kirche wieder her. Diese letzte Beobachtung ermöglicht es uns, den durch das Motu proprio Traditiones custodes verursachten Schaden zu messen. Bischöfe sind nicht immer Hüter der Tradition, sondern viele ignorieren oder bekämpfen sie.

Die kirchliche Röntgenaufnahme offenbart zweifellos zahlreiche Probleme, auf die man sich konzentrieren könnte und die ich – falls es mir der Herr gütig erlaubt–  auch in weiteren Beiträgen behandeln werde.

+ Hector Aguer
Emeritierter Erzbischof von La Plata.
Buenos Aires, Dienstag, 31. Oktober 2023.
Erste Vesper des Hochfestes Allerheiligen.

Link zum spanischsprachigen Originalbeitrag auf Infovaticana: Enfoques de la radiografía eclesial
Link zu einer englischen Übersetzung auf Rorate caeli: "Approaches to Ecclesial Radiography" - Archbishop Héctor Aguer


Archivfoto: Erzbischof Aguer


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