
28. Dezember 2025 in Spirituelles
„Was ist eigentlich eine ‚heilige‘ Familie? Eine perfekte? Eine konfliktfreie? Eine, bei der alles stimmt? Die Heilige Familie von Nazaret widerspricht all dem.“ Von Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer
Eichstätt (kath.net) Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
der Sonntag nach Weihnachten trägt einen eigentümlichen Titel: Fest der Heiligen Familie. Und fast automatisch taucht die Frage auf: Was ist eigentlich eine „heilige“ Familie? Eine perfekte? Eine konfliktfreie? Eine, bei der alles stimmt?
Die Heilige Familie von Nazaret widerspricht all dem. Sie ist arm. Sie ist bedroht. Sie ist auf der Flucht. Sie kennt Angst, Unverständnis und Unsicherheit. Maria versteht ihren Sohn nicht immer. Josef muss Entscheidungen treffen, deren Sinn er nicht überblickt. Und Jesus selbst sprengt Erwartungen – auch familiäre.
Und genau diese Familie stellt die Kirche uns vor Augen. Nicht als Idealbild einer heilen Welt, sondern als Urbild der Kirche.
Der hl. Johannes Chrysostomus sagt nüchtern: „Nicht dort, wo alles ruhig ist, wohnt Gott, sondern dort, wo Menschen ihn suchen.“
Kirche entsteht also nicht dort, wo alles glatt läuft, sondern dort, wo Menschen Gott Raum geben – mitten im Unfertigen, Fragilen, Brüchigen und Schuldhaften. Nazareth ist keine Vorzeigefamilie. Aber Nazareth ist der Ort, an dem Gott wohnt.
Gott kommt herunter – aus Liebe: „Er wohnt unter uns“
Weihnachten ist die große Bewegung Gottes nach unten.
Er bleibt nicht fern. Er bleibt nicht unangreifbar. Er kommt auf Augenhöhe. Er wird Kind: „Er wohnte unter uns“, sagt das Johannesevangelium – wörtlich: Er schlug sein Zelt unter uns auf. Gott wird kein Gast unseres Lebens, sondern ein Mitbewohner. Einer, der bleibt. Einer, der teilt. Einer, der mit uns geht.
Der hl. Irenäus von Lyon fasst dieses Geheimnis in einen einzigen Satz: „Der Sohn Gottes wurde, was wir sind, damit wir werden können, was er ist.“
Gott will unser Leben nicht nur verbessern – er will es von innen her verwandeln. Darum teilt er nicht nur unsere Freude, sondern auch unsere Angst. Nicht nur unsere Heimat, sondern auch unser Exil.
Denn zur Weihnachtsgeschichte gehört nicht nur die Krippe, sondern auch die Flucht nach Ägypten. Kein romantisches Familienbild, sondern eine existenzielle Bedrohung. Gott geht mit, auch über die Grenze, auch in die Fremde, auch dorthin, wo Menschen keinen Schutz mehr finden.
Der hl. Gregor von Nazianz sagt mit großer theologischer Klarheit: „Was Christus nicht angenommen hat, ist nicht erlöst.“
Darum nimmt Christus auch Angst, Verfolgung, Heimatlosigkeit und Entbehrung an. Kein Weg unseres Lebens ist gottloses Niemandsland. Wo wir gehen müssen, geht er mit.
Gottes Liebe ist größer als alle Schuld
Im Kind von Bethlehem hat Gottes Liebe Hand und Fuß bekommen – und ein menschliches Gesicht.
Dieses Kind sagt uns: Du musst dich nicht selbst rechtfertigen. Du musst dich nicht selbst retten. Du darfst schwach sein. Du darfst scheitern. Du darfst neu anfangen.
Der hl. Augustinus sagt tröstend und zugleich befreiend: „Gott liebt dich nicht, weil du gut bist – sondern damit du gut wirst.“
Gottes Liebe reicht tiefer als unsere Schuld. Sie ist größer als unser Versagen. Sie beginnt nicht bei unserer Leistung, sondern bei seiner Barmherzigkeit.
Darum dürfen wir alles zur Krippe bringen: unsere Angst, unsere Fehler, unsere Schuld. Gott weist nichts zurück. Er nimmt uns in die Arme – wie der Vater den verlorenen Sohn. – Weihnachten ist kein Fest der Perfekten. Es ist das Fest der Geliebten.
Warum feiert die Kirche den Sonntag der Heiligen Familie?
Die Kirche feiert diesen Sonntag nicht, um Familien zu idealisieren oder unter moralischen Druck zu setzen. Sie feiert ihn, um zu ermutigen.
Sie sagt uns: Heiligkeit besteht nicht darin, dass alles gelingt, sondern dass Gott Raum bekommt – im Alltag, im Streit, im Neubeginn. Heilig ist eine Familie, in der man einander nicht fallen lässt. In der Barmherzigkeit wichtiger ist als Rechthaben. In der Liebe stärker ist als das Scheitern.
Der hl. Basilius der Große sagt schlicht: „Wo Liebe ist, da ist Gott – auch wenn vieles unvollkommen bleibt.“
Und Jesus selbst weitet den Familienbegriff radikal: „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder, Schwester und Mutter.“ So wird die Kirche zu einer weltweiten Familie, – nicht verbunden durch Perfektion, sondern durch gelebte Liebe.
Ausblick auf unsere heutige Situation
Liebe Schwestern und Brüder,
unsere Welt kennt viel von dem, was wir im Evangelium hören: Angst, Flucht, Machtmissbrauch, Unsicherheit. Aber sie kennt auch das, was die Heilige Familie trägt: Vertrauen, Verantwortung, Hoffnung.
Josef zeigt uns, was heute so notwendig ist: Hören auf Gott. Handeln, ohne alles zu verstehen. Verantwortung übernehmen, auch wenn der Weg dunkel bleibt.
Der hl. Ambrosius sagt über Josef: „Er glaubte mehr dem Wort Gottes als dem Augenschein.“
Vielleicht ist eine Familie – und auch eine Gemeinde – genau dann heilig, wenn sie Raum lässt für das Menschliche: für Lachen und Weinen, für Scheitern und Neubeginn.
Wo Hungernde gespeist werden, Fremde aufgenommen, Kranke besucht, Gescheiterte nicht ausgeschlossen werden, dort lebt die Heilige Familie weiter. Dort wird Weihnachten konkret.
Oder mit den berühmten Worten des hl. Irenäus:
„Die Herrlichkeit Gottes ist der lebendige Mensch.“
Und so dürfen wir mit Vertrauen in die Zukunft gehen.
Wir kennen nicht das Programm des neuen Jahres.
Aber wir vertrauen dem Dirigenten.
Denn: Gott ist da. Er wohnt unter uns. Und er geht mit uns.
Amen.
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