Drei Liturgieverständnisse im Spiegel der neueren Kirchengeschichte

19. November 2025 in Spirituelles


Benedikt XVI. – Franziskus – Leo XIV. Von Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer


Vatikan - Eichstätt (kath.net) I. Benedikt XVI. - Liturgie als Offenbarung und Kontinuität – Das sakramentale Denken eines Theologenpapstes

1. Einleitung: Eine neue Epoche liturgischer Theologie
Die Wahl von Joseph Ratzinger zum Papst am 19. April 2005 markierte in der jüngeren Geschichte der Liturgie einen Wendepunkt. Bereits vor seiner Wahl hatte er als Präfekt der Glaubenskongregation, Professor für Dogmatik, Konzilstheologe und Autor maßgeblicher liturgiewissenschaftlicher Werke eine klare liturgietheologische Position ausgearbeitet: Liturgie ist nicht nur Kult, nicht nur Feier, nicht nur Ritual – sie ist Erscheinungsort des Mysteriums Gottes, die sichtbare Übereignung des Heils an die Kirche¹.

Benedikt XVI. steht in einer Linie großer liturgischer Erneuerer, die bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zurückreicht: Dom Lambert Beauduin, Romano Guardini, Joseph Jungmann, Anton Baumstark, Odo Casel, Aimé-Georges Martimort, Annibale Bugnini, Cipriano Vagaggini. Mit ihnen teilt er das Grundanliegen, das Zweite Vatikanische Konzil nicht als Bruch, sondern als organische Entwicklung der liturgischen Tradition zu lesen. 

Seine Berater waren u. a.: Georg Gänswein, Malcolm Ranjith, Uwe Michael Lang, Alcuin Reid, die „Schule von Sant’Anselmo“. Die Beratung war wissenschaftlich, textkritisch, patristisch, sorgfältig.

Seine Pontifikatsjahre waren in besonderer Weise geprägt durch:
- eine Re-Sakralisierung der Liturgie,
- eine theologische Grundlegung des liturgischen Handelns,
- eine Rehabilitierung der Tradition,
- eine kritische Hermeneutik der Nachkonzilszeit.
Seine liturgietheologische Position ist in sich kohärent, historisch fundiert und geistlich reich. Im Folgenden sollen die fundamentalen Linien dieses Verständnisses dargestellt werden.

2. Liturgie als Epiphanie des Mysteriums
2.1 Das Wesen der Liturgie: Gottes Werk – nicht unser Werk
Für Benedikt XVI. ist Liturgie nicht menschliches Schaffen, sondern Gottes Tun an uns. In der Eucharistie und in allen Sakramenten begegnet uns Christus selbst. Daher kann der Mensch sie nicht frei erfinden, verändern oder gestalten².
Liturgie ist Gottesdienst in ontologischer Tiefe, nicht eine Inszenierung, die primär Menschen gefallen muss.
Wesentliche Merkmale dieses Verständnisses sind:
- Der Mensch steht in der Liturgie vor Gott, nicht vor sich selbst.
- Die Liturgie ist gegeben, nicht konstruiert.
- Sie ist Überlieferung, nicht Kreativität.
- Sie führt den Menschen in das Pascha-Mysterium Christi.
Diese Sicht ist zutiefst patristisch. Bereits Cyrill von Jerusalem, Ambrosius, Augustinus und Maximus Confessor sahen die Liturgie als heilswirkende Darstellung der Taten Christi – nicht als religiöses Theater oder Gemeinschaftsgottesdienst³.

2.2 Die Rolle der Schönheit
Benedikt verbindet Liturgie und Schönheit untrennbar. Schönheit ist nicht ornamentaler Luxus, sondern epistemologisches Prinzip, das Wahrheit, Gutheit und Sinn sichtbar macht.
Liturgische Schönheit heißt:
- geordnete Formen,
- edle Paramente,
- Gregorianischer Choral,
- sakraler Raum,
- Feingefühl des Zelebranten.
Ein „schöner Gottesdienst“ ist kein ästhetisches Nice-to-have, sondern Ausdruck der göttlichen Harmonie, die in der Feier aufscheint⁴.

2.3 Die Hermeneutik der Kontinuität
Benedikt XVI. hat wie kein anderer Papst die Frage gestellt, wie Liturgie reformiert werden darf und wie nicht. Seine „Hermeneutik der Reform in Kontinuität“ bedeutet:
- Reform darf niemals Bruch sein,
- Tradition ist nicht „das Gestern“, sondern „die lebendige Gegenwart aller Zeiten“,
- organische Entwicklung bedeutet behutsame, aus dem Inneren der Tradition wachsende Gestaltung.
Liturgie muss wachsen, nicht gebaut oder am Schreibtisch konstruiert werden. Das war eine klare Kritik an jener nachkonziliaren Praxis, die Liturgie „neu zu erfinden“ versuchte – oft mit Verlust von Tiefe, Formen und sakraler Sprache⁵.

2.4 Die vier Säulen Benediktinischer Liturgietheologie
Ratzingers liturgisches Denken lässt sich auf vier Grundpfeiler reduzieren:
1.    Theologische Tiefe (Liturgie als Ort der Offenbarung)
2.    Historische Verwurzelung (Patristik, frühchristliche Riten)
3.    Sakrales Ethos (Gesten, Stille, Orientierung auf Gott)
4.    Mystagogische Pädagogik (Liturgie bildet in Christus hinein)
Dieses Zusammenspiel macht seine Liturgietheologie zu einer einzigartigen Synthese aus
Tradition und Moderne – geistlich, intellektuell, mystisch und dogmatisch zugleich.

3. Liturgisches Handeln Benedikts XVI.: Reform durch Beispiel
3.1 Ad orientem – Wiederentdeckung der inneren Ausrichtung
Benedikt betonte, dass der Zelebrant mit der Gemeinde „nach Osten“ blickt. Dies ist keine nostalgische Rückkehr, sondern eine symbolische Grundhaltung: Vernachlässigt man die Ausrichtung auf Gott, wird Liturgie zum Selbstdialog der Gemeinde⁶.
Auch wenn er den Novus Ordo meist versus populum feierte, betonte er – theologisch – die Notwendigkeit der „klaren Hinwendung zum Herrn“.

3.2 Summorum Pontificum – Wiederentdeckung der Tradition
Mit Summorum Pontificum (2007) erklärte Benedikt:
„Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß.“
Damit
- rehabilitierte er den älteren römischen Ritus,
- schuf eine friedliche Koexistenz zweier Formen desselben Ritus,
- unterstrich er die Einheit der liturgischen Tradition.
Es war keine Rückwärtsgewandtheit, sondern theologische Versöhnung – ein Schritt, der weltweit viel Frieden geschaffen hat⁷.

3.3 Liturgische Normen, Musik und Ars celebrandi
Benedikt war entschiedener Verteidiger von
- Gregorianischem Choral,
- Polyphonie,
- Stille,
- klarer Rubrikentreue,
- würdevoller liturgischer Kleidung,
- sakramentaler Differenz von Klerus und Laien.
Sein Pontifikat war eine stille Liturgiereform durch Vorbild, nicht durch Dekret.

4. Schluss: Der Theologe des Sakralen
 Benedikt XVI. 
- ist wissenschaftlich, kohärent, theologisch stringent
- besitzt ein einzigartig präzises liturgisches Denken
- hat das liturgische Erbe des Westens profund verstanden
- sieht Liturgie als „Erstes Ziel“ (Beauduin), nicht als Randthema
- betrachtet Liturgie als Ausdruck Christi selbst
- operiert in hermeneutischer Tiefe und theologischer Kohärenz.
Seine liturgische Auffassung ist kohärent, tragfähig, zeitlos.
Benedikt XVI. bleibt der Papst, der die Liturgie als Schatz der Kirche, als Begegnung mit dem lebendigen Gott neu zur Sprache gebracht hat. Sein Liturgieverständnis ist intellektuell, geistlich und traditionsgebunden – ein Gegenbild zu rein funktionaler Liturgie.
Damit bereitete er allerdings bewusst den Boden für Kontroversen mit seinem Nachfolger – eine Spannung, die charakteristisch für Papst Franziskus sein wird. 

II. Papst Franziskus - Liturgie als pastorale Nähe, Einfachheit und kommunikatives Ereignis
1. Einleitung: Vom Theologen zum Pastor
Mit der Wahl von Papst Franziskus am 13. März 2013 begann eine liturgische Epoche, die mit der Benedikts kaum kontrastreicher sein könnte. Franziskus ist
- Jesuit („non cantat“)
- Seelsorger,
- Mann der Volksfrömmigkeit,
- erfahrener Bischof aus Buenos Aires.
Seine liturgische Agenda ist nicht theologisch-akademisch begründet, sondern pastoral-pragmatisch. Die Liturgie ist für Franziskus kein primäres Forschungsfeld, sondern ein Kontext, in dem pastorale Nähe sichtbar wird.

Franziskus war umgeben von Pragmatikern und politischen Theologen. Seine wesentlichen Einflusszentren waren: Jesuitischer Beraterkreis (z. B. Antonio Spadaro SJ), argentinische Pastoraltheologen, liturgisch eher nicht geschulte Mitarbeiter, starke Akzente anti-traditionalistischer Gruppen in Rom.

Seine Beratung schein häufig eher politisch statt liturgisch, emotional statt patristisch, pastoral statt wissenschaftlich gewesen zu sein.

Die liturgische Expertise fehlt: Franziskus war wahrscheinlich in Puncto Liturgie eher „beratungsresistent“ und er las wahrscheinlich kaum liturgische Fachliteratur – Benedikt las sie lebenslang.

Franziskus – Pastoral geprägt, spontan, manchmal widersprüchlich
- Liturgie dient der Pastoral, nicht der sakralen Ordnung
- spontane Entscheidungen beschädigen liturgische Kontinuität
- unzureichende Beratung führt zu inkonsequenten Maßnahmen
- Überbetonung des pastoralen Moments schwächt die sakrale Tiefe
- liturgiewissenschaftlich unzureichend verankert
Seine liturgische Auffassung ist inkohärent, situativ, weniger reflektiert.

2. Grundlinien seines Liturgieverständnisses
2.1 Liturgie als Ort der Barmherzigkeit
Franziskus betont, dass Liturgie „den Menschen nahe sein“ müsse. Sie soll
- trösten,
- heilen,
- Verständnis wecken,
- nicht einschüchtern,
- nicht ästhetisch elitär oder formalistisch wirken⁸.

Daraus resultiert:
- größere Freiheit,
- Schlichtheit,
- weniger Norm-Orientierung,
- mehr Betonung des pastoralen Moments.

2.2 Liturgie als Feldlazarett
Die berühmte Formel „Kirche als Feldlazarett“ prägt auch seine Liturgietheologie:
- Liturgie dient der ersten Wunde, nicht der Schönheit des Pflasters.
- Es geht um Rettung, nicht um Formvollendung.
- Die Feier soll Menschen anrühren, nicht ästhetisch überwältigen⁹.
Damit steht Franziskus in einem Spannungsverhältnis zu Benedikt, der Schönheit als Ort der Wahrheit verstand.

2.3 Spontaneität und persönliche Gestik
Papst Franziskus ist als Liturge
- spontan,
- improvisierend,
- verständigungsorientiert,
- körperlich sehr präsent, besonders bei den a-liturgischen Tätigkeiten.

Beispiele:
- Fußwaschung an Muslimen, Frauen, Nichtchristen
- Umarmungen am Altar
- situative Abweichungen von Rubriken
Für einige Gläubige sind diese Gesten berührend, für andere irritierend oder theologisch problematisch.
Hier zeigt sich ein Pontifikat, das Liturgie beziehungsorientiert, nicht ritenorientiert sieht¹⁰.

3. Traditionis custodes – ein Bruch oder eine Korrektur?
Mit Traditionis custodes (2021) schränkte Franziskus die Feier des älteren Ritus stark ein. Er sieht die Traditionalisten weniger als Hüter der Tradition, sondern als Gefahr für die Einheit und als Rückzug in eine vorkonziliare Welt¹².
Die Problemzonen:
- die Härte des Dekrets,
- fehlende liturgische Hermeneutik in der Begründung,
- der Eindruck einer ideologischen Schließung,
- wenig Gesprächsbereitschaft.
Darin liegt einer der brisantesten liturgischen Konflikte des Pontifikats.

4. Pastorale Stärken und strukturelle Schwächen
Stärken
- rührt Menschen an,
- ermöglicht Zugänge für Ferne,
- schafft Authentizität und Nähe,
- reduziert klerikalen Formalismus.
Schwächen
- liturgische Unschärfe,
- inkonsistente Entscheidungen,
- fehlende theologische Tiefe,
- Verstärkung des liturgischen Kulturkampfes.
Während Benedikt ein „Theologe der Liturgie“ war, ist Franziskus ein „Pastor der Liturgie“ – mit allen Vor- und Nachteilen.

III. Papst Leo XIV. - Versöhnte Tradition, sakrale Schönheit und pastorale Nüchternheit
1. Ein neuer Papst – ein neuer Ton
Die Wahl von Papst Leo XIV. im Jahr 2025 brachte sofort eine spürbare Veränderung im liturgischen Stil des Papstamtes:
- Wiederaufnahme der klassischen päpstlichen Paramente,
- sorgfältig gestaltete Liturgien,
- der Papst singt wieder,
- feierliche Ordnung mit ruhiger Eleganz,
- Wiederzulassung der überlieferten Messe in St. Peter.
Dies alles sind nicht ästhetische Zufälle, sondern Ausdruck eines liturgischen Programms¹³.

Leo XIV. knüpft sichtbar an Benedikts Sinn für sakrale Form an, ohne sich in nostalgische Rekonstruktionen zu verlieren. Gleichzeitig nimmt er die pastoralen Erfahrungen und Sensibilitäten der Jahre unter Franziskus ernst. So entsteht ein neuer Ton: nicht der Bruch, nicht die bloße Fortsetzung, sondern eine ruhige, vermittelnde Mitte.

2. Liturgie als „schlichte Feierlichkeit“ – Leos Markenzeichen
In seiner Lateranweihe-Predigt (2025) spricht Leo XIV. davon, dass die Liturgie des Bischofs von Rom „schlichte Schönheit“ haben müsse, die zugleich
- der Tradition entspricht,
- die Gläubigen bildet,
- die Anbetung fördert¹⁴.

Leos Prinzipien lassen sich in vier Stichworten zusammenfassen:
1. Schönheit ohne Prunk – die äußere Gestalt ist würdig, aber nicht triumphalistisch.
2. Norm ohne Erstarrung – rubrizistische Klarheit ohne Pharisäismus.
3. Tradition ohne Ideologie – Tradition ist Quelle, nicht Schlachtruf einer Partei.
4. Pastoral ohne Beliebigkeit – seelsorgliche Nähe, ohne den Charakter des Kultes zu verwässern.

Dies ist eine bemerkenswerte „Mitte“ zwischen Benedikt und Franziskus: Die Liturgie ist weder primär ästhetischer Diskurs noch bloßes Feldlazarett, sondern Gottesdienst, der heilsame Form und barmherzige Zuwendung verbindet.

3. Die tridentinische Messe – ein neuer, bedächtiger Umgang
Eine der sensibelsten liturgischen Fragen des Pontifikats Leos XIV. ist jetzt gerade der Umgang mit der überlieferten Form des Römischen Ritus. Nach den massiven Einschränkungen durch Traditionis custodes (Franziskus) waren die Erwartungen groß, der neue Papst werde entweder eine vollständige Rücknahme oder zumindest eine deutliche Korrektur vornehmen.

Die Linie, die sich nun abzeichnet, ist bewusst keine spektakuläre Wende, sondern ein bedächtiger, abwägender Kurs.

3.1 Keine Revision – aber moderierende Praxis
Nach übereinstimmenden Berichten von Nuntien in verschiedenen Ländern ließ Leo XIV. erkennen, dass er gegenwärtig nicht die Absicht hat, Traditionis custodes formell zu widerrufen. Er hält also noch am rechtlichen Rahmen fest, der unter Franziskus geschaffen wurde15.

Zugleich werden jedoch Ausnahmegenehmigungen zur Feier der älteren Liturgie nicht restriktiver, sondern eher geordneter und verlässlicher gehandhabt,
- in der Regel befristet auf zwei Jahre,
- mit klarer Möglichkeit der Verlängerung,
- in enger Kommunikation mit den Diözesanbischöfen,
- unter Beachtung der Einheit der Diözese.

Damit bestätigt Leo XIV. zwar die Grundentscheidung, dass der Novus Ordo die ordentliche Form des römischen Ritus bleibt, mildert aber die Härte der bisherigen Umsetzung. Die ältere Liturgie wird nicht mehr als zu marginalisierendes Randphänomen behandelt, sondern als anerkannte, wenn auch regulierte Ausdrucksform der römischen Tradition.

3.2 Symbolische Gesten – keine Systemwechsel
Der neue Papst hat – gerade in den ersten Monaten – durch einzelne, sorgfältig gesetzte Gesten gezeigt, dass er die geistliche Bedeutung der älteren Liturgie respektiert. Symbolisch stark war etwa die Tatsache, dass er einem Kardinal persönlich die Feier der überlieferten Messe im Petersdom gestattete¹⁵.

Solche Gesten sind nicht als Rückkehr zur Rechtslage von Summorum Pontificum zu lesen, wohl aber als Zeichen:
- Die Gläubigen, die im älteren Usus beten, werden nicht als Problemgruppe wahrgenommen,
- der ältere Ritus gilt nicht als Bedrohung, sondern als Teil der lebendigen Überlieferung,
- die Frage ist für Leo XIV. weniger ideologisch als pastoral und kirchenrechtlich zu moderieren.

Statt dramatischer Dekrete bevorzugt Leo XIV. einen Kurs der „geduldigen Normalisierung“: Die überlieferte Liturgie bleibt möglich, aber eingebettet in die Struktur der Diözesankirche und unter dem Primat der Einheit.

3.3 Eine „Mitte der Langsamkeit“
Auffallend ist die bewusste Langsamkeit des neuen Papstes. Obwohl innerkirchlich Druck von verschiedenen Seiten besteht – von jenen, die eine komplette Rehabilitierung des älteren Ritus fordern, und von jenen, die eine weitere Einschränkung erwarten –, entscheidet sich Leo XIV. für einen Weg der kleinen, tastenden Schritte.

Diese „Mitte der Langsamkeit“ ist nicht Ausdruck von Unentschlossenheit, sondern von geistlicher Unterscheidung:
- Er vermeidet Entscheidungen, die neue Gräben reißen würden.
- Er beobachtet sorgfältig die Wirkung der bisherigen Regelungen.
- Er setzt auf Dialog mit Bischöfen, Gemeinschaften und Gläubigen.

So entsteht ein Bild von Leo XIV. als einem Papstes, der die liturgische Frage entdramatisiert: nicht durch Ignorieren, sondern durch ruhige, strukturell klare, aber menschlich zugewandte Praxis. Der überlieferte Ritus ist damit weder voll rehabilitiert noch an den Rand gedrängt, sondern in einen Weg der friedlichen Koexistenz zurückgeführt.

4. Liturgie und Gerechtigkeit – Leos eigene Signatur
In Dilexi te (2025) betont Leo XIV.: „Die Eucharistie lehrt uns, wie Gott liebt – und sendet uns, diese Liebe in Gerechtigkeit zu übersetzen.“

Damit integriert er Benedikts „sakrale Tiefe“ mit Franziskus’ „sozialer Sensibilität“. Die Liturgie wird nicht als Gegenwelt zur Geschichte verstanden, sondern als Quelle einer erneuerten Praxis der Nächstenliebe:

- Der Gottesdienst ist Ursprung der Mission, die missionarische Praxis relativiert jedoch nicht die Form des Gottesdienstes, vielmehr lässt die geformte Liturgie die Sendung strahlen.
So entsteht eine charakteristische Signatur dieses Pontifikats: Orthodoxie und Orthopraxie werden nicht gegeneinander ausgespielt, sondern aus der Eucharistie heraus miteinander verschränkt.

Ausblick und Fragen zur weiteren Erforschung
- Wie wird Leo XIV. konkret mit der Frage der außerordentlichen Form des Römischen Ritus umgehen? Wird er Richtlinien weiterentwickeln oder moderieren?
- In welchem Maße wird Leo XIV. liturgische Bildung und Formation (als Dimension bei Benedikt und Franziskus) in den Vordergrund stellen?
- Wie wird er den Spagat meistern zwischen sakraler Tiefe (Ritus als Begegnung mit Gott) und pastoraler Wirksamkeit (Liturgie als Mission)?
- Für Deutschland bzw. deutsche Diözesen: Welche liturgischen Impulse aus diesen drei unterschiedlichen Verständnissen ergeben sich? Wie könnten sie konkret umgesetzt werden?

5. Synthese der Pontifikate
Die drei Pontifikate lassen sich – bei aller Vereinfachungsgefahr – so charakterisieren:
Benedikt XVI.
- Liturgie als Wahrheit, Tradition, Schönheit, Ordnung, Kontemplation.
Franziskus
- Liturgie als Nähe, Öffnung, Barmherzigkeit, Dialog, Flexibilität.
Leo XIV.
- Liturgie als friedvolle Einheit beider Linien:
Schön, würdig, normentreu – und zugleich pastoral, menschlich und offen.

Er ist damit ein Brückenpapst, nicht zwischen Ideologien, sondern zwischen legitimen liturgischen Bedürfnissen. Während Benedikt die Tiefe der Tradition neu aufschloss und Franziskus die Ränder in den Blick nahm, versucht Leo XIV., Mitte und Peripherie, Form und Barmherzigkeit, Tradition und Gegenwart in einer versöhnten liturgischen Kultur zu bündeln.

Schluss
Die Liturgie ist der Ort, an dem die Kirche sich erneuert.
In Benedikt, Franziskus und Leo XIV. zeigen sich drei unterschiedliche Wege:
- Benedikt: die Vertiefung,
- Franziskus: die Öffnung,
- Leo: die Versöhnung.
Drei Päpste – drei Zugänge – ein gemeinsames Bekenntnis.
Die Liturgie der Kirche stand immer im Prozess des „geschichtlichen Werdens“, beeinflusst von ihrer jeweiligen Zeit und ihren Notwendigkeiten, ohne ihre Tradition zu vergessen oder zu verleugnen, denn sie wusste, dass sie aus dem Mysterium lebt, das sie feiert16.

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ENDNOTEN
¹ Joseph Ratzinger, Einführung in den Geist der Liturgie, Freiburg 2000.
² The Spirit of the Liturgy, San Francisco 2000, 22–30.
³ Cyrill von Jerusalem, Katechesen, bes. Mystagogische Katechesen II–V.
⁴ Ratzinger, Einführung, 41–52.
⁵ A. Reid, The Organic Development of the Liturgy, San Francisco 2005.
⁶ Ratzinger, Der Geist der Liturgie, 75–88.
⁷ Benedikt XVI., Summorum Pontificum (2007).
⁸ Franziskus, Evangelii gaudium, Nr. 27–33.
⁹ Franziskus, Desiderio desideravi, Nr. 16–20.
¹⁰ Beispiele in: A. Spadaro (Hg.), Papa Francesco e la liturgia, Rom 2016.
¹² Franziskus, Traditionis custodes (2021).
¹³ Papst Leo XIV., Regina caeli, Mai 2025.
¹⁴ Leo XIV., Homilie, Lateranweihe-Tag, 9. November 2025.
¹⁵ Bericht zur erneuten Erlaubnis einer tridentinischen Messe in St. Peter unter Leo XIV.
16 Anton Baumstark, Vom Geschichtlichen Werden der Liturgie, Freiburg i.Br., 1913.

Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer ist der Gründungsrektor des Collegium Orientale in Eichstätt. Er ist Theologe mit Schwerpunkt auf ökumenischer Theologie, ostkirchlicher Ekklesiologie und ostkirchlicher Liturgiewissenschaft. Er studierte in Eichstätt, Jerusalem und Rom, war in verschiedenen Dialogkommissionen tätig. Er veröffentlicht zu Fragen der Ökumene, des Frühen Mönchtums, der Liturgie der Ostkirchen und der ostkirchlichen Spiritualität. Weitere kath.net-Beiträge von ihm: siehe Link.
 


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