„Einen Papst, der deutschen Ansprüchen genügt, wird es ohnehin niemals geben“

19. August 2025 in Interview


100 Tage ist Leo XIV. im Amt. Jetzt zieht Bestsellerautor Michael Hesemann erste Bilanz und legt die erste fundierte Biografie des Prevost-Papstes vor. Sie enthält einige überraschende Enthüllungen… Von Verena M. Vianney Fabekovec Obl.OSB


Rom (kath.net) Interview mit dem Autor und Historiker Michael Hesemann. Er ist Romexperte und Pilgerführer im Heiligen Jahr.

Fabekovec: Herr Dr. h.c. Hesemann, am 18. August, genau 100 Tage nach seiner Wahl, erscheint Ihr Buch „Leo XIV. – Papst und Brückenbauer“. Seit dem „Habemus papam“ am 8. Mai wurden mehr als ein halbes Dutzend Bücher über ihn im deutschen Sprachraum veröffentlicht. Das Ihrige wurde groß als „Die Biografie“ angekündigt. Was unterscheidet es von den bisher veröffentlichten, bzw. warum haben Sie sich entschieden, selbst eines zu schreiben?

Hesemann: Bei dem, was bisher auf den Markt kam, muss man zunächst einmal unterscheiden zwischen KI-generierten Fake-Büchern und ernstzunehmenden Publikationen, von denen es gerade einmal drei gibt. 

Die KI-Produktionen, die manchmal schon eine Woche nach der Papstwahl lieferbar waren, sind, mit Verlaub gesagt, Schrott. In einem stammt Robert Francis Prevost aus einer polnischen Einwandererfamilie, obwohl er nicht einen einzigen Polen im Stammbaum hat. In einem anderen wird sein Vater zum Arbeiter, obwohl er Schulleiter war. Und im dritten ist zu lesen, dass Leo XIV. nach seiner Amtseinführung gemeinsam mit Präsident Trump eine Pressekonferenz gab, was einfach frei erfunden ist. Das ist schon kriminell, wie mit so etwas die Leser um ihr hart verdientes Geld geprellt werden. 

Die ernstzunehmenden Publikationen erschienen allesamt in namhaften Verlagen wie Herder, Patmos und Paulinus. Diese drei Bücher haben aber eines gemeinsam: Sie wurden in der Woche vor der Amtseinführung des Papstes fertiggestellt, ihre Autoren hatten also maximal eine Woche Zeit für ihre Recherchen. Das genügt für einen ersten Eindruck und insbesondere das Büchlein meines Radio-Vatikan-Kollegen Stefan von Kempis ist guter Journalismus und wirklich liebevoll gestaltet; ich habe es immer sehr gerne verschenkt. Von einer relevanten Biografie aber kann schwerlich die Rede sein, wenn nur ein paar dutzend Seiten das Leben des neuen Papstes behandeln. 

Daher habe ich mir etwas mehr Zeit gelassen und in Rom, wo ich vier Wochen lang sein Wirken verfolgte, in den USA und Peru gründlich recherchiert. So kann ich sein Leben auf rund 200 Seiten mit vielen bisher unbekannten Details, u.a. auf der Grundlage von Aussagen seiner Brüder und rund 70 Weggefährten, darstellen und zeige auch viele bislang unveröffentlichte Dokumente und Aufnahmen aus Familienarchiven, die viele bislang verborgene Aspekte in seiner Vita beleuchten. Das ist natürlich ein ganz anderer Ansatz und die Ergebnisse werden viele überraschen. 

Zum Ersten ist Leo der erste „globale“ Papst, ein Papst, der (hochinteressante!) Vorfahren auf vier Kontinenten hat und auf drei Kontinenten jeweils etwas mehr als zwei Jahrzehnte gelebt hat. 

Zweitens hat es noch nie einen Papst gegeben, der auf einem so breiten Spektrum gewirkt hat, der Missionar, Gemeindepriester, Bischof, weltweit operierender und weitgereister Generaloberer und römischer Kurienkardinal war, was ihn natürlich exzellent auf seine heutige Aufgabe vorbereitete. 

Und drittens gibt es hochinteressante „Zeichen der Vorsehung“, die darauf ihn hindeuten, dass er tatsächlich der „Kandidat Gottes“ ist. Die Kirche ist eben nicht nur eine irdische Organisation, sondern auch ein Werkzeug des Himmels. Doch die Aussagen seiner Nachbarn, Mitschüler und Mitbrüder zeigen auch deutlich, was für ein Mensch er ist. Wer also wirklich diesen Papst verstehen und auch einige seiner Geheimnisse ergründen will, sollte unbedingt dieses Buch lesen! 

Fabekovec: Dies war Ihr drittes „habemus papam“ – wie war dieses Erlebnis für Sie, wie unterschied es sich von den vorhergehenden?

Hesemann: Es ist jedes Mal ungemein bewegend, dabei zu sein, wenn Welt- und Kirchengeschichte geschrieben wird. 

Bei Benedikt XVI. war ich überglücklich, weil ich ihn schon kannte und schätzte. 

Bei Franziskus war ich sehr skeptisch, weil er einfach alles tat, um anders zu wirken. 

Bei Leo XIV. war ich angenehm, sehr angenehm überrascht. Ich wusste noch nichts oder kaum etwas über ihn, keiner meiner Kollegen hatte ihn auf dem Schirm gehabt, aber ich mochte ihn spontan. Seine Verneigung vor der Tradition, seine klugen, sauber vorbereiteten und gut formulierten Worte, seine ungespielte Rührung, diese tiefe Menschlichkeit, all das gefiel mir sofort an ihm. Ich danke dem Heiligen Geist, dass er den Kardinälen den Mann gezeigt hat, den die leider so stark polarisierte Kirche heute braucht: einen Brückenbauer und ja, auch: einen katholischen Gentleman. 

Fabekovec: Der neue Papst ist jetzt genau 100 Tage im Amt, in der Politik ist dies ein beliebter Zeitpunkt um ein erstes Resümee zu ziehen. Wie ist Ihr persönlicher Eindruck und Ausblick nach dieser Zeit?

Hesemann: Kardinal Ruini, ein Urgestein der römischen Kirche, hat unlängst gesagt, die größte Leistung Leos XIV. sei, innerhalb von nur wenigen Wochen die Kirche wieder vereint zu haben. Wie wahr! Er ist der Brückenbauer, der große Versöhner. 

Das könnte, so zeichnet es sich jedenfalls jetzt ab, das große Thema seines Pontifikats sein. „Der Friede des Herrn sei mit Euch allen“ waren seine ersten Worte von der Loggia des Petersdomes aus und das war programmatisch. Er will inneren Frieden in der Kirche und äußeren Frieden in der Welt. Innerkirchlich versucht er, und das ziemlich erfolgreich, die beiden Flügel in der Kirche, die Reformer und die Konservativen, miteinander zu versöhnen. Er zeigt großen Respekt vor der Tradition der Kirche, vor dem Papstamt, vor der Kurie, was ja bei seinem Vorgänger etwas zu kurz kam, aber er setzt auch auf Kontinuität zu Franziskus, dort, wo sie erstrebenswert ist. Vor allem aber wertet er das Papstamt auf, indem er, statt auf Populismus zu setzen, eine sehr klare und christozentrische Position vertritt. Es macht Freude, seinen wohldurchdachten Predigten zu lauschen; sie sind visionär und sie helfen uns, unseren Glauben zu vertiefen. 

Schließlich hat er seine erste große Bewährungsprobe in diesen 100 Tagen bestanden, nämlich das Weltjugendtreffen zum Heiligen Jahr in Rom vor zwei Wochen. Er hat die Jugend der Welt nicht nur begeistert, er hat ihre Herzen gewonnen. Und das ist ein sehr gutes Zeichen für die Zukunft der Kirche. 

Jetzt steht er vor zwei großen Herausforderungen. Die eine ist die angespannte Weltlage, Stichwort Ukraine- und Nahost-Konflikt. Und die andere ist die Ökumene, die Versöhnung mit den Kirchen des Ostens, in deren Zeichen seine erste Auslandsreise, sein Besuch in der Türkei Ende November, stehen wird.

Fabekovec: In einem vielbeachteten kath.net-Interview mit Kurt Kardinal Koch (Link) ging es um den ökumenischen Dialog und erste Anzeichen, wie sich dieser unter Leo XIV entwickeln wird. Was sind Ihre persönlichen Gedanken und auch Hoffnungen dazu?

Hesemann: Mit seiner großartigen Ansprache vor den Patriarchen, Bischöfen, Priestern und Gläubigen der mit Rom unierten Ostkirchen hat er schon in der ersten Woche seines Pontifikats ein klares Zeichen gesetzt und ein tiefes Verständnis für die byzantinische und altorientalische Geisteswelt gezeigt. 

Das zweite wichtige Zeichen ist sein offenbar sehr gutes Verhältnis zum Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, „Seiner Allheiligkeit“ Bartholomäus I., Patriarch von Konstantinopel, der in den letzten Monaten bereits zweimal in Rom war und den er ja, wie gesagt, Ende November besuchen wird. 

Zeitgleich setzt sich der Gedanke durch, dass das „Schisma“ von 1054 auf einem falschen Verständnis der gegenseitigen Exkommunikation von Papst und Patriarch basiert und wir uns ohnehin nicht nur sehr viel näher sind, sondern uns auch gegenseitig brauchen. Die Kirchenspaltung ist doch ein Ärgernis, ein Riss durch das ungeteilte Gewand Christi, das schnellstens behoben werden muss. 

Und ich denke, dazu ist Leo, der Brückenbauer, der schon demonstrativ ein russisches Priesterkreuz trug, der richtige Mann.

Fabekovec: Momentan erleben wir auf der ganzen Welt, sogar in Deutschland, einen regelrechten „Papst-Leo-Effekt“. Wie erklären Sie sich dies, und vor allem wird diese Begeisterung Ihrer Analyse und Erfahrung nach anhalten?

Hesemann: „Alle lieben Leo“, was natürlich auch daran liegt, dass er als Brückenbauer alle ins Boot holen will und daher alle mit Respekt behandelt. Auch seine klugen Worte, sein ungekünsteltes, bescheidenes Auftreten und seine Freundlichkeit allen Menschen gegenüber tragen ihren Teil dazu bei, dass man eigentlich gar nicht anders kann, als ihn zu schätzen. Hermann Hesse schrieb, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt, und das gilt ganz besonders auch für ein neues Pontifikat. 

Allerdings führt das auch dazu, dass unglaublich viele Erwartungen auf Leo projiziert werden, die er unmöglich alle erfüllen kann. Da wird er keine andere Wahl haben als die eine oder andere Gruppe zu enttäuschen. 

Nehmen wir den „Synodalen Weg“ in Deutschland, der sich ja einbildet, der Papst sei auf seiner Seite, weil er den Begriff der „Synodalität“ benutzt, wenn auch anders gemeint, hat. Würde Leo dessen Forderungen nachkommen, wäre dies ein Verrat am Glauben und an der Tradition der Kirche und darum natürlich völlig undenkbar. 

Also kann man sich an zehn Fingern ausrechnen, wann in diesen Kreisen die Stimmung kippt, so wie es ja auch bei Franziskus der Fall war, als sich zeigte, dass auch der Bergoglio-Papst immer noch katholisch war. Doch einen Papst, der deutschen Ansprüchen genügt, wird es ohnehin niemals geben… 

Fabekovec: Wie sehen Sie, ganz persönlich den jetzigen Papst? Welche Hoffnungen und Wünsche haben Sie an sein Pontifikat?

Hesemann: Ich persönlich schätze ihn sehr und denke, dass er ein Geschenk der göttlichen Vorsehung an die Kirche ist. Gerade auch seine große Nähe zur Volksfrömmigkeit gefällt mir sehr, denn das ist der Glaube des Volkes Gottes, das erkannt hat, dass Gott sich in Zeichen und Wundern offenbart und kein Deus emeritus ist, sondern ein lebendiger Gott, der uns liebt und seine Präsenz spüren lässt. 

Nun bin ich Historiker und damit Chronist; als einem solchen steht es mir nicht zu, Erwartungen an den Papst zu haben. Ich kann ihm nur Gottes reichen Segen dafür wünschen, dass er die Kirche in eine goldene Zukunft führt, in eine Zukunft als missionarische Kirche, die tief im Glauben, der Tradition und dem Göttlichen verankert, die mit sich selbst und mit ihren Schwesterkirchen der Orthodoxie versöhnt ist und damit auch im 3. Jahrtausend glaubwürdig Zeugnis ablegt für das Evangelium Jesu Christi. Wenn er es zulässt, dass der Heilige Geist durch ihn wirkt, kann eigentlich nichts schief gehen. 

Fabekovec: Vielen Dank für Ihren wertvollen Dienst und das Interview und viel Erfolg für Ihr so wichtiges Buch! 

kath.net-Buchtipp – Neuerscheinung!
LEO XIV.
Papst und Brückenbauer – Die Biographie 
Michael Hesemann
Hardcover, 320 Seiten; 10 SW-Fotos, 40 SW-Abb.
2025 Langen/Müller
ISBN: 978-3-7844-3756-9
Preis: Österreich 24,70 €
Deutschland 24 €

 


© 2025 www.kath.net