Benedikt XVI., das Missbrauchsgutachten und die Verantwortlichkeit von Kardinal Marx

10. Februar 2022 in Kommentar


„Die (kirchensteuerfinanzierte) Beweisführung in Sachen Benedikt ist schlicht und einfach eines Anwaltes unwürdig.“ Gastbeitrag von Rechtsanwalt Lothar C. Rilinger


München-Vatikan (kath.net) Das von Kardinal Marx, dem Erzbischof von München/Freising, in Auftrag und mit Kirchensteuern bezahlte Missbrauchsgutachten versucht mit Vermutungen und Wahrscheinlichkeitsannahmen zu beweisen, dass sich der damalige Erzbischof Ratzinger Verfehlungen in der Behandlung von Missbrauchsfällen schuldig gemacht und durch sein Handeln und Unterlassen Priester als Missbrauchstäter in verwerflicher Weise gedeckt haben soll. Auch wurde seine Glaubwürdigkeit insgesamt angezweifelt, weil er sich nach 42 Jahren nicht mehr an seine Teilnahme an einer für den Fall vollkommen belanglosen und unerheblichen Sitzung des Ordinariats München korrekt erinnern konnte. Er wurde deshalb öffentlich als „Lügner“ nicht nur abgestempelt, sondern sogar verurteilt, obwohl er sofort nach Erkenntnis seines Fehlers diesen korrigiert hat.

Benedikt selbst und seine juristischen und kirchenrechtlichen Berater haben nunmehr eine Stellungnahme der Öffentlichkeit übergeben und dargelegt, nicht nur wie es zu dem Irrtum über die Teilnahme an einer Sitzung gekommen ist, sondern auch – ja: vor allem – aufgezeigt, wie die Gutachter Benedikt zeitlich unter Druck gesetzt und sein Recht auf rechtliches Gehör eingeschränkt und dadurch dessen Verteidigungsmöglichkeiten bewusst und unangemessen beschnitten haben. Wie wir aus der Stellungnahme erfahren konnten, haben die Gutachter Benedikt mit nahezu 8.000 Seiten Urkunden konfrontiert. Sinnigerweise wurden diese Urkunden nicht in Papierform vorgelegt, sondern ausschließlich digital, was zwar kostengünstiger ist, aber die Bearbeitung sehr stark behindert hat – auch wegen der viel zu kurz gesetzten Bearbeitungsfristen. Es konnte nur ein Berater diese vielen Urkunden im Computer aufrufen, er konnte sie allerdings nicht kopieren, um sie den anderen Beratern vorzulegen; er konnte sie noch nicht einmal speichern oder ausdrucken. Damit war Benedikt der sogar verfassungsrechtlich verankerten Möglichkeit beraubt, die Stellungnahme auf das Gutachten durch seine Berater in der üblichen Weise erarbeiten zu lassen. Ihm war die wichtigste Möglichkeit der Verteidigung und Aufklärung abgeschnitten. Üblicherweise werden Verteidigungsschriften nicht von den Betroffenen selbst erstellt, sondern von beauftragten Personen, die sich in Fragen der Verteidigung auskennen. Da diese Personen selbstverständlich nicht sämtliche Rechts- und Sachfragen abschließend bewerten können, holen sie sich sachkundigen Rat ein. Dies erfordert allerdings, dass auch diese Berater vollständig über den Sachverhalt informiert sein müssen. Sie müssen infolge dessen Akteneinsicht haben und zwar in vollem Umfang. Benedikt hätte deshalb die Möglichkeit haben müssen, seinen vier Beratern die Akten vollständig zur Verfügung zu stellen, damit diese – jeder für sich und als Gemeinschaft – den Sachverhalt hätten bewerten können. Diese Möglichkeit der Verteidigung ist aber Benedikt nicht gewährt worden. Allein diese Vorenthaltung rechtfertigt die Annahme, dass das Gutachten zumindest in Bezug auf Papst em. Benedikt XVI. wertlos ist. Kardinal Marx hat insofern Kirchensteuergeld gleichsam zum Fenster hinausgeworfen, da seine beauftragten Gutachter noch nicht einmal in der Lage waren oder sollte es vielleicht nicht besser heißen: sein wollten, die Essentials einer Verfahrensführung zu beachten. Durch das Beschneiden der Verteidigungsmöglichkeiten haben die Gutachter das Prinzip des rechtlichen Gehörs verletzt, das selbstverständlich auch im Rahmen von Privat- oder Auftragsgutachten beachtet werden muss. An sich müssten jetzt neue Gutachter beauftragt werden, um Benedikt die Möglichkeit zu eröffnen, sich im gesetzlich gewährten Umfang verteidigen zu können. In staatlichen Verfahren ist die Verletzung des rechtlichen Gehörs ein Revisionsgrund, der die Aufhebung des Urteils oder zumindest die Rückverweisung des Verfahrens zur erneuten Überprüfung zur Folge hat.

Die Gutachter behaupten weiter, Benedikt habe den Missbrauch in Form des Exhibitionismus verharmlost, da er einen Unterschied zwischen Missbrauch „an“ und „vor“ gemacht habe. Man möchte am liebsten den Gutachtern die alte Weisheit um die Ohren schlagen, die die juristischen Repetitoren nicht müde werden, den Studenten einzuhämmern, dass ein Blick ins Gesetz die Rechtsfindung erleichtere. Hätten die Gutachter sich der Mühe unterzogen und die Einlassung von Benedikt vollständig gelesen und – was wichtig ist – auch verstanden, hätten sie merken können, dass Benedikt einleitend den Missbrauch in jeder Form heftig verurteilt und dass er danach die damaligen kirchenrechtlichen Regelungen zitiert hat – ohne mit einem Wort darzulegen, dass er diese Unterscheidung teile und damit den Missbrauch „vor“ dem Opfer verharmlose oder relativiere. Aus welchem Grund die Gutachter diese Unterscheidung nicht verstanden haben, entzieht sich dem unbeteiligten Dritten, eröffnet aber Spekulationen, die nicht gerade für die objektive Verfahrensführung durch die Gutachter sprechen, sondern eher dafür, dass sie Benedikt auf Teufel komm raus Verfehlungen unterstellen wollen – vielleicht auch deshalb, um die horrenden Gutachterkosten zu rechtfertigen.

Letztendlich haben die Gutachter während der Pressekonferenz, in der das Gutachten der Welt präsentiert wurde, einräumen müssen, dass sie keine gerichtsfesten Beweise für ein Fehlverhalten Benedikts vorweisen können. Deshalb haben sie davon gesprochen, dass „wahrscheinlich“ ein Fehlverhalten vorliege. Allein dieses Argument verschlägt einem die Sprache und lässt uns – begründet – an den juristischen und aufklärerischen Fähigkeiten der Rechtsanwälte zweifeln. Die Beweisführung in Sachen Benedikt ist schlicht und einfach eines Anwaltes unwürdig.

Benedikt XVI. war immerhin der Papst und damit das Oberhaupt von 1.300 Millionen Katholiken und hat eine Position innegehabt, die vor ihm in dieser Fülle noch kein deutscher Staatsbürger innehatte, selbst nicht Kaiser Karl V., in dessen Reich bekanntermaßen die Sonne nicht unterging. Benedikt ist ein Mann der Zeitgeschichte, ja, er ist sogar Teil der Weltgeschichte. Und diesem Mann halten sie vor, er habe „wahrscheinlich“ Missbrauchstäter gedeckt. Diese Chuzpe ist eigentlich unvorstellbar. Wie kann man einer Person solche ungeheuerlichen, aber nicht bewiesenen, ja, nicht beweisbaren Vorwürfe machen, die geeignet sind, Benedikt XVI. in seiner Reputation zu zerstören, ohne in der Lage zu sein, diese Anschuldigungen auch nur ansatzweise begründen zu können. In einem Gerichtsprozess würde dieses Vorgehen als falsche Anschuldigung gewertet und strafrechtlich verfolgt werden. Eine solche öffentliche haltlose Verurteilung dürfte es allerdings auch aus anderen rechtlichen Gründen rechtfertigen, dass gerichtlich überprüft wird, in wieweit andere Vorschriften des Strafgesetzbuches verletzt sein könnten.

Den Gutachtern Unkenntnis der Regeln in Beweisführungsverfahren vorzuhalten, dürfte wohl überflüssig sein. Sie wissen sehr wohl, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um einem Betroffenen Verfehlungen nicht nur zu unterstellen, sondern auch nachzuweisen. Deshalb müssen sie von Überlegungen geleitet worden sein, die mit juristischen Vorgaben nichts zu tun haben. Folglich müssen wir wiederum über den sogenannten „Synodalen Weg“ sprechen, über diesen vom Papst nicht genehmigten Weg, eine neue Kirche zu kreieren und damit ein Schisma anzustreben. Der Auftraggeber Kardinal Marx ist ein großer Befürworter dieser als Protestantisierung verklärten Reform, Benedikt hingegen ist ein entschiedener Gegner. Dass Kardinal Marx theologisch und philosophisch Benedikt nicht gewachsen ist, dürfte er wohl selbst einsehen, andernfalls setzte er sich dem Vorwurf der Borniertheit aus und: Wer möchte schon als borniert gelten, gerade dann, wenn man selbst Professor ist. Deshalb liegt der Verdacht nahe, dass die im Gutachten geäußerten Vorwürfe doch nur den einen Grund haben könnten, Benedikt als Person zu desavouieren und ihn als Theologen und Philosophen mundtot zu machen, damit er mit seiner Stimme nicht mehr die Heilserwartung durch den „Synodalen Weg“ in Frage stellen kann. Den Gutachtern als erfahrenen Anwälten dürfte bekannt sein, welche Wirkung allein ein solches Missbrauchsgutachten in der Öffentlichkeit auslöst, selbst dann, wenn kein Täter gerichtsfest benannt werden kann. Hierfür spricht schon die Inszenierung der Veröffentlichung im Rahmen einer Pressekonferenz, die auf eine weltweite Wirkung ausgerichtet war – eine Inszenierung als Gesamtkunstwerk, um der Welt die eigene, eingebildete Vorzüglichkeit vor Augen führen zu können, in Wahrheit aber nur – zumindest in Sachen Benedikt – der Öffentlichkeit die eigene Subjektivität und damit mangelnde Eignung als neutrale Gutachter luzide präsentiert zu haben.

Kardinal Marx muss sich das Handeln der Gutachter als eigenes zurechnen lassen. Er hat die Gutachter beauftragt, nicht eine unabhängige dritte Stelle, wie es hätte sein müssen, ja, es ist sein Gutachten, und deshalb hat er auch die haltlosen und nicht bewiesenen Vorwürfe Benedikts gegenüber als eigene zu verantworten. Genauso wie Benedikt durch seine Unterschrift unter die 82-seitige Stellungnahme diese zu seiner eigenen machte, obwohl sie von dritter Seite erstellt worden ist. Damit muss sich Kardinal Marx vorhalten lassen, dass er mit seinem Gutachten eine Causa gesetzt hat, die geeignet ist, nicht nur Benedikt, sondern auch der Kirche insgesamt erheblichen und schwersten Schaden zuzufügen. Für diese Beschädigung der Person Benedikts und der Kirche ist der Auftraggeber haftbar zu machen. Auch wenn jetzt spitzfindige Juristen vortragen können, dass beide Sachverhalte vom Prinzip her nicht zu vergleichen sind, so muss dem aber entgegengehalten werden, dass Kardinal Marx als Auftraggeber Herr des Verfahrens war, obwohl auch über ihn gerichtet wird. Er hätte sich vor Veröffentlichung des Gutachtens informieren müssen, was die Gutachter herausgefunden haben, schließlich haben die Gutachter in seinem Namen gehandelt und nicht im Namen einer staatlichen oder unabhängigen kirchlichen Ermittlungsbehörde. Er wusste also, dass Benedikt unbeweisbares Handeln oder auch Unterlassen unterstellt wird und dass dadurch nicht nur die Person Benedikts in Mitleidenschaft gezogen werden würde, sondern auch die Kirche an sich. Er hätte wissen müssen, dass durch diese Anschuldigungen der Prozess der Zerstörung der Kirche neue Nahrung erhalten würde. Möglicherweise – und hierüber können wir nur spekulieren – sollte die alte Kirche beschädigt werden, damit das entscheidende Hindernis beseitigt wird, um eine neue Kirche, die des sogenannten „Synodalen Weges“, geschaffen werden kann. Es sind nur Spekulationen, nur Ausfluss einer Suche nach den Motiven von Handlungen, die von keiner Vernunft durchdrungen sind. Kardinal Marx hat demzufolge mindestens billigend in Kauf genommen, dass Benedikt und der Kirche Schaden zugefügt wird, obwohl er bei seiner Weihe zum Priester und zum Bischof sowie anlässlich seiner Erhebung zum Kardinal feierlich versprochen hat, der Kirche Jesu Christi zu dienen. Oder anders ausgedrückt: Sie nicht zu zerstören.

Kardinal Marx hat durch die Beauftragung der Gutachter – zumindest bezogen auf die Person Benedikt XVI./J. Ratzinger – dem vormaligen Papst und der Kirche einen großen Schaden zugefügt, der viele Kirchenaustritte zur Folgen haben wird. Damit hat sich Kardinal Marx nicht als geeignet erwiesen, Verantwortung in der römischen Kirche zu übernehmen. Was hieraus für Konsequenzen zu ziehen sind, weiß er selbst. Wir können nur hoffen, dass Papst Franziskus ein Einsehen hat und der Kirche im Bistum München/Freising eine neue Zukunft mit einem neue Oberhirten eröffnen möchte – eine Zukunft, in der die Verkündigung des Wortes Gottes die Hauptaufgabe verkörpert und nicht – persönliche – Machtspiele, die nur der Zerstörung der Kirche und ihres vormals höchsten Repräsentanten dienen. Angriffe muss die Kirche von vielen Seiten ertragen, deshalb ist es nicht zu akzeptieren, dass sie auch noch solche ihrer eigenen Bischöfe abwehren muss. Nur wenn sie selbst christliche Ideale vertritt, nur dann, hat sie die Chance, wieder groß zu werden und den Menschen das Heil anzubieten, das Jesus Christus den Menschen verheißen hat.

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Lothar Rilinger (siehe Link) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht i.R. und stellvertretendes Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes a.D.

 


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