An der Kirche (ver)zweifeln

26. März 2019 in Kommentar


"Leider darf man sich keinen falschen Illusionen hingeben: Die katholische Kirche in Deutschland wird durch manche ihrer Hirten mit dem Hebel des 6. Gebots gespalten.“ Ein Gastkommentar nach DBK-Beschluss zu neuer Sexualmoral von Hubert Windisch


Bonn (kath.net) * Was hat die DBK bei ihrer Frühjahrsvollversammlung vom 11.-14. März 2019 in Lingen wohl geritten, dass Kardinal Marx bei seinem abschließenden Pressebericht davon sprechen konnte, dass die Kirche in Deutschland aufgrund der klerikalen Missbrauchsfälle eine Zäsur erlebe und der Glaube nur wachsen und tiefer werden könne, wenn wir frei würden von „Blockierungen des Denkens, der freien und offenen Debatte und der Fähigkeit, neue Positionen zu beziehen und neue Wege zu gehen“? Denn gesagt wurde dies im Hinblick auf eine Änderung der kirchlichen Sexualmoral im Sinne einer Anpassung an vorherrschende Sexualeinstellungen und -praktiken. Die moraltheologische Rechtfertigung dazu findet sich im Vortrag „Die Frage nach der Zäsur. Studientag zu übergreifenden Fragen, die sich gegenwärtig stellen“, den Prof. Schockenhoff aus Freiburg bei der Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischöfe gehalten hat. Auf der Basis dieses Vortrags ist mit den Worten von Kardinal Marx die (synodale) Schiene für eine kirchliche Hermeneutik des Bruchs gegenüber der bisherigen katholischen Lehre in sexualibus gelegt.

* Wer das Referat von Schockenhoff liest, meint eine theologisch verbrämte Sexkolumne einer Boulevardzeitung vor sich zu haben. Hier wird nicht mehr nur keine (Moral)Theologie geboten, hier wird die kirchliche Lehre (vor allem auch von Papst Johannes Paul II.) in Bezug auf menschliche Sexualität aufgegeben. En passant wird alles, was zur Zeit in sexualibus en vogue ist, unter besonderer Betonung der (gelebten!) Homosexualität, kirchlich schmackhaft gemacht. Dabei wird aber weder die göttliche Weisheit verstanden, die sich in der Schöpfung des Menschen als Mann und Frau als seinem Ebenbild ausdrückt (vgl. Gen 1,27), noch die sakramentale Dimension des auch sexuellen Miteinanders von Mann und Frau nach Eph 5,32 gewürdigt, das die Treue Christi zu uns in seiner Kirche widerspiegelt – in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und in Krankheit. Hier wird Theologie zur Rechtfertigung sexualmonadischer Lustnomaden missbraucht. Letztlich ist der Entwurf, dem sich die Bischöfe unterwerfen, zerstörerisch, denn es werden biblisch-lehramtlich-theologische Säulen der kirchlichen Sexualmoral mit dem Pulver der Verheißung, dass Sexualität in welcher Form auch immer des Lebens Erfüllung und die Lösung all seiner Probleme sei, gesprengt. Ist denn kein Bischof aufgestanden und hat gerufen: Es reicht!? Leider darf man sich keinen falschen Illusionen hingeben: Die katholische Kirche in Deutschland wird durch manche ihrer Hirten mit dem Hebel des 6. Gebots gespalten. Der deutsche Katholizismus scheint nach Mathias von Gersdorff in einen Abgrund zu stürzen. Wenig ist geblieben vom einstigen Selbstverständnis der katholischen Kirche.

* Natürlich ist die Problematik der kirchlichen Lehre in Bezug auf die menschliche Sexualität vor dem Hintergrund klerikaler Missbrauchsfälle im Augenblick ein wichtiges und dringliches Thema. Natürlich haben die Missbrauchsfälle mit Machtmissbrauch zu tun, aber es ist sexueller Machtmissbrauch mit vor allem homosexuellem Hintergrund. In keiner Weise dürfen die klerikalen Missbrauchsfälle jedoch für eine zweifelhafte Reform der kirchlichen Sexuallehre missbraucht werden, wie es der sog. sexualethische Neuansatz der Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe vermuten lässt. Man muss sich vielmehr über einen geforderten, in jeder Hinsicht gerechten Umgang mit Missbrauchsfällen hinaus auch der weit grundsätzlicheren Herausforderung stellen, die im Vorgehen der Bischöfe sichtbar wird. Warum sollte nämlich auf ähnliche Weise, also auf der Basis der Zäsur, in der Kirche nicht auch mit dem 5. oder 4. oder 7. oder 8. Gebot des Dekalogs umgegangen werden? Der noch offizielle Abstand der Kirche zu den Vorstellungen der Menschen von heute ist diesbezüglich ja riesig: z. B. in Bezug auf den Lebensschutz, in Bezug auf Abtreibung, PID, Euthanasie und auf die Auflösung der familialen Strukturen, in Bezug auf den Umgang mit der Wahrheit in Medien und Politik usw.? Gäbe es nicht auch hier Blockaden des kirchlichen Denkens zu lösen? Man spürt sofort, wie man dann auf der Schiene der Zäsur als Kirche plötzlich in Teufels Küche käme, und wird eher an das erschreckend-bedrückende Fresco von Luca Signorelli (um 1500) in der Kapelle San Brizio im Dom zu Orvieto erinnert, das die Predigt des Antichristen zeigt. Viel wichtiger als im Modus einer „Liebedienerei der Aktualität“ (Milan Kundera) Zäsurgefälligkeiten an die Zeitgenossen zu verteilen, stünde es den Hirten der Kirche gut an, auf der Basis der Umkehr in die Heilige Schrift wieder das darin vorgegebene Verhältnis von Kirche und jeweiliger Welt, ob gelegen oder ungelegen (vgl. 2 Tim 4,1-5), zu beherzigen und den Gläubigen in der Welt dabei das kirchliche Bewusstsein zu erhalten, letztlich doch nicht ganz von dieser Welt zu sein (vgl. Joh 15-17).

* Viele Gläubige wollen sich dagegen wehren, von ihren Hirten auf den breiten Weg des Verderbens geführt zu werden, vor dem Jesus in der Bergpredigt warnt (vgl. Mt 7,13). Was können sie tun? Eine effektive Möglichkeit wäre es, den Vorschlag von Roland Noé mit seiner Frage „Eine moralische Pflicht zum ‚Kirchenaustritt‘?“ aufzugreifen und eine Bewegung ins Leben zu rufen nach dem Motto „Um der Kirche willen aus der Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts austreten“, das dabei eingesparte Geld selbstverantwortlich im Sinne Jesu für seine Kirche zu verwenden und weiterhin ungeniert mit allen auch sakramentalen Implikationen Kirche zu sein. Vielleicht würde sich dann sehr schnell die eine oder andere Blockade im Denken von Bischöfen im Sinne biblischer Metanoia lösen.

Prof. Dr. Hubert Windisch ist emeritierter Professor für Pastoraltheologie der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg.


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