Benedikt XVI. – Joseph Ratzinger und der selige Johannes Paul II.

26. April 2014 in Aktuelles


‚Der Mut der Wahrheit ist in meinen Augen ein erstrangiges Kriterium der Heiligkeit’. Veritatis splendor, Dominus Iesus und die Heiligkeit Johannes Pauls II. - Teil 2 - Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Im zweiten Teil seines Gesprächs mit dem polnischen Vatikanisten Włodzimierz Rędzioch, das Anfang März 2014 in Italien in dem Buch „Accanto a Giovanni Paolo II. Gli amici e i collaboratori raccontano“ („Neben Johannes Paul II. Die Freunde und Mitarbeiter erzählen“) veröffentlicht wurde, geht Papst emeritus Benedikt XVI. der Frage zu den wichtigsten Enzykliken Johannes Pauls II. nach. In besonderer Weise setzt sich Benedikt XVI. dann mit der Heiligkeit seines Vorgängers auseinander, deren erstrangiges Kriterium für ihn der Mut zur Wahrheit ist.

Zu den wichtigsten Enzykliken des Pontifikats Papst Johannes Pauls II. zählt Benedikt XVI. die Lehrschreiben „Redemptor hominis“ (1979), „Redemptor missio“ (1990), „Veritatis splendor“ über die Grundlagen der Moral (1993), „Evangelium vitae“ (1995) sowie „Fides et Ratio“ (1998) über das Verhältnis von Glaube und Vernunft.

Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang die Wertung Benedikts XVI. der zur Zeit ihrer Veröffentlichung heftig attackierten Enzyklika „Veritatis splendor“, die sich dem Verschwinden der naturrechtlichen Grundlegung der Moral sowie dem Fehlen einer christologischen Fundierung derselben widersetzte: „Hier wieder sowohl eine metaphysische Fundierung in der Anthropologie wie auch eine christliche Konkretisierung in dem neuen Menschenbild der Heiligen Schrift zu finden, war eine große Aufgabe, der sich der Papst in dieser Enzyklika gestellt hat. Sie zu studieren und sich anzueignen, bleibt eine große und wichtige Aufgabe“.

kath.net veröffentlicht diese erste Wortmeldung des emeritierten Papstes im deutschen Originaltext in zwei Teilen. Ich danke Seiner Heiligkeit Benedikt XVI. für die freundliche Unterstützung und Erlaubnis zur Veröffentlichung.

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Welche von den vielen Enzykliken Papst Johannes Pauls II. erachten Sie für die wichtigste?

Benedikt XVI.: Ich denke, dass drei Enzykliken von besonderer Wichtigkeit sind. An erster Stelle nenne ich „Redemptor hominis“ – die erste Enzyklika des Papstes, in der er seine persönliche Synthese des christlichen Glaubens vorgelegt hat. Dieser Text zeigt eine Art Summe seines eigenen Ringens mit dem Glauben und bietet so eine Gesamtsicht der Logik des Christentums dar. Als eine Antwort auf die Frage, wie man heute Christ sein und als Katholik glauben kann, ist dieser ganz persönliche und doch ganz kirchliche Text eine große Hilfe für jeden Suchenden.

An zweiter Stelle möchte ich die Enzyklika „Redemptoris missio“ nennen. Es ist ein Text, der die bleibende Bedeutung des missionarischen Auftrags der Kirche herausstellt und dabei besonders auf die Fragen eingeht, die sich der Christenheit in Asien stellen und die die Theologie in der westlichen Welt bewegen. Das Verhältnis von Dialog der Religionen und missionarischem Auftrag wird hier durchleuchtet und gezeigt, warum es auch heute wichtig ist, Menschen aller Erdteile und aller Kulturen die Botschaft von Christus, dem Erlöser aller Menschen, zu verkündigen.

An dritter Stelle möchte ich die Enzyklika über die Moralprobleme - „Veritatis splendor“ - nennen. Sie hat lange Jahre der Reifung benötigt und ist von unveränderter Aktualität. Die Konstitution des II. Vaticanums über die Kirche in der Welt von heute hatte gegenüber der überwiegend naturrechtlichen Ausrichtung der Moraltheologie von damals eine biblische Fundierung der katholischen Morallehre von der Gestalt Christi und seiner Botschaft her verlangt. Dies wurde nur kurze Zeit ansatzhaft versucht, dann setzte sich die Meinung durch, die Bibel habe gar keine eigene Moral zu verkündigen, sondern verweise auf die jeweils gültigen moralischen Modelle. Moral sei eine Frage der Vernunft, nicht des Glaubens. So verschwand zwar die naturrechtlich verstandene Moral, aber es wurde keine christliche Konzeption an ihre Stelle gesetzt. Da man weder eine metaphysische noch eine christologische Fundierung der Moral erkennen konnte, griff man zu pragmatischen Lösungen – zu einer Moral der Güterabwägung, in der es das eigentlich Böse und das eigentlich Gute nicht mehr gibt, sondern nur von der Wirkung her das Bessere oder Schlechtere. Hier wieder sowohl eine metaphysische Fundierung in der Anthropologie wie auch eine christliche Konkretisierung in dem neuen Menschenbild der Heiligen Schrift zu finden, war eine große Aufgabe, der sich der Papst in dieser Enzyklika gestellt hat. Sie zu studieren und sich anzueignen, bleibt eine große und wichtige Aufgabe.

Von erheblicher Bedeutung ist auch die Enzyklika „Fides et Ratio“, in der sich der Papst um eine neue Konzeption des Verhältnisses von christlichem Glauben und philosophischer Vernunft müht.

Unbedingt genannt werden muss schließlich „Evangelium vitae“. Hier geht es um ein Grundthema des ganzen Pontifikats von Johannes Paul II.: die unantastbare Würde des menschlichen Lebens vom ersten Augenblick der Empfängnis an.

Was waren die herausragenden Züge der Spiritualität Johannes Pauls II.?

Benedikt XVI.: Die Spiritualität des Papstes war vor allem geprägt durch die Intensität seines Betens und damit zutiefst verwurzelt in der Feier der heiligen Eucharistie und im Mitbeten mit der Kirche im Stundengebet. In seinem autobiographischen Buch „Dono e mistero“ kann man sehen, wie sehr das Sakrament des Priestertums sein Leben und Denken geprägt hat. So konnte seine Frömmigkeit nie nur individuell sein, sondern war immer auch Mitsorge um die Kirche und um die Menschen überhaupt. Christus zu den anderen zu bringen, war im Kern seiner Frömmigkeit als Auftrag verankert. Seine große Liebe zur Muttergottes haben wir alle gekannt. Wenn er sich Maria ganz zu eigen gab, so bedeutet dies, dass er mit ihr ganz für den Herrn da war. So wie Maria nicht für sich selbst, sondern für Ihn lebte, lernte er von ihr und durch das Mitsein mit ihr die völlige Dienstbereitschaft für Christus.

Heiligkeit, Sie haben den Weg für die Seligsprechung vor der vom Kirchenrecht festgelegten regulären Zeit eröffnet. Seit wann und auf welcher Grundlage sind zur Überzeugung gekommen, dass Johannes Paul II. ein Heiliger ist?

Benedikt XVI.: Dass Johannes Paul II. ein Heiliger war, ist mir in den Jahren der Zusammenarbeit immer neu und immer mehr klar geworden. Da ist natürlich zunächst seine intensive Gottesbeziehung, sein Eingesenktsein in die Gemeinschaft mit dem Herrn zu nennen, von der ich eben schon gesprochen hatte. Von da her kam seine Fröhlichkeit mitten in den großen Mühsalen, die er zu bestehen hatte, und der Mut, mit dem er seinen Auftrag in einer wahrhaft schwierigen Zeit erfüllte. Johannes Paul II. hat nicht nach Beifall gefragt und nicht ängstlich umgeschaut, wie seine Entscheidungen wohl aufgenommen würden. Er hat aus seinem Glauben und aus seiner Einsicht heraus gehandelt und war bereit, auch Schläge auf sich zu nehmen. Der Mut der Wahrheit ist in meinen Augen ein erstrangiges Kriterium der Heiligkeit.

Nur von seiner Gottesbeziehung her kann man auch seinen rastlosen pastoralen Einsatz verstehen. Er hat sich mit einer Radikalität hingegeben, die nicht anders erklärt werden kann. Sein Einsatz war rastlos – nicht nur in den großen Reisen, deren Programme von Anfang bis Ende dicht gefüllt waren, sondern auch Tag um Tag von der Morgenmesse beginnend bis in die späten Stunden hinein. Bei seinem ersten Besuch in Deutschland (1980) habe ich erstmals diesen ungeheuren Einsatz ganz konkret erlebt. So habe ich für seinen Aufenthalt in München entschieden, dass er eine längere Mittagspause haben müsse. In dieser Pause hat er mich in sein Zimmer hinaufgerufen. Ich fand ihn beim Beten des Stundengebets und sagte zu ihm: „Heiliger Vater, Sie sollten doch ruhen.“ Er darauf: „Das kann ich dann im Himmel tun.“ Nur wer zuinnerst erfüllt ist von der Dringlichkeit seiner Sendung, kann so handeln.

Dann muss ich aber auch seine außerordentliche Güte und Nachsicht rühmen. Er hätte gewiss oft Grund genug gehabt, mich zu rügen oder auch meinen Auftrag als Präfekt zu beenden. Aber er ist mit einer ganz unbegreiflichen Treue und Güte zu mir gestanden. Auch da ein Beispiel. Angesichts des Wirbels, der um die Erklärung „Dominus Iesus“ entstanden war, sagte er zu mir, er wolle bei einem Angelus unzweideutig das Dokument verteidigen. Er lud mich ein, einen Text für den Angelus zu schreiben, der sozusagen wasserdicht sei und keine Umdeutungen gestattete. Es musste völlig unmissverständlich erscheinen, dass er das Dokument uneingeschränkt billigte. Ich habe dann eine kleine Rede geschrieben, aber ich wollte doch nicht zu hart werden und habe versucht, den Text klar, aber ohne Härte zu schreiben. Der Papst hat mich nach der Lektüre noch einmal gefragt: „Ist das wirklich klar genug?“, was ich bejaht habe. Wer die Theologen kennt, wird sich nicht wundern, dass dann doch behauptet wurde, der Papst habe sich vorsichtig vom Text distanziert.

Was empfinden Sie heute in Ihrem Innern, wenn die Kirche offiziell die Heiligkeit „Ihres“ Papstes, Johannes Pauls II., anerkennt, dessen engster Mitarbeiter Sie gewesen sind?

Benedikt XVI.: Meine Erinnerung an Johannes Paul II. ist von Dankbarkeit angefüllt. Ich konnte und durfte nicht versuchen, ihn nachzuahmen, aber ich habe versucht, sein Erbe und seinen Auftrag, so gut ich konnte, weiterzutragen. Und so bin ich ganz sicher, dass seine Güte mich auch heute begleitet und sein Segen mich beschützt.

Den ersten Teil des Gesprächs veröffentlichte kath.net am 20. März 2014


Angelus vom 1. Oktober 2000 zu „Dominus Iesus“

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Große Fotostrecke: Papst Johannes Paul II. mit Kardinal Joseph Ratzinger, seinem Nachfolger auf dem Stuhl des heiligen Petrus



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