Mahnende Worte von Rios Kardinal Tempesta nach blutiger Polizeiaktion

31. Oktober 2025 in Aktuelles


Kardinal: Leben und Menschenwürde müssen "immer verteidigt und bewahrt" werden - Favela-Priester: Menschen sind "Kanonenfutter" - Die gefundenen Leichen weisen laut Augenzeugenberichten Spuren auf, die auf unzulässige Hinrichtungen hindeuten


Rio de Janeiro (kath.net/KAP) Nach dem gegen eine große Drogenbande gerichteten Polizeieinsatz in Rio de Janeiro, der wohl der blutigste in der Geschichte des brasilianischen Bundesstaates war, haben Kirchenvertreter die Verteidigung und Wahrung des Lebens und der Menschenwürde als Gaben Gottes eingemahnt. "Als Hirte dieser Kirche kann ich nicht umhin, meinen Schmerz über so viel Leid auszudrücken und zu bekräftigen, dass das Leben und die menschliche Würde absolute Werte sind", wurde Rios Erzbischof Orani Joao Tempesta vom Online-Portal "Vatican News" zitiert. Der Kardinal rief dazu auf, Hass, Rachsucht und Gleichgültigkeit zu überwinden, die "das soziale Gefüge zerreißen". Auch die Vorsitzenden der Bischofskonferenz äußerten sich ähnlich.

Bei den stundenlangen Feuergefechten zwischen Polizei und Mitgliedern der Bande Comando Vermelho am Montag und Dienstag starben nach jüngsten Angaben mindestens 130 Menschen. Bewohner des Armenviertels Penha im Norden der Stadt hatten am Mittwoch mindestens 70 Leichen in einem Wald aufgefunden. Die Polizei hatte zunächst von 60 getöteten Banditen und vier toten Beamten gesprochen.

Die nun gefundenen Leichen wurden von Anwohnern auf einem Platz im Viertel Penha aufgereiht, um sie zu identifizieren. Sie weisen laut Augenzeugenberichten Spuren auf, die auf unzulässige Hinrichtungen hindeuten. So sollen einige der Jugendlichen und Männer durch Kopf- beziehungsweise Genickschuss getötet worden sein. Ihre Hände seien hinter dem Rücken gefesselt gewesen.

Auf die entdeckten Leichen angesprochen, sprach Rios Gouverneur Claudio Castro trotz der offensichtlich exzessiven Gewalt von einer erfolgreichen Polizeiaktion. Lediglich die vier getöteten Polizisten sehe er als Opfer an, so Castro. Rios Sicherheitssekretär erklärte, die Polizei habe die Gangster absichtlich in das Waldstück abgedrängt, um die Bewohner der Region zu schützen. Dadurch sei der "Kollateralschaden" durch Querschläger gering ausgefallen. Aktivisten von Menschenrechtsorganisationen sprachen hingegen von einem "Massaker" und einer "Katastrophe".

Favela-Priester: Menschen sind "Kanonenfutter"

Der Leiter der Favela-Seelsorge in der Erzdiözese Rio de Janeiro mutmaßt, dass die massive Polizeiaktion auch politische Motive gehabt habe und dem nach höheren Ämtern strebenden Gouverneur Castro Aufmerksamkeit verschaffen sollte. Bei den getöteten Verdächtigen habe sich vor allem um "kleine Leute, Kanonenfutter", gehandelt, also Menschen, die in der Struktur des Drogen- und Waffenhandels keine wirkliche Macht hatten, sagte der Priester Luiz Antonio Pereira Lopes dem Portal "Crux": "Die wirklich großen Bosse leben in den gehobenen Wohnanlagen im Süden der Stadt. Die Polizei würde niemals in diese Gebiete eindringen und wahllos auf die Menschen schießen", sagte er.

Er sehe keine einfache Lösung für die soziale Krise in den Favelas. Es gelte die Gesellschaft neu aufzubauen und in Bildung zu investieren. "Vorerst müssen sich die zivilgesellschaftlichen Institutionen mobilisieren und diese Operationen anprangern", so Pereira Lopes.

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