
1. November 2025 in Aktuelles
Zwischen Zweifel und Zeugnis: Wie Heiligkeit im 21. Jahrhundert Gestalt gewinnt. Piergiorgio Frassati, Carlo Acutis und die 21 Märtyrer von Libyen – Zeugnisse einer Kirche, die heilig bleibt. Von Walter Kardinal Brandmüller
Rom (kath.net/wb/as) Franz Schubert ist wohl der einzige unter den großen Meistern der Musik, der im Credo aller seiner Messen den Satz „et unam sanctam…“ – ich glaube an die eine heilige… Kirche bewusst weggelassen hat. Hat er an die Heiligkeit der Kirche nicht geglaubt, nicht an die zahllosen Heiligen ihrer Geschichte gedacht? Und: sind nicht auch wir von der Kirche unserer Tage enttäuscht? Heilige Kirche? Und doch: die Kirche, auch die Kirche unserer Tage, besteht nicht nur aus Sündern!!
Auch in unserer Zeit haben Heilige gelebt. Im Jahre 2015 haben 21 ägyptische Christen in Libyen das Martyrium erlitten, und in diesem Heiligen Jahr hat Papst Leo zwei junge Italiener der Zahl der Heiligen hinzugefügt, Piergiorgio Frassati und Carlo Acutis. Heiligkeit, heroisches christliches Leben im 20./21. Jahrhundert – Schicksale, die verschiedener nicht sein könnten, Vorbilder, Fürbitter zugleich für den Christen von heute.
I
Es sind gerade hundert Jahre, dass Piergiorgio Frassati mit nur vierundzwanzig Jahren gestorben ist. Sohn des Gründers der Tageszeitung „La Stampa“ 1901 zu Turin geboren, begann er mit 18 Jahren die Ausbildung zum Bergbauingenieur. Unbemerkt von seinen religiös eher uninteressierten Eltern führte er ein vorbildlich frommes Leben, widmete er seine Freizeit als Mitglied der „Vinzenzkonferenz“ der Fürsorge für die Armen in den Elendsvierteln von Turin. Dann engagierte er sich politisch in der christlich-sozialen Partei „Partito Popolare“. Mit zweiundzwanzig Jahren trat er dem Dritten Orden des hl. Dominikus bei. Bei einem Krankenbesuch infizierte er sich mmit einer Krankheit, an der er nach sechs Tagen verstarb. Ein äußerlich unauffälliges kurzes Leben. Welch eine Überraschung aber war es, als zu seiner Beerdigung Tausende erschienen, um Abschied von ihm zu nehmen, und vor allem in den Kreisen der Jugend eine lebhafte Verehrung Piergiorgios einsetzte. Als man 1981 seinen Leichnam exhumierte, fand man ihn unverwest vor. Im Jahr 1990 wurde er seliggesprochen und nun, 2025, zur Ehre der Altäre erhoben.
Beinahe zehn Jahre jünger als er war Carlo Acutis, der mit gerade fünfzehn Jahren an Leukämie erkrankte und nach wenigen Tagen verstarb. Ein normaler Junge, der in einer Fußballmannschaft spielte, sich gern eine lustige Fernsehserie ansah, Saxophon spielte und sich bald als Computerfreak erwies. Zugleich war er eifrig im Katechismusunterricht für kleinere Kinder. Ein aufgeweckter, sympathischer Teenager, ein guter Kamerad. Soweit war nichts Außerordentliches an ihm. Zugleich aber war er frühmorgens in der Kirche zu sehen, wo er täglich die heilige Kommunion empfing und wöchentlich das Bußsakrament. Erst bei seinem Begräbnis kam zu Tage, dass er von seinem Taschengeld Armen heimlich Almosen gegeben hatte, als diese in großer Zahl von ihm Abschied nahmen.
Blicken wir nun aber auf das Jahr 2015 zurück, und in eine ganz andere Welt – den Vorderen Orient. Da war eine Gruppe von einundzwanzig ägyptischen Christen auf der Suche nach Arbeit in Libyen angekommen, im Machtbereich des sogenannten „Islamischen Staates“.
Es konnte nicht lange dauern – nur bis zum nächsten Ruf des Muezzin – und alle wussten: diese Fremden sind nicht Söhne des Propheten. So stellte man sie vor die Entscheidung: Bekehrung zum Islam oder Tod. Die fraglose Selbstverständlichkeit, mit der sie alle ohne Ausnahme, ohne Klage Christus die Treue hielten, konnte nicht Entscheidung eines Augenblicks sein – sie war reife Frucht von Kindheit an gelebten Glaubens. Was nun geschah, nahm die laufende Kamera auf: Die Christen müssen auf die Knie. Hinter jedem steht sein Mörder, das Messer an des Opfers Kehle. „Allah akbar“ schreien sie nun. „Jesus“ hört man die Christen leise rufen – dann Stille. Das war die „mit Blut geschriebene Botschaft an die Welt des Kreuzes“. So nannten sie ihren grauenvollen Film. Ein grauenvolles Dokument des Hasses – und erschütterndes Zeugnis der Treue zu Christus bis zum Tod.
II
Verschiedener hätten sie nicht sein können, die einundzwanzig koptischen Märtyrer und die beiden jungen Italiener. Carlo und Piergiorgio, Söhne wohlhabender, nicht eben gläubiger Eltern, der eine Student, der andere noch Schüler – beide starben überraschend nach nur kurzem Krankenlager. Die einundzwanzig ägyptischen Wanderarbeiter wurden auf der Suche nach Arbeit in Libyen Opfer islamischen Terrors. Welch unterschiedliche Schicksale!
Eines aber ist ihnen gemeinsam: Sie lebten – auf je eigene Weise und unter ganz verschiedenen Lebensumständen – Glaube, Hoffnung und Liebe in heroischem Grade. Die einen Opfer der Wut der Feinde Christi, die beiden anderen in der schlichten Heiligkeit ihres jugendlichen Alltags. In der Tat – es gibt ihn nicht, den „typischen Heiligen“. Die Heiligen sind auch nicht einfach Einzelexemplare verschiedener Idealtypen, sondern Originalkunstwerke, entstanden im getreuen Zusammenwirken des je einmaligen Menschen mit der je einmaligen göttlichen Gnade.
III
Und nun – was bedeutet dies für den einzelnen Christen – was bedeutet das für mich? Das bedeutet Glaube, Hoffnung, Liebe – die göttlichen Tugenden, und dazu Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Tapferkeit – die vier Kardinaltugenden - im konkreten Alltag zu leben, in außergewöhnlicher Weise. Diese Tugenden sind wie Sonnenstrahlen, Licht, das durch das Prisma des Alltags (eines Menschen) gebrochen in seinen Spektralfarben leuchtet. Solche Heiligkeit ereignet sich, wird gelebt, nicht im luftleeren Raum, sondern in der Wirklichkeit des Alltags.
So sieht die Heiligkeit eines Familienvaters anders aus als die einer einsamen Witwe. Die eines Kaufmanns unterscheidet sich von jener einer in strenger Klausur lebenden Nonne, und so fort. Es sind die konkreten Lebensumstände des je einzelnen Menschen, die die Art und Weise bestimmen, in welcher die Tugend heroisch geübt, die Nachfolge Christi verwirklicht wird. Da nun steht jeder Christ vor der Frage, wie er in seinem Lebensstand, in seinem Beruf den Weg des Lebens gehen, nach Heiligkeit streben kann. Es ist das heutige Fest „Allerheiligen“, das uns wieder vor diese Frage stellt. Wir sollten ihr nicht ausweichen.
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