„Benedikt XVI. hat Newman zweifellos deshalb geschätzt, weil Newman tief an die Wahrheit glaubte“

22. Oktober 2025 in Weltkirche


Der niederländische Theologe und Vatikan-Korrespondent Hendro Munsterman erklärt, warum es gerechtfertigt ist, Newman zum Kirchenlehrer zu ernennen


Rom (kath.net/pl) Das Denken von John Henry Kardinal Newman enthalte „mehrere interessante Elemente. Es wird oft gesagt, dass Newman ein Vorläufer des Zweiten Vatikanischen Konzils war. Obwohl er ein Jahrhundert früher lebte, gilt er als ‚Teilnehmer‘ dieser Versammlung durch sein Denken, insbesondere über die Stellung der Laien und den ‚Sensus fidei‘. Newman glaubte, dass auch die Gläubigen aktiv etwas beitragen könnten – selbst wenn es um die Verteidigung und Vertiefung der Lehre ging. Für diese Idee schöpfte er nicht nur aus seiner eigenen anglikanischen Geschichte, sondern vor allem aus der Kirche der frühen Jahrhunderte.“ Das erläutert Hendro Munsterman im Interview mit der Nachrichtenagentur iMedia, das Interview findet sich auf dem englischsprachigen Auftritt der katholischen Website „Aleteia“. Der Niederländer Munsterman ist Theologe mit den Spezialgebieten Mariologie und Ökumenik, außerdem ist er der Vatikan-Korrespondent der niederländischen Tageszeitung „Nederlands Dagblad“. Papst Leo XVI. wird (nur sechs Monate nach seiner Wahl) den englischen Konvertiten Kardinal Newman (1801-1890) in Kürze zum Kirchenlehrer erheben.

Im Interview wirft Munsterman einen Blick auf das Verhältnis einiger Päpste zu Newman. So habe Papst Benedikt XVI. Newman „zweifellos“ deshalb geschätzt, „weil Newman tief an die Wahrheit glaubte. Die postmoderne Vorstellung, dass es keine Wahrheit gibt, dass jeder seine eigene Wahrheit konstruiert – der Relativismus – wurde vom deutschen Papst scharf kritisiert. Für Newman existiert die Wahrheit, sie muss gesucht und verteidigt werden. Doch unser Verständnis dieser Wahrheit ist nicht starr: Sie ist eine Realität, die wir ständig neu entdecken, und unser Verständnis davon entwickelt sich im Laufe der Kirchengeschichte weiter. Newman glaubt daher, dass die Lehre nicht statisch, sondern dynamisch ist, dass sie sich entwickelt und entfaltet.“ [Benedikt XVI. hatte Newman im Rahmen einer Reise nach Großbritannien persönlich in Birmingham seliggesprochen.]

Papst Franziskus sei es „genau diese Dynamik“ gewesen, „die seine Aufmerksamkeit erregt: die Vorstellung, dass nicht alles unveränderlich ist. Der argentinische Papst schätzt Newmans Denken, dass die Wahrheit ständig vertieft werden muss. Wir können auch die Bedeutung hervorheben, die Newman dem persönlichen Gewissen eines jeden Menschen beimisst: ein Thema, das Papst Franziskus besonders am Herzen lag.“ [Papst Franziskus hatte Newman 2019 heiliggesprochen.]

Munsterman weist darauf hin, dass Papst Leo XIV. schon allein „kraft seines Namens Teil des Erbes von Leo XIII.“ sei und es war Leo XIII. gewesen, „der Newman am Ende seines Lebens zum Kardinal ernannte“, was Newman ja durchaus etwas widerstrebt habe. „Der ehemalige anglikanische Priester, der zum Katholizismus konvertiert war, wurde daraufhin von einigen Kardinälen und hohen Würdenträgern mit Stirnrunzeln bedacht“. Denn „sein kritischer und origineller Ansatz in der Theologie war beunruhigend. Er glaubte nicht, dass der Katholizismus überall eine Kopie Roms sein sollte. Für ihn war es möglich, tief englisch und voll katholisch zu sein, ohne italienische Formen der Frömmigkeit, wie etwa bestimmte Volksandachten, zu imitieren. Aus diesen Gründen misstrauten ihm einige und bezweifelten sogar, dass er wirklich katholisch geworden war. Doch Leo XIII. schätzte ihn sehr und nannte ihn liebevoll ‚il mio cardinale‘ (‚mein Kardinal‘).“

Es gebe noch eine weitere Verbindung von Newman zu Papst Leo XIV., so Munstermann: „Newman war stark von den Kirchenvätern, insbesondere dem heiligen Augustinus, beeinflusst, und der neue Papst, der ja selbst ein Augustiner ist, teilt diese Affinität.“ Sogar schon als anglikanischer Priester sei Newman von den Kirchenvätern begeistert gewesen. „Ihre Lektüre überzeugte ihn davon, dass der Anglikanismus reformiert und in eine stärker ‚katholische‘ Richtung ausgerichtet werden müsse“, er habe sein großes Werk über die Entwicklung des Dogmas in diesem Sinne begonnen. „Bei der Erforschung der christlichen Ursprünge entdeckte er, dass alles, was die katholische Kirche seiner Zeit lehrte, bereits in embryonaler Form in der frühen Kirche existierte: Die Saat war da, und sie wuchs einfach. Zehn Jahre vor Darwin wandte er auf die Theologie an, was Darwin auf die Biologie anwenden würde: die Idee der lebendigen Entwicklung. Zu einer Zeit, als die Geschichte zu einer Wissenschaft wurde, gelangte Newman zu der Überzeugung, dass die katholische Kirche die organische Fortsetzung der frühen Kirche sei, während der Anglikanismus im 16. Jahrhundert erstarrt sei. Noch bevor er sein Buch fertiggestellt hatte, konvertierte er. Nach seiner Wiedertaufe – Taufen waren zwischen den Kirchen noch nicht anerkannt – wurde er zum katholischen Priester geweiht und trat dem Oratorium des Heiligen Philipp Neri bei.“

Nach seiner Konversion habe Newman aber „nie aufgegeben, was er von seinen Ursprüngen empfangen hatte“, betont Munsterman. „Er begegnete Christus in der anglikanischen Kirche und fand dann Erfüllung in der katholischen Kirche, jedoch ohne einen völligen Bruch. Es war keine eindeutige Bekehrung: Er brachte alles, was er aus seiner anglikanischen Tradition empfangen hatte, in die katholische Kirche ein und integrierte es in einen größeren Rahmen.“

Für die katholische Theologie sei „das 19. Jahrhundert keine besonders bedeutende Periode“ gewesen, führt Munstermann aus. „Nur zwei oder drei Theologen leisteten wirklich etwas Neues und vertieften das christliche Denken. Newman war einer von ihnen und stellt zweifellos das größte Licht auf katholischer Seite in dieser Zeit dar.“

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