Abtreibung – und was dann?

6. Oktober 2025 in Kommentar


Wir schauen viel auf die Frage,wie man Abtreibungen verhindern kann. Doch bei 100.000 vorgeburtlichen Kindstötungen jährlich ist es unsere Pflicht,uns um die totgeschwiegenen Überlebenden einer Abtreibung zu kümmern. Montagskick von Peter Winnemöller


Linz (kath.net)

Von Abtreibung betroffene Überlebende nehmen in fast allen Fällen einen schweren Schaden. Es ist auch Aufgabe der Kirche, hier mit Seelsorge und praktischer Hilfe zur Verfügung zu stehen. Die Haltung der Kirche zur Abtreibung ist völlig klar und unzweifelhaft. So sagt die Nr. 2217 im KKK: „Seit dem ersten Jahrhundert hat die Kirche es für moralisch verwerflich erklärt, eine Abtreibung herbeizuführen. Diese Lehre hat sich nicht geändert und ist unveränderlich.“ Die formelle Mitwirkung an einer Abtreibung wird mit der Exkommunikation als Tatstrafe belegt. Eindeutig fordert der Katechismus die Gesetzgeber auf, das Lebensrecht des ungeborenen Menschen unter allen Umständen zu schützen. So ist es durchaus zu begrüßen, dass das niederländische Parlament die Einführung eines widernatürliches Rechtes auf Abtreibung abgelehnt hat. Erst vor wenigen Monaten hatte die Republik Frankreich dagegen ein solches widernatürliches Recht in ihre Verfassung aufgenommen. Gemeinsam ist allen westeuropäischen Staaten ein deutlich unzureichend ausformuliertes Recht ungeborener Menschen auf den Schutz ihres wehrlosen Lebens. Statt eines Rechtes auf Abtreibung gehörte das Recht eines jeden Menschen auf seine Geburt in die Verfassung eines Staates, der sich als Rechtsstaat bezeichnen möchte.

Die Realität in Europa ist eine andere und drängt nicht zuletzt unter immer stärker werdendem Druck dysfunktional gewordener europäischer Instanzen auf eine weitergehende Liberalisierung der vorgeburtlichen Kindstötung. Konnte gerade in Deutschland zwar noch die Berufung einer Juristin, die sich den Kampf gegen das hilflose Leben im Uterus auf die Agenda gesetzt hatte, verhindert werden, so ist eine vorgeburtliche Existenz in Deutschland keineswegs weniger gefährlich geworden. Gegen pränatal lebende Menschen reicht ein Zettel Papier – und das Leben ist nichts mehr wert.

Oft zu Unrecht wird dann schnell auf die Mutter des Kindes gezeigt.  Da will man der Frau ein Recht auf Selbstbestimmung einreden, das sich aber über die Selbstbestimmung des ungeborenen Menschen hinweg setzt. Verantwortung dafür, dass ein Mensch das Alter für ein selbstbestimmtes Leben hat, haben nämlich die Eltern eines Kindes und – nimmt man es ernst – deren gesamtes soziales Umfeld. Statt sich um das Kind und dessen Überleben zu sorgen, ist ein „Mach es weg!“ schnell gesagt. Dabei wird ignorant bis zynisch darüber hinweg getäuscht, dass man einen existierenden Menschen nicht „wegmachen“ kann. Nichts, was Gott geschaffen hat, kann der Mensch seiner Existenz berauben: So bleibt auch ein totes Kind ein Kind. So bleibt auch die Mutter, die ein Kind hat töten lassen, eine Mutter.

Jeder, der sich nur ein wenig mit dem Schutz des menschlichen Lebens auseinandergesetzt hat, weiß darum, dass jede Abtreibung mindestens zwei Opfer hat: Das tote Kind und die mit der Schuld weiterlebende Mutter.  Nicht zu vergessen die verhinderten Väter.  Aus der Psychologie wissen wir, dass eine derart tödliche Gewalttat wie eine Abtreibung weitaus größere traumatisierende Kreise ziehen kann. Selbst die Mittäter an dem Geschehen bleiben nicht selten als geschädigte Menschen zurück. Eindrucksvoll zeigt dies der Film „Unplanned“, der die Geschichte einer sehr engagierten Mitarbeiterin von „Planned Parenthood“ zeigt, die bei einer Abtreibung auf dem Ultraschallbildschirm die volle Realität dessen begreift, was da geschieht: Ein kaltblütiger Mord an einem unschuldigen, hilflosen Wesen. Der Zusammenbruch dieser Frau ist nachvollziehbar. Dass sie danach zu einer entschiedenen Streiterin für das Leben wurde, ist ein Wunder und eine Gnade zugleich. Nicht wenige Menschen, die das Ausmaß dessen verstehen, was bei einer Abtreibung passiert, verzweifeln, werden zynisch, schwer krank oder schlimmeres. Wer sich permanent schwer gegen das Leben versündigt, kann ebenso gut abstumpfen und erkalten. Die Seele nimmt dabei zuweilen einen unheilbaren Schaden.

Wer schon einmal an einem Marsch für das Leben teilgenommen hat, hat auch die Gegendemonstranten gesehen. Menschen, die mit hass- und wutverzerrten Gesichtern gegen die friedlichen Demonstranten ankreischen. Vielen Gegendemonstranten springt die Gewaltbereitschaft geradezu aus dem Gesicht. Von den menschenverachtenden Parolen, die gebrüllt werden, ganz zu schweigen. Jeder Mensch, der nur ein wenig von Psychologie versteht, erkennt hier das Muster. Die fortgesetzte Konfrontation mit Gewalt desensibilisiert viele Menschen und ruft am Ende nichts anderes hervor als eine neue Bereitschaft zur Gewalt. Man kennt das aus dem Krieg. Gewalterfahrungen stumpfen ab. Das gilt äquivalent auch für die Konfrontation mit der Abtreibung, sei es direkt oder indirekt. Viele der Gegendemonstranten, so sagte mir vor etlichen Jahren eine junge Frau von „Jugend für das Leben“, sind betroffen. Entweder haben sie selber eine Abtreibung vorgenommen oder in der Familie bei Mutter, Schwester oder Cousine eine erlebt. Männer, die Frauen zur Abtreibung genötigt haben. Brüder, die ein abgetriebenes Geschwisterkind haben. Man überlege, dass wir seit den 1970er Jahren je nach Berechnung acht bis zehn Millionen Menschen, vielleicht sogar noch mehr, vor der Geburt getötet haben. Allein in Deutschland. Wie ist es eigentlich bestellt um ein Land, in dem in einem solchen Ausmaß Schuld gegen das menschliche Leben industriell produziert wird? Diese Frage muss sich jeder Mensch, der nicht eine metaphysisch sterile Welt annimmt, ernsthaft stellen. Und wie kann Heilung aussehen?

Heilung, um das gleich vorweg zu sagen, gibt es nur durch Sühne und Vergebung. Wie viele Rosenkränze werden in dem Anliegen gebetet, dass der Herr Frauen und Kinder vor Abtreibung schützen und dass denen vergeben werden möge, die sich schuldig gemacht haben. Um es ganz klar zu sagen, bei katholischen Teilnehmern am Marsch für das Leben gehört der Rosenkranz ganz sicher zu den am häufigsten mitgeführten Utensilien. Ich habe noch keinen Freikirchler beim Marsch erlebt, der deswegen auch nur das Gesicht verzogen hätte. Sühne und Vergebung ist der Weg der Heilung. Doch es braucht noch mehr. Und es gibt auch mehr. Seelsorge nach Abtreibung ist eine unbedingte Notwendigkeit, und sie wird immer notwendiger, je mehr der Schutz des Lebens erodiert. Obwohl katholische Seelsorge im innersten Kern immer eine sakramentale Seelsorge ist, gibt es die unbedingte Notwendigkeit, echte niederschwellige, aber hochkarätige Angebote für Menschen in Not zu machen. Eines der Angebote ist nachabtreibung.de, ein Internetforum, das zwischenzeitlich seinen Betrieb mal eingestellt hatte, wurde erst jüngst wieder aktiviert. Auch die Lebensrechtsorganisationen bieten Hilfe zum Überleben von ungeborenen Kindern an, aber sie unterstützen auch Frauen nach einer Abtreibung. Bei vielen Märschen für das Leben geben Frauen Zeugnis, die ein Kind abgetrieben haben, und denen geholfen wurde. Eine Aussage hört man immer wieder: Ich habe Jesus gefunden. Diese Zeugnisse zeigen, was wir tun können, wenn wir von Menschen erfahren, die direkt oder indirekt von Abtreibung betroffen sind. Wir können ihnen den Weg zu Jesus Christus zeigen und ihnen klarmachen, dass der Weg der Heilung immer auch der Weg der Vergebung ist. Ein Seelsorger, den ich gefragt habe, wie er mit Frauen umgeht, die abgetrieben haben, rät betroffenen Frauen immer dazu, sich ihrem Kind zu stellen. Gib ihm einen Namen, so sagte er, dies gehöre meist zu den ersten Schritten auf dem Weg der Heilung.

Bei aller dringenden Notwendigkeit, politisch für das Leben zu streiten und für eine gute Gesetzgebung zu kämpfen, gehört die Sorge für diejenigen, die betroffen sind, untrennbar und in immer stärkeren Maße zum Kampf für das Leben. Wo Sünde und Verletzung heilen können, da entsteht auch neuer Raum. Und das ist es, worum es letztendlich geht. Gott ist ein Freund des Lebens, denn er hat das Leben als Geschenk aus Liebe erschaffen. Wo wir für das Leben streiten, gilt es auch immer dafür zu streiten, dass verletztes Leben heilen kann. Weil wir Menschen sind, die nach Wissen streben, sollten auch die Wissenschaft und der freie wissenschaftliche Diskurs ihren Raum bekommen. Noch immer wird von der Mehrheit der Psychologen das, was wir im Bereich des Lebensschutzes als „Post-Abortion-Syndrom“ bezeichnen, geleugnet. Klarer Fall, so etwas darf es nicht geben, wenn Abtreibung Menschenrecht ist, kann und darf es nicht schädlich sein. Nun ist aber Abtreibung kein Menschenrecht, sondern ein scheußliches Verbrechen. Es ist in der Tat wissenschaftlich noch lange nicht hinreichend umschrieben oder gar erforscht, was Abtreibung direkt und indirekt mit betroffenen Menschen macht. Wir wissen von (Kriegs-)Traumata und deren Möglichkeiten, ganze Generationen zu überspringen. Wie sollte da eine solche Grausamkeit wie die Tötung eines unschuldigen Menschen völlig ohne Folgen bleiben? Da unsere Staaten kein Interesse an dieser Forschung haben – es würde die falsche Politik dramatisch entlarven – braucht es privat finanzierte Forschung dazu. Auch da gibt es viel zu tun.

Die hier gezeigten Beispiele zeigen, wie viele Aspekte der gute Kampf um den Schutz des menschlichen Lebens hat. Die beinahe peinlichen Berührungsängste von offiziellen Vertretern der Kirche mit dem Lebensschutz sind daher mehr als nur ärgerlich. Und man fragt sich wirklich, ob man ein von Disclaimern strotzendes Grußwort eines Vorsitzenden der DBK beim Marsch für das Leben wirklich braucht, wenn dieser zudem vorher eine gesetzliche Regelung, die Jahr für Jahr über hunderttausend Menschen das Leben kostet, über den grünen Klee lobte. Die Kirche muss sich weder von der Opposition abgrenzen noch vor den Regierenden buckeln. Die Kirche hat ihre Position ohne Ansehen der Person zu vertreten. Wir brauchen das gemeinsame Eintreten für das Leben. Nicht mehr und nicht weniger. Dieser Verantwortung darf sich eine Kirche, die sich auf Jesus Christus berufen will, nicht entziehen.

 

Bild oben: Nach einer Abtreibung sind viele Frauen sehr allein und sehr verzweifelt. Hilfsangebote gibt es kaum. Auch die Hilfe zum Leben in Deutschland reicht bei 100.000 Abtreibungen pro Jahr nicht aus. Foto: Peter Winnemöller mit AI erstellt.


© 2025 www.kath.net