21. August 2025 in Kommentar
Ist der Synodalismus das Eingeständnis, dass das II. Vatikanische Konzil, jedenfalls was die Sendung der Laien betrifft, nicht umsetzbar ist? Ein Gastkommentar von Martin Grichting
Chur (kath.net)
Der Staatstheoretiker Thomas Hobbes (1588‒1679) war ein Realist. Christlich gesprochen, würde man sagen: Er hat mit der Natur des Menschen, die von den Folgen der Erbsünde geschwächt ist, gerechnet. Deshalb hat er nicht nur die antike Sentenz «Homo homini lupus» (Der Mensch ist ein Wolf für den Menschen) populär gemacht. In seinem Werk «Leviathan» zeigt er auch, warum es einen Staat braucht: Ohne dessen einschränkende Macht kommt es aufgrund des Konkurrenzdenkens und der Ehrsucht der Menschen zum Krieg aller gegen alle. Diesen verhindert der starke Staat, der Leviathan, dieser «sterbliche Gott, dem wir unter dem ewigen Gott allein Frieden und Schutz zu verdanken haben».
Im «Leviathan» kommt Hobbes auch auf das Thema der Beratung zu sprechen. Soll sich ein Oberer direkt, unter vier Augen, oder vor Publikum beraten lassen? Für den illusionslosen Hobbes ist es klar: Der Monarch sei imstande, jeden, wo und wann er wolle, zu Rate zu ziehen und sich die Gedanken derer, die in der jeweiligen Sache am erfahrensten seien, im Stillen anzuhören. Deshalb solle er seine Räte einzeln anhören, nicht in öffentlicher Versammlung. Denn im ersten Fall erfahre er die Überzeugung mehrerer, im letzteren Fall oft nur die Meinung eines einzigen. Denn die Mitglieder eines Rates richteten sich nach denen, die beredt oder mächtig seien. Um nicht für dumm gehalten zu werden, stimmten sie oft Meinungen zu, die sie gar nicht verstünden. Viele Berater setzten das allgemeine Wohl dem eigenen hintan. Wenn sie einzeln gehört würden, sei das weniger schädlich. Denn allein sei der Mensch gemässigter. Aber wenn er sich in einer Versammlung befinde, würden die einzelnen Fackeln durch die Redekünste einiger wie durch einen Windstoss gemeinsam in Flammen geraten, zum höchsten Verderben des Staates. Vor Publikum würden einige Berater zudem Dinge anführen, die gar nicht zum Thema gehörten, nur um ihre weitläufigen Kenntnisse und ihre Beredsamkeit zu beweisen. (Kap. 19 und 25).
Wenn man den Synodalismus bedenkt, mit dem die Kirche seit Jahren vom Apostolischen Stuhl geflutet wird, muss man konstatieren: «Die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichtes» (Lk 16, 8). Denn selbst wenn man dem synodalen Treiben nicht finstere Absichten, sondern bloss Naivität unterstellen will, treten die negativen Dynamiken, vor denen Hobbes gewarnt hat, offen zu Tage: Offiziell berät man den Oberen, sei es der Papst, der Bischof oder der Pfarrer. Aber eigentlich spricht man zu Seinesgleichen. Man produziert sich und beeinflusst die anderen in seinem Sinn, wenn möglich auch über die Medien. Die letzten Jahre haben gezeigt: Es geht vielen nicht um die Sache, sondern um ihre Sache. Und es zeigen sich die erwartbaren Verhaltensweisen der Beeinflussung, der Manipulation und der Machtspiele von Pressure-Groups. Synodale Veranstaltungen auf weltkirchlicher, nationaler, diözesaner und pfarreilicher Ebene sind der Catwalk der Selbstdarsteller, Karrieristen und Ideologen. Auf dem synodalen Laufsteg defilieren sie, nicht um dem Publikum ihre körperlichen Vorzüge von allen Seiten zu zeigen, sondern ihre oft nur vermeintlichen theologischen und intellektuellen Skills. Sie stiften mit ihren Theorien nicht selten Verwirrung im Volk Gottes und machen aus der Kirche ein Parlament. Diese sei kein solches, wird seitens der Obrigkeit treuherzig versichert. Trotzdem wird das synodale Treiben, wenn es denn überhaupt noch interessiert, von den Menschen, die an die Demokratie gewöhnt sind, parlamentarisch verstanden.
Das IV. Kapitel von «Lumen Gentium» enthält zwei Sätze zum Mitwirken von einigen Laien an der Sendung der Hierarchie (in LG 33). Diese Sätze sind die Ansatzpunkte für ihre synodale Mitwirkung. Aber das Konzil spricht im IV. Kapitel von «Lumen Gentium» (gemäss der deutschen Übersetzung) in 88 Sätzen von der Sendung aller Laien in der Familie und mitten in Staat, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Medien. Falls nach wie vor gilt, dass das II. Vatikanische Konzil umgesetzt werden soll: Müsste man dann nicht etwa im Verhältnis von 2 : 88 Synodalismus betreiben und die allen Laien geltende Sendung in der Welt fördern? Von Letzterem ist aber seit «Christifideles laici» (1988) nicht mehr viel zu hören. Stattdessen wird durch den unaufhörlichen römischen Aktivismus den Laien zu verstehen gegeben, die Verwirklichung ihrer Sendung liege im Synodalismus. Allmählich stellt sich die bange Frage: Verbirgt sich im Rückzug hinter die Mauern der eigenen Strukturen das Eingeständnis, dass das II. Vatikanische Konzil nicht umsetzbar ist, jedenfalls nicht betreffend das Verhältnis der Kirche zur Moderne, zur Demokratie, zur Gesellschaft der Freien und Gleichen?
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