Kardinal Koch über Leo XIV.: „Das ist der Papst, den die Kirche jetzt braucht“

12. August 2025 in Interview


Kurt Kard. Koch über Papst Leo XIV., den Brückenbauer, und die Zukunft der Kirche – „Was bereits sehr deutlich geworden ist, ist seine Christozentrik in der Verkündigung: Papst Leo will uns zu Christus führen“. kath.net-Interview von Michael Hesemann


Vatikan (kath.net) „Ich habe Kardinal Prevost als menschlich sehr freundlich und zugänglich erlebt, manchmal auch etwas zurückhaltend, aber sehr offen und dialogbereit. Er ist jemand, der sehr gut zuhören kann, aber dann auch klar seine Meinung sagt. Das habe ich immer wieder erfahren, wenn es darum ging, Kandidaten für das Bischofsamt zu prüfen. Da muss jedes Mitglied seine Meinung sagen und seine Stellungnahme abgeben. Der Präfekt macht dann am Schluss die Synthese, bringt seine Meinung ein und gibt auch bekannt, was er dem Papst vortragen wird. Da habe ich ihn als sehr offen erlebt, aber auch als jemanden, der klar seine Meinung sagt.“ Das stellt Kurt Kardinal Koch im kath.net-Interview fest. Der aus der Schweiz stammende Kardinal ist seit 2010 der Präfekt des Dikasteriums für die Förderung der Einheit der Christen, zuvor war er ab 1996 Bischof von Basel gewesen und 2007-2009 der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz. Er ist Autor vieler Bücher.

Hesemann: Eminenz, Sie haben im Dikasterium der Bischöfe bereits eng mit Kardinal Prevost zusammengearbeitet, der jetzt Papst Leo XIV. ist. Was würden Sie sagen: Wie ist er als Mensch? Kann er auch unbequeme Entscheidungen treffen? Wie ist er im Umgang mit anderen Meinungen?

Kardinal Koch: Ich habe Kardinal Prevost als menschlich sehr freundlich und zugänglich erlebt, manchmal auch etwas zurückhaltend, aber sehr offen und dialogbereit. Er ist jemand, der sehr gut zuhören kann, aber dann auch klar seine Meinung sagt. Das habe ich immer wieder erfahren, wenn es darum ging, Kandidaten für das Bischofsamt zu prüfen. Da muss jedes Mitglied seine Meinung sagen und seine Stellungnahme abgeben. Der Präfekt macht dann am Schluss die Synthese, bringt seine Meinung ein und gibt auch bekannt, was er dem Papst vortragen wird. Da habe ich ihn als sehr offen erlebt, aber auch als jemanden, der klar seine Meinung sagt.

Hesemann: Die katholische Kirche ist ja seit dem Pontifikat von Franziskus ziemlich polarisiert, und eine seiner Hauptaufgaben ist es, ein Brückenbauer zu sein, der die Katholiken wieder zusammenführt. Auch viele Spender aus den USA haben sich zurückgezogen, was neben den drei Jahren der Pandemie zur momentanen finanziellen Krise des Vatikans beigetragen hat. Glauben Sie, dass er die Kraft und das Potenzial zum Brückenbauer hat? 

Kardinal Koch: Ich bin dankbar erstaunt, wie positiv die Reaktionen aus verschiedenen Bereichen der Kirche sind. Das weist schon darauf hin, dass man offenbar spürt, mit welchem Ernst und zugleich Gelassenheit er dieses Amt begonnen hat. Natürlich war er sehr berührt, aber gefasst und gelassen. Er ist ein Mensch, der sensibel auf andere Menschen zugeht, aber dann auch ganz klar sagt, was er denkt. Die Ansprachen, die er bereits gehalten hat, sind deutlich, und ich glaube, das Wort „Brückenbauer“ ist sehr sinnvoll gewählt. Eine Brücke verbindet, aber sie kann das nur, wenn sie klare Pfeiler hat, auf denen sie steht. Sonst funktioniert das nicht. Diese Offenheit für beide Seiten, aber mit einem klaren Fundament und einer tiefen Erdung – das sehe ich in ihm. In diesem Sinne denke ich schon, dass er ein guter Brückenbauer sein wird, aber nicht nur zwischen Positionen innerhalb der Kirche, sondern auch zwischen der Menschheit und Gott.

Hesemann: Ein polnischer Priester meinte zu mir, Papst Leo sei die perfekte Synthese aus Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus. Würden Sie dem beipflichten? Wie viel Johannes Paul II., wie viel Benedikt und wie viel Franziskus steckt in ihm?

Kardinal Koch: Meine erste und wichtigste Frage ist: Wie viel Petrus steckt in ihm? Wir Kardinäle haben in erster Linie nicht einen Nachfolger von Franziskus oder auch von Benedikt gesucht. Der Papst ist in erster Linie Nachfolger des Petrus. Natürlich gibt es zwischen den Päpsten auch viel Kontinuität. Mit Papst Benedikt gibt es Kontinuität bereits vom heiligen Augustinus her. Mit Johannes Paul II. hat er den weiten geopolitischen Horizont gemeinsam. Bei Papst Franziskus knüpft er bei dessen Projekt der Synodalität an. Doch lassen wir uns überraschen von den neuen Perspektiven, die Papst Leo XIV. bringen wird.

Hesemann: Ich würde sagen, was wir wirklich von Franziskus gelernt haben, was er auch selber besonders betonte, war die Caritas, die göttliche Barmherzigkeit, vor allem jedoch die Nächstenliebe – das Hingehen zu den Menschen am Rande, zu den Armen und Bedürftigen. Das war der Schwerpunkt der Lehre und Verkündigung von Franziskus. Welchen Schwerpunkt wird wohl Leo XIV. setzen?

Kardinal Koch: Was das Stellen der Armen und Bedürftigen in die Mitte der Kirche betrifft, würde ich zustimmen. Was Sie hingegen über Caritas und Barmherzigkeit gesagt haben, würde ich betonen, dass dies bereits bei Papst Benedikt XVI. grundgelegt ist, vor allem in seiner ersten Enzyklika über die christliche Liebe „Deus caritas est“. Welchen Schwerpunkt Papst Leo XIV. setzen wird, werden wir sehen. Was bereits sehr deutlich geworden ist, ist seine Christozentrik in der Verkündigung: Papst Leo will uns zu Christus führen.

Hesemann: Bei der Namenswahl hat er ja ein großes Vorbild genommen: Leo XIII. Nicht nur wegen "Rerum Novarum", denke ich; er war auch ein großer Marienverehrer und hat das Gebet zum Heiligen Michael geschrieben. Papst Leo wurde am Tag des Heiligen Michael gewählt, am Fest der Erscheinung auf dem Gargano, dem 8. Mai. Wie viel Leo XIII. steckt in Leo XIV.? 

Kardinal Koch: Es hat wohl kaum einen Papst gegeben, der so viele Enzykliken geschrieben hat wie Leo XIII. Er hat auch einige wichtige Texte über den Rosenkranz geschrieben; er ist ein sehr marianischer Papst gewesen. Diese Dimension fällt auch bei Papst Leo XIV, auf. So hat er am Schluss seiner Präsentation nach der Wahl das Ave Maria gebetet. Und am Samstag ist er zur „Mutter vom Guten Rat“ gepilgert, was mich besonders gefreut hat, da auch ich dieses marianische Heiligtum sehr schätze. Denn „Guten Rat“ haben wir in der Kirche heute nötig.

Es gibt aber auch Verbindungslinien hin zu Papst Leo dem Großen, der eine wichtige Rolle beim Konzil von Chalkedon gespielt hat, indem er die Lehre der zwei Naturen in Christus intensiv verteidigt hat. Hier wird wiederum die christozentrische Perspektive bei Papst Leo XIV. sichtbar.

Hesemann: Bei Papst Benedikt spielte auch immer der Glaube an die göttliche Vorsehung und an das Übernatürliche eine Rolle. Natürlich glaubt jeder Christ an das Übernatürliche, aber wie stark ist bei Kardinal Prevost und Leo diese mystische Seite des Christentums und das Bewusstsein, dass die göttliche Vorsehung auch durch Zeichen zu uns spricht?

Kardinal Koch: Man kann das Wirken der göttlichen Vorsehung durchaus in der Biographie von Papst Leo wahrnehmen. Er hat zunächst Mathematik und später Kirchenrecht studiert, wirkte dann als Missionar in Peru und als Generalprior des Augustinerordens und anschließend wiederum in Peru als Bischof, bis Papst Franziskus ihn zum Präfekten des Dikasteriums für die Bischöfe ernannt hat. In diesen verschiedenen Aufgaben ist er stets Missionar geblieben, um den Menschen den Weg zu Gott zu zeigen. Ich denke, dass er bei diesen vielfältigen Aufgaben in der jeweiligen Berufung durch die Kirche stets den Ruf Gottes an ihn wahrgenommen hat.

Hesemann: … und dass er darin auch die Führung Gottes gesehen hat. Das klingt danach, als wäre er genau der Papst, den die Kirche momentan braucht, ja?

Kardinal Koch: Wir erhalten offensichtlich immer den Papst, den die Kirche jeweils braucht. Wir hatten Johannes Paul II., als der Osten Europas vor großen Herausforderungen stand. Als der Westen Europas in einer tiefen geistigen Krise stand, ist uns Benedikt geschenkt worden. Franziskus hat uns den kirchlichen und gesellschaftlichen Blick für die so genannte Dritte Welt geöffnet. Und ich bin überzeugt, dass Leo XIV. der Papst ist, den wir jetzt nötig haben.

Hesemann: Es hat ja noch nie einen Papst gegeben, der so international gelebt hat – also nicht nur weit gereist ist, sondern tatsächlich auf drei Kontinenten gelebt und gewirkt hat. Er ist der erste wirklich globale Papst. Franziskus war zwar als Student mal in Deutschland, aber er lebte primär in Argentinien, und Papst Benedikt war vor allem in Europa. Aber Leo hat nun wirklich in Nord- und Südamerika und Europa jahrelang gelebt und gewirkt, sodass man sagen kann, er ist der erste interkontinentale Papst, ein echter Kosmopolit!

Kardinal Koch: Papst Leo ist auch im geopolitischen Sinn ganz katholisch. Da die katholische Kirche immer mehr Weltkirche ist und wird, ist es gut, einen Papst zu bekommen, der die Universalität der Kirche kennt. Ich hoffe, dass das Wirken von Papst Leo XIV. dazu beitragen wird, dass das Wort „Weltkirche“ in Europa, besonders in deutschsprachigen Ländern nicht mehr so negativ besetzt ist, sondern der Blick ins Universale geöffnet wird.

Hesemann: Von ganzem Herzen vielen Dank, Eminenz!

Michael Hesemann (Link) ist Dr. hc, Historiker und Autor mehrerer Bücher zu Kirchengeschichte und zu Spiritualität.

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Archivfoto Kard. Koch (c) Michael Hesemann


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