Glaube in Zeiten des Feuers

1. August 2025 in Kommentar


"Warum ist das Exarchat in Deutschland noch keine Eparchie/Diözese? Das ist jetzt eine der drängendsten Fragen" - Ukrainisch-Griechisch-Katholische Kirche in der Ukraine und in Deutschland. Gastbeitrag von Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer


Eichstätt-Kiew (kath.net)
Einleitung
Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Jahr 2022 sind Millionen Menschen aus ihrer Heimat geflohen, Hunderttausende wurden getötet oder verletzt. Die Zivilbevölkerung leidet unter Angst, Gewalt, Hunger und Entwurzelung. Inmitten dieser Katastrophe steht die Ukrainisch-Griechisch-Katholische Kirche (UGKK) nicht abseits, sondern im Herzen des Leidens. Sie begleitet, tröstet, heilt und hält zusammen. In der Ukraine wie in der Diaspora ist sie zu einem spirituellen Rettungsanker geworden - und stellt zugleich auch die katholische Kirche in Deutschland vor drängende Fragen der Mitverantwortung.

I. Kirche im Krieg – Seelsorge im Angesicht des Leidens
Die ukrainisch-griechisch-katholische Kirche ist die größte katholische Ostkirche der Welt. Sie folgt dem byzantinischen Ritus, steht aber in voller Einheit mit dem Papst in Rom. In der Ukraine ist sie tief verwurzelt in der Geschichte des Volkes, sie ist eine Kirche der Märtyrer, Verfolgten, aber auch der Versöhner.

Metropolit Borys Gudziak, Präsident der Ukrainischen Katholischen Universität in Lwiw und Erzbischof von Philadelphia, bringt es auf den Punkt: „Nichts ist wichtiger, wenn man leidet, als Solidarität zu erfahren.“

Nähe zu den Verwundeten

Diese Solidarität zeigt sich konkret: über 14 Millionen Menschen wurden durch den Krieg zur Flucht gezwungen – viele leben als Binnenvertriebene, andere im Ausland. Die Kirche begleitet sie mit seelsorglichem Beistand, psychologischer Hilfe, liturgischer Begleitung, aber auch mit Essenspaketen, Trauerbegleitung und Trauma-Arbeit.

Allein die seelischen Verletzungen sind enorm: Mehr als zehn Millionen Ukrainer könnten nach Schätzungen unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Priester und pastorale Mitarbeiter werden daher gezielt in Psychotraumatologie geschult. Auch Kinder stehen im Fokus: Viele von ihnen haben durch Pandemie und Krieg Jahre an Bildung verloren. Die Kirche reagiert mit Sommerfreizeiten, Schulersatzangeboten und Sonntagsschulen.

Glaubenszeugnis unter Beschuss
Doch auch die Kirche selbst ist Ziel russischer Angriffe: Hunderte Kirchen, Klöster und pastorale Einrichtungen wurden zerstört. Die UGKK kennt Verfolgung aus ihrer Geschichte, sie war 43 Jahre (1946–1989) unter sowjetischer Herrschaft verboten und überlebte als Geheimkirche im Untergrund. Heute wird manches von diesem düsteren Erbe wieder neu Realität: als Kirche im Untergrund, im Bunker, im Flüchtlingslager. Ihre Gottesdienste, Gebete und Akte der Nächstenliebe werden so selbst zum Widerstand gegen die Gewalt und zum Zeugnis eines Glaubens, der in der Not nicht schweigt, sondern bei den Menschen bleibt.

II. Kirche im Exil – Neue Wege in der Diaspora
Die Folgen des Krieges reichen weit über die Grenzen der Ukraine hinaus. Über eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer leben inzwischen in Deutschland – ein Großteil von ihnen katholisch oder orthodox. Für viele ist die Kirche dabei das Erste, was in der Fremde Heimat gibt.

Das Exarchat Deutschland und Skandinavien
In Deutschland ist die UGKK im Apostolischen Exarchat Deutschland und Skandinavien organisiert, mit Sitz in München. Exarch Dr. Bohdan Dzyurach leitet die Kirche seit 2021 – und steht vor einem gewaltigen pastoralen Aufbruch: Die Zahl der Seelsorgestellen ist auf 52 angewachsen, Gottesdienste finden mittlerweile an 84 Orten statt, betreut von rund 56 aktiven Gemeinden.

Ein Zentrum der Seelsorge liegt in Bayern: In München ebenso wie in Eichstätt, wo das Collegium Orientale als Ausbildungsstätte für Priester aller Ostkirchen wirkt. Aber auch Hamburg, Nürnberg, Bielefeld oder Paderborn u.a. gehören zum wachsenden Netzwerk. Die Seelsorge reicht von Liturgie über Caritasarbeit bis zu Jugendfreizeiten, Sprachkursen und Trauma-Hilfe.

„Kirche im Rucksack“ – Neue Strukturen für neue Realitäten
Angesichts der hohen Mobilität und Unsicherheit vieler Geflüchteter stößt das klassische Pfarrsystem an seine Grenzen. Exarch Dzyurach spricht deshalb von einer „Kirche im Rucksack“ – mobil, flexibel, lebensnah. Digitale Formate, flexible Gottesdienste und vorübergehende Gemeindebildungen zeigen: Kirche findet da statt, wo Menschen beten und Trost suchen.

Vor allem junge Menschen brauchen neue Wege. Zwischen der ukrainischen Herkunft und der deutschen Lebenswelt entsteht ein Raum kultureller Identität – den die Kirche mitgestaltet.

III. Zwischen Anerkennung und Verantwortung: Die Rolle der Deutschen Kirche
Hilfen und Partnerschaften

Die UGKK arbeitet eng mit Renovabis, Caritas international und lokalen Bistümern zusammen. Es gibt Benefizkonzerte, ökumenische Friedensgebete, Spendenaktionen und Hilfsnetzwerke. Orte wie Augsburg, Eichstätt, Rottenburg oder Stuttgart sind Beispiele lebendiger Solidarität.

Zwischen Applaus und Umsetzung
Exarch Dzyurach ist beratendes Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und in deren Kommission Weltkirche aktiv. DBK-Vorsitzender Bischof Georg Bätzing lobte die UGKK mehrfach als „Bereicherung für die deutsche Kirche“. Zum 65-jährigen Jubiläum der Exarchie 2024 wurden gemeinsame Liturgien gefeiert und die Verbundenheit betont.

Doch: Bei allem guten Willen und warmen Worten klafft in der Realität eine Lücke. Die Zahl der Gläubigen wächst, neue Gemeinden entstehen, die pastoralen Aufgaben vervielfachen sich – doch personelle und strukturelle Ressourcen hinken hinterher. Vielerorts fehlt es an hauptamtlichen Priestern, Gemeinden müssen sich auf Provisorien stützen, neue Projekte kämpfen um kirchenrechtliche Anerkennung.

Es braucht mehr als Symbolpolitik. Es braucht konkrete Schritte – personell, finanziell und strukturell.

IV. Auf dem Weg zur Eparchie – Eine Kirche mit Zukunft
Mehr als nur eine Bezeichnung

Warum ist das Exarchat in Deutschland noch keine Eparchie (Diözese)? Das ist jetzt eine der drängendsten Fragen. In Frankreich und Großbritannien wurde dieser Schritt bereits 2013 vollzogen. Deutschland, mit der zweitgrößten ukrainischen Diaspora Europas, hinkt hinterher.

Die Anerkennung als Eparchie würde der UGKK volle kirchenrechtliche Gleichstellung mit den Diözesen des römischen Ritus verschaffen, samt eigenständiger Verwaltung, rechtlicher Absicherung und größerer öffentlicher Wahrnehmbarkeit. Auch die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) wäre ein nächster sinnvoller Schritt, mit juristischen, finanziellen und symbolischen Vorteilen.

Papst Leo XIV. mahnt zur Stärkung der Ostkirchen, gerade in der Diaspora
In einer Ansprache am 14. Mai 2025 hat Papst Leo XIV. erneut zur Förderung der katholischen Ostkirchen aufgerufen. Sie seien „lebendige Zeugen der östlichen Tradition in voller Einheit mit dem Bischof von Rom“ – und müssten gerade in der westlichen Diaspora gestärkt werden, damit ihr liturgisches, spirituelles und theologisches Erbe nicht verloren gehe. Leo XIV. kündigte neue Richtlinien zur Förderung ostkirchlicher Strukturen in der Weltkirche an – und appellierte an die Ortskirchen, dieses Anliegen mitzutragen.

V. Kirche der Hoffnung – Kirche der Zukunft
Trotz aller strukturellen Hindernisse und Defizite bleibt die Ukrainisch-Griechisch-Katholische Kirche ein Ort der Hoffnung – für die Ukraine und für die Diaspora. Ihre Liturgie, ihre Seelsorge, ihre Bildungsarbeit, ihr caritativer Einsatz sind ein gelebtes Evangelium in einer verwundeten Zeit an gezeichneten Menschen.

Doch jetzt ist auch die Zeit gekommen, dass gerade die Kirche in Deutschland ihre anerkennenden Worte in konkrete Unterstützung übersetzt. Eine Eparchie, ein stabiles Personalnetz, ein KdöR-Status, finanzielle Verlässlichkeit. Das sind keine exotischen Sonderwünsche, sondern nur ein Ausdruck kirchlicher Gerechtigkeit. Wenn die 27 deutschen Diözesen dieses kleine ukrainisch-griechisch-katholisches Exarchat nicht als eine Eparchie integrieren können, - ja, wo sonst könnte das dann noch geschehen!
Die ukrainisch-katholische Kirche leuchtet – trotz der Trümmer, trotz des Exils, trotz der tagtäglichen Bedrohung. Es ist an der Weltkirche und in unserem Land, dieses Licht nicht nur zu bewundern, sondern zu schützen und zu fördern.

 


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