1. Juli 2025 in Interview
„Seit September 2023 haben wir wiederholt Erklärungen abgegeben, in denen wir die ethnische Säuberung Bergkarabachs durch Aserbaidschan verurteilen.“ kath.net-Interview mit Dr. Joel Veldkamp/Christian Solidarity International. Von Petra Lorleberg
München (kath.net/pl) „Aserbaidschan hatte kein Recht dazu, die Bevölkerung in Bergkarabach zu vertreiben.“ Nach Beschwerden von Aserbaidschan beim UN-Menschenrechtsrat „wurde uns eine ungewöhnlich kurze Frist – nur 38 Stunden – zur Beantwortung eingeräumt“. Das erläutert Dr. Joel Veldkamp, Leiter Public Advocacy der CSI, im Interview mit KATH.NET fest.
Die christliche Menschenrechtsorganisation Christian Solidarity International (CSI) setzt sich seit Jahren für die christlichen Armenier ein und nutzt dazu auch seinen beratenden Status beim UN-Menschenrechtsrat. Die ethnische Säuberung der Region Bergkarabach durch Aserbaidschan bezeichnet Veldkamp als Völkermord. Aserbaidschan ist der Einsatz von CSI ein Dorn im Auge und setzt die Organisation daher massiv unter Druck.
Aktuell scheinen die Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan wieder zuzunehmen, da der Friedensvertrag noch nicht unterzeichnet ist. Aserbaidschan verstärkt seine Truppen auf besetztem armenischem Gebiet, sodass die Hoffnung auf dauerhaften Frieden in weite Ferne gerückt scheint.
kath.net: Herr Dr. Veldkamp, Ihre Organisation sah sich kürzlich mit Beschwerden Aserbaidschans beim UN-Menschenrechtsrat konfrontiert. Was genau ist passiert?
Veldkamp: Aserbaidschan hat zwei Beschwerdeschreiben über CSI an den UN-Ausschuss für Nichtregierungsorganisationen geschrieben.
Auf das erste Schreiben im Januar 2025 folgte eine mündliche Erklärung des aserbaidschanischen UN-Botschafters vor dem NGO-Ausschuss, in der er eine lange Liste von Anschuldigungen gegen CSI vorbrachte, wie z.B. dass wir „fiktive Namen“ – gemeint ist Bergkarabach – verwendeten, und den NGO-Ausschuss aufforderte, uns Fragen zu unseren finanziellen Verhältnissen zu stellen.
kath.net: Wie haben Sie auf die Vorwürfe und Fragen reagiert?
Veldkamp: Uns wurde eine ungewöhnlich kurze Frist – nur 38 Stunden – zur Beantwortung eingeräumt. In unserer Antwort betonen wir das Prinzip der Souveränität und territorialen Integrität von Staaten sowie die von legitimen nationalen Behörden festgelegten geografischen Namen. Aber wir tun das im Kontext der Einhaltung unumstößlich geltender Menschenrechte. Wir dürfen niemals staatliches Recht gegen grundlegende Prinzipien wie die Meinungsfreiheit oder das Selbstbestimmungsrecht der Völker ausspielen. Das gilt ganz besonders für die Region Bergkarabach, die niemals in der Vergangenheit zu einem unabhängigen aserbaidschanischen Staat gehörte. Aserbaidschan hatte gar kein Recht dazu, die dort ansässige Bevölkerung zu vertreiben!
Die Vorwürfe in der zweiten Beschwerde Aserbaidschans waren geradezu lächerlich. Wir haben uns für einen pragmatischen Ansatz entschieden und den Erhalt der zweiten Beschwerde einfach „bestätigt“. Seitdem gab es keine weiteren Maßnahmen in dieser Angelegenheit. Wir hoffen, dass die Verantwortlichen die haltlose Natur der Anschuldigungen erkannt haben.
kath.net: Das klingt nach einer erheblichen Herausforderung für die Arbeit Ihrer Organisation. Was hat Ihrer Meinung nach zu dem Vorgehen Aserbaidschans geführt?
Veldkamp: Wir glauben, dass diese Beschwerden darauf abzielen, CSI als unbequemen Störenfried aus dem UN-Gremium zu beseitigen. Seit September 2023 haben wir wiederholt Erklärungen abgegeben, in denen wir die ethnische Säuberung Bergkarabachs durch Aserbaidschan verurteilen. Außerdem gaben wir Vertretern der vertriebenen Armenier die Möglichkeit, über ihr Rückkehrrecht und die Freilassung der armenischen Geiseln zu sprechen, die bis heute von Aserbaidschan festgehalten werden. Diese Bemühungen haben eindeutig den Zorn Aserbaidschans auf uns gezogen.
kath.net: Welche potenziellen Auswirkungen haben diese Beschwerden auf die Arbeit von CSI?
Veldkamp: Die Aufrechterhaltung des Beraterstatus ist für unsere Lobbyarbeit bei den Vereinten Nationen von entscheidender Bedeutung. Obwohl einige Diplomaten uns anfangs vor dem Risiko warnten, unseren Status zu verlieren, bleiben wir standhaft und lassen uns nicht den Mund verbieten. Unser Engagement für das Bleiberecht des armenischen Volkes in Bergkarabach bleibt ungebrochen. Wir werden weiterhin alle verfügbaren Möglichkeiten nutzen, um das Bewusstsein für die ethnische Säuberung zu schärfen, uns für das Rückkehrrecht einzusetzen und die Freilassung der armenischen Geiseln zu fordern.
Wenn es Aserbaidschan gelingt, dass CSI der Berater-Status genommen wird, können wir nicht mehr so wirksam auf Aserbaidschans Menschenrechtsverstöße aufmerksam machen. Aber das schreckt uns nicht ab. Auch wenn die Erwähnung der Existenz von Bergkarabach quasi kriminalisiert wird, werden wir diesen Namen weiterhin verwenden. Nachdem Aserbaidschan diese Region ethnisch gesäubert und viele ihrer historischen Stätten zerstört hat, versucht es nun, Bergkarabachs Identität ganz aus dem Gedächtnis der internationalen Gemeinschaft zu tilgen. CSI wird alles dafür tun, um dies zu verhindern.
kath.net: Wie hilft CSI den Karabach-Armeniern konkret, um wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können?
Veldkamp: Wir unterstützen in Armenien durch verschiedene Partnerorganisationen Hilfsprojekte für die Vertriebenen. Es ist zwar aktuell nicht absehbar, wann und ob sie wieder nach Bergkarabach zurückkehren können. Doch wollen wir deshalb nicht aufgeben. In der neutralen Schweiz haben wir kürzlich die Friedensinitiative für Bergkarabach gestartet. Es wurde ein überparteilicher Ausschuss aus Mitgliedern des Schweizer Parlaments gebildet, um die Schweizer Regierung zu ermutigen und dabei zu unterstützen, ein Friedensforum für Bergkarabach zu organisieren. Im März beauftragte das Schweizer Parlament den Bundesrat mit der Organisation dieses Forums mit dem Ziel, über die Rückkehr der Armenier zu verhandelt.
kath.net: Wie beurteilen Sie die jüngsten Spannungen zwischen der Regierung Armeniens und der Armenisch-Apostolischen Kirche?
Veldkamp: Armenien ist kein normales Land. Es hat eine besonders ausgeprägte nationale Identität, die sich einer steten existenziellen Bedrohung ausgesetzt sieht und die eine historische Mission hat, das uralte christliche Erbe zu bewahren. In der aktuellen Auseinandersetzung geht es darum, wie die zukünftige armenische Gesellschaft gestaltet werden kann.
Allerdings provoziert Aserbaidschan nun durch den Ausbau seiner militärischen Stellungen und fordert gar die Kontrolle über armenisches Gebiet. Das schürt Ängste vor einer weiteren Konfrontation und erfüllt uns mit Sorge. Hoffen und beten wir für unsere christlichen Glaubensgeschwister und um Frieden in der Region.
kath.net: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin Gottes Segen für Ihre wertvolle Arbeit!
CSI ist eine christliche Menschenrechtsorganisation für Religionsfreiheit und Menschenwürde: https://csi-de.de
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