16. Mai 2025 in Kommentar
„Für Leo XIV. ist Liturgie nicht Dekor, Kult, sondern Ausdruck und Vollzug kirchlicher Identität“ – „Eindrucksvoll ist die Wertschätzung, die Leo der byzantinischen Liturgie entgegenbringt“. Gastbeitrag von Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer
Vatikan (kath.net) Spiritualität als Strukturprinzip
I. Einleitung: Kirche in der Spannung von Struktur und Geist
In einer Zeit weltkirchlicher Umbrüche und theologischer Polarisierungen hat sich das Pontifikat von Papst Leo XIV. als geistlicher Wegweiser profiliert. Im Zentrum seines pastoralen und theologischen Wirkens steht die Rückgewinnung der Kirche als geistlich strukturierte Communio. Dabei verbindet er zwei oft getrennt gedachte Dimensionen kirchlicher Existenz: Synodalität als spirituelle Verfahrensform kirchlicher Entscheidungsprozesse und Liturgie als Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens (SC 10). Beide zusammen bilden das Fundament seiner ekklesiologischen Vision – einer Kirche, die nicht von Strategien lebt, sondern vom Hören auf den Geist.
II. Synodalität als geistliche Praxis: Mehr als ein kirchenpolitisches Instrument
1. Die theologische Tiefendimension synodalen Handelns
Im Pontifikat Leo XIV. wird Synodalität nicht funktionalistisch verstanden – etwa als Mittel zur Beteiligung oder Demokratisierung –, sondern pneumatologisch fundiert. Das entscheidende Stichwort lautet: auditus fidei. Synodalität ist gemeinschaftliches Hören auf das, was der Geist den Kirchen sagt (vgl. Offb 2,7). Damit wird ein entscheidender Perspektivwechsel vollzogen: Nicht primär Prozesse oder Strukturen stehen im Vordergrund, sondern die geistliche Haltung der Unterscheidung in Gemeinschaft.
2. Synodalität und die Konversion der Urteilskraft
Papst Leo XIV. betont immer wieder die Notwendigkeit einer „Askese des Zuhörens“ – eine Haltung, die nicht auf Durchsetzung eigener Positionen zielt, sondern auf das gemeinsame Erkennen des göttlichen Willens. Synodalität ist damit auch eine Schule der Umkehr: Es geht um eine „Konversion der Urteilskraft“, wie Ignatius von Loyola sie in den Exerzitien beschreibt. Nur wer bereit ist, sich vom anderen und vom Geist infrage stellen zu lassen, kann an einem echten synodalen Prozess teilnehmen.
3. Das Amt als Dienst der Vermittlung – nicht der Dominanz
Leo XIV. hat in den Synoden der Jahre 2023 und 2024 seine Rolle weniger als Leitung im Sinne des Durchgreifens, sondern als geistlicher Moderator verstanden. Das Petrusamt erscheint bei ihm nicht als zentralistisches Steuerungsinstrument, sondern als Ort geistlicher Unterscheidung. Er agiert als Vermittler zwischen Kulturen, theologischen Positionen und spirituellen Traditionen – und gewinnt dadurch Autorität durch Demut.
III. Liturgie als theologische Verankerung kirchlicher Identität
1. Liturgie als gesungener Glaube der Kirche
Für Leo XIV. ist Liturgie nicht Dekor oder Kult, sondern Ausdruck und Vollzug kirchlicher Identität. Die Eucharistie ist dabei das Zentrum – nicht nur als Gedächtnis, sondern als Gegenwart und Quelle der missionarischen Sendung. In Anlehnung an Augustinus bezeichnet er die Liturgie als sacramentum unitatis: Als sichtbares Zeichen innerer Einheit, die nicht ideologisch homogen, sondern polyphon geistlich konvergierend ist.
2. Gesang als spiritueller Akt der Inkarnation
Besonders hervorzuheben ist die theologische Bedeutung des Gesangs im Pontifikat Leo XIV. Sein gesungenes „Kyrie“, „Gloria“, „Pater noster“ oder „Regina coeli“ sind nicht akustische Rahmungen, sondern leibliche Ausdrucksformen geistlicher Hingabe. In der Augustinus zugeschriebenen Formel cantare amantis est – „Wer liebt, der singt“ – wird der Gesang zum Ausdruck des Herzens und zur Inkarnation des Glaubens.
3. Die Liturgie als Schule synodaler Partizipation
Die liturgische Teilhabe bei Leo XIV. ist keine funktionale Aufgabenverteilung, sondern eine geistliche Inklusion in das Mysterium. Liturgie ist der Ort, an dem die ekklesiale Partizipation erfahrbar wird – nicht durch Rollenverteilung allein, sondern durch Teilhabe an der einen Feier Christi. Damit gewinnt die Liturgie eine synodale Qualität: Sie ist gelebte Communio, nicht bloßes Ritual.
IV. Synodalität und Liturgie: Zwei Ausdrucksformen einer geistlichen Grundoption
In der Verbindung von Synodalität und Liturgie zeigt sich das geistliche Profil des Pontifikats Leo XIV. in seiner Tiefe. Synodalität gibt der Kirche Struktur – aber nicht im institutionellen Sinn, sondern im Modus der geistlichen Unterscheidung. Liturgie gibt der Kirche Richtung – nicht durch Moral oder Didaktik, sondern durch Gotteserfahrung und Sendung. Beides zusammen führt zur Re-Vitalisierung einer Kirche, die nicht sich selbst genügt, sondern als Sakrament des Heils für die Welt lebt (LG 1).
V. Ökumene als geistliche Dimension: Die Ostkirche als Schwester und Lehrmeisterin
1. Synodalität als ökumenisches Brückenprinzip
Papst Leo XIV. begreift Synodalität nicht nur als innerkatholisches Strukturprinzip, sondern als eine theologische Kategorie mit ökumenischer Tiefendimension. Besonders im Dialog mit den orthodoxen Kirchen sieht er eine geistliche Resonanz, die weit über kirchenpolitische Annäherungen hinausreicht. Die synodale Struktur der Kirchen des Ostens – mit ihrer tief verankerten Tradition von Konziliarität, geistlicher Unterscheidung und liturgischer Theozentrik – erscheint ihm nicht als Gegenmodell, sondern als geschwisterliche Ergänzung der lateinischen Tradition.
2. Die Liturgie der Ostkirche als Quelle westlicher Erneuerung
Besonders eindrucksvoll ist die Wertschätzung, die Leo XIV. der byzantinischen Liturgie entgegenbringt. In ihren ausdrucksstarken Riten, der tiefen Verbindung von Wort und Ikone, Klang und Gebet, sieht er nicht eine fremde Form, sondern eine spirituelle Quelle, die auch der römischen Kirche Orientierung geben kann. Die orientalischen Liturgien sind für ihn nicht exotisch, sondern exemplarisch: ein Ort, an dem die Gegenwart des Unaussprechlichen erfahrbar wird – nicht durch Rationalität, sondern durch Mysterium und Schönheit.
3. Spirituelle Freundschaft statt diplomatischer Rhetorik
Der ökumenische Stil Leo XIV. ist nicht von interkonfessioneller Diplomatie, sondern von geistlicher Freundschaft geprägt. Seine Begegnungen mit Patriarchen, Mönchsgemeinschaften und Theologen der Ostkirche sind durchdrungen von gegenseitiger Achtung – nicht im Sinne einer Einheitsrhetorik, sondern als Ausdruck der gemeinsamen Suche nach dem einen Herrn.
4. Synodalität als möglicher Schlüssel zur Einheit
Aus der Perspektive Leo XIV. ist Synodalität nicht nur ein innerkirchliches Reformmodell, sondern ein möglicher Schlüssel für eine zukünftige kirchliche Einheit – nicht durch Uniformität, sondern durch synodale Polyphonie. Die Ostkirchen haben in ihrer Konziliarität ein lebendiges Zeugnis dafür bewahrt, dass Einheit nicht Einförmigkeit bedeutet. Der Westen bringt die Universalität und das Petrusamt als Ausdruck der Einheit in der Vielfalt ein.
VI. Schluss: Kirche als Raum des Hörens, Feierns, Sendens und Versöhnens
Im Licht dieser ökumenischen Vertiefung gewinnt die Verbindung von Synodalität und Liturgie bei Papst Leo XIV. eine noch weitere Dimension. Kirche wird sichtbar als Raum geistlicher Prozesse – nicht als Institution, die sich verteidigt, sondern als Sakrament der Einheit in einer zerrissenen Welt. Diese Einheit ist nicht das Ergebnis menschlicher Übereinkunft, sondern Frucht des Geistes.
Eine Kirche, die synodal hört und liturgisch feiert, wird auch fähig sein, ökumenisch zu versöhnen. In einer Zeit, in der viele den Verlust der Einheit beklagen, zeigt Leo XIV. einen geistlichen Weg: leise, mystagogisch, gehorsam gegenüber dem Geist. In ihm liegt die Hoffnung auf eine Kirche, die nicht trennt, sondern verbindet – nicht durch Macht, sondern durch Liebe.
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