Soll der assistierte Suizid finanzielle Probleme des Gesundheitssystems lösen?

2. Juli 2024 in Prolife


Großbritannien: NGO hat landesweite Wahlkampagne gegen den assistierten Suizid gestartet


London (kath.net/IMABE) Die Debatte um „aktive Sterbehilfe" ist in Großbritannien zum Wahlkampfthema geworden. NGOs haben eine landesweite Kampagne unter dem Motto „Vote to Do No Harm “ gestartet. Menschen mit Behinderungen fürchten sich vor einem Druck, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden. Auch Frauen sind besonders gefährdet. Ärztevereinigungen, Behindertenverbände und auch linksliberale Politiker lehnen eine Gesetzesänderung ab.

Die Kampagne, die im Vorfeld des Wahltags am 4. Juli bereits angelaufen ist, wurde von Right To Life UK ins Leben gerufen. „Die Lobby für Sterbehilfe führt eine andauernde Kampagne, um starken Druck auf das Parlament auszuüben, diese Praxis einzuführen“, erklären die Initiatoren (DNS, 14.3.2024). Ziel von Vote to Do No Harm sei es, Wähler in Wahlkreisen im ganzen Land zu mobilisieren, um lokale Parlamentskandidaten zu kontaktieren und sie zu bitten, ein klares Votum abzugeben: dass sie sich für einen Ausbau der Palliativversorgung und für den Schutz der Schwächsten in der Gesellschaft einsetzen und dass sie sich dazu verpflichten, ein mögliches Gesetz zum assistierten Suizid bzw. Tötung auf Verlangen abzulehnen.
Zwei Drittel der Menschen mit Behinderung fürchten Druck durch Sterbehilfe-Gesetze

Eine Umfrage im Auftrag der Behindertenrechtsorganisation Scope zeigte bereits 2014, dass die Mehrheit der Menschen mit Behinderungen (64 Prozent) – darunter fast drei Viertel (72 Prozent) der jungen Menschen mit Behinderung – über Bestrebungen zur Legalisierung der Sterbehilfe besorgt sind. Zwei Drittel (62 Prozent) jener, die sich über eine Gesetzesänderung Sorgen machen, befürchteten, dass auf sie Druck ausgeübt werden könnte, ihr Leben vorzeitig zu beenden.

Drei Viertel (76 Prozent) der 18 bis 34-Jährigen mit Behinderung glauben dass sie von der Öffentlichkeit oft als Belastung für die Gesellschaft angesehen werden. 76 Prozent haben erlebt, dass jemand aufgrund ihrer Behinderung explizit negative Annahmen oder Kommentare über ihre Lebensqualität machte. Die Mehrheit der 1.005 befragten Menschen mit Behinderung (55 Prozent) glaubt, dass das derzeitige Verbot der Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen vulnerable Menschen vor dem Druck schützt, ihr Leben zu beenden.

Ärzte und Behindertenverbände lehnen Gesetzesänderung ab

Keine einzige der großen Behindertenrechtsgruppen in Großbritannien – darunter Disability Rights UK, Scope und Not Dead Yet – unterstützen derzeit eine Gesetzesänderung zur Einführung von assistiertem Suizid oder Tötung auf Verlangen noch Ärztevereinigungen wie die British Medical Association, das Royal College of General Practitioners, das Royal College of Physicians, die British Geriatric Society und die Association for Palliative Medicine. Auch der Britische Gesundheitsausschuss hat erst kürzlich für eine Beibehaltung des derzeitigen Verbots plädiert (Bioethik aktuell, 19.3.2024).
„Sterbehilfe“ soll Kosten einsparen

Der Vorstoß zur „Sterbehilfe“ erfolge vor dem Hintergrund „einer großen Lücke in der Versorgung mit Palliativpflegediensten im Vereinigten Königreich“, erklärt Right to Life UK. Erst vor kurzem gab der britische Hospizverband, der jährlich 300.000 Menschen betreut, bekannt, das für das Geschäftsjahr ein Defizit von 77 Millionen Pfund zu erwarten sei (15.4.2024). Steigenden Kosten im Gesundheitssektor seien dafür verantwortlich.

Dass die Implementierung von Assistiertem Suizid/Tötung auf Verlangen Geld einsparen soll, wird in akademischen Kreisen schon seit geraumer Zeit diskutiert. Der Ethiker David M. Shaw (Institut für Bio- und Medizinethik, Universität Basel) und der Gesundheitsökonom Alec Morton (University of Strathclyde) mahnen bereits jene Kosten für das Gesundheitssystem an, falls Assistiertem Suizid/Tötung auf Verlangen nicht legalisiert würden. Außerdem könne man si Spenderorgane gewinnen (Clinical Ethics 2020; 15:2 65-70, doi:10.1177/1477750920907996).

Der Times-Kolumnist Matthew Parris plädierte kürzlich dafür, das Tabu der assistierten (Selbst)Tötung endlich zu brechen. Immerhin könne man so die Kosten einer alternden Bevölkerung bewältigen (The Times, 29.3.2024). Parris löste mit seinem rein utilitaristischen Zugang in Großbritannien eine heftige Debatte aus.
Betroffene übernehmen Narrative und wollen sterben, um keine Last zu sein

Untersuchungen aus Kanada haben ergeben, dass etwa 35,3 % der Menschen, die Sterbehilfe beantragen, dies aus der Sorge heraus tun, als Belastung für Freunde, Familie oder die Gesellschaft wahrgenommen zu werden (MAID-Report, 2022). Dies wirft die Frage auf, warum wir uns nicht zuerst mit dieser Versorgungslücke befassen, anstatt direkt zu Beihilfe zur Selbsttötung/Tötung auf Verlangen überzugehen (Bioethik aktuell, 11.2.2023).
„The Guardian“-Chefkolumnistin begründet, warum sich ihre Einstellung zur Sterbehilfe geändert hat

In einem bemerkenswerten Leitartikel legt die Chefkolumnist der linksliberalen britischen Tageszeitung The Guardian, Sonja Shado, dar, warum sie ihre Einstellung zur Sterbehilfe-Thematik geändert hat (The Guardian, 7.4.2024). Ihre Auseinandersetzung mit häuslicher Gewalt, Zwangsbeziehungen und Femizide habe ihr gezeigt, dass ein „abstrakter liberaler Begriff wie Autonomie sehr vereinfachend“ sei. „Wir sind nicht alle autonome Inseln, die in einem Meer von Menschen schwimmen; wir sind in hohem Maße von einander und von kulturellen Normen beeinflusst“, sagt Soha.
Frauen lassen sich häufiger unter Druck setzen

Männer würden ihre Partnerinnen nach einer unheilbaren Diagnose viel häufiger verlassen als Frauen. Mehr als ein Fünftel der über 65-Jährigen hat körperlichen, emotionalen, finanziellen oder sexuellen Missbrauch erlebt. Es gäbe Angehörige, die Menschen mit einer unheilbaren Diagnose, die eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung benötigen, auf subtile Weise - vielleicht sogar unbeabsichtigt - zu verstehen geben, dass sie sich für die „Sterbehilfe“ entscheiden sollten. „Der innere Druck, der dadurch entsteht, führt dazu, dass manche meinen, sie müssten es tun, um ihren Angehörigen Schwierigkeiten und finanzielle Konsequenzen zu ersparen: Hier wird das Recht zu sterben zur Pflicht zu sterben.“

Soha kritisiert, dass die von den sozialen Medien geprägten Welt dominante Einzelschicksale gezeigt würden, die starke Emotionen hervorrufen und dabei den moralischen Zeigefinger erheben. Sie würden die Debatte aber „zum Nachteil jener dominieren, die ohne Stimme sind.“


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