„Zur Hilflosigkeit der säkularen Welt auf den Überfall von Hamas auf Israel“

20. November 2023 in Kommentar


„Um klar zu stellen: Natürlich gibt es für jedes Volk das Recht auf Existenz und auf Selbstverteidigung, wenn es angegriffen wird.“ Gastbeitrag von Prof. Hubert Gindert/Forum Deutscher Katholiken


Jerusalem (kath.net/Der Fels) Wie sieht eine Lösung aus, wenn Hass und Vernichtungswillen auf den Willen zum Überleben treffen? Kriege können keine Lösung erzwingen. Die säkulare Welt zeigt sich hilflos.

Ein Teil der menschlichen Gesellschaft hat sich im Verlauf ihrer Geschichte zu der Lösung „Aug‘ um Aug‘ und Zahn um Zahn“ durchgerungen. Das war ein Fortschritt. Aber wie soll diese Lösung in einem modernen Krieg mit Bomben und Raketen und hunderttausenden Zivilisten auf beiden Seiten aussehen? Sie ist nicht praktikabel.

Um klar zu stellen: Natürlich gibt es für jedes Volk das Recht auf Existenz und auf Selbstverteidigung, wenn es angegriffen wird. Es ist unrealistisch auf die übergeordnete Gemeinschaft, z.B. auf EU oder die UN mit dem Gegenschlag zu warten, insbesondere wenn der Erstschlag die endgültige Niederlage und Vernichtung bedeuten kann.

Die Geschichte kennt „Erbfeindschaften“, z.B. zwischen Frankreich und Deutschland. Der sinnlose Erste Weltkrieg hat Millionen auf beiden Seiten das Leben gekostet. Im Zweiten Weltkrieg dauerte der Krieg gegen Polen nur siebzehn Tage. Er hat aber mit der sechsjährigen Besatzungszeit Millionen den Tod gebracht. Im europaweiten Vernichtungskampf der Nationalsozialisten wurden rund sieben Millionen Juden umgebracht. Am 7. April 1994 dauerte der Massenmord der Hutus gegen die Tutsis bis Mitte Juli 1994. In diesem Völkermord wurden 800.000 Menschen umgebracht.

Wie ist es möglich, dass sich bei diesen Massenmorden nicht nur die unmittelbaren Täter an den Verbrechen schuldig gemacht haben, sondern auch „unpolitische“ Menschen damit sympathisierten? Das wird dann möglich, wenn es gelingt, die andere Rasse, die Andersgläubigen oder die Andersdenkenden als Feinde der Menschheit so abzustempeln, dass die Meinung aufkommt, man müsse sich von ihnen befreien. Es wird ihnen das Menschsein und zugleich das Existenzrecht abgesprochen. Die Hutus haben z.B. die Tutsis vor dem Völkermord als „Kakerlaken“ bezeichnet.

Die säkulare Welt zeigt sich, auch, wenn sie dieses Denken nicht billigt hilflos, Restbestände der Humanität zu retten. Die Augsburger Allgemeine Zeitung berichtet (22.10.23): „Der Streit hat keine Pausen – Die EU-Staaten ringen im Umgang mit Israel und dem Gazastreifen um Formulierungen“. Der weitere Text dazu spricht von „lächerlichen Diskussionen über den entsprechenden Passus in der Abschlusserklärung“.

Die Lösung liegt in der Bereitschaft zur Versöhnung!

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Robert Schumann, Konrad Adenauer und Alcide De Gaspari in der „Erbfeindschaft“ zwischen Frankreich und Deutschland mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) eine tragfähige Lösung gefunden, die auch zur Gesinnungsänderung bei den Menschen geführt hat. Mit Israel wurde ein Vertrag ausgehandelt, der beide Völker nähergebracht hat. Inzwischen gibt es viele Begegnungen, insbesondere bei der Jugend, zwischen Israelis und Deutschen. Die polnischen und deutschen Bischöfe haben eine Versöhnung der beiden Völker in Gang gesetzt, die die Menschen einschließt.

Es geht also um Aussöhnung. Das ist eine christliche Haltung. Keiner hat sie glaubwürdiger vorgelebt wie Jesus. Er hat am Kreuz den Spöttern und Lästerern verziehen. Das bedeutet keine Akzeptanz des Unrechts. Jesus hat es angesprochen, als er vor dem Hohen Rat geschlagen wurde, mit den Worten: „Warum schlägst du mich?“ Seine Aufforderung, die „andere Wange hinzuhalten“ ist der Aufruf den Kreislauf von Schlag und Gegenschlag zu unterbrechen, damit ein neues Denken aufkommen kann.

Niemand weiß, ob die heutige Lage im Gazastreifen sich kriegerisch ausweiten wird. Aber selbst, wenn das passiert, kommen die Überlebenden nicht an der Frage vorbei, wie Aussöhnung aussehen kann. Wer eine Aussöhnung trotz der zwischen Frankreich und Deutschland, Deutschland und Israel, Deutschland und Polen, zwischen Hutus und Tutsis für unrealistisch hält, sollte zugeben, dass er keinen Schlüssel für die Zukunft hat.


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