Jon Fosse: Dem Unsagbaren eine Stimme geben

11. Oktober 2023 in Chronik


Der norwegische Literaturnobelpreisträger konvertierte 2013 zum Katholizismus. Seine Werke atmen Transzendenz. Von Petra Knapp.


Linz (kath.net /pk) Seine „innovativen Theaterstücke“ und Prosa gäben „dem Unsagbaren eine Stimme“. Damit begründete die schwedische Akademie in Stockholm die Verleihung des diesjährigen Literaturnobelpreises an Jon Fosse. Die Auszeichnung des norwegischen Autors, der über sich erzählt, ein schwerer Unfall im Kindesalter habe ihn zum Schriftsteller gemacht, kam für viele überraschend.

Es ist schon weit über ein Jahrzehnt her, dass die karge Literatur Fosses in den Spielplänen der deutschsprachigen Bühnen Aufnahme fand und begeistert gefeiert wurde. Seither war es eher ruhig um den Autor, der sowohl in Oslo als auch in Hainburg bei Wien einen Wohnsitz hat.

Überraschend ist ebenso, dass mit der Prämierung des 1959 geborenen Schriftstellers die Welt der Transzendenz und des Religiösen in den Fokus rückte. Für den Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück ist dies „ein Anzeichen dafür, dass die kulturelle Präsenz von Religion säkularisierungsresistent ist“. In Fosses Werk gebe es „eine durchgängige Präsenz religiöser Themen“, erklärte er im Interview mit „domradio.de“.

Religion begleitete den 64-jährigen Autor von Kindesbeinen an. Er wuchs in einer bäuerlichen Familie auf, die den Quäkern angehörte, einer christlichen Erweckungsbewegung. In seinen Zwanzigern wandte er sich dem christlichen Glauben vertieft zu, 2013 konvertierte er zum Katholizismus.

Als Kind habe er eine existenzielle Erfahrung gemacht, die ihn später stark beeinflusst habe, erzählt Fosse einmal. Er rutschte mit einer Flasche in der Hand aus und schnitt sich dadurch die Pulsadern auf. „Ich glaube bis heute, dass ich durch diesen Unfall zum Schriftsteller geworden bin“, sagt der Autor. „Die Hauptperspektive meiner Texte ist nämlich die von jemandem, der sich an der Grenze zwischen Leben und Tod befindet“.

Besonders angetan hatte es ihm später die christliche Mystik des Meister Eckhart. Zu Fosses Eintritt in die katholische Kirche beigetragen habe seine Ehefrau, erzählt der Wiener Dogmatiker Tück. „Ich weiß, dass seine Frau, die Katholikin war und die auch eine besondere Ikonenfrömmigkeit pflegte und auch eine marianische Spiritualität hatte, ihn offensichtlich mit dazu bewegt hat, zur katholischen Kirche überzutreten.“

Tück sieht in den Texten des norwegischen Autors „eine katholische Welthaltung, die unaufgeregt, gelassen, die Dinge in der Welt in die Sprache kommen lässt“, etwa im Roman "Ich ist ein anderer", der keine Sätze mit einem Punkt enthalte.

„Wie das Atmen lebensnotwendig ist, so ist die Schreibbewegung auch eine nicht endende. In diese Schreibbewegung werden dann zum Beispiel auch lateinische Gebete wie das Paternoster oder das Ave Maria eingeflochten. Wenn man sich auf diese verlangsamende Sprachbewegung einlässt, kommt man fast in eine Gebetsatmosphäre.“

Fosses Werke sind vielfältig. Er ist Dramatiker, Lyriker, Prosa- und Kinderbuchautor, Essayist und Übersetzer. Im Buch „Das Geheimnis des Glaubens“ erzählt Vosse von seiner Aufnahme in die katholische Kirche. 2015 verriet er im Interview mit dem „Deutschlandfunk“ von seinem geistlichen Leben. Mit 23 oder 24 Jahren sei er ein „religiöser“ Mensch geworden, erinnert er sich. Über den Protestantismus sagt er, dass dieser „die Mystik und die Poesie aus der Kirche und Glauben verschwinden lassen“ wollte. „Mit dem Ergebnis, dass heute, in unseren aufgeklärten Zeiten, kein Mensch mehr buchstäblich glauben kann.“

Der Glaube müsse „wie ein Mysterium“ erlebt werden, „nicht als etwas Sachliches, als ein weltliches Faktum“, unterstreicht Fosse in dem Interview. Er war lange Zeit Mitglied der norwegischen evangelischen Kirche; die Quäker, denen er bis 2013 angehörte, erschienen ihm als „Ausweg“, aber er war auf der Suche und befasste sich jahrzehntelang mit der katholischen Kirche.

„Einerseits schien die Entfernung zwischen den Schweige-Treffen der Quäker – ohne Priester, ohne Sakramente, ohne Liturgie – bis zu dem ‚Theater‘ der katholischen Kirche ziemlich groß“, erzählt er. „Andererseits sind sie aber nicht – denn im Zentrum des Glaubens der Quäker findet man das, was sie den Gott in einem selbst nennen oder das innere Licht, was, wie die Quäker glauben, das Licht Gottes in einem Menschen ist. Durch die Treffen versucht man der Stille so nah wie möglich zu kommen, dem inneren Licht in einem selbst – und im Anderen natürlich. Und im Katholizismus versucht man Gott durch die Kommunion nahe zu kommen.“

In den 80er Jahren begann Fosse, Meister Eckhard zu lesen, und sein Herz begann für die katholische Kirche zu schlagen. „Ich habe gedacht: Konnte er Katholik sein, dann kann ich es auch sein!“ In Österreich besucht der norwegische Autor gemeinsam mit seiner Frau seit seiner Konversion katholische Gottesdienste in Wien und Hainburg, ebenso in Oslo, wo die katholische Kirche rund 5.000 Mitglieder zählt.

Der große Unterschied sei, dass in Norwegen fast nur Ausländer in der Messe seien, etwa Polen, Asiaten oder Lateinamerikaner. Hier in Österreich sei das anders, sagt er dem „Deutschlandfunk“. Dass in Österreich immer mehr Menschen aus der katholischen Kirche austreten, könne er verstehen, sagt Fosse. Als Österreicher wäre ihm das vielleicht auch passiert.

 

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