Eine beispiellose Seligsprechung

16. September 2023 in Weltkirche


Bericht von der Seligsprechung der Familie Ulma in Polen.


Markova (kath.net/ Holyzonte)
Wunderschöne grün-gelbe Felder, gebadet in purem Sonnenschein der letzten Sommertage, eine Kirche, die sich majestätisch über das Dorf erhebt, eine lange Straße, entlang derer zahlreiche Busse, deren Kennzeichen verraten, dass ganz Polen sich versammelt hat. Das malerische Dorf Markowa im Süden Polens ist solche Menschenmassen nicht gewohnt und so gibt es noch nicht einmal ausreichend Parkplätze und man muss ein ganzes Stück zu Fuß zurücklegen, um am Ziel anzukommen.
Die meisten Menschen unter den Massen sind im Seniorenalter und ich bewundere sie, wie sie bei einer Temperatur von rund 27 Grad solch eine Anstrengung auf sich nehmen – viele sind mehrere Stunden und über Nacht angereist. Unterwegs sieht man zahlreiche Kartons mit hunderten von fertigen Butterbroten und der herzlichen Einladung zum Bedienen: „Für ALLE Pilger“, mit Betonung auf alle, damit bloß kein Zweifel aufkommt, ob man sich wirklich bedienen darf – die polnische Gastfreundschaft lässt grüßen! Ich gehe weiter, bis hin zur Hausnummer 1477. Dieses Dorf hat mit seiner Größe noch nicht einmal Straßennamen verdient. Doch die Größe dieses Dorfes ist heute unermesslich: Denn es hat Menschen hervorgebracht, die mit ihrem Leben bezeugt haben, dass das Evangelium auch heute noch lebendig sein kann.
Das normalerweise ruhige Dorf Markowa im polnischen Karpatenvorland, das von rund 4.000 Menschen bewohnt wird, wurde am vergangenen Sonntag von 32.000 Menschen heimgesucht, die an einem außergewöhnlichen und historischen Ereignis teilnehmen durften – der Seligsprechung der Familie Ulma.

Doch warum war dieses Ereignis so außergewöhnlich?
Es ist nicht nur eine wunderbare Botschaft für die Pro Life-Bewegung, sondern auch ein großartiges Zeichen für die Politik weltweit: Erstmalig in der Geschichte wurde eine ungeborenes Kind seliggesprochen und seine Existenz damit auf eine neue Ebene gebracht. Aber nicht nur diese Tatsache ist eine Besonderheit – auch, dass eine Familie als ganzes seliggesprochen wurde, ist eine Premiere! Das Ehepaar Wiktoria und Józef Ulma hat gemeinsam mit seinen sieben Kindern gezeigt, dass ein Leben für die Gerechtigkeit und der Tod aus christlicher Liebe zum Mitmenschen nicht nur ein netter Slogan, sondern eine wahre Lebenseinstellung sein kann. Sie sind die Verkörperung der Erzählung Jesu über den barmherzigen Samariter. Kein Wunder also, dass sich so viele Menschen auf den Weg machten, um der Seligsprechung dieser wunderbaren Familie beizuwohnen.
Diese christliche Einstellung voll Nächstenliebe betonte auch während der Eucharistiefeier, die anlässlich der Seligsprechung gefeiert wurde, der päpstliche Delegierte und Präfekt des Dikasteriums für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, Marcello Kardinal Semeraro, der ihr vorstand. Er sprach davon, dass das Zeugnis der Familie Ulma darin besteht, für die Schwächsten der Gesellschaft einzustehen. Über die Familie und das Kind, das im Moment der Ermordung von Wiktoria Ulma zur Welt kam und gemeinsam mit ihr starb, sagte er: „Im Zeugnis und im Martyrium des Ehepaars Ulma und ihrer Kinder entdecken wir aufs Neue die Größe der Familie, des Ortes des Lebens, der Liebe, der Fruchtbarkeit. Wir entdecken aufs Neue die Größe der Mission, die der Schöpfer den Eheleuten anvertraute. […] Im Martyrium der neuen Seligen hat eine besonders suggestive Rolle das Kind, das Wiktoria in sich trug, das in den schmerzhaften Momenten des Mordes an seiner Mutter zur Welt kam. Obwohl es noch keinen Namen hatte, nennen wir es heute „Der Selige“.
Die Seligsprechung hat heute ein aktuellere Botschaft als je zuvor – obwohl es noch nie ein Wort gesprochen hat, ruft das kleine, unschuldige Kind, das im Paradies gemeinsam mit den Heiligen und Engeln Gott dem Dreieinigen zur Ehre singt, heute zur modernen Welt, dass es das Leben vom Moment der Entstehung bis zum natürlichen Tod annehme, liebe und schütze, v.a. das Leben der Hilflosen und der an den Rand gedrängten. Seine unschuldige Stimme möchte das Gewissen der Gesellschaft bewegen, in dem sich Abtreibung, Euthanasie und Verachtung des Lebens verbreiten, das als Last und nicht als Geschenk angesehen wird. Deshalb ermutigt uns die Familie Ulma dazu auf diese Kultur der Ablehnung zu reagieren“, so Marcello Kardinal Semeraro.
Noch vor der Hl. Messe wurde die Seligsprechungsformel verlesen und die Reliquien durch Familienangehörige der Familie Ulma zum Altar gebracht. Insgesamt nahmen an der Hl. Messe rund 1.000 Priester teil, darunter ca. 80 Bischöfe und Kardinäle. Aus Deutschland war Gerhard Kardinal Müller vertreten. Neben den Geistlichen waren auch die höchsten Repräsentanten der polnischen Regierung anwesend sowie jüdische Repräsentanten. Der polnische Präsident, Andrzej Duda, hielt nach der Hl. Messe eine emotionale Rede, in der er betonte, dass der polnische Staat nie den Mord an Juden und Polen unterstützt hat, was immer wieder in ausländischen Medien fälschlicherweise berichtet wird. Aktuell stehen wiederholte Forderungen der polnischen Regierung an Deutschland nach Reperationszahlungen für Kriegsverbrechen aus, die Deutschland immer wieder ablehnt.

Hintergund
Józef und Wiktoria Ulma waren ein katholisches Ehepaar, das in Markowa, nahe der ukrainischen Grenze (damals Teil der Woiewodschaft Lemberg), lebten. Sie waren Landwirte und hatten 6 Kinder: Stanisława, Barbara, Władysław, Franciszek, Antoni und Maria. Józef war im Dorf anerkannt, da er sehr erfinderisch und innovativ war – er legte die ersten Obstplantagen an und generierte als erster im Dorf Elektrizität. Er interessierte sich für Fotografie und engagierte sich in unterschiedlichen lokalen und katholischen Initiativen. Wiktoria war Amateur-Schauspielerin. Beide gehörten der Bruderschaft des Lebendigen Rosenkranzes an. Ihre Kinder erzogen sie im christlichen Geiste der Gottes- und Nächstenliebe. In ihrer Bibel hatten sie die Geschichte des barmherzigen Samariters rot markiert.
Bevor der 2. Weltkrieg ausbrach, lebten in Markowa rund 120 Juden. Während der deutschen Besatzung 1942 waren Józef und Wiktoria Augenzeugen bei der Exekution zahlreicher Juden in ihrem Dorf. Einigen gelang es, zu entkommen und sie suchten Unterschlupf bei den Dorfbewohnern. Das Ehepaar Ulma nahm zwei Familien bei sich auf – die Familien Szall und Goldman –, insgesamt acht Personen, um sie vor dem Holocaust zu bewahren. Damals drohte die Todesstrafe für die kleinste Hilfeleistung gegenüber Juden, wessen sich das Ehepaar bewusst war.
Im Jahr 1944 war Wiktoria hochschwanger und erwartete ihr 7. Kind. Am 24. März wurden die jüdischen Familien aufgesucht und, angeführt durch Oberleutnant Eilert Dieken, durch die deutschen Nationalsozialisten hingerichtet. Daraufhin ebenso die gesamte Familie Ulma. Der Exekution mussten auch die Nachbarn beiwohnen, die teilweise ebenso Juden bei sich versteckt hielten. Trotz dieses Versuches der Abschreckung überlebten in dem Dorf Markowa insgesamt 21 Juden. Eilert Dieken, der die Vollstreckung des Mordes befahl, arbeitete nach dem Krieg in Essen als Kriminalkommissar und wurde niemals zur Verantwortlichkeit gezogen.
1995 wurde die Familie Ulma durch das Jerusalemer Institut Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. 2003 wurde der Seligsprechungsprozess eröffnet. Papst Franziskus erkannte das Martyrium der gesamten Familie an. Der Gedenktag ist der 07. Juli, der Hochzeitstag des Ehepaars Wiktoria und Józef Ulma.

P.S.: Schon diesen Samstag finden in Berlin und Köln die großen Märsche für das Leben statt!

 


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