Ein kurzer Besuch in der Heimat

24. Juli 2023 in Kommentar


"Zu Libori besingen wir dennoch das Haus voll Glorie und wir schaffen es, eine Vesper lang so zu tun als ob" - Der Montagskick von Peter Winnemöller


Paderborn (kath.net)

In Paderborn ist Libori. Das ist ein Fest, das man zu Recht als fünfte Jahreszeit bezeichnen kann. Es ist eine deutschlandweit einzigartige Kombination aus weltlicher und kirchlicher Feier. Im Dom werden in einer Woche rund ein Dutzend Pontifikalämter gefeiert. Die Eröffnung bildet die Erhebung der Reliquien aus der Krypta und der Transfer im goldenen Schrein in den Altarraum auf den Liborialtar über der Kathedra. In der Montage oben sieht den Transfer im mittleren Teil. Traditionell besuchen viele Bischöfe aus aller Welt das Liborifest. Das ist ein Zeichen der weltkirchlichen Verbundenheit. In Zeiten des Synodalen Weges und des drohenden Schismas ist das keine Kleinigkeit. Auch in Paderborn prescht man in Sachen sogenannter Reformen weit voran. Es sind auch in diesem Jahr weniger Bischöfe als in der Vergangenheit in Paderborn. Eine allgemein abnehmende Reisefreudigkeit mag dabei sicher eine Rolle spielen. Doch es ist derzeit heikel, wer sich mit wem wo zeigt. Es sind in diesem Jahr keine amtierenden deutschen Diözesanbischöfe zu Gast. Wenn die Bischöfe mit Kreuz und Kerzen vom Domprobst am Paradiesportal abgeholt werden, singt die Gemeinde zu deren Einzug „Ein Haus voll Glorie“ (N.B.: Der Westfale singt „Ein Haus voll Gloriih“). Das ergibt dem Grunde nach einen Sinn, sind es doch die Hirten, die den apostolischen Dienst vollziehen, die an einer Kirche als Haus voll Glorie bauen. Doch derzeit ist es eher so, nicht nur in Rom, wo im Petersdom schon mal Putz von der Decke fällt, sondern auch in Deutschland, dass eher die Abrissbirne kreist. Zu Libori besingen wir dennoch das Haus voll Glorie und wir schaffen es, eine Vesper lang so zu tun als ob. Die Vesper atmet die Tradition der Kirche. Es ist eine strenggenommen verbotene altrituelle Vesper mit fünf Psalmen. Nicht einmal der Papst wäre mächtig genug diese Vesper zu verbieten. Und das achte Weltwunder in Paderborn sind weder die traumhaft schönen Falsibordini-Sätze, auch nicht der Liboritusch, mag sich die Gänsehaut auch nach Zentimetern bemessen. Und nein, auch der Hymnus der Liborivesper – plötzlich können alle Latein – ist es auch nicht. Dass die Fenster des Domes beim Gesang von „Sei gegrüßet, oh Libori“ nicht rausfliegen, das ist ein Wunder. Der Westfale an sich hat ein kräftiges Organ und bringt es hier fünf Strophen lang voll zur Entfaltung.

Die Vesper mit Erhebung der Reliquien, mit dem Tusch und den festlichen Gesängen, mit der besonderen Optik des Jahr für Jahr mit beeindruckenden Blumenbuketts geschmückten Altars, den Schreinträgern und allem, was noch dazu gehört, ist wie ein Abtauchen in eine alte, vermeintlich bessere Zeit. Doch war sie besser? In der Krypta des Domes, wo die Bischöfe beerdigt sind, prangt seit deren Wiedereröffnung vor wenigen Wochen ein Schild an den Gräbern. Den Kardinälen Jäger und Degenhardt wirft ein Zwischenbericht zum Umgang mit sexuellem Missbrauch Fehlverhalten vor. Das Schild weist darauf hin. Wie bei diesen Berichten üblich, sind die Ankläger auch die Richter. Der lebende Domklerus gibt derweil den Scharfrichter und übt sich in damnatio memoriae. Wider eine abendländische Kultur des de mortuis nil nisi bene wird hier posthum wieder und wieder der Stab über verstorbene Bischöfe gebrochen. So richtig eine wahrhaftige historische Einordnung der Taten und Unterlassung von historischen Persönlichkeiten ist, so wenig aber ist es angemessen, ihre Gräber zu verunstalten. Am Dienstag wird der Ex-Bischof von Osnabrück zu Libori erwartet. Man fragt sich, ob man ihm im Dom ein Schild umhängt, das auf seinen fehlerhaften Umgang mit sexuellem Missbrauch hinweist. Bode könnte sich zumindest noch äußern. Jäger und Degenhardt ist das verwehrt.

Die Krypta des Domes war in den vergangenen Jahren aufwendig restauriert worden. Das Erzbistum bezeichnet sie als Herzkammer des Bistums. Etwas verwundert stellt man fest, dass es dort keinen Tabernakel mehr gibt. Während Dome ansonsten stille Anbetungsräume einrichten, beseitigt man diesen in Paderborn. Der Tabernakel ist nun weit weg von den Betern im Hochchor des Domes. Mit einem Opernglas ist er gut zu erkennen. Was sagt das über das Erzbistum Paderborn, wenn es den in der Eucharistie gegenwärtigen Herrn aus seiner Herzkammer entfernt?

Es sagt eine Menge und zum Glück ist in der Krypta genügend Platz, bald wieder einen neuen Tabernakel aufstellen zu können. Wie üblich bei sogenannter moderner Gestaltung eines Sakralraumes lässt sich über die Krypta nach der Renovierung trefflich streiten. Es gibt ein und wirklich nur ein aussagekräftiges Kriterium, ob man die Renovierung als gelungen bezeichnen darf. Nehmen die Menschen den Raum als Gebetsraum an, ist es gelungen. Tun sie es nicht, sind die Baukünstler gescheitert. So einfach ist da.

Ein weiteres Element, in der Bildmontage oben rechts zu erkennen, steht seit der Wiedereröffnung in der Krypta. Bei flüchtiger Betrachtung handelt es sich um einen Touristen, dem drei Steine auf die Freizeitlektüre gefallen sind und dem ein Pfau zugelaufen ist. Es handelt sich angeblich um eine Darstellung des Heiligen Liborius, den der Künstler Stephan Balkenhol hergestellt hat. Ein Vorbild für den Pfau sieht man hier: https://tinyurl.com/DerPfau (Disclaimer: es werden entblößte männliche Genitalien dargestellt.) Das Kunstwerk, welches das Metropolitankapitel von Paderborn den Besuchern der Krypta zumutet, ist postmoderne Kunst und verfolgt eine Aussageabsicht, die unserer Zeit entspricht, nämlich einer säkularisierten dekostruktivistischen Postmoderne. Damit ist dem Grunde nach schon klar, warum die Darstellung eines Heiligen zwingend fehlgehen muss. Der Säkularismus kennt keine Heiligkeit und keine Transzendenz. Er ist völlig unbeleckt von der Teilhabe/Teilgabe dessen, was der Heilige dem Gläubigen vermittelt, nämlich die Gnade, die er durch Fürsprache erwirkt. Gerade das aber prägt unsere Vorstellung von Heiligkeit. Der Heilige sieht das Angesicht Gottes und macht sich für uns fürsprechend auf Gott hin durchsichtig. Ja mehr noch er wirkt – vor allem durch sein heiliges Leben – wie ein Sehrohr, das unserer Blindheit abhilft.

Wir müssen uns nicht wundern, dass in unserer Zeit jegliche Vorstellung von Heiligkeit – auch in der Kirche – unter dem Eindruck dekonstruktivistischer Philosophie, die unser zeitgenössisches Denken so vollkommen durchdrungen hat, vollends schwindet.

Es gibt dabei einen interessanten Aspekt: Die ikonografischen Attribute des Heiligen Liborius, nämlich der Pfau, das Evangelium und die Steine sind ja in der Tat vorhanden. Aus seiner Sicht hat der Künstler nichts falsch gemacht. „Ich kann die Idee verstehen - aber wer soll denn vor sowas beten?“ Das war eine der Stimmen, die mich zu dem Kunstwerk erreicht haben. Sie kam von jemandem, der moderne Kunst sehr schätzt.

Die Darstellung des Heiligen geht fehl. Ja mehr noch, sie stellt - nimmt man sie ernst - sogar eine Beleidigung des Heiligen dar, weil sie ihn säkularisiert und aus der Sphäre des Heiligen, aus dem Himmel, brutalst möglich auf die Erde holt. Der Heilige wird damit von einer einst historischen Persönlichkeit und einem überzeitlichen himmlischen Fürsprecher voll und ganz ahistorisch zu einem bestenfalls zeitlichen Mann mit Vorbildcharakter degradiert. Das ist, wie viele Betrachter intuitiv erfassen, gar kein Heiliger, nicht einmal ein Bischof oder Kleriker, es ist ein Mann, wie Du und ich. Ein Alltagsmensch, dem ein paar Steine auf die Freizeitlektüre gefallen sind und dem ein Pfau zugelaufen ist. Der erste Eindruck bestätigt sich auch bei tiefer gehender Betrachtung. Wer wird diesen um Fürsprache anrufen? Vor allem um Fürsprache bei wem? Zum derzeitigen Zustand der Kirche passt diese Figur perfekt, müht man sich doch redlich alles Sakrale auszuradieren und durch eine säkulare Religion mit dem Bekenntnis zu Klima, Gender, Migration und Gesundheit zu ersetzen. Das ist der Alltag der Kirche in Deutschland unserer Tage.

Da wird das Liborifest mit seiner lateinischen Vesper und der Wahrung seiner Traditionen in der Tat wie ein Besuch in einer längst verlorenen kirchlichen Heimat. Vielleicht war sie immer nur eine Illusion. Das Haus voll Glorie kann es auf Grund der Erbsünde auf der Erde gar nicht geben, aber in der Vergangenheit mühte sich die Kirche auf das Haus des Vaters im Himmel, das wirklich ein Haus voll Glorie ist, durchsichtig zu werden. Die moderne Kirche ist eher blass, wie die Wände der sanierten Domkrypta und bemüht sich um eine Durchsichtigkeit wie Milchglas. Da ist das traditionsgeschwängerte Liborifest dann am Ende doch tatsächlich das echte Aggionamento, das die Fenster des Himmels zur Welt hin öffnet und bei dem der Heilige ohne den Himmel zu verlassen in unsere Mitte kommt, um uns den Weg in das Haus des Vaters zu zeigen. Es ist ein kurzer Besuch in der Heimat.

VIDEO: P. Karl Wallner: Sei unterwegs mit Gott und den Heiligen!

 

 

Foto: (c) Peter Winnemöller


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