"Unmusikalisch mit Bohnen in den Ohren!"

16. Juli 2023 in Spirituelles


"Zu glauben, noch mehr Reformen seien nötig, um in Zukunft weitere Austritte zu verhindern, ist schlichtweg naiv. Es geht darum, die Zeitgeistbohnen aus den Gehörgängen zu entfernen" - Gedanken zum Sonntags-Evangelium von Prälat Dr. Wilhelm Imkamp


Regensburg (kath.net)

Als im Jahre 1965 das II. Vatikanische Konzil endete, war in Deutschland ein Schlager von Gus Backus (1937-2019) besonders populär: „Steck keine Bohnen in die Ohren“. Genau auf Menschen mit Bohnen in den Ohren trafen die wohltemperierten, sanften und verständnisvollen Worte des II. Vatikanischen Konzils, auf Menschen, die verlernt hatten zu hören, die ihre Bohnen in den Ohren sorgsam pflegten. Es waren Menschen, die „religiös absolut unmusikalisch“ waren. So hatte sich der große Soziologe Max Weber (1864-1920) im Jahre 1909 in einem Brief selbst geoutet und bekannt, dass er sich dabei durchaus nicht wohl, sondern verstümmelt fühlte. Immer mehr Menschen stopfen sich heute Bohnen in die Ohren, fühlen sich religiös unmusikalisch und auch noch wohl dabei. Im Tagesevangelium finden wir eine Art Hörer-Typologie, dabei kann man vier Typen unterscheiden. 1) der „Asphalt-Mensch“: Hören alleine reicht nicht. Man muss auch verstehen wollen.

Demjenigen, der nicht verstehen will, werden auch die an sich vielleicht vorhandenen guten Anlagen weggefressen werden, denn: „Wer nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat“ (v 12b). 2) der „Happy-Event-Typ“, schnell begeistert, wenn es um religiöse Event-Hopperei geht. Liturgische Heavy-Metal- oder Techno-Festivals, gerne mit eucharistischem Kleingebäck, Hauptsache jung, bunt, laut, extatisch. Bei den ersten Unbequemlichkeiten wird der Glaube erstickt, denn er kann so keine Wurzeln fassen. 3) der „Konventionschrist“, der Same geht auf, aber die Sorgen, Nöte und auch die Erfolge des Alltags, schnüren dem Glauben die Luft ab. Es bleiben vielleicht die Jugenderinnerungen an eine schöne Ministrantenzeit und die Kirchensteuer, die dann aber auch irgendwann lästig und eingestellt wird. 4) der „Renditetyp“ mit langem Atem.

Im Dreischritt von Hören, Verstehen und Fruchtbringen vollzieht sich ein reifer Glaube. Frucht ist immer auch konkrete Alltagsprägung. Das Wachstum verlangt Geduld, auch mit sich selbst, eben den langen Atem. Dafür wird dann auch eine großartige Glaubensdividende garantiert. Die Ewigkeit in „unsagbarem Glanz“ strahlender Gottesherrlichkeit. Eine Rendite, die weder von Steuern noch von Heuschrecken weggefressen werden kann und absolut sicher ist. Die ersten drei Typen nehmen zu, wie man an 522.841 Kirchenaustritten allein im Jahre 2022 sehen könnte, aber sehen wir genauer hin: Jesus schafft Distanz, denn nur aus der Distanz können alle ihn hören. Nachher wendet er sich exklusiv den Jüngern zu. Der evangelische Exeget und spätere Landesbischof von Württemberg, Gerhard Maier, schreibt: „Es gibt einen unaufhebbaren Unterschied zwischen Jüngern und Nicht-Jüngern!“ Dieser Unterschied ist heute eingeebnet. Distanz soll Nähe weichen, einer Nähe, gerne auf Augenhöhe! Der Sämann, der in Handaussaat seine Arbeit tut, ist längst abgeschafft. Schleppergezogene Säkombinationen, die den Boden noch mehr verdichten, haben ihn längst ersetzt.

Am Saatgut wird herumgepfuscht, Felder werden zu Großbetrieben, zu  Seelsorgskolchosen, zusammengefasst, aus Seelsorge wird Pastoral (Therapie) aus Frömmigkeit Spiritualität, aus Apologie ätzende Kirchenkritik, aus Gremien und Räten werden „Radikalisierungskollektive“. Das alles natürlich mit hochprofessioneller Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie Supervision. Die Krise der Kirche liegt nicht im Saatgut oder am Sämann, sondern die angewandten Mittel zur Krisenbewältigung sind selbst die Krise. Der Soziologe Norbert Bolz hat vor kurzem auf den „Perversionseffekt“, eine Begriffsbildung des unkonventionellen Wirtschaftswissenschaftlers Albert O. Hirschmann (1915-2013) aufmerksam gemacht. Mit diesem Begriff wird das Gegenteil des Beabsichtigten bezeichnet. Bolz erklärt lapidar: „Reformen verschlimmern die Lage, die sie verbessern wollen“ (DT 29.06.2023).

Die 522.841 Menschen, die aus der Katholischen Kirche ausgetreten sind, haben in der Regel mehr als 1000 Stunden Religionsunterricht, Liturgie- und alle möglichen Reformen und Reförmchen hinter sich. Zu glauben, noch mehr Reformen seien nötig, um in Zukunft weitere Austritte zu verhindern, ist schlichtweg naiv. Es geht darum, die Zeitgeistbohnen aus den Gehörgängen zu entfernen und dem religiös Unmusikalischen die Ohren zu öffnen für die „lobpreisenden Chöre“ der himmlischen Heerscharen. Angstfrei und selbstbewusst, ganz ohne Bohnen in den Ohren, sind wir jetzt alle zur Aussaat berufen, aber mit dem echten unverdorbenen Samen.


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