Und alles drängt zum Altar

25. März 2023 in Kommentar


Nicht konservative Klerikale, sondern der Synodalismus im deutschen Sprachraum hat bewiesen: Der hauptamtliche Laie in der Seelsorge war ein Irrweg. Gastkommentar von Martin Grichting


Chur (kath.net)

Die Motive, Laien Theologie studieren zu lassen und sie neben den Priestern hauptamtlich in der Seelsorge der Pfarreien einzusetzen, waren nach dem II. Vatikanischen Konzil verschieden. Einige Bischöfe und Theologen dachten, dies sei eine dem jüngsten Konzil entsprechende Initiative zur Förderung der Sendung der Laien. Andere sahen in den Laientheologen willkommenen Ersatz beim sich abzeichnenden Rückgang von Priesterweihen. Und dann gab es nicht zuletzt jene, die mit der Einführung hauptamtlicher „Laiendienste“ das Ziel verfolgten, den Zölibat auszuhebeln und das Frauenpriestertum vorzubereiten. Denn wenn sich die Gläubigen einmal an verheiratete hauptamtliche Laienakteure in der Seelsorge gewöhnt hätten, die alles tun würden bis auf das Sprechen der Einsetzungsworte der Eucharistiefeier und das Erteilen der Absolution, dann würde man sie schliesslich auch weihen können.

Inzwischen sind über 50 Jahre ins Land gegangen. Und es zeigt sich: Der Laien-„Beruf“ des Pastoralassistenten und der Pastoralassistentin ist nicht stabil. Er ruht nicht auf der Basis der Taufe und der Firmung in sich, sondern tendiert unweigerlich zur Klerikalisierung. Praktisch in allen Feldern kirchlichen und seelsorglichen Handelns ist es erkennbar: Laien, die gleich wie die Priester ausgebildet wurden, wollen taufen. Viele Diözesen erlauben es. Solche Laien möchten in der Hl. Messe die Homilie halten. Beim „Synodalen Weg“ wurde dies als mittlerweile bewährte Praxis bezeichnet und „beschlossen“. Auch die Mitwirkung am eucharistischen Hochgebet gehört in vielen Diözesen zum Hoheitsgebiet verbeamteter Laien. Inzwischen wird auch eine „Laienbeichte“ gefordert. Laien dürfen zwar nicht die Krankensalbung spenden. Aber „kräftigende Salbungen“ bieten sie mit der Duldung nicht weniger Bischöfe an. Unter Berufung auf einen „Notstand“ fordern Bischöfe, dass Laien Ehen assistieren können, teilweise wird es schon praktiziert. Geleitet werden viele Pfarreien inzwischen von „Teams“. In einer Schweizer Diözese wählen die Mitglieder des „Seelsorgeteams“ dessen Leiter - es ist nicht unbedingt der Priester. Der „Synodale „Weg“ schliesslich möchte auch auf den höheren Ebenen der kirchlichen Leitung Parität zwischen Klerus und Berufslaien installieren.

Laien handeln sodann vielerorts als „Gemeindeleiter“, und so werden sie auch genannt. Damit sind wir bei der Terminologie. Hier zeigt sich ebenfalls, dass das hauptberufliche „Laienamt“ keinen Eigenstand hat. An sich war der Begriff „Pastoralassistent“ sinnvoll gewählt. Denn er enthielt die Botschaft: Wer als Laie an der amtlichen Seelsorge mittut, kann es immer nur hilfsweise tun, da die Seelsorge und deren Leitung in Vollsinn die Priesterweihe voraussetzt: „Ein Amt, das der umfassenden Seelsorge dient, zu deren Wahrnehmung die Priesterweihe erforderlich ist, kann jemandem, der die Priesterweihe noch nicht empfangen hat, nicht gültig übertragen werden“ (CIC, c. 150). Und: „Allein Kleriker können Ämter erhalten, zu deren Ausübung Weihegewalt oder kirchliche Leitungsgewalt erforderlich ist“ (c. 274 § 1). Der Laie sollte daher unterstützend, als Assistent, mitwirken. Nun haben die Deutschschweizer Diözesen Basel, St. Gallen und Chur den Begriff des Pastoralassistenten abgeschafft. Stattdessen sind diese jetzt als „Seelsorger“ tätig, was neben der tatsächlichen auch eine begriffliche Nivellierung mit den eigentlichen Seelsorgern, den Priestern, bedeutet. Aus den „Laientheologen“ wurden sodann die „Theologen“, denn Laien wollen sie eben nicht mehr sein.

Bischöfe und Theologen sowie Kanonisten, die dem Lehramt der Kirche treu sind, haben seit dem II. Vatikanischen Konzil auf den bleibenden wesenhaften Unterschied zwischen dem Priestertum des Dienstes und dem gemeinsamen Priestertum der Gläubigen hingewiesen (Lumen Gentium 10). Sie haben vor der Entstehung einer zum Weihesakrament parallelen „Laienhierarchie“ gewarnt und davor, dass ein neuer, nicht mehr sakramental, sondern rechtlich-pragmatisch begründeter „Klerus“ entstünde, der dazu tendiere, im legitimen aufzugehen und diesen in seinem Wesen zu verändern. Sie vermochten sich jedoch nie Gehör zu verschaffen. Und selbstverständlich, das sei hier anerkannt, hat es in den letzten 50 Jahren auch vorbildliche Laientheologinnen und Laientheologen gegeben, die selbstlos den ihnen aufgetragenen Dienst, im Rahmen des theologisch und kirchenrechtlich Zulässigen, geleistet haben. Aber sie wurden nicht selten belächelt und als Kollaborateure des Klerus ausgegrenzt. Eine Minderheit waren sie allemal.

Das Bild geprägt haben, wie dargelegt, andere. Aber gerade dadurch haben sie, unterstützt von nicht wenigen Bischöfen, wider Willen bewiesen, dass es den hauptamtlichen Laientheologen in der pastoralen Wirklichkeit der Pfarreien nicht geben kann, jedenfalls nicht unter den Bedingungen der erbsündlich belasteten menschlichen Existenz. Denn nur die wenigsten Menschen sind zum Dienen geboren. Aber gerade diese Eigenschaft hätte den Laientheologen charakterisiert: die gleiche Ausbildung, die gleiche Erfahrung und durchschnittlich die gleiche Intelligenz wie der Geweihte zu haben und doch ein Leben lang selbstlos „Assistent“ sein zu sollen. Die meisten Laientheologen haben dies nicht verkraftet. Sie haben irgendwann gespürt, dass sie in einen „Beruf“ eingestiegen sind, der ihnen keine Perspektiven bietet. Viele sind deshalb von einem unterschwelligen Groll gegen die Priester erfüllt. Was sich im „Synodalen Weg“ abgespielt hat, ist nicht zuletzt Ausdruck dieses psychologisch bedingten Problems persönlicher Verletztheit. So wurde verzweifelt und final versucht, das nicht überwindbare Sakramentale durch das Faktische - eine rein kirchenrechtlich gezimmerte „Gleichstellung“ - zu bewältigen. Es war der paradoxe Versuch, sich des ungeliebten und zugleich erstrebten Weihesakraments zu bemächtigen. Das Mittel dazu war eine politisch verstandene Parität der „Stände“. Aber dieses gewaltsame, die Lehre der Kirche sowie des jüngsten Konzils verleugnende Durchsetzenwollen einer diesseitigen Machtlogik ist gerade der Beweis aus unverdächtiger Quelle, dass es ein hauptamtliches Laienamt in der Seelsorge nicht geben kann: Es will klerikal werden.

Die Kirche in den deutschsprachigen Ländern muss sich heute eingestehen, dass sie mit Menschen und ihren Lebensläufen gespielt hat. Viele Laien wurden in den letzten 50 Jahren für ein ekklesiologisches Experiment oder gar für eine verwerfliche Strategie missbraucht. Viel Leid ist von der kirchlichen Leitung verursacht worden dadurch, dass Laien in eine Form des Dienstes hineingelockt wurden, die perspektivlos ist. Priester als unverschuldete Konkurrenten frustrierter Laientheologen hatten darunter auch zu leiden, aber vor allem zahlreiche Laien selbst. Wer wird sich bei ihnen einmal für ein wenig glückliches, ja bisweilen verpfuschtes „Berufs“-Leben entschuldigen?

Der Schaden ist heute angerichtet und für viele nicht mehr abzuwenden. Für die Zukunft kann man aus dem Geschehenen nur lernen, niemanden mehr zum Theologiestudium zu ermutigen, der nicht Priester werden kann bzw. werden möchte. Katechist zu werden auf der Basis einer entsprechenden Ausbildung ist demgegenüber weiterhin etwas, das Zukunft hat. Und selbstverständlich ist Theologie ein interessantes Studium, das auch Perspektiven ausserhalb der amtlichen Strukturen der Kirche eröffnet. Aber nach einem Theologiestudium als Laie in die hauptamtliche Seelsorge der Diözesen zu wechseln, bedeutet, in eine Sackgasse zu fahren. Der markante Rückgang der Zahl der Theologiestudentinnen und Theologiestudenten in den letzten Jahren zeigt denn auch, dass diese Lektion bereits gelernt wurde. Hinzu kommt der Niedergang der gesellschaftlichen Bedeutung der Kirche in den deutschsprachigen Ländern und die Vielfalt der heutigen Studienrichtungen. Es hat das Theologiestudium marginalisiert. Sodann ist nicht zu übersehen, dass nur eine kirchensteuerfinanzierte Kirche überhaupt auf die Idee kommen konnte, in grosser Zahl hauptamtliche Laien für die seelsorgliche Arbeit in den Pfarreien anzustellen. Dies war nur möglich in der singulären Situation seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts: Weltkirchlich verglichen enorme finanzielle Mittel waren vorhanden, gepaart mit geistlicher Austrocknung und dem damit verbundenen Schwund von Priesterberufungen. Dies war der dünne Humus für das vorübergehende Anwachsen von hauptamtlichen Laienmitarbeitern. Es ist vor aller Augen, dass dieses Zeitfenster daran ist, sich zu schliessen. Zurück bleiben viele frustrierte Menschen, die an der Kirche, der sie einst dienen wollten, irre geworden sind und die gegen sie revoltieren. Zurück bleiben viele verängstigte Mitglieder der Hierarchie, die im deutschsprachigen Raum meinen, die verfahrene Situation retten zu müssen, indem sie das sakramentale Wesen der Kirche bis zur Unkenntlichkeit verwässern. Denn dies soll den Unwillen der unzufriedenen Laienmitarbeiterschaft besänftigen. Zurück bleiben auch leere Priesterseminare. Denn weshalb soll man Priester werden, wenn das Weihesakrament von der Kirchenleitung im deutschsprachigen Raum faktisch als eine Art von Übel hingestellt wird, dessen Auswirkungen es zu begrenzen gelte? Zurück bleibt schliesslich eine zutiefst zerstrittene und gespaltene Kirche, die kaum mehr Geistliches ausstrahlt.

Die Situation ist mit dem „Synodalen Weg“ und den analogen Verfallserscheinungen in den deutschsprachigen Ländern nun definitiv aus dem Ruder gelaufen. Es bleibt einerseits der Trost, dass diese Entwicklungen selbstlimitierend sind: Die Zerstörung dessen, was Kirche einmal war, ist so verheerend, dass niemand in der Weltkirche darauf verfallen wird, die Kirche im deutschsprachigen Raum als zukunftsweisend zu betrachten. Zudem ist klar, dass die Kirche im deutschsprachigen Raum gesellschaftlich sowie politisch weitgehend irrelevant geworden ist. Ihre, auch menschlich betrachtet, erfolglose Selbstsäkularisierung wird ebenfalls weltkirchlich niemanden motivieren, den gleichen Weg gehen zu wollen.

Die Kirche in den deutschsprachigen Ländern hat sich jedoch andererseits in eine Abwärtsspirale begeben, die sie, wie man inzwischen sieht, aus eigener Kraft nicht mehr zu stoppen vermag. Ganze Episkopate dekonstruieren das sakramentale Wesen der Kirche und sägen damit am Ast, auf dem sie sitzen. Man wäre jedoch überrascht, wenn die eingetretene Lage nun zu einer unzweideutigen Reaktion führen würde. Das übliche römische Vorgehen kann man eher am Umgang mit der Gallikanischen Kirche des 16. bis 18. Jahrhunderts studieren: cool bleiben, Schaden begrenzen und abwarten. Als der verlorene Sohn nach Jahrhunderten des Schwelgens im Reichtum und der selbstbewussten Distanzierung vom Papst durch die Französische Revolution plötzlich mittellos geworden war, kehrte er reumütig zum Heiligen Vater zurück und wurde ganz von selbst wieder romtreu. Es dürften also vorerst Jahrzehnte der Unentschiedenheit, begleitet von weiterem Niedergang, folgen. Es ist das „schmutzige Schisma“, ohne dass kurz- oder mittelfristig Unterstützung oder eine Besserung in Sicht kommen.

Die tragische Geschichte der Laientheologen im deutschsprachigen Raum ist dabei das sichtbare Zeichen dafür, wie verheerend sich theologische Irrtümer auf die Seelsorge auswirken. Ich habe mich früher manchmal bei der Messfeier gefragt, warum im Embolismus nach dem Vater-unser zuerst von „Verwirrung“ und dann erst von „Sünde“ die Rede ist, vor denen Gott uns bewahren möge. Die Verwirrungen der Kirche im deutschsprachigen Raum haben mich das inzwischen besser verstehen lassen. Die Sünde ist ein moralisches Versagen, das bekanntlich schlimm sein kann. Aber die Verwirrung ist noch grundlegender. Sie ist ein intellektuelles Problem, das den Menschen nicht nur moralisch schwächt, sondern ihm zuerst auch den Zugang zur Wirklichkeit verbaut. Es ist heute gerade diese theologische Verblendung, die dann schwere moralische Probleme hervorruft: die destruktive Hassliebe auf die Kirche und ihre Lehre, die Spaltungen mit all ihren Gemeinheiten und Verletzungen, die kalte Wut auf diejenigen, die geweiht und dazu berufen sind, im Namen Jesu Christi des Hauptes zu leiten, zu heiligen und zu lehren. Man kann den Embolismus nicht genug beten in diesen Zeiten: Herr, bewahre uns vor Verwirrung und Sünde!

 


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