Ouellet: „Sind wir nicht manchmal versucht, das Wort Gottes anders auszulegen als es wirklich sagt?“

8. Februar 2023 in Spirituelles


Kurienkardinal bei Europa-Etappe der Weltsynode: „Es sollte beachtet werden, dass der Mensch von Gott als Mann und Frau geschaffen wurde, für eine spirituelle und körperliche Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau“


Prag (kath.net/pl) kath.net dokumentiert die Predigt „Seid fruchtbar“ von Kardinal Marc Ouellet, Präfekt der Bischofskongregation, bei der Europa-Etappe der Weltsynode in Prag am Dienstag, 7.2.2023, in voller Länge in eigener Übersetzung – Für die Übersetzung © kath.net

„Gott schuf den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ (Gen 1,27).

Die Grundlage der christlichen Anthropologie ist dieser fundamentale Text aus der Genesis, den uns die Liturgie heute im Rahmen unserer europäischen kontinentalen Sitzung zur Synodalität zur Meditation gibt. Gemeinsam hören wir auf den Heiligen Geist und lauschen aufmerksam dem Wort Gottes über die Erschaffung von Mann und Frau nach dem Bilde Gottes. Ist diese biblische Vision, die unserem Glauben jetzt angeboten wird, nicht ein kostbarer Leuchtturm für unsere Debatten und Unterscheidungen?

Zwischen Gott und dem Menschen besteht eine Ähnlichkeit, eine Verwandtschaft, eine Nähe, die ihn von allen anderen Geschöpfen auf der Erde unterscheidet. Diese Ähnlichkeit wurde historisch in Bezug auf die spirituelle Natur des Menschen verstanden, weil der Körper auf den ersten Blick weit von dem rein spirituellen göttlichen Wesen entfernt zu sein scheint. Die zeitgenössische Exegese betont jedoch die relationale Dimension des Gottesbildes im Menschen und stellt so die Vermittlung des Körpers und seine grundlegende Rolle im Leben eines Paares wieder her. Wenn es stimmt, dass die spirituelle Dimension von Mann und Frau eine Ähnlichkeit mit Gott beinhaltet, sollte beachtet werden, dass der Mensch von Gott als Mann und Frau geschaffen wurde, für eine spirituelle und körperliche Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau, die sie zu einem Fleisch werden lässt: „ Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und beherrscht sie.“ Das Bild Gottes im Menschen schließt daher das Paar und seine Fruchtbarkeit ein. Es ist sogar die primäre Bedeutung des Bildes, die die Herrschaft des Menschen über die Schöpfung begründet, denn es ist die Kraft der Liebe, die sie fruchtbar macht, so dass Mann und Frau sich vermehren, die Erde füllen und sie beherrschen. Wäre doch diese Herrschaft ökologisch und nicht raubtiermäßig, wie es sich leider in unseren Tagen als Folge der Sünde zeigt.

Im Licht von Christus dem Erlöser, dem menschgewordenen Wort Gottes, erhält diese Anthropologie des Bildes Gottes als Paar eine erstaunliche Erweiterung in der Gestalt des neuen Adam und der neuen Eva: Christus und die Gemeinde, die den Gottes Plan für sie als Mann und Frau zu seiner Fülle führen. Der als männlich und weiblich, als Mann und Frau geschaffene Mensch ist [so] geschaffen im Hinblick auf Christus und die Kirche, im Hinblick auf das Sakrament der Ehe, das die Eheleute segnet bis hin zum Punkt der Sakramentalität, so dass sie also Träger einer größeren Liebe werden, der Liebe Christi zu seiner Braut, der Kirche. Die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ lehrt uns, dass „echte eheliche Liebe in die göttliche Liebe aufgenommen“ (GS 48, §2) und durch sie in vielfältiger Weise fruchtbar gemacht wird, um Gott zu ehren. Das ist ein großes Geheimnis, sagt Paulus und denkt dabei an Christus und die Kirche. Männer und Frauen dürfen dies nicht ignorieren, verraten oder selbstsüchtig manipulieren. Denn die Liebe Gottes, die die menschliche Liebe beleuchtet, verleiht ihr Teilhabe an ihren göttlichen Eigenschaften: Einheit, Fruchtbarkeit, Unauflöslichkeit. Diese Teilnahme stärkt, reinigt und heiligt die menschliche Liebe und vervielfacht ihre Glückschancen. Leider meidet der sündige Mensch diese Gnade oft und zieht seine eigenen autonomen Entscheidungen vor, die ihn von Gottes Pfaden abbringen.

Im heutigen Evangelium verurteilt Jesus die Pharisäer für ihre Heuchelei in Bezug auf Gottes Gebot: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren. Die Pharisäer praktizieren eine Interpretation, die es ihnen erlaubt, das Wort Gottes für ihre eigenen egoistischen Interessen zu missachten. Der Herr nimmt Anstoß an dieser Mentalität, die behauptet, Gott zu gehorchen, während sie gegen sein Wort handelt. Diese Warnung betrifft auch uns und fordert uns heraus in unserer Arbeit für eine synodalere Kirche. Sind wir nicht manchmal versucht, das Wort Gottes anders auszulegen als es wirklich sagt? Möge der Heilige Geist uns begleiten und uns in unserem Austausch und unserer Unterscheidung leiten. Wir sind hier, um einander zu helfen und uns darin zu üben, gemeinsam zu gehen, erleuchtet vom Wort Gottes und genährt vom Leib und Blut Christi.

Möge unsere Geschwisterlichkeit wahrhaftig sein, möge unsere Arbeit fruchtbar sein und möge unser Unterscheidungsvermögen Gott die Ehre geben! Amen.

Archivfoto: Kurienkardinal Ouellet


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