Papst Benedikts tiefer Blick in das Geheimnis der Liturgie

8. Februar 2023 in Spirituelles


Leseprobe aus: Kaplan Thomas de Beyer, „Auf dein Herz geschrieben. Die Lehre der katholischen Kirche, Überblick - Fragen – Antworten“.


Heiligenkreuz (kath.net) Der Buchautor Kaplan Thomas de Beyer zitiert in seinem neuen Buch über den Katechismus (KKK) den früheren Kardinal Ratzinger und gibt eine erstaunlich einfache aber tiefgründige Einführung in die Liturgie. Das Buch mit dem Titel „Auf Dein Herz geschrieben“ wird gerade beim Verlag Be&Be Heiligenkreuz veröffentlicht. Der Inhalt orientiert sich am Katechismus von Papst Johannes Paul II. Das Werk liefert einen verständlichen Überblick über die Lehre der Katholischen Kirche, Antworten auf aktuelle Fragen und lässt vor dem Auge des Lesers die Schönheit der Kirche aufleuchten. Hier ein Auszug aus dem Kapitel über Liturgie:

Das kirchliche Jahr durchzieht ein Reigen von Festen und Feiern. Täglich werden Kerzen entzündet, kunstvoll bestickte Gewänder angelegt, erklingen feierliche Gebete und Gesänge. Die Kirche feiert die hohen Feste der Menschwerdung und Erlösung, sie feiert bedeutsame Geschehnisse wie die Taufe Jesu, gedenkt der Heiligen, verehrt an Fronleichnam die Gegenwart Gottes in der Eucharistie. Dabei reicht das Spektrum des Ausdrucks vom feierlichen Ernst eines Aschermittwochs bis zur fröhlichen Ausgelassenheit des Ostermorgens, vom stillen Kerzenschein des Advents bis in den strahlenden Triumph des Christkönigfestes. Das ganze Leben wird festlich begangen, besonders die Meilensteine der Taufe, der Eheschließung und des Abschiedes von einem Angehörigen.

Zu sagen, die Kirche feiere, weil sie guten Grund dazu habe – v.a. die Zusage ewigen Lebens – ist nicht falsch, trifft aber noch nicht das Wesen der Liturgie und deren tiefere Begründung. Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., weist in seinem Buch „Der Geist der Liturgie“ darauf hin, dass maßgebliche Ursprünge der Liturgie im Buch Exodus zu finden sind, in den Ereignissen am Berg Sinai. Dort, auf dem Weg von Ägypten ins gelobte Land, bekommt das Volk Israel eine umfassende Lebensordnung einschließlich der Weisungen für den rechten Gottesdienst. „Israel lernt, Gott auf die von ihm selbst gewollte Weise zu verehren. Zu dieser Verehrung gehört der Kult, die Liturgie im eigentlichen Sinn; zu ihr gehört aber auch das Leben gemäß dem Willen Gottes“ (S. 15). So greifen die zehn Gebote und die liturgischen Weisungen ineinander. Es wäre unstimmig, den Schöpfer zu verehren, der Schöpfung aber ohne Achtung zu begegnen.

Ein Bild für eine authentische Liturgie, die sich auch im alltäglichen Leben wiederspiegelt, ist die Familie, in der die Eltern sich liebevoll um ihre Kinder kümmern, mit ihnen beten und ihnen eine Richtung weisen zu Tüchtigkeit und echter Lebensfreude. Dieses Bild vervollständigt sich, wenn die Kinder auf die Fürsorge der Eltern mit einem gesunden Gehorsam antworten, nicht aus Zwang, sondern aus Einsicht und der Erfahrung, geliebt zu sein. Ein besonderer Ausdruck dieses Gehorsams aus Liebe wäre es, wenn die Kinder sich Gedanken machen, wie sie ihren Eltern gelegentlich eine Freude bereiten. Wenn viele Jahre später die Eltern verstorben sind, werden die Kinder geneigt sein, einem Bild von ihnen in ihrer Wohnung einen würdevollen Platz zu geben und an bestimmten Tagen Blumen auf das Grab zu legen. Wie das vierte Gebot zum Ausdruck bringt, ist der Respekt der Kinder den Eltern gegenüber im Sinne Gottes. Ähnlich verhält es sich auch mit unserer Beziehung zu Gott, der für uns alles geschaffen hat, was wir zum Leben und zum ewigen Heil brauchen. Eine Verehrung des Schöpfers in Liturgie und Leben aus Dankbarkeit und Respekt steht Gott zu (vgl. S. 16) und bringt uns Menschen in die glückliche Lage, in einer gesunden, heilsamen Ordnung zu leben.

Noch einmal zurück zum Sinai: Hier wird auch deutlich, dass der Mensch eine echte Liturgie nicht erfinden kann. „Der Mensch kann den Kult gar nicht selber einfach machen; er greift ins Leere, wenn Gott sich nicht zeigt“ (S. 18). Sobald liturgische Handlungen ihren klaren Bezug zur göttlichen Offenbarung verlieren, können sie sich gleichsam verlaufen. Ein Beispiel solcher Fehlentwicklungen ist der Tanz um das Goldene Kalb. Die Absicht des Aaron, der dieses Bildnis anfertigte, lag nicht in der Verehrung heidnischer Götter. Das Problem bestand im Verstoß gegen das Bilderverbot. „Man hält es bei dem unsichtbaren, dem fernen und geheimnisvollen Gott nicht aus. Man holt ihn zu sich herab, ins Eigene, ins Verständliche. So ist Kult nicht mehr ein Hinaufsteigen zu ihm, sondern ein Herunterziehen Gottes ins Eigene“ (S. 19). Dagegen ist wahre Liturgie eine wirkliche Kommunikation: Gott offenbart sich, sendet sein Wort herab, bewirkt für seine Geschöpfe Gutes, und der Mensch antwortet mit Lobpreis, mit Fürbitten und Dank, die er – bildlich gesprochen – emporsteigen lässt. Das Emporsteigenlassen von Gebeten in ehrfurchtsvoller Haltung finden in manchen Gottesdiensten einen sichtbaren Ausdruck in der Verwendung von Weihrauch.

Der edle Duft, das Kostbare, das im Weihrauch erfahrbar wird, die kunstvolle Gestaltung des kirchlichen Raumes, in dem goldene Materialien glänzen, sowie die erhebende Musik zeigen einen weiteren Aspekt der Liturgie: Sie ist Vorbereitung auf den Himmel. Im Gottesdienst geschieht alles nach einer heiligen Ordnung, die in der Kirche gewachsen ist. Es werden nur Elemente verwendet, die Schönheit und Harmonie erleben lassen. Unstimmigkeiten und der Schmutz der Sünde werden nicht etwa geleugnet oder beschönigt. Vielmehr ist die Liturgie ein Ort innerer Reinigung und eine Zeit geistlicher Erbauung. Das lindernde, wohlriechende Salböl des Heiligen Geistes wird über alle ausgegossen. Viele Kirchen sind geographisch so ausgerichtet, dass die Gläubigen ihren Blick nach Osten wenden. Inmitten einer von Dunkelheit befallenen Welt schauen sie in die Richtung des Sonnenaufgangs in Erwartung der Wiederkunft Christi.

Über die Jahrhunderte entfaltete sich die Liturgie regional in verschiedenen Varianten. In den meisten westlichen Ländern ist vorwiegend der römische Ritus in Gebrauch und zwar in der neuen Form nach dem Zweiten Vaticanum (Novus Ordo genannt oder forma ordinaria) und in der hergebrachten Form in Anschluss an das Konzil von Trient (forma extraordinaria). In dieser Schrift werden liturgische Texte der Einfachheit halber aus dem Novus Ordo zitiert.

Durch ihren offiziellen, öffentlichen Charakter ist die Liturgie ebenfalls Bekenntnis. Dies kommt zum Ausdruck bei Prozessionen, beim Gang in die Kirche und bei jedem Gebet, das ich mit dem Kreuzzeichen beginne. „Die grundlegende christliche Gebetsgebärde ist das Kreuzzeichen. Es ist ein körperlich ausgedrücktes Bekenntnis … zu dem Gott, der nicht durch Zerstören, sondern durch die Demut des Leidens und der Liebe regiert“ (S. 152). Eben dieses Zeichen steht auch am Anfang und am Ende des Christenlebens. Im Taufritus werden die Eltern zu Beginn aufgefordert, ein Kreuzzeichen auf die Stirn ihres Kindes zu zeichnen. Meist Jahrzehnte später, in Altersschwäche oder schwerer Krankheit, kommt ein Priester und zeichnet derselben Person mit geweihtem Öl ein Kreuz auf Stirn und Hände. Wenn der Sterbende nicht mehr selbst die liturgischen Antworten sprechen kann, tun dies für ihn die Angehörigen. Wie alle anderen Riten endet die Krankensalbung mit dem Wort Amen‘ – so ist es. In diesem einen Wort kommt auch ein wichtiger Zielpunkt aller Liturgie zum Ausdruck: Der Mensch bestätigt seinen Glauben an Gott: Ja, du bist mein Schöpfer, Retter und Heiland. Er verehrt Gott betend und singend im Vertrauen, dass Gott seinen Segen dazugibt, der aufbaut, ermutigt und stärkt, in den offenbarten Lebensregeln treu zu stehen, wie der Psalmist sagt: Wer „Gefallen hat an der Weisung des Herrn … ist wie ein Baum, gepflanzt an Bächen voll Wasser, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt“ (Ps 1,2-3). Insofern fördert die Treue zur wahren Gottesverehrung in Liturgie und Alltag ein erfülltes Leben und der Gläubige „sammelt Frucht für das ewige Leben“ (Joh 4,36).

Gottesdienste sind Glaubens-Verkündigung in einem doppelten Sinn: Häufig werden in Ansprachen oder Predigten Inhalte des Glaubens erklärt und bekräftigt. Doch auch die liturgischen Handlungen sind Darstellung und Bekräftigung des Glaubens, v.a. die Eucharistiefeier: "Sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt" (1 Kor 11,26).

In liturgischen Feiern geschieht jedoch mehr als Verkündigung, sie sind eine Realisierung, eine Verwirklichung: Es geschieht etwas mit den Teilnehmern der Liturgie. Ähnlich wurde dem Zöllner Zachäus von Jesus (während eines ausgiebigen Besuches in seinem Haus) nicht nur etwas erklärt. In der Gegenwart Jesu hat er sich verändert. Schließlich sagt Jesus zu Zachäus: "Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden" (Lk 19,9). So ist es auch in der Liturgie: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen" (Mt 18,20). Somit ist Liturgie nicht nur eine Erinnerung an die Geschichte Jesu und des Volkes Israel, sondern eine Vergegenwärtigung der Heilstaten Gottes, in die jeder Teilnehmer mit einbezogen wird. Vgl. KKK 1163

Der Begriff Liturgie (gr. öffentliche Amtshandlung) wird für die offiziellen, kirchlich geregelten Gottesdienste verwendet – im Unterschied zu privatem Gebet. Dazu gehören v.a. die Sakramente und das Stundengebet (über den Tag verteilte Gebetszeiten mit Hymnen, Psalmen und Schriftlesungen). In einem weiteren Sinne ist Liturgie jede kirchlich geregelte gottesdienstliche Feier wie z.B. Prozessionen, Beerdigungen oder Segnungen.

Kaplan Thomas de Beyer (siehe Link) ist Priester des Bistums Limburg und Hausgeistlicher bei den Immaculata-Schwestern/Kloster Brandenburg, Dietenheim (Baden-Württemberg).

kath.net-Buchtipp:

Auf dein Herz geschrieben
Die Lehre der katholischen Kirche, Überblick - Fragen - Antworten
Von Thomas de Beyer
Hardcover, 375 Seiten
2023 Medien-GmbH Heiligenkreuz
ISBN: 978-3-903602-66-3


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