Buch des früheren Papstsekretärs Gänswein in Italien erschienen

12. Jänner 2023 in Chronik


"Nichts als die Wahrheit" seit Donnerstag im Handel erhältlich - Auszüge aus dem neuen Memoiren-Buch des langjährigen Privatsekretärs des verstorbenen Papstes Benedikt XVI.


Rom (kath.net/KAP/red) In Italien hat am Donnerstag der Verkauf eines neuen Buches von Erzbischof Georg Gänswein begonnen, dem langjährigen Privatsekretär des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. Unter dem Titel "Nichts als die Wahrheit" ("Nient'altro che la verita") berichtet Gänswein darin über vereinzelte Meinungsverschiedenheiten zwischen dem ehemaligen und dem amtierenden Papst. Das Buch sorgt in Italien seit Tagen für Schlagzeilen, weil noch vor der Beisetzung des ehemaligen Papstes am 5. Jänner erste Auszüge in den Medien bekannt wurden. In Kommentaren wurden diese als Angriffe gegen Franziskus gedeutet. Franziskus empfing Erzbischof Gänswein am Montag persönlich. Gänswein wurde nach eigenen Angaben von Benedikt XVI. als Testamentsvollstrecker eingesetzt.

In dem Buch berichtet Gänswein, dass der ehemalige Papst seinem Nachfolger 2013 Gehorsam versprochen habe. Dennoch gab es dem Buch zufolge Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden. Unter anderem habe Benedikt XVI. seinen Nachfolger dazu aufgefordert, in moraltheologischen Fragen klarer Stellung zu beziehen. Ferner habe Benedikt die Entscheidung von Papst Franziskus missbilligt, die sogenannte "außerordentliche Form" der Messe in lateinischer Sprache und ad orientem weitgehend zu verbieten.

Im Vatikan mehrten sich unter dem Eindruck der nun bekannt gewordenen Spannungen in den vergangenen Tagen Stimmen, die künftige Papstrücktritte nach dem Vorbild von Benedikt XVI. ablehnen. Ein solcher Amtsverzicht schaffe eine "potenziell delikate Situation", erklärte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Der deutsche Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller warnte, ein Nebeneinander von altem und neuem Papst widerspreche dem Wesen des Papstamtes als Garant der Kircheneinheit.

Schon vor Bekanntwerden des Gänswein-Buchs verlieh zuletzt auch Kardinal Christoph Schönborn seiner Hoffnung Ausdruck, dass das Beispiel des Rücktritts, wie ihn der verstorbene Ex-Papst Benedikt XVI. vollzog, künftig Schule macht. "Es darf nicht eine Tradition werden. Ich glaube, es ist richtig, dass Päpste möglichst bis zum Lebensende im Amt bleiben. So war es jahrhundertelang", sagte der Wiener Erzbischof am Jahresbeginn in einer ORF-Sendung zum Tod von Benedikt XVI. Allerdings sei der Rücktritt auch ein wichtiges Zeichen gewesen, so Schönborn, nämlich, "dass der Papst auch nur der Papst ist und nicht der liebe Gott".

In seinem neuen Memoirenband "Nient'altro che la verita" (Nichts als die Wahrheit) schildert der Privatsekretär von Benedikt XVI., Erzbischof Georg Gänswein, wichtige Episoden und teils unbekannte Details aus seinem Leben mit dem früheren Präfekten der Glaubenskongregation, und späteren Papst. Die Nachrichtenagentur Kathpress stellt Zitate aus dem am Donnerstag erschienenen Buch in eigener Übersetzung vor.

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Papstwahl

Unmittelbar nach der Wahl von Papst Franziskus vermittelte Gänswein das erste Telefonat mit dem Vorgänger. Als am Abend des 13. März 2013 der weiße Rauch aufstieg, habe er sich eingereiht, um ihm seinen Gehorsam zu bekunden. Als er an die Reihe kam, "ließ Franziskus mich nicht einmal den Mund aufmachen, um ihn zu beglückwünschen, sondern kam mir mit der Bitte zuvor: 'Ich möchte mit Benedikt sprechen. Können Sie mir helfen?'"

Mobiltelefone funktionierten nicht in der Sixtina; erst über einen Festnetzapparat aus einem Nachbarraum und unter Schwierigkeiten gelang es Gänswein, Benedikt XVI. in Castel Gandolfo zu erreichen. Unterdessen zeigte sich Franziskus erstmals den Menschen auf dem Petersplatz. Als er zurückkehrte, rief Papst Franziskus seinen Vorgänger an. "Ich hörte nicht, was Papst Bergoglio sagte, aber Pater Alfred hörte die Antwort von Benedikt: 'Danke, Heiliger Vater, dass Sie an mich gedacht haben. Ich verspreche meinen Gehorsam von jetzt an." Aus den "spärlichen Äußerungen", die der emeritierte Papst in den folgenden Tagen fallen ließ, konnte Gänswein verstehen, "dass der Name Jorge Mario Bergoglio für ihn unerwartet kam".

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Freimaurer

Als Benedikt XVI. zum Papst gewählt wurde, "war die (gelinde gesagt) Enttäuschung der Freimaurer offensichtlich", so Gänswein. Anders nach der Wahl von Franziskus im Jahr 2013. Damals sandte der Großmeister der größten Loge Italiens, Gustavo Raffi, einen Gruß, den Gänswein mit den Worten zitiert, die Freimaurer hofften, dass "das Pontifikat von Franziskus die Rückkehr der 'Kirche des Wortes' gegenüber der Kirche als Institution markiert, [in der Hoffnung, dass] eine Kirche des Volkes die Fähigkeit zum Dialog mit allen Menschen guten Willens und mit der Freimaurerei wiederentdecken möge". Gänsweins Kommentar: "Da war ich mir sicher: Das war mehr als ein 'Willkommen' für Papst Bergoglio, es war vor allem ein Laufpass für Papst Ratzinger." Allerdings habe der Chef der Freimaurer offenbar nicht wirklich gewusst, was ihn mit Bergoglio erwartete.

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Vertrauen

Seit Jänner 2020 hatte sich Gänswein ausschließlich um die Unterstützung des emeritierten Benedikt XVI. in seinem Alterssitz in den Vatikanischen Gärten zu kümmern; Papst Franziskus beurlaubte ihn von seinen Aufgaben als Präfekt des Päpstlichen Hauses: "Ich fand mich in der Tat als 'geteilter Präfekt' wieder..." Hintergrund war offenbar die Affäre um ein Buch von Kardinal Robert Sarah über Priestertum und Zölibat, zu dem Benedikt XVI. einen Aufsatz beigesteuert hatte und das allgemein als Affront gegen Franziskus aufgefasst wurde.

Gänswein beschreibt die Personalentscheidung, die ihn "schockiert und sprachlos" ließ, als Schlusspunkt langgehegter Vorbehalte des Papstes gegen seine Doppelrolle als Privatsekretär und Präfekt: "Die Hoffnung Benedikts, dass ich das Bindeglied zwischen ihm und seinem Nachfolger sein würde, war etwas zu naiv." Schon bald habe er den Eindruck gehabt, dass "zwischen mir und dem neuen Papst sich nicht das notwendige Klima des Vertrauens herstellen ließ, um ein solches Engagement in der richtigen Weise weiterzuführen."

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Demütigungen

Vorausgegangen waren Situationen, in denen Franziskus seinen Hauspräfekten ausdrücklich von der Teilnahme an öffentlichen Terminen entpflichtete. Dies führte zu Nachfragen und verunsicherte Gänswein, der nach eigener Darstellung beim Papst um Klärung nachsuchte: "Ich legte ihm dar, dass all dies (...) meine Autorität schmälerte, und dass ich mich überdies persönlich gedemütigt fühlte - weil er mir den Grund seiner Entscheidung nicht klargemacht hatte, aber auch, weil er in Anwesenheit anderer gesprochen hatte, so dass sich der Klatsch sofort im Vatikan verbreitete (...)" Die Antwort des Papstes war dann ebenfalls überraschend, denn der sagte, er sei sich der Sache nicht bewusst gewesen, "fügte dann aber hinzu, dass Demütigungen sehr gut tun ..."

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Alte Messe

Dass Franziskus im Umgang mit der "außerordentliche Form" der Messe in lateinischer Sprache im Schreiben "Traditionis custodes" vom 16. Juli 2021 einen ganz neuen Kurs festlegte, entdeckte Benedikt XVI. laut Gänswein beim Blättern in der Vatikanzeitung. Auf die Frage nach einer Einschätzung habe er gesagt, dass "der amtierende Papst die Verantwortung für Entscheidungen wie diese trägt und so handeln muss, wie er es für die Kirche für gut hält. Persönlich aber sah er einen klaren Kurswechsel, und den hielt er für einen Fehler." Die von Benedikt angestrebte Befriedung im innerkirchlichen Streit mit den Anhängern der Alten Messe sei dadurch gefährdet. Gänswein zufolge hielt Benedikt XVI. es "insbesondere für falsch, die Feier der Messe im alten Ritus in den Pfarrkirchen zu verbieten, da es immer gefährlich ist, eine Gruppe von Gläubigen in eine Ecke zu stellen, so dass sie sich verfolgt fühlen..."

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Missbrauch

Im April 2019 meldete sich Benedikt XVI. mit einem Aufsatz zum Missbrauchsskandal zu Wort. Dessen Ursache sah er vor allem im Kampf der späten 1960er für eine "völlige sexuelle Freiheit, die keine Normen mehr zuließ ... Zu der Physiognomie der 68er Revolution gehörte, dass nun auch Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde." Die Äußerungen sorgten für Diskussionen.

Gänswein unterstreicht in seinem Buch, dass dieser Beitrag mit Billigung des amtierenden Kirchenoberhaupts erschienen sei. Demnach sandte Benedikt XVI. den Text über Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin an Papst Franziskus und bat um Zustimmung für eine Veröffentlichung. Parolin habe dann ihn, Gänswein, angerufen und ihn gebeten, Benedikt mitzuteilen, "dass Franziskus mit der Idee einverstanden war, dass er veröffentlicht werden sollte."

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Papstkritiker

Im Juni 2016 sorgte Gänswein mit Aussagen über ein "geteiltes Papstamt" für Diskussion; dies wurde auch Gegenstand einer Frage von Journalisten an Papst Franziskus bei dessen Armenien-Reise. Franziskus erzählte als Beleg für die unverbrüchliche Loyalität seines Vorgängers eine Anekdote, wie sich einige bei Benedikt XVI. über "diesen neuen Papst" beklagt hätten. "Er hat sie weggejagt!", zitiert Gänswein Franziskus. "Auf beste bayerische Art: höflich, aber er hat sie weggejagt. Und wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden, denn dieser Mann ist so. Ein Mann seines Wortes, aufrichtig, aufrichtig, aufrichtig." Und Gänswein ergänzt: "Ich kann persönlich bestätigen, dass es so war."

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Ratgeber

Im September 2013 sandte Franziskus dem emeritierten Papst vorab ein Interview, das er der Jesuitenzeitschrift "La Civilta Cattolica" gegeben hatte, und bat ihn um einen Kommentar. Benedikt XVI. antwortete mit einem Brief, in dem er vor allem auf Fragen von Abtreibung und Empfängnisverhütung sowie auf das Thema Homosexualität einging, und ließ ihn durch Gänswein überbringen. Darin legte er dem amtierenden Papst eine eindeutige Haltung zu diesen Themen nahe. "Ich weiß nicht, ob und wie er sich diese Bemerkungen zu eigen machte", schreibt Gänswein. In späteren Jahren schickte Franziskus dem Vorgänger seine Enzykliken und Apostolischen Schreiben nur noch im Nachhinein. Sie seien stets begleitet gewesen von einem herzlichen schriftlichen Gruß. Um Kommentare des Vorgängers zu seinen Texten habe Franziskus aber nie wieder gebeten.

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Abtreibung

In den 1990er-Jahren herrschte auch im Vatikan ein Dissens, ob kirchliche Einrichtungen in Deutschland einen Beratungsschein vor Schwangerschaftsabbrüchen ausstellen dürfen. Während Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano (1991-2006) für eine pragmatische Lösung eintrat, war Ratzinger für eine harte Linie. Gänswein schildert die unterschiedlichen Ansichten zwischen den Kardinälen Sodano und Ratzinger zu der Thematik so: Sodano "schaute mehr auf die politischen Implikationen der Angelegenheit und die guten Beziehungen zum Vorsitz dieser Bischofskonferenz, während Letzterem vor allem an der gesamten ethisch-moralischen Frage sowie den daraus sich ergebenden lehrmäßigen und pastoralen Konsequenzen gelegen war."

Lange Zeit sei die Debatte "hinter den Kulissen" weitergegangen, bis schließlich Papst Johannes Paul II. am 11. Januar 1998 "den deutschen Bischöfen ein Schreiben sandte, in dem er festlegte, 'dass ein Schein solcher Art in den kirchlichen oder der Kirche zugeordneten Beratungsstellen nicht mehr ausgestellt wird'."

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