Der verborgene Kongress

24. Oktober 2022 in Aktuelles


Der Bundesverband Lebensrecht ist die Lobby für alle Menschen, die die moderne Gesellschaft physikalisch canceln möchte - Der Montagskick von Peter Winnemöller


Linz (kath.net)

Der erste Lebensrechtskongress, der an den vergangenen Tagen in Schwäbisch-Gmünd stattfand, war nicht nur fällig, er war mehr als überfällig. Er war, soweit sich das aus der Distanz sagen lässt, eindeutig gelungen. In den Medien, auch in katholischen und evangelischen Medien, die amtskirchlich initiiert und finanziert sind, suchte man Berichte dazu vergebens. Weltliche Medien üben sich in Omerta, linke Kampfmedien halten die Fahne der vermeintlichen Frauenrechte hoch. Angesichts eines politischen Mainstreams gegen das Leben, ist der Mobilisierungsgrad in der linken Szene nicht mehr sonderlich hoch. In der großen Politik hat das Recht auf Leben derzeit schlicht verloren. Allein privat finanzierte katholische und freikirchliche Medien zeigten sich erneut als verlässliche Medienpartner für die Lebensrechtsbewegung. Im Livestream des katholischen Fernsehsenders EWTN konnte zudem der Plenumsteil auch extern verfolgt werden.

Insgesamt 16 Mitgliedsverbände zählt die Webseite des Bundesverbandes Lebensrecht auf. Der Verband ist ein Lobbyverband und eine Dachorganisation für alle Fragen rund um das Recht des Menschen auf Leben von seiner Zeugung bis zu seinem natürlichen Tod. Allein dieser Satz dürfte ein Framing der sogenannten „Pro-choice- Fraktion“ entkräften, der Mensch nach der Geburt interessiere Abtreibungsgegner nicht mehr. Das Gegenteil ist der Fall. Alle Verbände, die sich mit dem Thema Abtreibung befassen, sind nicht minder mit Hilfen für geborene Kinder und ihre Familien befasst. Hier zieht sich eine weitere, bedeutende Linie aus. Wer für den Schutz des menschlichen Lebens ist, ist auch für den Schutz und die Stärkung der natürlichen Familie.

Schon längst geht es dem Bundesverband Lebensrecht nicht allein um Fragen der Abtreibung, es gibt einen umfassenden Komplex bioethischer Fragen, die den Bundesverband und die Mitgliedsverbände beschäftigen. Von der In- vitro- Fertilisation über Präimplantationsdiagnostik bis hin zu Fragen pränataler Diagnostikverfahren am Anfang des Lebens, spannt sich der Bogen hin zum Ende des Lebens und allen Fragen rund um assistierten Suizid, aktiver Tötung schwerstkranker, psychisch kranker und behinderter Menschen, der sogenannten Sterbehilfe. Damit verbunden sind wiederrum Fragen der Palliativmedizin und natürlich wieder Fragen der Stärkung von Familien mit Pflegefällen.

Etwas polemisch könnte man sagen, der Bundesverband Lebensrecht ist die Lobby für alle Menschen, die die moderne Gesellschaft physikalisch canceln möchte. In der Tat kommt in letzter Zeit auch immer wieder die Frage auf, wo die Verbindungslinien zwischen Lebensrechtsverbänden und Behindertenverbänden sind. Es scheint absurd, aber die politische Großwetterlage ist gut für Lebensrechtsverbände. Es wird erst gar nicht mehr versucht, hier und da noch jemanden einzufangen. Die katholischen Bischöfe, die über Jahrzehnte die natürlichen Verbündeten des Rechts auf Leben waren, sind seit dem Skandal um dem Beratungsschein und das Machtwort des Heiligen Johannes Paul II. nicht nur aus der Beratung, sondern auch aus dem Kampf um den Schutz des Lebens weitgehend ausgestiegen. Trotzdem gibt es nach wie vor katholische Bischöfe, die ein eindeutiges Zeugnis für das Leben geben. Denen weht inzwischen der gleiche kalte Wind um die Nase wie allen Lebenschützern. Die klare aber raue Luft ist besser als das dumpfe Klima eines „wir sind ja auch für das Leben, aber …“. In kirchlichen Kreisen gefällt man sich derzeit teilweise sogar darin, den Kampf um das Recht auf Leben als politisch rechts und damit nicht mehr demokratisch legitimiert zu framen. Vertreter einst katholischer Verbände und einzelne Personen finden willige Medien, die diese Botschaft verbreiten. Interessant ist es, die Zielkoordinaten im Auge zu behalten. Es liegt nahe, die Ursache für die Queerschüsse auch in der natürlichen Verbindung zwischen Lebensschutz und Schutz der natürlichen Familie zu suchen. Immerhin möchte man ja in der katholischen Kirche den Schutz der Familie zu Gunsten einer Wertschätzung aller denkbaren Lebensgemeinschaften aufgeben. Dazu kommt eine sich gerade so schön anbahnende Romanze zwischen synodalkirchlicher und linksgrüner Agenda. Der Lebensschutz stört da einfach.

In dieser Großwetterlage war ein Kongress der Lebensrechtsbewegung mehr als richtig und sinnvoll, denn es geht vor allem um Neubewertung. In vielen Bereichen ist der politische Kampf verloren und auch der Paragraph 218 wackelt längst. Geht die amtierende Regierung über die volle Distanz, wird sich eine Lösung finden, die Abtreibung aus dem Strafgesetzbuch zu eliminieren. Es gibt ein Verfassungsgerichtsurteil, das den Staat zum Schutz des Lebens verpflichtet. Das stört noch, doch findige Juristen sind längst dabei den Ausweg zu suchen. Der Treppenwitz ist, dass das deutsche Verfassungsrecht eine völlige Freigabe der Abtreibung faktisch unmöglich macht. Da aber der Verfassung unseres Landes auch in anderen Punkten bereits weit überdehnte Auslegungen wider das Naturrecht, welches der Verfassung eigentlich zu Grunde liegt, zugemutet wurden, ist die Streichung des 218 nur eine Frage der Zeit. Fraglich ist, ob sich dann noch eine politische Kraft fände, den Fall nach Karlsruhe zu tragen. Weitaus fraglicher, ob dies derzeit überhaupt sinnvoll wäre. Karlsruhe 2021 ist schon längst nicht mehr Karlsruhe 1993.

Das heißt nicht, dass der politische Kampf ganz aufzugeben ist. Ganz im Gegenteil ist dies Thema auch politisch hochzuhalten und immer wieder in Erinnerung zu rufen. Es gibt nach wie vor politische Kräfte in diesem Land, die das Naturrecht hochhalten und an der Seite des Lebens stehen. Es bedarf aber mehr. Schon längst sind die Verbände in der Beratung und Hilfe aktiv. Diese Netze müssen enger geknüpft und optimiert werden, denn der Staat und leider auch die Kirche fallen hier zunehmend aus. Aber, oben klang es schon an, es geht auch um Kooperationen. Da sind die Behindertenverbände, mit denen gemeinsame Interessen ausgelotet werden können, da ist sind die Palliativmediziner, da sind pflegende Angehörige, da sind Eltern behinderter Kinder (die zunehmend gesellschaftlich und finanziell unter Druck geraten werden „sowas muss ja heute nicht mehr sein!“) und da sind nicht zuletzt Betroffene von Abtreibung. Gerade letztere sind in unserer Gesellschaft entsetzlich allein gelassen. Mütter, die ein Kind durch Abtreibung verloren haben, sind nur sehr selten Täterinnen, sie sind viel häufiger neben ihrem Kind Opfer. Diese Frauen können, wenn sie mit Hilfe und Geduld das Geschehen verarbeitet haben, die Kraft und Bereitschaft dazu finden, sehr viel dazu beitragen, die Wahrheit über das Elend der Abtreibung zu verbreiten.

Neben all den Vernetzungen, die schon vorhanden sind, angedacht sind, noch nötig werden können, geht es auch um eine intellektuelle Aufarbeitung und Grundlegung der zahlreichen Fragen von Lebensrecht und Bioethik. Ein Lebensrechtskongress bietet dazu die Basis, dass sich Laien sachlich und fundiert informieren und Fachleute in angenehmer Atmosphäre austauschen können. So kann Forschung initiiert und vorangetrieben werden. Da können junge Menschen begeistert werden, sich in lebensrechtlichen oder bioethischen Fragen zu professionalisieren oder gar ihre berufliche Zukunft darin zu finden. Der erste Schritt ist getan, der Bundesverband Lebensrecht hat gezeigt, dass er es kann. Nun könnte der Kongress in Serie gehen und neben dem Marsch für das Leben im Berlin und der jährlichen Eröffnung der Woche für das Leben, der vom BvL seit einigen Jahren mit einer eigenen Fachtagung begleitet wird, zu einem weiteren Fixpunkt für die wachsende Lebensrechtsbewegung in Deutschland werden. Den Protagonisten für Lebensrecht und Bioethik in den Verbänden und im Bundesverband Lebensrecht wird die Arbeit nicht ausgehen.


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