„Nicht wir ‚gestalten‘ oder ‚machen‘ etwas in der Hl. Messe, das Entscheidende tut der Herr selbst“

23. August 2022 in Spirituelles


Görlitzer Bischof Ipolt: „Wie nötig ist es, sich klarer zu werden darüber, was denn eigentlich in einer Eucharistiefeier geschieht und welche Folgen das für mein Leben als Christ hat“ - Die Predigt beim Adoratio-Kongress in Neuzelle in voller Länge


Neuzelle (kath.net/pl) kath.net dokumentiert die Predigt von Bischof Wolfgang Ipolt (Görlitz) anlässlich des ersten Adoratio-Kongresses in Neuzelle am 20.08.2022 in voller Länge und dankt S.E. für die freundliche Erlaubnis zur Weiterveröffentlichung.

Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Mitfeiernde und Mithörende von EWTN und Radio Horeb!
der Adoratio-Kongress, der heute zum ersten Mal in Neuzelle stattfindet, beginnt mit der Heiligen Messe – der höchsten und wichtigsten Feier der Kirche. Ich hätte mir auch gut vorstellen können, dass die Messfeier am Ende dieses Kongresses steht, sozusagen als Ziel unserer Überlegungen und vor allem der Anbetung des eucharistischen Geheimnisses. Aber für beides gibt es natürlich gute Gründe, die das letzte Konzil in den beiden Begriffen „Quelle“ und „Gipfel“ zusammengefasst hat. Die Liturgie der Kirche (und besonders die Eucharistie) ist Ursprung allen Tuns der Kirche und zugleich der Höhepunkt, auf den alles hinzielen muss. Ohne diese Feier sind wir nicht Kirche im echten Sinn. Ohne diese Feier würden wir immer hinter dem zurückbleiben, was der Herr uns aufgetragen hat und vor allem hinter dem, was er aus uns machen will, wohin er uns gestalten und formen will.

Weil wir heute mit den Zisterziensern auf der ganzen Welt das Fest des hl. Bernhard, ihres Ordensvaters, begehen, liegt es nahe, auch mit dem Tagesheiligen zu beginnen. Ich möchte an eine bildliche Darstellung erinnern, die an eine Vision des heiligen Bernhard anknüpft und uns das Innerste seiner Christusbeziehung zeigt. Seit dem Mittelalter gibt es Darstellungen des heiligen Bernhard in der Kunst, die ihn betend vor einem Kreuz zeigen. Aber der Gekreuzigte löst seine Arme vom Kreuz, umarmt den Heiligen und zieht ihn an sich. Man muss unweigerlich an das Wort Jesu denken: „Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen.“ In dieser Darstellung des Heiligen wird eine Christusbegegnung ganz besonderer Art gezeigt, die die persönliche Erfahrungen dieses Menschen ins Bild bringt. Da betet ein Mensch nicht mehr mit Abstand vor einem Kreuz – da wird sein Glaube plötzlich zu einer Liebesbeziehung. Aber diese Beziehung geht zunächst ganz von Christus aus, dann aber streckt auch Bernhard auf vielen Bildern seine Arme dem Herrn entgegen und erwidert  seinen Blick und seine Zuwendung vom Kreuz her.

Dennoch: Es bleibt für mich in dieser Darstellung eine Spannung, die bedeutungsvoll ist: Wer will sich schon von einem blutverschmierten Gekreuzigten umarmen lassen? Wer will es mit einem Gemarterten und Zerschlagenen zu tun haben – ist es da nicht besser auf Abstand zu bleiben, sich nicht mit fremden Wunden zu beschmutzen oder berühren zu lassen?

Liebe Schwestern und Brüder,
ich stelle dieses Bild von der Vision des heiligen Bernhard bewusst an den Beginn unseres Adoratio – Kongresses. Es kann und soll uns heute helfen, tiefer das Geheimnis der Eucharistie zu verstehen – denn um dieses Geheimnis geht es ja an diesem Tag. Ich bin gern heute hierhergekommen, weil es hier um keine Nebensache in unserem Glauben geht, sondern um den Kern unserer Kirche.

Wir haben in unserem Land – das ist inzwischen öffentlich und statistisch nachgewiesen – derzeit ein großes Problem: Eine große Mehrheit der Getauften hat sich von der sonntäglichen Eucharistie verabschiedet. Manche kommen noch ab und zu oder haben ihre „Regelmäßigkeit“ auf einmal im Monat festgelegt; andere sind in Gleichgültigkeit verfallen oder können mit dieser Feier nichts mehr anfangen, was dann oft in dem einfachen Satz gipfelt: „Die Messe gibt mir nichts mehr!“ Durch die Zeit der Pandemie haben sich viele auch an die Gottesdienste im Fernsehen gewöhnt (die sind möglicherwiese manchmal auch schöner, als die in der eigenen Pfarrei…?!) und sie machen sich nun nicht mehr auf den Weg zu einer realen Feier.

Es hilft nicht, darüber zu klagen. Aber diese traurige Wahrheit zeigt, wie nötig es ist, sich  klarer zu werden darüber, was denn eigentlich in einer Eucharistiefeier geschieht und welche Folgen das für mein Leben als Christ hat. Darum sind Sie heute hier her nach Neuzelle gekommen, darum sind heute Menschen an Radio und Fernsehen dabei. Sie alle suchen Vertiefung und Stärkung, neue Hinführung zu dieser Feier und zu diesem Sakrament.

Ich will es mit dem vorhin ausgiebig beschriebenen Bild des heiligen Bernhard versuchen und diese Darstellung zu Hilfe nehmen.

In jeder Heiligen Messe wird das Kreuzesopfer Christi gegenwärtig. Seine Lebenshingabe in unserer Mitte. Wir sehen also in Gedanken immer das Kreuz auf Golgotha vor uns. Die Messe braucht darum kein anderes „Thema“ (wie es immer wieder versucht wird) – sie hat  ein Thema: sein Opfer am Kreuz für das Heil der Welt und sein Hindurchgang in das neue bleibende Leben. Man kann es nicht besser ausdrücken als wie wir es in jeder Messfeier tun: „Deinen Tod, o Herr verkünden wird und deine Auferstehung preisen wir…“.

Darum gilt zuerst: Nicht wir „gestalten“ oder „machen“ etwas in der Hl. Messe, das Entscheidende tut der Herr selbst – er gibt sein Leben für uns. Zunächst sagt er uns sein Wort im Evangelium, das wir anhören und mitnehmen in unseren Alltag. Dann vollzieht sich seine Hingabe vor unseren Augen, wenn der Priester die Worte Jesu wiederholt: Das ist mein Leib für euch…; das ist mein Blut für euch…

Wenn wir nun diese Worte nicht nur aus Gewohnheit einfach anhören, dann sind sie so gemeint, wie es die Umarmung des heiligen Bernhard darstellt: Jesus umarmt jeden von uns vom Kreuz her und bietet uns seine Liebe an, möchte in eine Beziehung mit uns treten. Es ist darum wichtig und richtig, wenn jeder von uns bei der Wandlung ein kurzes persönliches Gebet spricht – wenn jeder mit seinem Leben „reagiert“ auf die Hingabe des Herrn – vielleicht mit den Worten des alten Gebetes: Jesus, dir leb‘ ich, Jesus dir sterb‘ ich… oder einfach mit den Worten des Apostels Thomas: Mein Herrn und mein Gott!

Diese Liebe, die der Herr anbietet, geht aber in der Hl. Messe noch weiter: Wir dürfen sie empfangen in der heiligen Kommunion. In einem Gebet drückt die heilige Theresia Benedicta vom Kreuz (Edith Stein) so aus, was bei der hl. Kommunion geschieht: „Dein Leib durchdringt geheimnisvoll den meinen, und Deine Seele eint sich mit der meinen: Ich bin nicht mehr, was einst ich war.“ Wer so betet, der denkt sehr groß und ehrfurchtsvoll von dem, was Kommunion bedeutet!

Ist uns das wirklich immer bewusst, wenn wir manchmal auch einfach aus Gewohnheit zur hl. Kommunion gehen? Verstehen  Sie mich recht: Es ist schön, wenn wir aus der Kraft der Eucharistie leben – aber es ist gefährlich, wenn es nur noch Routine, Automatismus oder Konvention wird, wenn es nicht mehr ein Zeichen unserer liebenden Antwort ist auf das, was der Herr für uns tut.

Die Hl. Messe in diesem Sinne feiern, das hat Folgen. Von diesen Folgen hat Jesus im Evangelium heute gesprochen. „Ihr seid das Salz der Erde… Ihr seid das Licht der Welt…!“ Das können wir nur sein, wenn wir mit ihm in Verbindung bleiben. Darum braucht es die aufrichtige Teilnahme an dieser Feier immer wieder. Hier -  in der Eucharistie - sorgt der Herr dafür, dass wir nicht geschmacklos werden, hier entzündet der Herr neu das Licht in uns, damit wir vor den Menschen leuchten und sie den Vater im Himmel (nicht uns!) preisen.

Möge dieser Tag, der Adoratio – Kongress – allen, die daran  teilnehmen – ob hier in Neuzelle oder auch über die Medien – die Größe der Eucharistie neu aufleuchten lassen und möge unsere ganz persönliche Antwort der Liebe zum Gekreuzigten neu in uns wachsen. Vergessen wir es nie: Er will auch uns – wie den heiligen Bernhard - in seine Arme schließen und verwandeln und zu seinen Boten machen. Amen.

Foto: Früheste bekannte Amplexus-Darstellung Mitte 15. Jahrhundert (Christus und Bernhard)


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