Die Kirche der Piefkes, Pimpfe und Pinscher

12. Juli 2022 in Kommentar


Otti's Optik: Über die Schnittmenge von "Modernismus" und Spießigkeit - Kommentar von Franz Norbert Otterbeck


Köln (kath.net)

Prälat Wilhelm Imkamp, jetzt in Regensburg tätig, hat vor einigen Jahren ein verdienstvolles Büchlein geschrieben: "Sei kein Spießer, sei katholisch". Es fand in den deutschen Diözesen offenkundig zu wenig Resonanz. Schon Udo Jürgens sang von "Bohnerwachs und Spießigkeit", in seinem 'ehrenwerten Haus'. Auch wenn das Bohnerwachs heute außer Mode gekommen ist, erachtet sich die "deutsche Kirche" immer noch für ein ehrenwertes Haus. Es wimmelt zwar von homosexuellen Kontakten und der massenhafte Ehebruch wird verharmlost als kaum vermeidbarer Beitrag zu "gelingenden Beziehungen". Aber: wir arbeiten ja dran, an der "Weiterentwicklung der Sexualmoral" (i.e. die Entsorgung derselben), also sind wir in Kürze, nach neuen Standards, wieder aller Ehren wert. Der 18. Geburtstag wird etwas mehr respektiert werden als früher; und wenn der Kaplan irrtümlich eine lesbische Caritasdame angrinst, dann ist er wegen Belästigung dran. Sonst? Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff!

Theresia Kamp von der Uni Eichstätt hat an versteckter Stelle im Internet kürzlich sehr richtig gesagt: "Nur eine Kirche, die wachsen will, hat eine Zukunft." Wer sonst stemmt sich, im Apparat, noch der Selbstzufriedenheit entgegen, die seit langem der Markenkern des etablierten Katholizismus deutscher Nation ist? Das Reformgerede, man weiß wo, will sogar die deutsche Selbstzufriedenheit, ganz spießertypisch, zum Bauplan der Weltkirche hochjazzen; trotz oder wegen totalen Misserfolgs auf fast allen Gebieten. Was wächst noch? Der Zulauf zur "alten Messe", langsam, aber stetig; und antizyklisch zur Lage in den Bistümern: steigen die Berufungen zum Priestertum im klassischen Stil an. Ein Zeichen der Zeit: als ob der traditionell konzipierte Priesterberuf das letzte große Abenteuer im Europa des 21. Jahrhunderts werden könnte.

Im Titel unerwähnt blieben Frau Piefke, Fräulein Pimpfe und die Pinscherin. Das wäre aber unpraktisch zu titeln gewesen, nicht nur zu gendermäßig-spießerhaft. Definieren wir erstmal die Begriffe: Der Piefke ist der typische Deutsche aus österreichischer Sicht: laut, platzgreifend, ungehobelt. Es ist aber kein anderes Wort für Pastoralreferent. Denn die gibt es auch in der Version leise, fleißig und fromm. Der Pimpf war der "deutsche Junge" in verbrecherischer Zeit. Fanatismus anderer Art existiert allerdings auch unter jungen Linken. Dennoch kann man nicht jede vom Modernismus geprägte, theologische Lehrstuhlinhaberin deutscher Zunge als fanatisches Mädel abstempeln, auch dann nicht, wenn sie "transphob" wäre. Der Pinscher ist ein kleiner, nervöser Hund, der immer kläfft. Trotzdem heißt das namhafte Onlineportal mit Sitz in Bonn immer noch nicht: pinscher.de.

Mit anderen Worten: Gott bewahre uns vor einer Kirche der Piefkes, Pimpfe und Pinscher. Es gibt auch immer noch gute Chancen, dass der Herr der Kirche sich damit durchsetzen wird. Die Achtsamkeit für die unverzichtbar antimodernen Aspekte der katholischen Religion steigt an der Basis der Beter auch spürbar an. Da hat Corona "geholfen": Denn der Liturgieverzicht, den maßgebliche Leute überaus staatsfromm lancierten, der konnte engagierten Christen nicht schmecken.

Wo die 'Kirche in den Seelen' erwacht (Guardini), da erwacht auch die Liturgie wieder. Diesbezüglich ist der Verfasser kein Traditionalist. Ich habe 2007 mühsam Verständnis für "Summorum pontificum" gewonnen und erst zehn Jahre später eindeutig Partei ergriffen: Ja, die ältere Liturgie hat Hausrecht in der ehrenwerten Kirche Gottes, andernfalls befleckt diese sich selbst. Aber wer bin ich zu urteilen? Ein anderer hat sich fundierter geäußert: Das jüngste Papstschreiben zur Liturgie kennt viele wertvolle Aspekte. Insbesondere müsste man den Zelebranten "novus ordo" dringend die liturgische Bildung im Sinne einer "ars celebrandi" nahelegen, auch denen, die schon länger im Dienst sind, sich aber vom konfessionellen Spießertum der Siebziger nicht freischwimmen wollen. Aber die Schlussfolgerung, im Sinne einer Unterdrückung der älteren Liturgie, ergibt sich in "Desiderio Desideravi" nirgends aus dem Vorgetragenen. Im Gegenteil: der Papst formuliert die priesterlich-liturgische Identität so unzweideutig wie lange nicht mehr. Im Sinne der liturgischen Modernisten hat er sich zweifelsohne als "vorkonziliar" geprägt entlarvt.

Aber ich möchte hier den Begriff "Modernismus" nicht im exakten Sinn strapazieren, wenngleich die Lektüre der einschlägigen Enzyklika Pius X. von 1907 den Hampel-dilen und Hampel-fanten zeitgenössischer Erlebnisreligion durchaus die Erfahrung mitteilen könnte, dass unsere Religion bloße "Erfahrung" weit übersteigt. Viel Modernismus, gerade in der Kirche der Hauptamtlichen, ist doch nur bequeme Spießigkeit. Das gute Gehalt genügte zusammen mit einem kleinen Erbe fürs Eigenheim, sodass dann zwei Kinder angeschafft werden konnten, glücklicherweise ein Junge und ein Mädchen. Das dritte Kind hatte dann leider kein Lebensrecht mehr. Aber gegen das post-abortionale Syndrom half die Therapie bei einer Heilpraktikerin, Nichte des Pastors, von ihm wärmstens empfohlen, ja doch einigermaßen. Bei Maria 2.0 kommt man (frau) ja auch ganz gut auf andere Gedanken.

Ein aufmerksamer Leser schrieb mir wieder, ich müsse mir sehr viel im eigenen Leben ansehen. Das ist immer richtig. Licht und Schatten kennzeichnen die christliche Existenz. Aber von Leuten, die sich der "Existenz" kaum je ausgesetzt haben, nimmt man "guten Rat" (etwas vergiftet, dort) ungern an. Der Verlust der Höhen und Tiefen, der Weitendimension christlicher Weltdeutung ist es, der unsere Kirchen leergefegt hat. Es war falsch, die alten Begriffe auszurangieren, anstatt sie zu erläutern. "Gnade" ist so ein unverzichtbares Wort, auch wenn sie seit dem Luthertum in deutschen Breiten weithin falsch verstanden wird. Was hat die Kirche gerungen vor 1607 "de auxiliis", um die Gnadenhilfen also! Alles überholt? Alles für die Katz? Oder noch etwas simpler: Warum mussten schon im antiken Gotteslob von 1975 unzählige Textstrophen der beliebten Gesänge ausradiert werden? "Die Kirche ist erbautet auf Jesus Christ allein" (GL neu 478,3) ist gotteslästerlich für fromme Ohren. Denn die Güte Gottes hat sehr sehr viel mehr Gnadenmittel vorgesehen als nur die Anrufung eines Namens. Kein Konzilsdekret und keine nachkonziliare Anweisung hat jemals Liedtexte von vor 1968 verboten. Jesus allein? Der ist für viele heute so greifbar wie: kein Jesus. "Jesus liebt Dich" steht als Aufkleber auf manchen Kleinwagen. "Na und?" Der postmoderne Zeitgenosse liest das so als stünde da: "Karl Lagerfeld liebt Dich." Der ist auch schon tot. Und himmelte nur eine Katze an. Es fehlt also allerorten an der Gnadenvermittlung. Wie von hier zu Jesus? Durch Seine Kirche.

Wir wollen eine Kirche der Gnadenorte, der Gnadenzeichen und Gnadenzeiten. Die scheut zwar die modernen Mittel und Horizonte nicht, aber sie bleibt treu; dem Wort des Herrn und ihrer eigenen Überzeugung, die sie schon durch Jahrhunderte getragen hat.

 


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