Zwei Entscheidungen zur Abtreibung

27. Juni 2022 in Kommentar


Partystimmung im deutschen Parlament, weil künftig beruflich mit der Tötung von ungeborenen Befasste ihr gruseliges Business offensiv bewerben können - Der Montagskick von Peter Winnemöller


Rom (kath.net)

Roe vs. Wade ist Geschichte. Ein lange Zeit erhoffter Erfolg ist wahr geworden und vielleicht ist es doch nur ein Pyrrhussieg. Es erlaubt nun den einzelnen Bundesstaaten, ein eigenes Abtreibungsrecht zu erlassen. Das ist gut für Staaten, die die Tötung ungeborener Kinder verbieten. Es zeigt aber auch die Spaltung der Gesellschaft und es zeigt besonders wes Geistes Kind die Tech – Konzerne sind. Hier zahlt man Frauen künftig den Flug in Staaten mit „liberaler“ Abtreibungsgesetzgebung, um Mutterschaft und damit Arbeitsausfall zu verhindern. Weltweit operierende Konzerne haben sich von nationaler oder regionaler Gesetzgebung noch nie sonderlich beeindrucken lassen.

In Deutschland darf künftig für Abtreibung geworben werden. Der Paragraf 219a ist abgeschafft. Partystimmung im Parlament, weil künftig beruflich mit der Tötung von ungeborenen Befasste ihr gruseliges Business offensiv bewerben können. Mag man Rabattangebote der Art „Treiben Sie vier Kinder ab, das fünfte töten wir kostenlos“ noch für unvorstellbar halten. Die Telefonnummer der Abtreibungsklinik in der U-Bahn mit Leistungsbeschreibung ist bald schaurige Wirklichkeit. Auch das Fernziel ist klar: Der Paragraf 218 soll weg.

In einer kultivierten Gesellschaft, die jedem Menschen vom Moment der Zeugung an seine unveräußerlichen Rechte zugestehen und rechtlich garantieren würde, bräuchte man kein Abtreibungsrecht. Man könnte Straftaten gegen das Leben eines ungeborenen Menschen mit der gleichen Sammlung an Rechtsnormen beurteilen, wie man Straftaten gegen das Leben von geborenen Menschen beurteilt. Dass dies illusorisch ist, erklärt sich schon daraus, dass zahlreiche maßgebliche Juristen ungeborene Menschen gar nicht für Menschen halten und wir zudem keine politische Kraft im Land haben, die ungeborenen Menschen ihre Menschenrechte einzuräumen bereit wäre.

Im Gegenteil erlebten wir in jüngerer Zeit hinreichend Bestrebungen auch geborenen Menschen jeden Alters etliche unveräußerliche Rechte erheblich einzuschränken. Ein wirkliches Ende dieser Bestrebungen und eine Umkehr zu Gunsten umfassenden Schutzes der Freiheit ist gerade nicht erkennbar. Ergänzend dazu hat das Bundesverfassungsgericht in Deutschland ein Recht auf einen selbstbestimmten Tod erfunden. Das natürliche Sittengesetz kennt hingegen durchaus eine Pflicht zu leben, die sich rudimentär in der Strafbarkeit der Selbstverstümmlung für Soldaten in unserem Rechtskorpus noch zeigt.

Schon ein oberflächlicher Blick auf bioethische und lebensrechtliche Entscheidungen der Parlamente und der Gerichte zeigt nicht nur in Deutschland, sondern international, den Abschied der Rechtsnormen und der Rechtsprechung vom Naturrecht. Auch wenn derzeit viele – ganz sicher zu Recht – die Entscheidung des Supreme Court feiern, die Tendenz läuft in die entgegengesetzte Richtung.

Besonders für Christen bedeutet dies den Kampf gegen das Elend der Abtreibung auszubauen und auszudehnen. Der Marsch für das Leben ergibt auch dann noch Sinn, wenn in einigen Jahren die Tötung kleiner ungeborener Menschen staatlich erlaubt ist. Sittlich kann dies niemals erlaubt und akzeptiert werden. Christen können und dürfen daran niemals mitwirken. Der Marsch für das Leben kann das Bewusstsein wachhalten, dass die Tötung ungeborener Menschen niemals hingenommen werden kann.

Es gibt mehr zu tun. So gilt es mehr und innovative Schutzräume für Frauen im Schwangerschaftskonflikt zu schaffen. Zum anderen: Wenn schon für Tötung von Menschen geworben werden darf, um wieviel mehr muss erst für das Leben geworben werden. Bilder fröhlicher Babys und Kleinkinder zu zeigen, ist eine Bildsprache, die ausgezeichnet funktioniert. Sie moralisiert nicht und zeigt dennoch, worum es im Kern geht. Wer bei den Bildern von 1000 plus nicht ad hoc ein Lächeln im Gesicht hat, braucht irgendeine Form von Brille. Die Bilder treffen es: Es geht um Kinder. Das versteht jeder sofort.

Man erkennt die Kernpunkte, die es braucht: Aufklärung, sehr praktische Hilfe (vor allem Geld und Sachleistungen) und nicht zuletzt Seelsorge und psychotherapeutische Betreuung. Aufklärung über das vorgeburtlich heranwachsende Leben ist vor allem deshalb wichtig, weil die Wahrheit von Abtreibungslobbyisten mit Worten wie „Schwangerschaftsgewebe“ und ähnlichem vernebelt wird. Die Leidtragenden sind die Frauen, die leichtfertig und/ oder unwissend, vielleicht unter sozialem Druck in eine Abtreibung geraten sind. Diese gilt es aufzufangen, denn wenn der Abtreiber seinen Job getan hat, ist die Frau allein. Das gilt in mehreren Dimensionen.

Für Lebensschützer und Lebensrechtler gilt es mehrstufige Hilfsangebote auf- und auszubauen, weil sie zunehmend gebraucht werden. Diese müssen sich zusammensetzen aus praktischer Hilfe zur Abtreibungsvermeidung, Lebenshilfe für Mütter und Kinder in Not und nicht zuletzt Seelsorge sowie psychologische Betreuung für Mütter, Väter und Geschwister, die in eine Abtreibung aktiv oder passiv involviert waren. Wir müssen es uns immer bewusst machen, dass nach einer Abtreibung eine Mutter und nicht selten ein Elternpaar verwaist sind, d.h. ein totes Kind haben. Die Ansicht ein Kind sei „weg“ ist Blödsinn. Das abgetriebene Kind lebt weiter und die Mütter wissen das intuitiv.

Da geht es nicht primär um die Schuldfrage, da geht es vor allem darum, die Barmherzigkeit Gottes zu verkündigen. Man kann auch sein abgetriebenes Kind um Vergebung bitten, ihm einen Namen geben, einen Erinnerungsort schaffen, Kerzen anzünden. Eine Abtreibung hat immer mindestens zwei Opfer: Die Mutter und das Kind. Das Kind ist tot und die Mutter nicht selten schwer traumatisiert. Oft sind sogar Geschwisterkinder durch eine Abtreibung traumatisiert, selbst wenn sie nicht verstehen, was passiert ist oder gar keine Kenntnis haben. Traumata sind tückisch, denn sie können Jahre und Jahrzehnte unentdeckt bleiben. Psychologie und Seelsorge müssen hier Hand in Hand arbeiten.

Ohne den immer noch nötigen politischen Kampf zum Schutz des Lebens kleinreden zu wollen, sollten sich die Schwerpunkte immer mehr so verlagern und es wirklich anstreben, dass Menschen guten Willens in der Zukunft einer schwangeren Frau in Not raten werden, zu den Christen zu gehen, denn hier wird ihr und ihrem Kind geholfen werden. Denn auch das ist eine tiefe Wahrheit: Die Ökumene des Lebensschutzes ist eine der schönsten und fruchtbarsten Aspekte der Ökumene.


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